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Bittere Erfahrung

Es sei eine „bittere Erfahrung“, die einen Verteidiger alsbald ereilt, wenn es um ein Wiederaufnahmeverfahren geht. So formuliert es Rechtsanwalt Gerhard Strate in seinem Beitrag für das Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung (S. 1133 ff.). Während das Ermittlungsverfahren und auch das Hauptverfahren noch unter der Maxime der Wahrheitsermittlung (§ 244 Abs. 2 StPO) stehen, gilt dieses Prinzip bereits im Revisionsverfahren nur stark eingeschränkt.

Hingegen sei die Rechtskraft des Urteils der „Sabbat aller Prinzipien“ – sie beginnen zu ruhen. Es scheint damit ein Rollenwechsel einzutreten: Verteidiger werden zu Ermittlern im Namen der (von ihnen behaupteten) Wahrheit, Richter und Staatsanwälte werden zu Verteidigern im Namen der Rechtskraft. Es ist unbegreiflich, dass ausgerechnet die Wahrheit und das Recht dann nicht mehr als Maxime gelten sollen, wenn jemand zumindest hinreichend wahrscheinlich unschuldig eine Freiheitsstrafe verbüßt, nur weil die Rechtskraft dies gebietet. Das kann nicht richtig sein!

Das Wiederaufnahmeverfahren Marijan Sabolic

Strate hatte gehofft, angesichts eines an sich eindeutigen Brandursachengutachtens, werde die Wiederaufnahme in Sachen Marijan Sabolic „ein Spaziergang ohne Stolpersteine“. Dabei hat er die Rechnung aber ohne die Staatsanwaltschaft und das Landgericht Hamburg gemacht, die ihm wieder eine bittere Erfahrung bescheren sollten.

Der Brand in einer Gartenlaube endete am 15. Juni 2004 für die Rentnerin Hannelore S. tödlich. Die Fehlbeurteilung der Brandursachen durch das Landeskriminalamt und – ihm folgend – durch das Landgericht Hamburg erschien aufgrund eines neuen Gutachtens eindeutig. Der 2004 wegen der vermeintlichen Brandstiftung und damit des tateinheitlich begangenen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilte Marijan Sabolic verbüßt diese Strafe seit nunmehr 14 Jahren. Doch ob er diese Strafe zu Unrecht verbüßt, scheint weder das Landgericht noch die Staatsanwaltschaft Hamburg zu interessieren.

Mit einer geradezu abenteuerlichen Argumentation spricht die Staatsanwaltschaft dem neuen Gutachten die neuen Tatsachen ab, die bei der damaligen Urteilsfindung dem Gericht nicht bekannt waren und infolgedessen unberücksichtigt blieben. Damit nicht genug: Die Staatsanwaltschaft meint trotz einer dreidimensional berechneten Brandsimulation, das neue Gutachten sei dem des Jahres 2004 nicht überlegen, in dem Sinne, dass keine überlegenen Forschungsmittel zur Verfügung gestanden hätten. Bei so geballter Unkenntnis bleibt man fassungslos zurück und muss sich fragen: Will man die inzwischen erkennbaren Fehler des ersten Gutachtens nicht erkennen und ein Fehlurteil aufrechterhalten? Bleibt die Wahrheit außen vor? Ist das gerecht?

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Wo bleibt die Wahrheit, das Recht und der „fair trial“?

Auch das Landgericht Hamburg agiert alles andere als untadelig in dieser Sache. Neun Tage (!) nach der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft beschließt die Kammer, den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens als unzulässig zu verwerfen. Und das, ohne der Verteidigung überhaupt rechtliches Gehör angeboten, geschweige denn gewährt zu haben. Dass sich das Gericht die abenteuerliche Argumentation der Staatsanwaltschaft zu Eigen macht, kann da schon kaum mehr verwundern.

