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In der U-Bahn verquatscht

Es war zwar schon im Mai 2014, dass eine Gruppe von Männern auf der Hamburger Reeperbahn den Junggesellenabschied ihres Freundes feierte – doch der Abend nahm ein böses Ende. Gegen 4.30 Uhr fühlen sich zwei vorbeikommende junge Männer von diesem feiernden Herrengespann offenbar derart belästigt, dass sie auf einen Einzelnen aus der Gruppe einschlagen. Dieser sackt sofort ohnmächtig zu Boden, die Täter können unerkannt flüchten.

Polizei fahndet nach Reeperbahn-Schlägern

Nun fahndet die Polizei Hamburg jedoch öffentlich nach den Tätern. Dass es überhaupt Anhaltspunkte auf die Täter gibt, hat die Polizei einer Zeugin zu verdanken. Sie saß kurz nach der Tat in der U-Bahn und hörte dort ein verdächtiges Gespräch zwischen drei Jugendlichen mit an. Einer von denen erzählte nach den Angaben der Zeugin deutlich hörbar, er habe gerade jemanden „ins Koma geprügelt“. Die Frau ging zur Polizei, diese konnte daraufhin die Videoaufnahmen mit den mutmaßlichen Tätern aus der Überwachungskamera in der U-Bahn sicherstellen. Zwar sind die Aufnahmen recht unscharf, dennoch rechnet sich das Landeskriminalamt gute Chancen aus, den Abgebildeten wegen des Verdachts der schweren Körperverletzung ermitteln zu können.

In der U-Bahn geprahlt

Der Verdächtige hatte bei seiner Prahlerei in der U-Bahn keineswegs übertrieben: Gemeinsam mit einem weiteren Beteiligten hatte er dem 32-jährigen Mann aus Nordrhein-Westfalen damals so heftig auf den Kopf geschlagen, dass dieser schwere Hirnblutungen erlitt und sofort operiert werden musste. Einige Zeit lag er im Koma und befindet sich auch noch mehr als vier Monate nach der Tat in ärztlicher Behandlung sowie in der Reha.


Gutachten über die Eignung der Frau zum Strafrichter

Strafrichterinnen gehören heutzutage – glücklicherweise – zum gewöhnlichen Erscheinungsbild in deutschen Gerichtssälen. Nahezu die Hälfte aller Richter sind mittlerweile weib­lich, so dass bei Neueinstellungen teilweise schon über eine Männerquote nachgedacht wird.

Dies war freilich nicht immer so: Im Jahr 1921 bedurfte es eines Gutachtens des Direktors an der Universitäts-Frauenklinik der Berliner Charité Prof. Dr. Ernst Bumm über „die Eignung der Frau zum Strafrichterberuf“. Darin kommt er zu dem Urteil:

Berufe, welche ruhiges Arbeiten in vorgeschriebenen Bahnen verlangen, erfüllt die Frau so gut wie der Mann. Wo rasche Entschlussfähigkeit und große Verantwortung in Frage kommen und besondere Ansprüche an kaltblütiges, von momentanen Stimmungen unabhängiges Urteilen und Handeln gestellt werden, passt die Frau nicht.

Frauen seien demnach aufgrund ihrer Emotionalität und der biologisch bedingten Stimmungsschwankungen zu objektiven Urteilen nicht in der Lage, so dass es schlichtweg undenkbar sei, sie über andere zu Gericht sitzen zu lassen. Dennoch eröffnete im Jahr 1922 das Gesetz „über die Zulassung der Frauen zu den Ämtern und Berufen der Rechtspflege“ den Frauen – jedenfalls theoretisch – den Weg in die juristischen Berufe. 1927 wurde dann mit Dr. Maria Hagemeyer die erste deutsche Richterin in Bonn ernannt.

Dementsprechend gab es 1930 lediglich 74 Richterinnen bei etwa 10.000 Richtern – nach Machtergreifung der Nationalsozialisten wurden Frauen sogar systematisch aus der Justiz verbannt und auch nicht mehr zur Anwaltschaft zugelassen. Der Führer regelte 1936, dass Frauen nicht mehr Richter und Staatsanwälte werden, sondern ihrer eigentlichen Zweckbestimmung als Hausfrau und Mutter nachkommen und dem Führer Helden gebären sollten. 1939 praktizierten noch ganze neun Anwältinnen.

Bis 1960 praktizierten weniger als 4 Prozent Frauen in den juristischen Berufen, dessen Anteil sich in den 70er Jahren langsam erhöhte. Noch 1957 charakterisierte Karl Heck, einer der ersten Richter am Bundesverfassungsgericht einen deutschen Richter als

ein Mittelding zwischen Mönch und Offizier, groß in entsagender Pflichterfüllung, gering in schöpferischer Tätigkeit, zu der er nicht erzogen wird, und zu der sein Beruf, so wie er verstanden und ihm vorgelebt wird, ihm wenig Gelegenheit gibt … streng, genau, ernst, pflichtbewusst, einer wie der andere …

Da war Dr. Erna Scheffler jedoch als erste Richterin am Bundesverfassungsgericht schon sechs Jahre als seine Kollegin im Amt. Wann die erste Frau sich als Richterin dem Strafrecht widmete, konnte leider nicht in Erfahrung gebracht werden. Hat jemand Quellen dazu?

