Strafakte.de

Selbstleseverfahren, Band 74

* Schöffen: „Nur der Wahrheit und Gerechtigkeit dienen“
* Freizügige Selfies
* Hass im Netz: Ich bin der Troll
* Streit beim BGH um die Wahlfeststellung: Keine Gerechtigkeit ohne Gesetzlichkeit
* Millionen richten, eine Frau fällt das Urteil
* „Ich kann einschätzen, wer Gnade verdient hat“
* Nazi-Skandal bei der Polizei – 30 Anwärter geben Handys ab
* Gehts noch? Nur 15 Minuten Stellungnahmefrist sollen rechtliches Gehör sein?
* Einziehung “pornographischer” Datenträger
* HRRS Ausgabe August/September 2014
* Why lawyers will love the iPhone 6 and iPhone 6 Plus


Dumm gelaufen: Besucher klaut Fahrrad des Richters

Dämliche Diebe hatten wir hier schon häufiger, da passt folgender zweifelsohne gut in die Reihe: Ein 38-jähriger Mann, der zu einer Verhandlung am Amtsgericht Aschersleben (Sachsen-Anhalt) geladen war, klaute direkt im Anschluss an die Verhandlung ein im Gericht abgestellte Fahrrad. Was er nicht wusste: Es war ausgerechnet das des Richters.

Mit Fahrrad im Gerichtsgebäude?

Dass der Besucher mit einem Fahrrad das Gerichtsgebäude verließ, weckte das Misstrauen eines Wachmanns. Fahrräder müssen nämlich in aller Regel vor dem Gericht abgestellt werden. Zwar gelang dem Fahrraddieb noch eilig die Flucht, doch der Richter, dem das Fahrrad gehörte, nahm höchstpersönlich die Verfolgung auf – und konnte den Täter in der Nähe einer Tankstelle stellen.

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Dumm gelaufen: Die klaut ausgerechnet den Drahtesel des Richters (Symbolfoto) // Foto: Lupo / pixelio.de

Den 38-jährigen Mann, dessen Namen bereits durch die Verhandlung aktenkundig war, erwartet nun eine Strafanzeige wegen Fahrraddiebstahls. Nicht überliefert ist leider, ob der Richter sein Zweirad irgendwie gegen Diebstahl gesichert hatte.


Islamischer Staat (IS) in Deutschland verboten

Manchmal kann die Rechtsetzung in Deutschland richtig schnell funktionieren, so man denn will. Die Bundesregierung hat die Extremistengruppe Islamischer Staat (IS) in Deutschland verboten. Durch Veröffentlichung im Bundesanzeiger um 12.00 Uhr ist das Verbot rechtskräftig.

Jegliche Beteiligung oder Sympathiebekundung an/für die Vereinigung Islamischer Staat (IS) ist damit untersagt: Propaganda in sozialen Medien oder bei Demonstrationen, Spendensammeln, das öffentliche Tragen von Kennzeichen des IS, in einer Versammlung sowie in Schriften, Ton- und Bildträgern, die Verwendung von Abbildungen oder Darstellung. Dementsprechend ist auch das Posieren vor der schwarzen Flagge des IS verboten, wie dies erst kürzlich ein „prominenter“ Salafist provokativ in einem YouTube demonstrierte. Die Plattform wäre dann nach deutschem Recht gezwungen, das Video zu löschen.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière kommentierte die Entscheidung:

„Deutschland ist eine wehrhafte Demokratie, hier ist kein Platz für eine terroristische Organisation, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung sowie gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet. (…) Das heutige Verbot richtet sich ausschließlich gegen Terroristen, die die Religion für ihre verbrecherischen Ziele missbrauchen.“

Verstöße gegen das Betätigungsverbot sind gem. § 20 VereinsG strafbedroht und können auch als Grund für eine Ausweisung herangezogen werden.


Oscar Pistorius wegen fahrlässiger Tötung verurteilt

Im Mordprozess gegen den einstigen Olympiahelden Oscar Pistorius (27) wurde heute das Urteil verkündet: Er ist der fahrlässigen Tötung („culpable homicide“) an seiner Lebensgefährtin Reeva Steenkamp schuldig. Das Strafmaß wurde heute noch nicht festgesetzt. Wie in Deutschland gibt es dafür auch in Südafrika keine gesetzliche Mindeststrafe. Mord sowie rechtfertigende Notwehr schloss die Richterin dagegen wie gestern bereits erwartet aus. Ob der nun Verurteilte vorerst frei bleibt, wird ebenfalls noch zu entscheiden sein.

