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Selbstleseverfahren, Band 154

Selbstleseverfahren, Band 154: Strafrechtlicher Wochenrückblick mit interessanten Artikel zum Strafrecht und Strafprozessrecht

Immer wieder sonntags veröffentlichen wir in dieser Rubrik unseren strafrechtlichen Wochenrückblick mit Links zu interessanten Artikeln, die Sie im Selbstleseverfahren rezipieren können.

* Groß­kanz­leien sind ein eli­tärer Club
* Wie Regina Rick Bayerns Justiz herausfordert
* Schon wieder: einstimmig!
* Zwei Männer, ein Ziel: Freispruch für Christina Block
* Diese Frau hat die Saalhoheit
* Vier Gefangene, eine Zelle
* Gab es einen zweiten Göhrde-Mörder? (ausführlich zu Kurt-Werner Wichmann)
* Onlinephänomen Dickpics: »So sind Männer eben«

Hinweis: Einige verlinkte Beiträge sind hinter einer Paywall, hierauf haben wir keinen Einfluss.

Zur Inaugenscheinnahme: Warum der Staat bei der Fahndung nach den NSU-Mördern scheiterte

NSU-Morde: Warum der Staat bei der Fahndung scheiterte

Digitalisierung der Strafjustiz verschoben

Heimlich, still und leise soll nun eine „Opt-out“-Regelung geschaffen werden, die es ermöglicht, im Verordnungswege auch nach dem 1. Januar 2026 die Anlage und (Weiter-)Führung von Strafakten in Papierform zu gestatten. Digitale Strafakte (eAkte) ade! Dies hat das Bundesministerium der Justiz in einer Pressemitteilung bekannt gegeben und ich vermisse irgendwie den Aufschrei.

Zehn Jahre Zeit für die Umsetzung

2017 wurde das Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz verabschiedet, demzufolge hatten die Länder fast zehn Jahre (!) Zeit für deren Einführung. Nun beklagt der Bund Deutscher Kriminalbeamter die „Bananensoftware“, die unausgereift für die tägliche Arbeit sei.

eAkte: Einführung der digitalen Strafakte verschoben
Wenn die eAkte bloß so intuitiv funktionieren würde! Foto: Suelzengenappel/Adobe Stock

Hat es 2018 wen interessiert, dass das besondere elektronische Anwaltspostfach („beA“) nicht (ansatzweise) funktionstüchtig war? Oder als 2022 tatsächlich damit gearbeitet werden musste, aber der neue Anbieter noch damit beschäftigt war die Mängel seines Vorgängers zu beseitigen? Inzwischen hat sich das beA (meiner Auffassung nach) weitestgehend stabilisiert und sogar die beA-App eignet sich für die Benutzung (man kann endlich auch das EB hierüber absenden!).

Insgesamt scheint die Digitalisierung in den verschiedenen Bundesländern sehr unterschiedlich gehandhabt zu werden, einige schicken weiterhin jedes Schreiben mit der Post, andere setzen in der Kommunikation glücklicherweise komplett auf digitale Kommunikation über das beA und – vor allem die Landgerichte – das Akteneinsichtsportal.

Auf unbestimmte Zeit verschoben?

Wie soll es weitergehen? Bis zum 1. Januar 2027 soll nun erst einmal die „Opt-out“-Regelung verabschiedet werden (der Gesetzentwurf liegt bereits vor), hierzu werden § 32 Abs. 1 StPO und das Einführungsgesetz zur StPO neuerlich geändert bzw. ergänzt. Ausnahmsweise können dadurch Akten bis zum 31.12.2026 weiterhin in Papierform geführt werden (§ 15 Abs. 2 EGStPO n.F.).

Wir Strafverteidiger werden also weiterhin geduldig auf die Digitalisierung der Strafjustiz und auf die eAkte warten müssen. Das verwundert bei all den Problemen, die es mit der eAkte ohnehin schon gibt, leider nicht besonders: Wer kennt nicht die 300-seitigen Akten, die in 300 einzelnen PDF-Seiten kommen und mühevoll verbunden werden müssen, um halbwegs vernünftig damit arbeiten zu können. Ein kleiner Tipp: Es gibt eine OpenSource-Software namens XJustiz Viewer, der die beigefügten XML-Dateien auslesen und die Akten dann sortiert zur Ansicht bereitstellt.