Wer sich auch nur entfernt in den Arbeitsalltag eines Verteidigers hineindenken kann, weiß, dass eine Antwort auf die Stellungnahme der Staatsanwaltschaft, die sich übrigens vier Wochen dafür Zeit ließ, niemals in neun Tagen zu bewerkstelligen ist. Andere Mandate müssen, sofern denn überhaupt möglich, auf „hold“ geschoben werden, es müssen Rücksprachen mit dem Mandanten und dem Sachverständigen erfolgen, die Rechtslage muss überprüft werden – und vielleicht ist der Rechtsanwalt zwischendurch noch durch ein paar Hauptverhandlungstermine gebunden.

Aber auch hier damit nicht genug: Die Vorsitzende verschafft dem Beschluss Außenwirkung in Kenntnis eines innerhalb von zwei Tagen (!) angekündigten Schriftsatzes der Verteidigung. Die Vorsitzende meint, der Beschluss wäre nach dessen Beschlussfassung nur noch nach Maßgabe des § 311 Abs. 3 S. 2 StPO abänderbar. Es ist indes anders:

„Bei einem Beschluss, der außerhalb der Hauptverhandlung ergeht und nicht verkündet wird, ist dies [die Unabänderlichkeit] in der Regel (erst) der Fall, wenn ihn die Geschäftsstelle an eine Behörde oder Person außerhalb des Gericht hinausgegeben hat und eine Abänderung tatsächlich unmöglich ist.“

Als Leser dieser Dokumentation bleibt man ob der Ignoranz einigermaßen fassungslos zurück. Wiederaufnahmeverfahren sind wahrlich eine bittere Erfahrung – für den Rechtsstaat.


Foto: Michael Rauhe


Legal Aid-Richtlinie: Neues zur Pflichtverteidigerbestellung

Mit dem zweiten Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren und zur Änderung des Schöffenrechts hat der Bundestag bereits eine EU-Richtlinie umgesetzt, die den Zugang zu einem Rechtsbeistand für Beschuldigte in Strafverfahren erweiterte. Zwar hat dieses Gesetz dazu geführt, dass die Rechte des Beschuldigten in gewissen Maße erweitert wurden, vor allem aber wurden weitere Anwesenheits- und Mitwirkungsrechte eines Verteidigers normiert. Dem mittellosen Beschuldigten nützt dies aber herzlich wenig, wenn es sich nicht um einen Fall der notwendigen Verteidigung handelt. Zum „ob“ und „wann“ der Pflichtverteidigerbestellung gab es hier nichts Neues. Um diese Richtline zu ergänzen, soll die Umsetzung zweier weiterer EU-Richtlinien 2019 endlich nicht nur zu einer transparenteren Praxis führen, sondern insbesondere auch den Zeitpunkt der Beiordnung deutlich vorverlagern.

Pflichtverteidigerbestellung und Fair Trial

Die notwendige Verteidigung soll vor allem das Recht des Beschuldigten auf ein faires Verfahren gewährleisten. Der Fair Trial-Grundsatz des Strafverfahrens ergibt sich nicht nur aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip, sondern ist auch in Art. 6 MRK verankert. Um zwischen Staat und Beschuldigten Waffengleichheit zu schaffen, reicht es nicht, Beschuldigten die theoretische Möglichkeit zu eröffnen, sich einen Rechtsbeistand zu suchen, sondern es muss auch dafür gesorgt werden, dass diese Möglichkeit mittellosen Beschuldigten nicht faktisch verwehrt bleibt. Daher regelt Art. 6 Abs. 3c MRK auch, dass einem mittellosen Beschuldigten unentgeltlich ein Verteidiger gewährt werden muss.

Die EU-Richtlinien

Um ein faires Verfahren gewährleisten zu können, kann es folglich nicht ausreichen, einem Verteidiger umfassende Anwesenheits- und Mitwirkungsrechte zu gewährleisten, es muss vielmehr auch dafür Sorge getragen werden, dass ein Beschuldigter, der sich einen Verteidiger selbst nicht leisten kann, einen Pflichtverteidiger beizuordnen. Der Grundsatz des fairen Verfahrens gebietet es, Beschuldigten die Möglichkeit einzuräumen, effektiv an ihrem eigenen Verfahren mitzuwirken – dies ist jedoch nur in den seltensten Fällen ohne rechtskundigen Beistand möglich.

