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Mord verjährt doch

True Crime und vor allem sog. Cold Cases faszinieren viele Menschen, entsprechende Formate sind inzwischen allgegenwärtig. Die Realität sieht leider, wie so oft, ganz anders aus. Wer einmal als Anwalt mit solchen Fällen befasst ist, muss leidvoll erfahren: Mord verjährt offenbar doch!

Verschwundene Akten und Beweismittel

Bereits die Akteneinsicht entwickelt sich zur Geduldsprobe, denn nicht selten liegen die Akten nicht (mehr) vollständig vor – oder sind momentan überhaupt nicht auffindbar. Die zuständige Staatsanwaltschaft lässt dann nach diesen suchen, was sich über Monate hinziehen kann. Kein Wunder, denn solange Ermittlungsakten in zerfledderten Umzugskartons wieder und wieder mit DHL, UPS, DPD und Co. quer durch die Republik geschickt werden, kann schon einmal etwas abhandenkommen. Diese Akten sind logischerweise nicht rekonstruierbar, der Fall damit unlösbar, es sei denn, der Anwalt stellt seinen Datensatz aus der letzten Akteneinsicht zur Verfügung.

Noch häufiger liegt das Versäumnis aber in der Behörde selbst: Da werden Akten in irgendeiner fernen Außenstelle verwahrt, keiner weiß mehr so recht wo genau, es gibt einen Wasserschaden, die Akten werden von Schimmelpilz befallen und müssen vernichtet werden oder oder oder. Am Ende fehlen die Akten – oder wie in einem Fall die 900 Spurenakten. Welchen Spuren man einst in diesem Mordfall in Lüneburg nachging, wird für immer ein Geheimnis und der Mord an dem 14-jährigen Mädchen für immer ungesühnt bleiben.

Auch mit Beweismitteln geht man bei den Staatsanwaltschaften nicht sorgfältiger um, denn die Asservate verschwinden ebenso einfach auf Nimmerwiedersehen. In Bremerhaven sucht man seit Jahren zwei Jacken, die der Mörder offenbar mit zum Tatort gebracht hatte, die beiden wohl wichtigsten Beweismittel in diesem Doppelmord sind einfach verschwunden und mit ihnen womöglich auch bisher nicht untersuchte DNA-Spuren.

Haarsträubende Ermittlungen

Sind die Akten endlich da, kann man nachlesen, wie haarsträubend die Ermittlungen über all die Zeit geführt wurden. In Bremerhaven und Bremen etwa werden in derselben Nacht zwei Frauen innerhalb weniger Stunden durch gezielte Kopfschüsse aus derselben Pistole erschossen. Aber die Mordkommissionen in Bremerhaven und Bremen verfolgen über Jahre zwei verschiedene Täter, was denklogisch ausgeschlossen ist – mit Billigung der zuständigen Staatsanwaltschaften. Wie sollen beide Täter, die sich nicht kennen, dieselbe Waffe benutzt haben? Dass beide auch ein Alibi für die Tatzeit haben gerät dann schon fast zur Nebensache.

In Schwerin dagegen geht man bei zwei Morden an jungen Frauen, die sich im Abstand von nur 12 Tagen ereignet haben, von zwei verschiedenen Tätern aus, obwohl beide wenige Kilometer entfernt voneinander im Schweriner See abgelegt wurden. Der Täter hatte sich sogar die Mühe gemacht, mit dem zweiten Opfer etwa eine halbe Stunde von Crivitz nach Schwerin zu fahren, allein um auch ihre Leiche im Schweriner See zu entsorgen. Wollte er damit ein Zeichen setzen, etwa dass beide Taten zusammengehören? Ein Opfer wurde erwürgt, eines erdrosselt, deshalb verharrt man aufgrund dieser verschiedenen Begehungsweisen auf zwei unabhängigen Tätern.

Mord verjährt nie? Die Realität lässt Angehörige ernüchtert zurück, denn Mord verjährt faktisch doch!
Mord verjährt nie? Die Realität lässt Angehörige ernüchtert zurück, denn Mord verjährt praktisch doch.

Mord verjährt nie?

Selbst wenn Akten sowie Asservate noch vollständig sind, darf man als Angehöriger keineswegs darauf vertrauen, dass die Cold Cases auch bearbeitet werden. Und so liegen etwa Asservate über Jahrzehnte in den Asservatenkammern, ohne je auf DNA-Spuren untersucht zu werden – bis eines Tages ein Mordermittler mal Zeit und Muße hat, sich mit dem Altfall zu befassen.