 


Vernehmung: Besser auf die sanfte Tour

Kein „Tatort“ und kaum eine amerikanische TV-Serie kommt ohne sie aus: Die harten und unerbittlichen Kommissare, die aus jedem Verdächtigen die Wahrheit herausbekommen. Aber sind solch rohen Verhörpraktiken bei der Vernehmung von Beschuldigten wirklich hilfreich?

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Empathische Vernehmungsmethoden sind effektiver als aggressive Verhöre // Foto: Pa­tri­cia Schenk / Photocase.de

Jedenfalls dann nicht, wenn man von dem Verdächtigen verwertbare Informationen erhalten möchte. Abgesehen davon, dass in § 136a StPO ausdrücklich verbotene Vernehmungsmethoden aufgeführt sind, eignen sich subtile Techniken weitaus besser – als besonders effizient hat sich eine Praktik erwiesen, die man aus der Suchttherapie kennt. Dies belegt nun auch eine Studie vom „Institut für Risiko und Unsicherheit“ der Universität Liverpool, die 288 Stunden Ton- und Videoaufzeichnungen von Verhören analysiert haben, die britische Spezialisten mit 29 später Verurteilten Terrorverdächtigen geführt haben.

Bereits milder Druck schadet der Vernehmung mehr als er ihr nützt

Die motivierende Gesprächsführung, eigentlich für die Suchttherapie entwickelt, lässt sich auch als Vernehmungsmethode überaus erfolgreich einsetzen. Sie setzt darauf, ein gutes Verhältnis zum Gegenüber aufzubauen, um eine kooperative Atmosphäre zu schaffen, die von Respekt und Mitgefühl getragen ist. Laurence Alison, Professor für forensische und investigative Psychologe an der Universität Liverpool überschrieb seine Studie deshalb mit dem Titel „Warum die harte Taktik versagt und ein gutes Verhältnis Ergebnisse bringt“.

Die offene Atmosphäre mache es für dem Beschuldigten zwar möglicherweise schwerer, falsche Angaben zu machen oder belastende Informationen zu verschweigen. Dennoch bleibe ihm zumindest die freie Entscheidung, Antworten zu geben oder diese eben zu verweigern.

Bemerkenswert ist, dass es nach der Studie entgegen üblicher Erwartungen sogar nützlich ist, Verdächtige immer wieder an ihr Schweigerecht zu erinnern. Sie machen dann nicht etwa mehr Gebrauch davon, sondern weniger – wohl, weil sie ihren eigenen Willen respektiert sehen. Fatal wirkte sich dagegen sarkastisches und überhebliches Auftreten aus, wie es oft bei Kommissaren im Fernsehen zu beobachten ist. Herablassende Phrasen wie „Das war nicht besonders schlau, was?“ oder plump-vertrauliches Benehmen („Rück‘ schon raus Kumpel, ist zu Deinem Besten“) erwiesen sich als kontraproduktiv. Verhalten sich die Vernehmungsbeamten jedoch insgesamt respektvoll, schadet es hingegen nicht, wenn sie dem Beschuldigten während der Vernehmung gelegentlich sachlich widersprechen oder ihn mit Beweismaterial konfrontieren.

Sarkasmus und Härte verhelfen nicht zum Geständnis

Das ist bislang freilich nicht die herrschende Meinung. In weiten Teilen der Welt werden brutale Verhörmethoden bis hin zur Folter praktiziert. Daraus könne man schließen, dass Regierungen glauben, dass so „die Effektivität der Verhöre gesteigert wird“, konstatierte 2006 das Intelligence Science Board, ein Beratergremium der US-Geheimdienste. Natürlich lässt sich auf diese Art und Weise nicht jeder Terrorverdächtige zum Reden bringen, denn gerade ideologisch Gefestigte würden auf kooperative Gesprächsführung nicht reagieren. Jedoch ruiniert ein aggressiver Umgang in einer Vernehmung auch die letzte Chance, dass sich der Vernommene vielleicht doch umstimmen lässt: „Man kann es durchaus schlimmer machen“, davon ist Alison überzeugt.

Doch auch in Deutschland werden verbotene Vernehmungsmethoden wie die Reid-Methode bei polizeilichen Verhören eingesetzt, wie häufig kann niemand sagen. Auch diese Methode beginnt mit einer verständnisvollen Vernehmungskomponente, schlägt dann jedoch sehr schnell in ein aggressives, stressförderndes Verhör um, bei dem sich gern auch Schlafentzug zunutze gemacht wird. Gerade die Ausnutzung dieser Ermüdung ist in dem Verbot des § 136a S. 1 StPO enthalten; allerdings zeigte sich die Rechtsprechung in diesem Punkt bisher ausgesprochen großzügig. Im Prinzip testet die Vernehmungsperson, auf welche Art der Befragung der Beschuldigte anspricht und führt diese Strategie dann fort. Die Dokumentation solcher Vernehmungen erweist sich im Nachhinein meist als lückenhaft, so dass deren Verwertbarkeit nur schwierig anzugreifen ist.