Zwei EU-Richtlinien, sollen die nun eingangs erwähnte Richtlinie dahingehend ergänzen: Die Richtlinie über Prozesskostenhilfe für Verdächtige und beschuldigte Personen in Strafverfahren sowie für gesuchte Personen in Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls (2016/1919), auch: Legal Aid-Richtlinie, soll deren Effektivität gewährleisten, die Richtlinie über Verfahrensgarantien in Strafverfahren für Kinder, die Verdächtige oder beschuldigte Personen in Strafverfahren sind (2016/800) enthält darüber hinaus besondere Regeln zur Pflichtverteidigerbestellung bei Jugendlichen und Heranwachsenden. Die Richtlinien müssen zum 25. Mai und 11. Juni 2019 in nationales Recht umgesetzt werden.

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Mehr Gerechtigkeit bei der PflichtverteidigerbestellungFoto: Susann von Wolffersdorff/pixelio.de

Erfordernis der Pflichtverteidigerbestellung

Zum einen sollen die Regeln zum Erfordernis der Pflichtverteidigung erweitert werden. Nach der Legal Aid-Richtlinie ist eine Pflichtverteidigerbestellung immer dann notwendig, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist. Maßgebliche Kriterien bei der Abwägung sind u.a. die Schwere der Straftat, die Komplexität des Falles sowie die Schwere der zu erwartenden Strafe. Als Regelbeispiele werden die Fälle genannt, in denen sich der Beschuldigte dem Haftrichter vorgeführt wird oder sich bereits in Haft befindet, dies gilt konsequenterweise auch dann, wenn es sich um Haft in einem anderen als dem streitgegenständlichen Verfahren handelt.

Erweitert werden soll die notwendige Verteidigung außerdem auf die Durchführung bestimmter Untersuchungsmaßnahmen, namentlich der Identifizierungsgegenüberstellung, Vernehmungsgegenüberstellung und der Tatrekonstruktion.

Für Jugendliche und Heranwachsende sieht die entsprechende Richtlinie die Pflichtverteidigerbestellung auch in Fällen vor, bei denen dies angesichts der Maßnahmen, die in Bezug auf die im Raume stehende Straftat ergriffen werden können, notwendig erscheint.

Zeitpunkt der Pflichtverteidigerbestellung

Besondere Schwierigkeiten bereitet in der Praxis vor allem der Zeitpunkt der Pflichtverteidigerbestellung. Derzeit „kann“ ein Verteidiger gem. § 141 Abs. 3 S. 2 StPO von der Staatsanwaltschaft schon im Ermittlungsverfahren bestellt werden, sofern denn die Mitwirkung eines Verteidigers nach § 140 Abs. 1 oder 2 StPO notwendig sein wird. Dem muss regelmäßig die Feststellung eines dringenden Tatverdachts vorausgehen, zudem wird verlangt, dass der Beschuldigte auch tatsächlich der Mitwirkung eines Verteidigers bedarf. Der BGH gewährt der Staatsanwaltschaft bei der Bewertung dessen derzeit jedoch noch einen sehr weiten Spielraum. So ist zum Beispiel auch eine zweite Vernehmung zur Bestätigung eines bereits bestehenden dringenden Tatverdachts möglich, ohne dass ein Verteidiger bestellt werden muss (vgl. BGHSt 47, 172).

Dies könnte sich mit der Umsetzung der Legal Aid-Richtlinie drastisch ändern: Nach Art. 4 Abs. 5 der Legal Aid-Richtlinie muss die Pflichtverteidigerbestellung „unverzüglich und spätestens vor einer Befragung durch die Polizei, eine andere Strafverfolgungsbehörde oder eine Justizbehörde“ erfolgen. Selbiges gilt für die Identifizierungs- und Vernehmungsgegenüberstellung sowie die Tatrekonstruktion.

In Verfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende soll dieser Zeitpunkt noch weiter vorverlegt werden: Eine Pflichtverteidigerbestellung hat bereits dann zu erfolgen, wenn sie über den Status als Verdächtige bzw. Beschuldigte in Kenntnis gesetzt werden.

Ein erster Entwurf für die Umsetzung der Richtlinie(n) findet sich im Policy Paper „Neuordnung der Pflichtverteidigerbestellung“ des Strafverteidigervereinigungen.


Ja heißt ja

Die „me too“-Debatte – oder sollte man sagen Kampagne? – ist noch nicht lange verhallt, da treibt sie hässliche Blüten in Form eines neuen Gesetzes, das Sexualpartnern eine Einwilligung abverlangt: Das sogenannte Einverständnisgesetz ist seit gestern geltendes Recht in Schweden.

Dass mediale Kampagnen kein guter Ratgeber für den Gesetzgeber sind, sollte den meisten klar sein. Allzu häufig diktieren dann eine Lobby den Gesetzestext. Klar regelt dieses Gesetz zwar nur, was ohnehin selbstverständlich sein sollte: Sex muss freiwillig sein. Aber dies wird in praktischer Hinsicht viele Fragen und Unklarheiten auf und bringt vor allem Beweisschwierigkeiten mit sich.

Was bedeutet Ja heißt ja?

In Deutschland gilt seit zwei Jahren „Nein heißt nein“. Unter Strafe gestellt sind sexuelle Handlungen gegen den erkennbaren Willen des Sexualpartners. Wird also deutlich, dass der andere keinen Sex will, handelt es sich je nach Intensität um einen sexuellen Übergriff, um eine sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung im Sinne des § 177 StGB. Es ist nicht erforderlich, dass man sich ausdrücklich rückversichert, ob der Sex aktuell gewünscht ist, sondern derjenige, der ihn ablehnt, muss dies deutlich machen. Das kann man meines Erachtens erwarten, immerhin zwei mündige Menschen an der Sache beteiligt. Wer unter Alkohol- oder Drogeneinfluss steht, gilt auch in Deutschland als nicht einwilligungsfähig und ist somit besonders geschützt.

In Schweden sieht die Lage nun anders aus: Auch wenn der eine Partner beim Sex zwar bei vollem Bewusstsein war und sich lediglich „passiv“ verhielt, kann dieser im Nachhinein geltend machen, nicht eingewilligt zu haben. Die Konsequenz: Der Sexualpartner könnte wegen dieser Sache, die dann als Vergewaltigung gelten würde, zu einer Haftstrafe verurteilt werden.

Dies wirft in praktischer Hinsicht, wie sich jeder vorstellen kann, erhebliche Probleme auf: Wenn später unklar ist, ob derjenige ausdrücklich „ja“ gesagt oder aktiv signalisiert hat, jetzt sexuell verkehren zu wollen, droht eine Haftstrafe. Nun könnte man meinen, wie oft soll so etwas schon vorkommen, dass hinterher darüber kein Einvernehmen besteht, ob der Sex beidseitig gewollt war – dies kommt viel häufiger vor, als man denken sollte. Jeder auf das Sexualstrafrecht spezialisierte Verteidiger kann unendlich viele Geschichten davon erzählen.

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Wie kann man Einverständnis dokumentieren?

In Schweden beginnt nun die Debatte, wie man das gegenseitige Einverständnis dokumentieren kann, um auch noch Jahre später beweisen zu können, dass beide dies vollumfänglich wollten. Die Rechtsanwältin Baharak Vaziri hat deshalb eine kostenpflichtige Smartphone-App namens „Libra“ entworfen, bei der jeder auf seinem Gerät seine generelle Zustimmung erteilt und diese dann gespeichert wird. Da kommt es aber schon wieder zu dem Problem, dass nicht konkret festgelegt wird, auf welche sexuellen Handlungen sich dieses Einverständnis konkret bezieht.