XJustiz Viewer (openXJV) Screenshot – kostenlos, quelloffen, plattformunabhängig für die eAkte

Keine so schöne Lösung gibt es für die Texterkennung von PDF-Dateien, die ohne Texterkennung gescannt und versandt wurden, was leider viel zu häufig vorkommt. Zumindest habe ich hier keine kostenlose Software (für ) mit halbwegs vernünftiger Usability gefunden. Für Tipps wäre ich sehr dankbar! Früher war OCRKit mein Favorit, das leider nur für Intel-Macs verfügbar ist.

Ein unendlicher Nervkram sind auch die verschlüsselten DVDs/Blurays, die mit den abseitigsten Verschlüsselungen daherkommen und man auf das Passwort (per Fax!) wartet, das dann immer mit lauter zweideutigen Buchstaben daherkommt. Hieraus folgt meine persönliche

Top 3 Probleme mit eAkten der Justiz

  1. Akten in X Bänden und PDF mit XXX Einzelseiten
  2. PDF-Dateien ohne Texterkennung
  3. Verschlüsselte Datenträger mit uneindeutigen oder falschen Passwörtern (per Fax!)

Aber gleichzeitig ist alles besser als eine Strafakte in Papierform!

Mich würde ein Meinungsbild interessieren: Arbeiten die Kolleginnen und Kollegen gerne noch mit der Papierakte oder bereits digital (mit eigener Digitalisierung). Und wie hoch ist der Anteil der Akten, die bereits von der Justiz digitalisiert in der Kanzlei ankommen?

Schreiben Sie es mir gerne in die Kommentare!


Anwälte des Bösen

„Die Wahrheit selbst ist mir offen gestanden fast egal“ – mit diesem Statement beginnt die dreiteilige ZDF-Dokureihe „Die Strafverteidiger: Anwälte des Bösen“. Drei Strafverteidiger haben sich hierfür ein Jahr lang von Kameras begleiten lassen.

Die Wahrheit „fast egal“ ist Rechtsanwalt Burkhard Benecken, der eigentlich keiner Vorstellung mehr bedarf. Er ist in den Medien omnipräsent, wenn auch wahrscheinlich anders als er sich das selbst wünschen würde. Benecken ziehe prominente Mandanten an, in der Regel „von Liga C an abwärts“, schrieb einst „Spiegel Online“ über „seltsame Gebahren des Herrn Benecken“, konkret im Zusammenhang mit dem Fall Gina-Lisa Lohfink. Hierzu ergänzte das Süddeutsche Magazin – ohne allerdings den Namen ihrer zwei Anwälte explizit zu nennen:

Hin und wieder steht Gina-Lisa vom Bett auf und geht ins Bad, um sich zu übergeben, oder sie geht zu einem der Anwälte und setzt sich auf seinen Schoß. Dann muss das Interview, das nie eines war, weil alle Anwesenden die Fragen beantworten, nicht nur Gina-Lisa, kurz unterbrochen werden. Der Anwalt will einen Videoanruf machen, um einem Freund zu zeigen, wer auf seinem Schoß sitzt. Er will angeben.*

Den Haien zum Fraß vorgeworfen

Gänzlich unrühmlich, so ist es medial überliefert, war seine Sprungrevision, die in einer so wohl nicht alltäglichen Verteidigerschelte endete, eindringlich in Richtung seiner Mandantin:

Sollten Ihre Anwälte Sie hinter Ihrem Rücken den Haien zum Fraß vorgeworfen haben, sollten Sie klagen. Ich empfehle Ihnen, sich einen Anwalt zu suchen, dem Ihre Interessen näher stehen als er sich selbst.

Dies nur als kleine Vorstellung falls jemand Burkhard Benecken (noch) nicht kennen sollte. Seit 17 Jahren sei er Strafverteidiger und führt die Kanzlei seines Vaters weiter, die nach eigenen Angaben zu den renommiertesten Strafrechtskanzleien der Bundesrepublik gehöre.