Aus Sicht der Strafverteidigung kann jedem Beschuldigten allerdings nur ein kluger Rat gegeben werden: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold!

 


500. Eintrag in die Strafakte

Nach den ersten 500 Einträgen ist ein kurzer Rückblick durchaus angezeigt: In den etwa anderthalb Jahren haben wir es geschafft, nahezu jeden Tag einen neuen Eintrag zu veröffentlichen.

Content ist King

Dabei steht die Qualität unserer Einträge klar im Vordergrund – die Maxime „Plump klickt gut“ überlassen wir lieber einigen anderen. Unsere Einträge sollen eher inhaltlich aussagekräftig sein und sowohl erfahrene Strafrechtler ansprechen als aber auch für Nichtjuristen verständlich sein. Als problematisch erwiesen sich dann allerdings die häufig nichtssagenden und inhaltlich nicht weiterführenden Kommentare unter den Einträgen, die vielen Stammlesern (und auch mir) das Lesen der Kommentare verhagelte. Die öffentliche Diskussion der Kommentarpolitik hat mich bewogen, hier strikt durchzugreifen und grundsätzlich alles zu löschen, was mir sinnlos und unproduktiv erscheint. Wem dies missfällt, kann seine Kommentare entweder mit generalkritikfreiem Inhalt füllen oder eben woanders kommentieren. In meinem Blog gelten meine Regeln.

Natürlich sind konstruktive Kommentare, die die Diskussion tatsächlich weiterbringen, wie auch bisher herzlich willkommen. Vielen Dank für solche lesenswerten Kommentare, wie etwa diesen. Und damit nicht nur ich entscheide, ob ein Kommentar hilfreich und lesenswert ist, gibt es nun ein Voting für Kommentare: Daumen hoch für zukünftig hoffentlich viele tolle Kommentare.

Für Hinweise auf lesenswerte Artikel oder Kurzbeiträge nutzen wir die sozialen Netzwerke oder unser Selbstleseverfahren. Dieses wird vergleichsweise zwar noch wenig frequentiert, liefert den Kollegen mit interessanten Links aber offensichtlich stets Anregungen, die dann von ihnen bei Twitter und Konsorten geteilt oder gebloggt werden. In diesem Sinne: Gern geschehen ;-)

Dementsprechend sind die meisten Einträge in der Strafakte kein „Fastfood“. Wir bemühen uns stets um Artikel, die anderswo nicht so zu lesen sind. Wie man sich vorstellen kann, erfordern derartige Einträge mit jeweils (oft weit mehr) als 300 Wörtern viel zeitliches Engagement.

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Ein neues Sachregister erleichtert die Suche nach bestimmten Einträgen

Hauptsächlich beschäftigen sich unsere Einträge mit tagesaktuellen Ereignissen, widmen sich jedoch häufig auch theoretischen Themen aus dem Straf- und Strafprozessrecht. Da bei diesen langsam die Übersicht verloren geht, gibt es ab heute ein Sachregister mit Stichworten von A-Z, in denen diese Einträge eingeordnet werden und somit leichter (wieder-) zu finden sind. Viele der dort genannten Einträge haben es übrigens auch in die Wikipedia geschafft.

Für eine Suche in allen anderen Einträge gibt es unser Archiv mit Suchfunktion.

Update: Ich habe heute noch neue Share-Buttons eingebaut, die nun nicht mehr wie bisher mit den jeweiligen sozialen Netzwerken kommunizieren. Dadurch fällt unsere Datenschutzerklärung sehr kurz aus!

Auf die nächsten 500 …

Da eine Strafakte mit gerade einmal 500 Blättern noch reichlich dünn ist, geht es hier natürlich in gewohntem Elan und mit spannenden Einträgen weiter. Wir sind hocherfreut über die ersten anderthalb Jahre und freuen uns auf die nächsten!


Selbstleseverfahren, Band 72

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* Basarjustiz
* Die Abschreiber aus der Bundesregierung
* Ronald Schill: Der Hamburger Spieler
* Gilt auch für juristische Plattformen: Plump klickt gut
* Musste ich als Dealer nicht ins Gefängnis, weil ich weiß bin?
* Assistierter Suizid: „Unterschiedliche ethische Vorstellungen akzeptieren“
* Drohbrief: Anklage gegen mutmaßlichen Hoeneß-Erpresser erhoben
* Die tückischen Konkurrenzen
* Fall Mollath: Zum Freispruch verurteilt
* Häftling stirbt in Einzelhaft – Staatsanwaltschaft ermittelt in JVA Bruchsal
* Erster „Tatort“ nach der Sommerpause: Breaking Bad im Altersheim