Der Staatsanwaltschaft kommt im Strafprozess die Aufgabe zu, dem Gericht belastende Beweise zu präsentieren. Genau das ist der Anklage im Fall Pistorius aber erkennbar nicht gelungen. Ein Motiv, seine Freundin zu ermorden, konnte schlicht nicht ergründet werden. Es gab im Ergebnis keinerlei Beweise dafür, dass das Paar an diesem Abend stritt oder Reeva Steenkamp vorhatte, die Beziehung aufzulösen. Warum also hätte er sie erschießen sollen? Diese Frage konnte auch die Richterin nicht zweifelsfrei beantworten.

Die Schuld muss zur vollen Überzeugung des Gerichts feststehen

Im Zweifel für den Angeklagten – „in dubio pro reo“ – so lautet die Antwort des Rechtsstaats auf eine solche Situation. Die ungeklärten Fragen – etwa warum Pistorius nicht merkte, dass seine Lebensgefährtin nicht neben ihm im Bett lag, als er in der Nacht aufwachte und Einbrecher vermutete, müssen nicht vom Angeklagten ausgeräumt werden. Die Staatsanwaltschaft muss eine überzeugende Antwort auf diese Fragen finden. Das hat sie aber nicht.

Der Staatsanwalt Gertie Nel hat alles in die Waagschale geworfen und Zeugen der Verteidigung ordentlich in die Mangel genommen. Nicht umsonst wird er als Bullterrier bezeichnet. Dennoch schaffte er es nicht, schlüssig das Mordmotiv herauszuarbeiten. Schreie, die einige Nachbarn gehört haben wollen, konnten nicht von Reeva Steenkamp stammen. Sie konnte bereits nach dem ersten Schuss nicht mehr schreien. Um einen Streit gehört zu haben, waren die Zeugen jedoch zu weit weg – dies hat ein Akustikgutachten deutlich bewiesen.

Und die Whatsapp-Nachrichten? Die meisten waren liebevoll und zärtlich, nur in einer schrieb sie, dass sie manchmal Angst vor ihm habe. Aber was beweist das? Die Nachricht hatte keinen aktuellen Bezug. Meint Angst, dass sie Todesangst hatte? Oder Angst vor Gefühlsausbrüchen? Oder Angst vor Eifersucht? Dieses Indiz trägt jedenfalls keine Verurteilung wegen Mordes.

Sofern sich südafrikanische Strafrechtler über die Entscheidung nun empört zeigen, ist das rein rechtlich betrachtet nicht wirklich erklärlich. Die Beweiswürdigung obliegt dem Gericht, das aus meiner Sicht die Beweislage überzeugend dargelegt hat. Kommt man dann schließlich zu einer Notwehrlage, muss man anerkennen, dass sich der Angeklagte im Irrtum über die Gegenwärtigkeit oder zumindest die Reichweite der Notwehr befand. Eine Verurteilung wegen Fahrlässigkeit ist nur folgerichtig, da der Erlaubnistatbestandsirrtum den Vorsatz entfallen lässt.

In einem vergleichbaren Fall (NStZ 2012, 272) kam der Bundesgerichtshof zu einem Freispruch: Ein Mitglied der Hells Angels hatte nachvollziehbar aus Furcht um sein Leben (vgl. § 33 StGB) durch die geschlossene Haustür geschossen, nachdem er durch Geräusche vor der Tür geweckt wurde. Er wusste nicht, dass es sich vor der Tür um einen Polizeibeamten handelte, der tödlich getroffen wurde. Der Bundesgerichtshof kam zu dem Ergebnis, der Angeklagte sei irrtümlich von einer Notwehrsituation ausgegangen und habe deshalb im Ergebnis straflos gehandelt.

Ein Freispruch für Pistorius war nicht zu erwarten

Der Pistorius-Verteidiger Barry Roux zählt zu den besten seiner Profession in Südafrika, gilt als scharfsinnig und unnachgiebig. Trotzdem stand er in diesem Prozess manches Mal nicht gut da: Pistorius benutzte ihn als „Sündenbock“ und die Argumentation war teilweise beachtlich, etwa der Angeklagte schreie in Panik wie eine Frau. Es blieb schlussendlich im Wesentlichen bei der eher schwachen Verteidigungsstrategie, aufgrund seiner Behinderung wäre Pistorius besonders verletzbar gewesen und leide zudem auch unter Angstzuständen. Gesteht man ihm dies zwar zu, hätte er dennoch nicht viermal durch die geschlossene Tür schießen dürfen – im Bewusstsein, dass dahinter ein Mensch – sei es auch ein Einbrecher – steht. Dadurch hatte er die erlaubte Notwehr sicher überschritten (extensiver Notwehrexzess). Mit der Verteidigungsstrategie konnte somit allenfalls eine Verurteilung wegen einer Fahrlässigkeitstat erreicht werden, aber kein Freispruch. Der Verteidiger setzte sich damit zu seinem Antrag auf Freispruch in Widerspruch.

