Das RTL-Format „Princess Charming“ gilt als das Vorzeigeprojekt des Senders. Die lesbische Datingshow, in der 20 Frauen um das Herz der „Princess“ kämpfen, wurde 2021 mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet. Ende November veröffentlichte eine Teilnehmerin an dem Format auf ihrem Instagram-Kanal dann ein Video, in dem sie eine andere Kandidatin eines sexuellen Übergriffs während der Dreharbeiten beschuldigte.
„Nein, ich möchte dich nicht küssen.“
In dem Video berichtet sie, dass sich eine andere Kandidatin nachts zu ihr ins Bett gelegt habe: „Ich war noch ein bisschen im Halbschlaf und bin eben davon aufgewacht, dass sie da lag.“ Die andere Kandidatin habe über ihre Gefühle und „Wünsche in diesem Moment“ gesprochen – und schließlich klare Grenzen überschritten: „Sie hat versucht mich zu küssen. Ich habe daraufhin gesagt: Nein, ich möchte dich nicht küssen.“ Daraufhin habe sie sich „auf mich draufgelegt und meine Arme über meinem Kopf festgehalten. Und abermals versucht, mich zu küssen. Ich habe mich nicht bewegt.“ Am nächsten Tag habe sie erfahren, dass die Kandidatin „untenherum nackt“ war, also keine Unterhose getragen habe.
„Es stimmt und es ist passiert.“
Die Reaktion der vermeintlichen Täterin ließ nicht lange auf sich warten. Sexueller Konsens ist erstaunlicherweise ein Kernthema der bekennenden Feministin, zu dem sie sich immer wieder öffentlich äußerte. Sie sagt, ihr eigenes Verhalten sei „mit nichts zu rechtfertigen“, sie spricht von „Schuld“ und ermahnt schließlich ihre Follower, sie sollten nicht von bloßen „Vorwürfen“ sprechen. Denn: Was die Kandidatin sagt, stimme, „und es ist passiert“.
Heute berichtet dann DER SPIEGEL ausführlich unter der Überschrift „Was geschah wirklich bei »Princess Charming«?“ über die Ereignisse. Denn die Besonderheit hier ist, es gibt Videomaterial von dem angeblichen Übergriff. Wie bei sämtlichen Reality-Formaten laufen die Kameras auch bei ausgeschaltetem oder gedimmtem Licht stets mit. Und diese Aufnahmen zeigen ein ganz anderes Bild der Situation.
„Ein Übergriff bleibt ein Übergriff“
In dem Videomaterial sieht man einiges von dem Rahmengeschehen, welches die Kandidatin beschrieben hat. Dennoch zeigt es für Außenstehende eine grundlegend andere Situation. Im Video liegen beide Frauen eng beieinander, immer wieder berühren sie sich gegenseitig, ihre Wangen, ihre Arme und Hände, sie flüstern, umarmen sich, kuscheln. Abwehrversuche sind an keiner Stelle zu sehen, auch das Festhalten der Hände, das die Kandidatin in ihrem Instagram-Video geschildert hat, ist so nicht zu erkennen. Als sich die Kandidatin auf sie rollt, verschränken die beiden Kandidatinnen ihre Finger, streicheln über ihre Hände, blicken sich lange in die Augen. Alles sieht für einen objektiven Dritten völlig einvernehmlich aus.
Von diesen Fakten lässt sich die beschuldigende Kandidatin jedoch nicht beeinflussen: „Ein Übergriff bleibt ein Übergriff“, denn „eine aktivistische Perspektive wäre, ausdrücklichen verbalen Consent vorauszusetzen.“ Oder mit anderen Worten: „Ich wollte es nicht. Deswegen war es ein Übergriff.“
Die juristische Perspektive
Im Strafrecht kommt es auf eine „aktivistische Perspektive“ jedoch nicht an. Es geht um einen objektiven Blickwinkel auf die Situation und eine Analyse dessen, was beide Partner in dieser Situation zum Ausdruck bringen und mutmaßlich gewollt haben. Und das ist vorliegend relativ eindeutig: man hört kein „Nein“, man sieht keinen irgendwie geäußerten entgegenstehenden Willen. Wo sonst stets „Aussage gegen Aussage“ steht, gibt es hier einen objektiven Blick auf die Situation und das ist die große Besonderheit.
Bei dem Großteil aller vermeintlichen sexuellen Übergriffe mangelt es gerade an dieser Objektivität und dieser Fall steht gerade deshalb für etwas, was in der Praxis häufig anzutreffen ist. Die Meinungen über das, was in einer konkreten Situation gewollt war, geht diametral auseinander. Dennoch ist die Bereitschaft zur Verurteilung, der medialen und der strafrechtlichen, ungleich hoch. Der Trend geht ganz klar dahin, dem möglichen Opfer alles zu glauben! Hier hatten wir sogar eine vermeintliche Täterin, die sofort ein Geständnis abgelegt hat, denn sie unterstützte die Betroffenenperspektive, auch wenn sie wusste, dass es eigentlich anders war.
Was wäre, wenn dieser Fall vor Gericht gelandet wäre und es keine Aufnahme der Situation gegeben hätte? Mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit wäre die Beschuldigte verurteilt worden.
Ist das gerecht?