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Salto beim Ausparken

Dieser Versuch, ihren Kleinwagen auszuparken, ging für die Rentnerin (78) gründlich daneben: Sie schaffte es, gestern in Hamburg mit ihrem Kia bei so einer Art „Auto-Billard“ 9 andere Autos (in Worten: neun!) zu beschädigen. Beim Zurücksetzen gibt sie offenbar zu viel Gas, kracht gegen einen VW Golf und schiebt diesen gegen eine zweiten. In diesem Schreck macht sie dank Bleifuß einen ordentlichen Satz nach vorn, rammt weitere drei Fahrzeuge, die rechts von ihr geparkt sind und verreißt das Lenkrad schließlich nach links und knallt dort in weitere zwei Wagen. So oder zumindest so ähnlich muss es passiert sein – die Polizei ermittelt.

Zum Abschluss noch ein Salto

Das Ende dieser Tragödie? Mitnichten. Die rüstige Rentnerin gibt nun wieder Vollgas und rast auf eine Hauswand zu – erwischt diese auch zielsicher. Die Wucht des Aufpralls führt zu einem Salto, so dass der Kleinwagen nach dem Überschlag am Ende auf dem Dach landet.

Trotzdem ging der Unfall glimpflich aus: Die Fahrerin sowie ihr Beifahrer (74) wurden bei dem Unfall nur leicht verletzt. Ein Insasse der beschädigten Fahrzeuge zog sich eine Verletzung am Hals zu, konnte allerdings ebenso sofort wieder aus dem Krankenhaus entlassen werden. Der Sachschaden dürfte jedoch erheblich sein und sich im mittleren bis hohen fünfstelligen Bereich bewegen. Der Führerschein der Dame wurde durch die Polizei sichergestellt.

Das ganze Chaos kann man in einer Fotogalerie bei Radio Hamburg sehen.


Einmal Straftäter, immer Straftäter?

Geht es nach der breiten Öffentlichkeit sollten Täter, die eine Straftat begehen, möglichst lange ins Gefängnis. Die Gesellschaft müsse dauerhaft vor diesen Straftätern geschützt werden. Dabei übersieht die öffentliche Diskussion allerdings, dass Straftäter weit seltener „rückfällig“ werden, als geheimhin angenommen – dies beweist eine Auswertung von rund einer Million Fälle.

Wirken juristische Sanktionen auch langfristig?

Wer wegen einer Straftat verurteilt wird, landet nicht immer im Gefängnis – aber auf jeden Fall im Bundeszentralregister (BZR), einer beim Bundesamt für Justiz in Bonn geführte Datenbank. Dieses Register wurde nun von Forschern der Universität Göttingen im Auftrag des Bundesjustizministeriums ausgewertet. Ihre Suche galt doppelten Einträgen, also Wiederholungstätern, die in den Jahren nach einer Straftat rückfällig werden.

Die Ergebnisse dieser bundesweit durchgeführten Rückfalluntersuchung sind in der Publikation „Legalbewährung nach strafrechtlichen Sanktionen“ nachzulesen: Nur 34 Prozent, also in etwa jeder dritte Straftäter, wird innerhalb von drei Jahren nach Verurteilung oder Entlassung aus der Haft erneut straffällig, innerhalb von sechs Jahren sind es 44 Prozent. Mehr als die Hälfte aller Straffälligen begeht jedoch keine neue Straftat.

Harte Fakten entkräften öffentliche Wahrnehmung

Ob Straftäter rückfällig werden, hängt maßgeblich vom verwirklichten Delikt ab: Hohe Rückfallquoten sind eher bei Eigentumsdelikten zu erwarten, etwa bei Raub, Erpressung und besonders schweren Formen des Diebstahls – hier wird jeder zweite rückfällig. Vergleichsweise niedrigere Rückfallquoten weisen dagegen Straßenverkehrsstraftaten (ausgenommen Fahren ohne Fahrerlaubnis) und Tötungsdelikte auf, allerdings immer noch ungefähr 20 Prozent.

Der offensichtlichste Widerspruch in der öffentlichen Wahrnehmung zeigt sich deutlich bei den Sexualdelikten: Diese weisen die geringste Rückfallquoten auf – innerhalb von sechs Jahren begehen nur ca. 3 Prozent der Sexualstraftäter eine weitere Straftat.