Die Strafverteidiger: Anwälte des Bösen (ZDF Doku) mit Burkhard Benecken, Hans Reinhardt und Pantea Farahzadi
Die Strafverteidiger Hans Reinhardt, Pantea Farahzadi und Burkhard Benecken / Foto: ZDF/Maciej Rolbiecki

In dieser Dokureihe widmet sich Benecken einer Millionendiebin, die nach einer Verurteilung zu drei Jahren Freiheitsstrafe in der Berufung auf eine Bewährungsstrafe hofft sowie der Vertretung einer Familie, deren Tochter getötet wurde und es im Prozess um die entscheidende Frage geht, ob die Tat als Totschlag oder Mord zur Befriedigung des Geschlechtstriebs eingeordnet wird.

Wird Anwalt Burkhard Benecken erfolgreich sein und seinen Mandanten helfen können?

Wie böse sind die Anwälte des Bösen?

Sein Kanzleipartner Hans Reinhardt eröffnet ebenfalls markig:

Lügen sollte man als Verteidiger nicht, aber kann natürlich die Wahrheit beeinflussen im Rahmen der strafprozessualen Mittel.

Er stellt zwei Fälle vor, die Schlagzeilen machten: In Köln wird 2022 ein Mann von etwa 30 Tätern getreten, geschlagen und mit Messern attackiert – auf offener Straße und am helllichten Tag. Das Opfer stirbt an seinen schweren Verletzungen. Die Mandantin von Hans Reinhardt soll die Tat geplant haben und steht deshalb wegen Mordes vor Gericht.

Im zweiten Fall wird mitten in der Nacht eine junge Mutter in ihrem Haus von ihrem Nachbarn überwältigt. Er tötet sie mit zahlreichen Messerstichen und verletzte ihren kleinen Sohn lebensgefährlich. Der Täter sitzt derzeit in der geschlossenen Psychiatrie. Wie lange noch?

Die erste Folge der Dokureihe gleich hier ansehen:

Im Gerichtssaal: Wie verteidigt man Mörder und Schwerverbrecher? | Die Strafverteidiger, Folge 1

Alle drei Teile sind ab sofort in der Mediathek verfügbar und Mittwoch, 24.09.2025 ab 21:45 Uhr auf zdfinfo zu sehen.

Ein echter „Lichtblick“ des Formats ist die Kölner Strafverteidigerin Pantea Farahzadi, die durch ihre ruhige und besonnene Art einen guten Kontrast zu ihren männlichen Kollegen bildet. Sie kann die Staatsanwaltschaft von der Notwehrsituation ihres des Totschlags verdächtigten Mandanten überzeugen und so eine Einstellung des Verfahrens mangels Tatverdacht erreichen.

Ob die Strafverteidiger bei den vorgestellten Fällen erfolgreich sind oder nicht, der Gerechtigkeit am Ende genüge getan wird oder nicht – diese Wertung überlasse ich jedem Zuschauer selbst.


* Anderen Presseberichten ist zu entnehmen, dass ihre Anwälte zu dieser Zeit Burkhard Benecken und Christian Simonis waren. Auf den Schoß einer der beiden habe sie sich nach dem Bericht gesetzt.


Selbstleseverfahren, Band 153

Selbstleseverfahren, Band 153: Juristischer Wochenrückblick im Strafrecht

In dieser Rubrik veröffentlichen wir in unserem strafrechtlichen Wochenrückblick immer sonntags Links zu interessanten Nachrichten, die Sie im Selbstleseverfahren rezipieren können.

* Delling zum Fall Block: Wer entführt hier wen?
* Die RAF-Verteidiger waren ein „legaler“ Arm des Terrors
* Gespräch mit einem Polizisten: „Manchmal wird bewusst unsauber gearbeitet“
* Böhmermann basht Justizfortbildung: So bitte nicht
* Anwälte zeigen Staats­an­walt wegen „Macht­miss­brauchs“ an
* Das Trauma in der Tiefgarage – und die Hetze danach
* Catcalling: Strafrecht ist kein Sensibilisierungsinstrument

Hinweis: Einige verlinkte Beiträge sind hinter einer Paywall, hierauf haben wir keinen Einfluss.

Zur Inaugenscheinnahme: Was verdient ein Richter – lohnt sich das?

Richter statt Anwalt trotz weniger Gehalt: Karriereweg mit Jurastudium I Lohnt sich das? I BR

Wenn die beiläufige Bemerkung aufhorchen lässt

Eine Hausdurchsuchung mit Folgen beschäftigt aktuell die Medien. Es geht um Graffitis und den Vorwurf der Sachbeschädigung. Durchsucht wurde deshalb bei einer 17-jährigen Beschuldigten. Dagegen wurde Beschwerde eingelegt, woraufhin das Landgericht Arnsberg den vom Amtsgericht Arnsberg erlassenen Durchsuchungsbeschluss für rechtswidrig erklärte.