Das analoge Pendant dazu ist in Deutschland die „Fummelvereinbarung“, die wahrscheinlich aus einem Scherz heraus entstand. Hier wird in Vertragsform genau festgelegt, was nachfolgend passieren soll. Aber auch hier bleibt die Problematik: Was passiert, wenn sich einer der Vertragspartner zwischendrin umentscheidet? Von einer Dokumentation durch Videoaufnahmen zur Vermeidung einer Falschbeschuldigung ist aber dringend wegen § 201a StGB abzuraten.

Es bleibt zu hoffen, dass dieses „schwedische Modell“ eine Ausnahmeerscheinung bleibt. Aufgrund der immer bestehenden Beweisschwierigkeiten kann weder ein „ja“, noch ein „nein“ am Ende zweifelsfrei bewiesen werden, allenfalls in seltenen Ausnahmefällen. Es bleibt daher nur eine praktikable Lösung: Aufstehen und gehen.


Neue Männer braucht die Staatsanwaltschaft

Schaut man sich heute irgendwo im Fernsehen einen Krimi an, ist die Wahrscheinlichkeit, dort eine Staatsanwältin zu sehen, ziemlich hoch. Das deckt sich auch mit der Wirklichkeit. Die Justiz ist schon längst kein von Männern dominierter Bereich mehr: Zwar hat sich auch in der freien Wirtschaft durch die Frauenquote einiges getan, mit einem Frauenanteil von derzeit noch immer nur 30%, können Wirtschaftsunternehmen kaum mit der Frauenpower der Justiz mithalten.

Staatsanwälte in Hamburg unterrepräsentiert

Die Staatsanwaltschaft Hamburg ist das beste Beispiel für diese Verteilung. Von insgesamt 195 Staatsanwälten sind 125 weiblich (64,1%) und nur 70 männlich (35,9%). Bei Neueinstellungen zeichnet sich ein noch eindeutigeres Bild: 71,6% der 155 Stellen wurden mit Staatsanwältinnen besetzt. Diese Entwicklung deutete sich bereits vor einigen Jahren an.

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Einstellungen in den Justizdienst

Wo also in der freien Wirtschaft noch hart für Frauen in Führungspositionen gekämpft werden muss, ist bei der Staatsanwaltschaft fast schon das Gegenteil der Fall. Fast schon skurril mutet es daher an, dass die Staatsanwaltschaft Hamburg auf ihrer Homepage nun quasi um männliche Bewerber buhlen muss. Unter den Informationen für Bewerber heißt es dort:

Bei der Staatsanwaltschaft Hamburg sind männliche Beschäftigte unterrepräsentiert. Männliche Bewerber werden daher bei gleicher Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung vorrangig berücksichtigt.

Als „unterrepräsentiert“ gilt ein Geschlecht nach § 3 Abs. 1 des Hamburgischen Gleichstellungsgesetzes, wenn der Anteil des jeweiligen Geschlechts unter 40% liegt. Einen Fall, in denen ein Bewerber exakt die gleiche Qualifikation hatte, wie eine Bewerberin, hat es nach Angaben des Sprechers allerdings noch nicht gegeben.

Warum wollen so wenig Männer in die Justiz?

Die Anforderungen für eine Einstellung im Justizdienst sind hoch: Es werden zwei Staatsexamina mit der Note „Vollbefriedigend“ erwartet. Seit 2015 wurden in Hamburg 34 Staatsanwältinnen eingestellt, dagegen jedoch nur 13 Männer. Dies hinge laut dem Sprecher der Staatsanwaltschaft Hamburg vor allem damit zusammen, dass Bewerberinnen in den meisten Fällen eine bessere Qualifikation vorweisen können als ihre männlichen Kollegen. Ob Frauen tatsächlich bessere Noten im Examen haben oder sich die Herrschaften mit den herausragenden Noten lieber für eine deutlich besser bezahlte Karriere in der Großkanzlei entscheiden, sei hier dahingestellt. Dass Justitia eine Frau ist, scheint mit Blick auf diese Entwicklung wohl aber kein Zufall zu sein.