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Die Rückfallquote ist geringer als gemeinhin angenommen. // Foto: Stephanie Hofschlaeger / pixelio.de

Haftstrafen führen zu höherer Rückfallquote

Ein Zusammenhang ist zwischen Vorstrafen und dem Rückfallrisiko auszumachen: Wer bereits mehr als eine Straftat begangen hat, wird auch häufiger zum Wiederholungstäter – besonders häufig, wenn der Täter bereits im Gefängnis gesessen hat. Die aus der Haft Entlassenen wiesen ein signifikant höheres Rückfallrisiko auf als diejenigen mit milderen Sanktionen, wie Geldstrafe oder jugendrichterlichen Sanktionen. Dies zeigt allerdings auch, dass die Straftäter in Justizvollzugsanstalten nicht nachhaltig genug auf das Leben in Freiheit vorbereitet werden: die Suche nach einer Wohnung, einer Arbeitsstelle und schließlich auch einem neuen Freundeskreis.


Selbstleseverfahren, Band 73

* Nichtwähler sind wie Steuersünder
* Der faule und ignorante Gerichtspräsident und das Schwein
* Falsche Überweisung: 25.000 Euro? Hoppla, habe ich nicht gemerkt
* Leichenfledderei mit der Kamera: Blaulicht-Reporter auf Schmerzensgeld verklagt
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* Achtung, Anwalt mit Alukoffer: Konfliktverteidigung um Bonner Taschenbombe
* Die gezückte Waffe soll Routine werden
* Verbrecherfotos aus dem 19. Jahrhundert: Die traurigen Augen Englands
* „Kai vom Kran“ verschanzte sich 13 Stunden auf dem höchsten Baukran Berlins
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Brutale Vergewaltigung in Regensburg war nur erfunden

Diese Nachricht sorgten Ende Juli bundesweit für Schlagzeilen: Eine 22-jährige Frau aus Regensburg hatte angegeben, von drei Tätern in ein mit laufendem Motor wartendes Auto gezerrt, entführt und dann vergewaltigt worden zu sein – danach habe man sie nackt zurückgelassen.

Heute gab die Staatsanwaltschaft Regensburg in einer gemeinsamen Pressemitteilung mit der Kriminalpolizeiinspektion Regensburg bekannt: Die überfallartige Vergewaltigung der Frau hat nie stattgefunden. Dies haben jetzt die Ermittlungen zweifelsfrei ergeben.

Verletzungen der Frau deckten sich mit dem Tatgeschehen

Die Frau hatte am 27. Juli 2014 gegen 3:00 Uhr früh bei der Polizeiinspektion Regensburg Süd Strafanzeige erstattet. Ihren damaligen Schilderungen zufolge sei sie gegen 0:30 Uhr, im Bereich der Isarstraße in Regensburg bei einem nächtlichen Spaziergang von drei Männern abgepasst und in ein Fahrzeug gezerrt worden. Nach einer kurzen Fahrt sei sie von einem der Männer entkleidet und vergewaltigt worden. Danach habe man sie an den Ausgangsort zurückgebracht und im Bereich der Isarstraße nackt aus dem Fahrzeug gestoßen, von wo aus sie zu ihrer in der Nähe liegenden Wohnung gelaufen sei.

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Alles eine Lügengeschichte? Polizei sagt: Das Geschehen hat so nicht stattgefunden. Foto: Lutz Stallknecht / pixelio.de

Die Frau wies zudem Verletzungen auf, die nach einem ärztlichen Untersuchungsbericht im Einklang mit dem geschilderten Tathergang standen. Erst nach einer Woche konnte sie aus dem Krankenhaus entlassen werden.

Die geschilderte Tat fand nicht statt

Die Strafanzeige des vermeintlichen Opfers hatte umfangreiche und aufwändige Ermittlungen zur Folge, eine „Ermittlungsgruppe Isarstraße“ wurde gegründet, Phantombilder gefertigt und bundesweit in nahezu allen Medien veröffentlicht. Über einen Fahndungsaufruf in der Sendung „Aktenzeichen XY“ wurde bereits nachgedacht. Alle Maßnahmen blieben jedoch ohne Erfolg – es konnten keine Täter ermittelt werden. Dennoch kochte die Empörung über die vermeintliche Tat in den sozialen Netzwerken hoch – mit schier unfassbaren Entgleisungen.

Weitergehende Auskünfte zu den Hintergründen der Anzeigenerstattung sind nach Angaben der Polizei noch nicht möglich, da die Ermittlungen hierzu noch nicht abgeschlossen sind.

Der Artikel wird aktualisiert, sobald neue Informationen bekannt gegeben werden.