Nach alledem muss man fragen: Verjährt Mord faktisch doch? Können Taten nicht aufgeklärt werden, weil Akten, Asservate oder Zeit fehlen, bleiben Mörder und deren Gehilfen unbehelligt. Fassungslos zurück bleiben die Angehörigen der Mordopfer, die, bei allem Verständnis für die schwierigen Bedingungen bei Polizei und Staatsanwaltschaft, dennoch nicht verstehen können, warum das Verbrechen an ihren Liebsten nicht mit etwas mehr Sorgfalt behandelt wird. Es geht um Mord, der eigentlich nie verjähren sollte!


Selbstleseverfahren, Band 154

Selbstleseverfahren, Band 154: Strafrechtlicher Wochenrückblick mit interessanten Artikel zum Strafrecht und Strafprozessrecht

Immer wieder sonntags veröffentlichen wir in dieser Rubrik unseren strafrechtlichen Wochenrückblick mit Links zu interessanten Artikeln, die Sie im Selbstleseverfahren rezipieren können.

* Groß­kanz­leien sind ein eli­tärer Club
* Wie Regina Rick Bayerns Justiz herausfordert
* Schon wieder: einstimmig!
* Zwei Männer, ein Ziel: Freispruch für Christina Block
* Diese Frau hat die Saalhoheit
* Vier Gefangene, eine Zelle
* Gab es einen zweiten Göhrde-Mörder? (ausführlich zu Kurt-Werner Wichmann)
* Onlinephänomen Dickpics: »So sind Männer eben«

Hinweis: Einige verlinkte Beiträge sind hinter einer Paywall, hierauf haben wir keinen Einfluss.

Zur Inaugenscheinnahme: Warum der Staat bei der Fahndung nach den NSU-Mördern scheiterte

NSU-Morde: Warum der Staat bei der Fahndung scheiterte

Digitalisierung der Strafjustiz verschoben

Heimlich, still und leise soll nun eine „Opt-out“-Regelung geschaffen werden, die es ermöglicht, im Verordnungswege auch nach dem 1. Januar 2026 die Anlage und (Weiter-)Führung von Strafakten in Papierform zu gestatten. Digitale Strafakte (eAkte) ade! Dies hat das Bundesministerium der Justiz in einer Pressemitteilung bekannt gegeben und ich vermisse irgendwie den Aufschrei.

Zehn Jahre Zeit für die Umsetzung

2017 wurde das Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz verabschiedet, demzufolge hatten die Länder fast zehn Jahre (!) Zeit für deren Einführung. Nun beklagt der Bund Deutscher Kriminalbeamter die „Bananensoftware“, die unausgereift für die tägliche Arbeit sei.

eAkte: Einführung der digitalen Strafakte verschoben
Wenn die eAkte bloß so intuitiv funktionieren würde! Foto: Suelzengenappel/Adobe Stock

Hat es 2018 wen interessiert, dass das besondere elektronische Anwaltspostfach („beA“) nicht (ansatzweise) funktionstüchtig war? Oder als 2022 tatsächlich damit gearbeitet werden musste, aber der neue Anbieter noch damit beschäftigt war die Mängel seines Vorgängers zu beseitigen? Inzwischen hat sich das beA (meiner Auffassung nach) weitestgehend stabilisiert und sogar die beA-App eignet sich für die Benutzung (man kann endlich auch das EB hierüber absenden!).

Insgesamt scheint die Digitalisierung in den verschiedenen Bundesländern sehr unterschiedlich gehandhabt zu werden, einige schicken weiterhin jedes Schreiben mit der Post, andere setzen in der Kommunikation glücklicherweise komplett auf digitale Kommunikation über das beA und – vor allem die Landgerichte – das Akteneinsichtsportal.

Auf unbestimmte Zeit verschoben?

Wie soll es weitergehen? Bis zum 1. Januar 2027 soll nun erst einmal die „Opt-out“-Regelung verabschiedet werden (der Gesetzentwurf liegt bereits vor), hierzu werden § 32 Abs. 1 StPO und das Einführungsgesetz zur StPO neuerlich geändert bzw. ergänzt. Ausnahmsweise können dadurch Akten bis zum 31.12.2026 weiterhin in Papierform geführt werden (§ 15 Abs. 2 EGStPO n.F.).