Das letzte Wort ist in diesem Verfahren noch nicht gesprochen, das wird erst der Strafausspruch besorgen. Ich halte eine Bewährungsstrafe für unwahrscheinlich, ausgeschlossen ist eine solche dennoch nicht. Und dann stehen Staatsanwaltschaft und Verteidigung noch Rechtsmittel zu. Es bleibt weiterhin spannend.

Nachtrag: Oscar Pistorius wurde wegen fahrlässiger Tötung zu fünf Jahren Haft verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hat jedoch angekündigt, Berufung sowohl gegen die Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung, als auch gegen das Strafmaß einlegen zu wollen.


Heute noch kein Urteil gegen Oscar Pistorius

Eigentlich war das Urteil im Mordprozess gegen den südafrikanischen Sprintstar Oscar Pistorius für heute erwartet worden. Doch die Vorsitzende Richterin Thokozile Masipa unterbrach die Verhandlung überraschend nur etwa 10 Minuten nach der ausgiebigen Mittagspause.

Wahrscheinlich fahrlässige Tötung

Neunzehn Monate nach den tödlichen Schüssen von Oscar Pistorius auf seine Lebensgefährtin, das Model Reeva Steenkamp ist das Gericht unter dem Vorsitz der Richterin Thokozile Masipa überzeugt, er habe die Tötung seiner Lebensgefährtin ohne Vorsatz begangen.

Der Anklage sei es im Ergebnis nicht gelungen, einen geplanten Mord nachzuweisen. Zwar ist für die Richterin nicht nachvollziehbar, warum Pistorius spontan und ohne nachzudenken feuerte, er habe die Schüsse jedoch auch nicht reflexartig abgegeben, sondern traf eine bewusste Entscheidung. Andererseits gab es keinerlei Anzeichen dafür, dass das Paar an diesem Abend stritt oder eine sonstige Auseinandersetzung hatte. Dadurch fehle es an einem Motiv, da die Richterin dem Angeklagten glaubte, dass er seine Freundin nicht töten wollte.

Keine belastbaren Indizien für die Mordhypothese

Die Schreie, die einige Nachbarn gehört haben wollen, konnten aber nicht vom Opfer stammen. Nach dem Gutachten der Rechtsmedizin war sie schon nach dem ersten Schuss bewusstlos und so außerstande, noch zu schreien. Insgesamt ohne Beweiswert war auch der Mageninhalt des Opfers, denn der ließ nach den Gutachtern keine verlässlichen Rückschlüsse zu, wann sie zuletzt gegessen hatte. Dass sie ihr Handy mit auf Toilette nahm, konnte auch daran gelegen haben, dass sie dieses als Lichtquelle benutzt habe, da im Raum das Licht defekt war.

Die Schüsse auf die Tür waren jedoch fahrlässig, da Pistorius damit rechnen musste, die Person in der Toilette zu töten. Dass er glaubte, auf einen Einbrecher zu schießen, stelle jedenfalls nur einen unbeachtlichen error in persona dar.

Widersprüchliche Einlassung des Angeklagten Oscar Pistorius

Nur Oscar Pistorius selbst weiß, was wirklich in den frühen Morgenstunden des 14. Februar 2013 passierte, als er in seiner Villa bei Pretoria durch die geschlossene Toilettentür schoss. Er ist der einzige lebende Augenzeuge, der stets beteuert hatte, er habe seine Freundin nur aus Versehen erschossen. Allerdings gab er vor Gericht kein gutes Bild ab: Er beantwortete die ihm gestellten Fragen nicht oder nur unvollständig, wirkte zeitweise bockig bis auch aggressiv und legte sich mit dem Staatsanwalt an. Im Zeugenstand gab Pistorius außerdem verschiedene Versionen von dem ab, was in der Tatnacht passiert sein soll: Zunächst sagte er aus, er habe geschossen, um sich gegen einen vermeintlichen Einbrecher zu verteidigen. Später sagte er jedoch, der Schuss habe sich aus Versehen gelöst, er habe automatisch geschossen, ohne darüber nachzudenken – es sei vielmehr ein Unfall gewesen. Mit solchen inkonsistenten Aussagen hat er sich sicherlich keinen Gefallen getan. Die Richterin rügte ihn für seine zögerlichen, ausweichenden Antworten: Der Angeklagte hörte nicht zu, wich stets aus und machte sich mehr Sorgen um die Folgen, die seine Antworten haben könnten anstatt zur Wahrheitsfindung beizutragen.

Der Prozess wird morgen um 9:30 Uhr fortgesetzt – dann ist sicher mit einem Urteil zu rechnen.