Rechtswidrige Hausdurchsuchung bei SPD-Kommunalpolitikerin | Westpol | WDR

Rein rechtlich gesehen ist das nicht besonders spannend. Trotzdem ist die Aufregung um dieses Verfahren groß, denn es geht auch um Politik. Das jedenfalls behaupten die Beschwerdeführerin und einige Medien, die allerlei potenzielle Verbindungslinien zwischen Beteiligten und Parteien sehen. Eine juristische Sicht auf den Vorgang liefert Detlef Burhoff in seinem Blog und warnt vor voreiligen Schlüssen. Vielleicht hat der Fall eher eine politische, denn juristische Dimension.

Sagen, was sein soll, wenn es so wäre, wie es nicht ist

Mir geht es hier nicht um Politik, sondern um das sogenannte obiter dictum in der Entscheidung des Landgerichts Arnsberg. Das Landgericht hat den Durchsuchungsbeschluss für rechtswidrig erklärt, da der notwendige Anfangsverdacht fehle. Obwohl die Sache damit erledigt sein könnte, legt die Kammer nach und

weist ergänzend darauf hin, dass nach ihrer Auffassung bei Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses der Antrag der Staatsanwaltschaft aktenkundig zu machen ist, und zwar entweder durch die Staatsanwaltschaft selbst (schriftlicher Antrag oder Vermerk über einen fernmündlichen Antrag beim zuständigen Ermittlungsrichter) oder durch den befassten Ermittlungsrichter (Vermerk über ein Telefonat mit dem Staatsanwalt).

Das und die darauffolgenden Sätze bilden ein Obiter Dictum – „nebenbei Gesagtes“ –, das für die Entscheidung des Falles, also die Feststellung der Rechtswidrigkeit des ermittlungsrichterlichen Beschlusses, keinerlei Bedeutung hat. Gestern hatten wir bereits ein Obiter Dictum des Bundesverfassungsgerichts hier berichtet, das sich immerhin über vier Seiten erstreckte und sich auch um einen rechtswidrigen Durchsuchungsbeschluss drehte.

Passend hierzu hat der ehemalige Bundesrichter Thomas Fischer in seiner „Zeit“-Kolumne über Obiter Dicta einmal Folgendes gesagt:

Sie sagen, was sein soll, wenn es so wäre, wie es nicht ist. Das ist in der Regel überflüssig und manchmal gefährlich.

Spannend also, einmal näher zu schauen, wie sich dieses Obiter Dictum in den Fall einfügt.

Was das Landgericht Arnsberg sagt und was nicht

Auf den ersten Blick auffällig ist die Wertung der Kammer. Ihr „erscheint“ das Geschehen in Bezug auf die Antragstellung „rechtsstaatlich bedenklich“. Wörtlich heißt es dazu im Beschluss:

Die bloße Übermittlung einer gegenüber der Polizei geäußerten Absicht der Staatsanwaltschaft, einen solchen Antrag stellen zu wollen, erscheint der Kammer rechtsstaatlich bedenklich.

Das klingt nebulös-unentschlossen. Und man fragt sich, ob das Landgericht tatsächlich davon ausgeht, dass es in diesem Fall keinen Antrag gab oder ob es – ganz im Sinne von Fischer – hier lediglich sagt, was sein soll, wenn es so wäre, wie es nicht ist. Außerdem lässt diese Wertung aufhorchen, weil damit der Vorwurf eines Verfassungsverstoßes gegenüber den Strafverfolgungsbehörden im Raum steht. Einen so gewichtigen Vorwurf sollte man aber nicht bloß nebenbei und in dieser Kürze erheben. Mehr noch: Man wünschte sich, das Landgericht hätte diesen Vorwurf nicht in einem Obiter Dictum versteckt, sondern – „ordentlich verpackt“ – als Anknüpfungspunkt für die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Durchsuchungsbeschlusses gewählt.

Am Ende hinterlässt dieses Obiter Dictum – so gut es auch gemeint ist – ein gemischtes Gefühl beim Leser, vor allem schafft es für den Fall weniger Klarheit, als man sich erhofft hatte.