Wir Strafverteidiger werden also weiterhin geduldig auf die Digitalisierung der Strafjustiz und auf die eAkte warten müssen. Das verwundert bei all den Problemen, die es mit der eAkte ohnehin schon gibt, leider nicht besonders: Wer kennt nicht die 300-seitigen Akten, die in 300 einzelnen PDF-Seiten kommen und mühevoll verbunden werden müssen, um halbwegs vernünftig damit arbeiten zu können. Ein kleiner Tipp: Es gibt eine OpenSource-Software namens XJustiz Viewer, der die beigefügten XML-Dateien auslesen und die Akten dann sortiert zur Ansicht bereitstellt.

XJustiz Viewer (openXJV) Screenshot – kostenlos, quelloffen, plattformunabhängig für die eAkte

Keine so schöne Lösung gibt es für die Texterkennung von PDF-Dateien, die ohne Texterkennung gescannt und versandt wurden, was leider viel zu häufig vorkommt. Zumindest habe ich hier keine kostenlose Software (für ) mit halbwegs vernünftiger Usability gefunden. Für Tipps wäre ich sehr dankbar! Früher war OCRKit mein Favorit, das leider nur für Intel-Macs verfügbar ist.

Ein unendlicher Nervkram sind auch die verschlüsselten DVDs/Blurays, die mit den abseitigsten Verschlüsselungen daherkommen und man auf das Passwort (per Fax!) wartet, das dann immer mit lauter zweideutigen Buchstaben daherkommt. Hieraus folgt meine persönliche

Top 3 Probleme mit eAkten der Justiz

  1. Akten in X Bänden und PDF mit XXX Einzelseiten
  2. PDF-Dateien ohne Texterkennung
  3. Verschlüsselte Datenträger mit uneindeutigen oder falschen Passwörtern (per Fax!)

Aber gleichzeitig ist alles besser als eine Strafakte in Papierform!

Mich würde ein Meinungsbild interessieren: Arbeiten die Kolleginnen und Kollegen gerne noch mit der Papierakte oder bereits digital (mit eigener Digitalisierung). Und wie hoch ist der Anteil der Akten, die bereits von der Justiz digitalisiert in der Kanzlei ankommen?

Schreiben Sie es mir gerne in die Kommentare!


Anwälte des Bösen

„Die Wahrheit selbst ist mir offen gestanden fast egal“ – mit diesem Statement beginnt die dreiteilige ZDF-Dokureihe „Die Strafverteidiger: Anwälte des Bösen“. Drei Strafverteidiger haben sich hierfür ein Jahr lang von Kameras begleiten lassen.

Die Wahrheit „fast egal“ ist Rechtsanwalt Burkhard Benecken, der eigentlich keiner Vorstellung mehr bedarf. Er ist in den Medien omnipräsent, wenn auch wahrscheinlich anders als er sich das selbst wünschen würde. Benecken ziehe prominente Mandanten an, in der Regel „von Liga C an abwärts“, schrieb einst „Spiegel Online“ über „seltsame Gebahren des Herrn Benecken“, konkret im Zusammenhang mit dem Fall Gina-Lisa Lohfink. Hierzu ergänzte das Süddeutsche Magazin – ohne allerdings den Namen ihrer zwei Anwälte explizit zu nennen:

Hin und wieder steht Gina-Lisa vom Bett auf und geht ins Bad, um sich zu übergeben, oder sie geht zu einem der Anwälte und setzt sich auf seinen Schoß. Dann muss das Interview, das nie eines war, weil alle Anwesenden die Fragen beantworten, nicht nur Gina-Lisa, kurz unterbrochen werden. Der Anwalt will einen Videoanruf machen, um einem Freund zu zeigen, wer auf seinem Schoß sitzt. Er will angeben.*

Den Haien zum Fraß vorgeworfen

Gänzlich unrühmlich, so ist es medial überliefert, war seine Sprungrevision, die in einer so wohl nicht alltäglichen Verteidigerschelte endete, eindringlich in Richtung seiner Mandantin:

Sollten Ihre Anwälte Sie hinter Ihrem Rücken den Haien zum Fraß vorgeworfen haben, sollten Sie klagen. Ich empfehle Ihnen, sich einen Anwalt zu suchen, dem Ihre Interessen näher stehen als er sich selbst.

Dies nur als kleine Vorstellung falls jemand Burkhard Benecken (noch) nicht kennen sollte. Seit 17 Jahren sei er Strafverteidiger und führt die Kanzlei seines Vaters weiter, die nach eigenen Angaben zu den renommiertesten Strafrechtskanzleien der Bundesrepublik gehöre.