Nachtrag vom 09.09.2014: Die Arbeit der Ermittler sei noch lange nicht beendet, sagte der Sprecher im Polizeipräsidium Regensburg. Wie lange es noch dauern wird, bis die Öffentlichkeit weitere Hintergründe erfahren kann, sei nicht absehbar. Dass die Vergewaltigung nicht stattgefunden habe, habe sich aus einzelnen Indizien ergeben – vor allem aus den Vernehmungen des mutmaßlichen Opfers und technischen Ermittlungen. Ein Geständnis gebe es bisher nicht.


Durchsuchung einer Redaktion: Wer war hier unfähig?

Im Juni ließ die Staatsanwaltschaft Darmstadt mit einem Durchsuchungsbeschlusses des Amtsgerichts die Redaktionsräume des „Darmstädter Echo“ durchsuchen. Ein Nutzer hatte in einem Kommentar in der Onlineausgabe unter dem Pseudonym „Tinker“ einen leitenden Verwaltungsmitarbeiter der Gemeinde Mühltal der „Unfähigkeit“ bezichtigt. Das wollte dieser keinesfalls auf sich sitzen lassen und erstattete Strafanzeige wegen Beleidigung (§ 185 StGB).

Redaktion durchsuchen? Wo bleibt die Verhältnismäßigkeit?

Die Redaktion weigerte sich auf die polizeiliche Aufforderung hin allerdings, die Identität von „Tinker“ offenzulegen. Was dann folgte, kann man gut und gerne unverhältnismäßig nennen: Die Staatsanwaltschaft beantragte beim Amtsgericht Darmstadt einen Durchsuchungs- sowie Beschlagnahmebeschluss für die Redaktionsräume der Zeitung. Und der zuständige Richter? Er winkte den Beschluss durch – gewissenhaft geprüft haben kann er den Antrag jedoch nicht.

Also marschierte dann tatsächlich ein Staatsanwalt zusammen mit der Polizei in die Redaktion ein, um die Identität des Beleidigers festzustellen. Die Redaktion gab bei diesem „Aufgebot“ der Staatsmacht verständlicherweise klein bei und gab die geforderten Informationen mehr oder minder freiwillig heraus – wollte man doch eine Durchsuchung der Redaktionen und Beschlagnahme der Computer in der Redaktion verhindern.

Nun zählt das „Darmstädter Echo“ sicherlich nicht zu den Sturmgeschützen der Demokratie (das trifft heute wohl auch nicht mehr auf den „Spiegel“ zu), trotzdem hatte die Vorgehensweise und das Versagen der Kontrollinstanzen zurecht bundesweit massive Kritik hervorgerufen.

Beschwerde erfolgreich – aus formalen Gründen

Die Beschwerde gegen die Durchsuchungsanordnung hatte nun vor dem Landgericht Darmstadt Erfolg – allerdings wahrscheinlich nicht in dem Umfang wie erhofft. Die Richter am Landgericht begründeten ihren Beschluss mit einer Formalie: Die Durchsuchung war rechtswidrig, weil der erforderliche Strafantrag nicht in der notwendigen Schriftform vorlag (§ 194 Abs. 1 S. 1 StGB i.V.m. § 158 Abs. 2 StPO). Da die Antragsfrist des § 77b StGB nunmehr abgelaufen ist, kann die Schriftform des Strafantrages nicht nachgeholt und dessen Fehlen so geheilt werden.

Zwar führte das Landgericht Darmstadt aus, die Identität des Forenkommentators sei nicht von der Pressefreiheit geschützt, da dieser weder redaktionell noch als Informant für die Redaktion tätig sei und dementsprechend keinen Quellenschutz beanspruchen könne. Schließlich könne aber die Unterstellung von „Unfähigkeit“ grundsätzlich durchaus eine Beleidigung sein.

Völlig ungenügender Beschluss des Ermittlungsrichters

Auch der Ermittungsrichter, der die Durchsuchung beschloss, wurde von den Kollegen mit nicht so „netten“ Worten bedacht: Der Durchsuchungsbeschluss lasse keine richterliche Auseinandersetzung mit der Angelegenheit erkennen. So hatte dieser einfach den Antrag in seinen Beschluss übernommen und nicht einmal den Satz angefügt, dass das Gericht sich dem Antrag anschließe. Damit genüge der Beschluss nicht mehr dem Richtervorbehalt (§ 105 StPO).

LG Darmstadt, Beschluss v. 21.08.2014 – 3 Qs 376/14