Auf Kuschelkurs mit dem Gericht

Dass gute Strafverteidigung deutlich mehr ist als reine Verurteilungsbegleitung, sollte für jeden engagierten Verteidiger selbstverständlich sein. Wer als Verteidiger allzu harmoniebedürftig ist, dürfte eher schnell an seine Grenzen stoßen. Konfrontation liegt in der „Natur der Sache“, denn schließlich habe sich das Gericht mit dem Eröffnungsbeschluss bereits zu Lasten des Mandanten festgelegt. Und auch der Staatsanwalt ist leider häufig nicht der objektivste der Welt!

„Ein Verteidiger muss das Gericht von der Verurteilungsprognose runterbringen.
Das schaffen Sie nicht mit Freundlichkeit.“ (Johann Schwenn)

Verteidigung mit „Feuer und Schwert“ statt Kuschelkurs

Ein „Kuschelkurs“ mit dem Gericht habe jedenfalls noch keinem Mandanten geholfen, resümiert Johann Schwenn vergangene Woche auf dem 69. Deutschen Anwaltstag (DAT) in Mannheim. Der Verteidiger von Jörg Kachelmann ließ es sich nicht nehmen, einige deutliche Worte zum Thema Strafverteidigung zu verlieren. Gerade der „Fall Kachelmann“ belegt in eindrucksvoller Weise, wie notwendig eine unerschrockene Strafverteidigung mit „Feuer und Schwert“ ist.

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Johann Schwenn im „Kachelmann-Prozess“ in Mannheim (Archivfoto) Foto: Itu (CC BY-SA 3.0)

Dass Kachelmann nun ausgerechnet in Mannheim auf der Bühne sitzt und über „Fehlerkultur in der Rechtspflege“ diskutiert, grenzt an Realsatire. Mannheim war die Stadt seines „U-Haft-Martyriums“, hier hatte ihn die Staatsanwaltschaft eines Verbrechens angeklagt, als längst klar war, dass die Zeugin in ganz zentralen Punkten gelogen hatte. Hier hatte die Staatsanwaltschaft auch nach dem Freispruch noch wahrheitswidrig behauptet, es hätte DNA-Spuren am „Tatmesser“ gegeben, die mit der DNA-Typisierung von Kachelmann übereinstimmen würden. Hier wurde ihm der Prozess gemacht durch ein Gericht, welches in der mündlichen Urteilsbegründung noch von einem Freispruch „aus Mangel an Beweisen“ sprach. Was hätte man ihn gern verurteilt!

Eine „Bande von Idioten“

Mannheim war aber auch kein glanzvoller Ort der Gerichtsberichterstattung. Spricht man von Fehlerkultur, gehört auch die vorverurteilende Medienberichterstattung hierzu, die Kachelmann – mit wenigen Ausnahmen sachkundiger Berichterstattung – als eine „Bande von Idioten“ bezeichnet. Auf Gerichtsfluren führten sich diese teilweise auf wie „auf Klassenreise“ und gerieren sich im Stil pubertierender Teenager – als Tiefpunkt gilt der Moment, als auf Protest der Pressefotografen und Kamerateams der JVA-Transporter wieder ein Stück nach vorn gefahren wird, damit Kachelmann öffentlich vorgeführt werden kann.

Verteidigung bedeutet eben nicht nur, sich mit der Justiz auf ein Urteil zu einigen, sondern Kampf auf allen Feldern gegen Vorverurteilung und um die Rechte des Mandanten, auch wenn es einmal ungemütlich wird.