Die Strafverteidiger: Anwälte des Bösen (ZDF Doku) mit Burkhard Benecken, Hans Reinhardt und Pantea Farahzadi
Die Strafverteidiger Hans Reinhardt, Pantea Farahzadi und Burkhard Benecken / Foto: ZDF/Maciej Rolbiecki

In dieser Dokureihe widmet sich Benecken einer Millionendiebin, die nach einer Verurteilung zu drei Jahren Freiheitsstrafe in der Berufung auf eine Bewährungsstrafe hofft sowie der Vertretung einer Familie, deren Tochter getötet wurde und es im Prozess um die entscheidende Frage geht, ob die Tat als Totschlag oder Mord zur Befriedigung des Geschlechtstriebs eingeordnet wird.

Wird Anwalt Burkhard Benecken erfolgreich sein und seinen Mandanten helfen können?

Wie böse sind die Anwälte des Bösen?

Sein Kanzleipartner Hans Reinhardt eröffnet ebenfalls markig:

Lügen sollte man als Verteidiger nicht, aber kann natürlich die Wahrheit beeinflussen im Rahmen der strafprozessualen Mittel.

Er stellt zwei Fälle vor, die Schlagzeilen machten: In Köln wird 2022 ein Mann von etwa 30 Tätern getreten, geschlagen und mit Messern attackiert – auf offener Straße und am helllichten Tag. Das Opfer stirbt an seinen schweren Verletzungen. Die Mandantin von Hans Reinhardt soll die Tat geplant haben und steht deshalb wegen Mordes vor Gericht.

Im zweiten Fall wird mitten in der Nacht eine junge Mutter in ihrem Haus von ihrem Nachbarn überwältigt. Er tötet sie mit zahlreichen Messerstichen und verletzte ihren kleinen Sohn lebensgefährlich. Der Täter sitzt derzeit in der geschlossenen Psychiatrie. Wie lange noch?

Die erste Folge der Dokureihe gleich hier ansehen:

Im Gerichtssaal: Wie verteidigt man Mörder und Schwerverbrecher? | Die Strafverteidiger, Folge 1

Alle drei Teile sind ab sofort in der Mediathek verfügbar und Mittwoch, 24.09.2025 ab 21:45 Uhr auf zdfinfo zu sehen.

Ein echter „Lichtblick“ des Formats ist die Kölner Strafverteidigerin Pantea Farahzadi, die durch ihre ruhige und besonnene Art einen guten Kontrast zu ihren männlichen Kollegen bildet. Sie kann die Staatsanwaltschaft von der Notwehrsituation ihres des Totschlags verdächtigten Mandanten überzeugen und so eine Einstellung des Verfahrens mangels Tatverdacht erreichen.

Ob die Strafverteidiger bei den vorgestellten Fällen erfolgreich sind oder nicht, der Gerechtigkeit am Ende genüge getan wird oder nicht – diese Wertung überlasse ich jedem Zuschauer selbst.


* Anderen Presseberichten ist zu entnehmen, dass ihre Anwälte zu dieser Zeit Burkhard Benecken und Christian Simonis waren. Auf den Schoß einer der beiden habe sie sich nach dem Bericht gesetzt.


Selbstleseverfahren, Band 153

Selbstleseverfahren, Band 153: Juristischer Wochenrückblick im Strafrecht

In dieser Rubrik veröffentlichen wir in unserem strafrechtlichen Wochenrückblick immer sonntags Links zu interessanten Nachrichten, die Sie im Selbstleseverfahren rezipieren können.

* Delling zum Fall Block: Wer entführt hier wen?
* Die RAF-Verteidiger waren ein „legaler“ Arm des Terrors
* Gespräch mit einem Polizisten: „Manchmal wird bewusst unsauber gearbeitet“
* Böhmermann basht Justizfortbildung: So bitte nicht
* Anwälte zeigen Staats­an­walt wegen „Macht­miss­brauchs“ an
* Das Trauma in der Tiefgarage – und die Hetze danach
* Catcalling: Strafrecht ist kein Sensibilisierungsinstrument

Hinweis: Einige verlinkte Beiträge sind hinter einer Paywall, hierauf haben wir keinen Einfluss.

Zur Inaugenscheinnahme: Was verdient ein Richter – lohnt sich das?

Richter statt Anwalt trotz weniger Gehalt: Karriereweg mit Jurastudium I Lohnt sich das? I BR