In Strafverfahren entscheiden ein oder mehrere Richter über das Schicksal des Angeklagten – oftmals aufgrund einer äußerst unklaren Beweislage. In gewisser Weise haben diese Richter sogar schon ein Urteil über den Angeklagten gefällt1, denn immerhin halten sie ihn durch die Zulassung der Anklage und die Eröffnung des Hauptverfahrens der Straftat für hinreichend verdächtig (§ 203 StPO). Das Ablehnungsrecht soll gewährleisten, dass der Angeklagte vor einem Richter steht, der unabhängig und unparteilich ist und auch sonst Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber sämtlichen Verfahrensbeteiligten bietet.
Selbstverständlich genügt allein die Eröffnung des Hauptverfahrens nicht für die Annahme, der Richter könnte befangen sein. Ein Befangenheitsantrag sollte grundsätzlich sorgfältig überlegt sein – durch diesen kann die Atmosphäre im Gerichtssaal nämlich nachhaltig vergiftet werden. Andererseits ist ein solcher Antrag keineswegs nur Stilmittel eines Konfliktverteidigers.
Ablehnungsverfahren
Abgelehnt werden können nur einzelne Richter oder einzelne Mitglieder eines Gerichts – nicht jedoch ein Kollegialgericht als Ganzes.2 Das Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters ist gerechtfertigt, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, dass der oder die abgelehnten Richter ihm gegenüber eine innere Haltung einnehmen, die ihre Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann.3 Das Vorliegen eines Ablehnungsgrundes ist grundsätzlich vom Standpunkt des Ablehnenden aus zu beurteilen. Ob der Richter tatsächlich parteiisch oder befangen ist, spielt daher keine Rolle.4
Bei der Antwort auf die Frage, ob ein Angeklagter die Befangenheit eines Richters besorgen kann, bedient sich die Rechtsprechung der Maßfigur des verständigen Beobachters5, der den Anlass für das Ablehnungsgesuch allerdings grundsätzlich „vom Standpunkt des Angeklagten“ beurteilen muss6. Die Ablehnung muss nach § 25 Abs. 2 Nr. 2 StPO unverzüglich erfolgen – an diese Geltendmachung stellt der Bundesgerichtshof sehr strenge Anforderungen.7
Erfolgsaussichten eines Befangenheitsantrags
In der Tatsacheninstanz wird eine Ablehnung von Richtern allerdings so gut wie nie erfolgreich sein. Der zur Entscheidung über den Ablehnungsantrag berufene Richter – zumeist dessen geschäftsplanmäßiger Vertreter – müsste damit rechnen, dass sein abgelehnter Kollege eines Tages über einen gegen ihn selbst gerichteten Ablehnungsantrag zu entscheiden hat. Natürlich fördert dies die besorgniserregende Tendenz, aus dem Gesichtspunkt der „stillschweigenden richterlichen Verbürgung der Gegenseitigkeit“8 jeden noch so begründeten Ablehnungsantrag „abzubügeln“. Zumindest an Gerichten mit nur wenigen Richtern verbietet zudem die kollegiale Verbundenheit der Richter untereinander eine distanzierte Entscheidung. Es ist ganz einfach sehr unangenehm, einem Kollegen, dem man täglich begegnet zu bescheinigen, dass aus Sicht des Angeklagten zumindest der äußere Anschein der Befangenheit gegeben ist.9
Erfolg der Ablehnung in der Revision
Es kommt jedoch auch nicht auf den Erfolg in der Tatsacheninstanz an. Der abgelehnte Richter muss nun befürchten, dass der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO erfolgreich sein könnte und das sorgsam erarbeitete Urteil wegen der Besorgnis der Befangenheit aufgehoben wird. Das Rechtsmittelgericht prüft in eigenem Ermessen nach, ob die in der ersten Instanz vorgetragenen und glaubhaft gemachten Gründe des Ablehnenden die Besorgnis der Befangenheit begründen.10 Allein diese Unsicherheit des Tatrichters kann etwa dazu führen, dass er sein Urteil allzu nachlässig begründet und somit einen weiteren Revisionsgrund liefert, der für den Fall eingreift, dass die Ablehnung erfolglos bleibt. Im Einzelfall kann die Ablehnung auch zum „Zünglein an der Waage“ werden und zu einem Freispruch in erster Instanz führen.
Trotzdem sollte man sich – wie eingangs erwähnt – vor unsinnigen Ablehnungsanträgen hüten, denn solche führen zurecht nur zur unnötigen Verärgerung des Gerichts.
- Die Freispruchsquote liegt in Deutschland aufgrund der durch den Akteninhalt beeinflussten Berufsrichter bei unter 3 Prozent (vgl. Eschelbach, in: Graf, StPO (2. Aufl. 2012) § 261 Rn. 63.2 [↩]
- BVerfGE 11, 1 [3] [↩]
- BVerfGE 32, 288 [290] [↩]
- BVerfGE 20, 9 [11] [↩]
- Rudolphi, in: SK, § 24 Rn. 7 [↩]
- BGH StV 2006, 59 [↩]
- BGH StV 1981, 163 [↩]
- Klemke/Elbs: Einführung in die Praxis der Strafverteidigung, Rn. 690 [↩]
- Klemke/Elbs, a.a.O. [↩]
- Sarstedt/Hamm: Die Revision in Strafsachen (5. Aufl. 1983) Rn. 212 – m.w.N. [↩]
Schöffen sind auch Richter. Und die kommen erst in der Hauptverhandlung zum Einsatz. Jedoch tragen diese ein ungleich höheres Risiko, da sie im Fall einer Befangenheit ggfs auch die Prozesskosten zu tragen haben, ganz im Gegensatz zum Berufsrichter.
So und nicht anders habe ich das zig-mal erlebt. Das Recht einen Richter abzulehnen wie es in der StPO, ZPO beschrieben ist existiert faktisch nicht, man könnte es ersatzlos streichen!
Steht der parteiischen inneren Haltung das fehlende Bewusstsein für die Würde und Rechte behinderter Menschen (Artikel 8 UN-BRK) gleich?
Von wegen geht nicht, geht doch! ;-) und mehrfach!! ;-)), und an Obergerichten!!! ;-))),
1. habe einmal erfolgreich eine Amtsrichterin abgelehnt, seitdem hat die StA das Verfahren eingestellt,
2. habe einmal erfolgreich einen Präsidenten eines Landessozialgerichts einschließlich der beiden beisitzenden Richter/innen abgelehnt, danach wurde der § 60 SGG (Sozialgerichtsgesetz) am 22.12. 2011 geändert und die Befangenheitsanträge gegen Richter am Sozialgericht werden nicht mehr am LSG entschieden, sondern durch andere Richter am gleichen SG.