Eigentlich dachte ich, hierzu wäre schon alles Notwendige gesagt. Schon in StRR 2015, 97 und StRR 2015, 262 hatte ich mich in zwei Anmerkungen zu zwei Kanzlei-Durchsuchungen, einmal in Verbindung mit einer nur geringfügigen Straftat ausgelassen.

Die Mahnungen des Bundesverfassungsgerichts haben aber den Ermittlungsrichter in Hamburg dennoch nicht davon abgehalten, eine ersichtlich rechtswidrige Durchsuchungsanordnung zu treffen, die das Landgericht sogar gehalten hat. Und obwohl die Verfassungsbeschwerde (wegen fehlender Rechtswegserschöpfung) nicht zur Entscheidung angenommen wurde, schickte die 2. Kammer des Ersten Senats in einem obiter dictum eine deutliche Ansage nach Hamburg:
Besondere Vertrauensstellung zwischen Anwalt und Mandant zu beachten
Der besondere Schutz von Berufsgeheimnisträgern (§ 53 StPO) gebiete bei der Anordnung der Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei die besonders sorgfältige Prüfung ihrer Eingriffsvoraussetzungen und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Denn die Ermittlungsmaßnahme in der räumlichen Sphäre seiner Berufsausübung, berge regelmäßig die Gefahr, dass unter dem Schutz des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG stehende Daten von Nichtbeschuldigten, etwa den Mandanten eines Rechtsanwalts, zur Kenntnis der Ermittlungsbehörden gelangen könnten, die die Betroffenen in der Sphäre des Berufsgeheimnisträgers gerade sicher wähnen dürften. Dies berühre dann die Grundrechte der Mandanten.
Der Schutz der Vertrauensbeziehung zwischen Anwalt und Mandant liege darüber hinaus auch im Interesse der Allgemeinheit an einer wirksamen und geordneten Rechtspflege. Diese Belange erforderten eine besondere Beachtung der Prüfung der Angemessenheit der Zwangsmaßnahme – auch dann, wenn der Rechtsanwalt selbst Beschuldigter in einem gegen ihn gerichteten Strafverfahren sei.
Verhältnismäßigkeit bei geringfügigen Straftaten
Straftaten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe unter fünf Jahren bedroht sind, seien nicht ohne Weiteres dem Bereich der Straftaten von erheblicher Bedeutung zuzurechnen, so dass die Schwere der Maßnahme unverhältnismäßig sei. Im konkreten Fall ging es um den Vorwurf eines (versuchten) Prozessbetrugs, den eine ehemalige Mandantin dem Rechtsanwalt vorwarf. Der Tatverdacht sei aufgrund der aktenkundigen Widersprüche zwischen E-Mail und polizeilicher Vernehmung der Zeugin jedoch schwach gewesen, noch schwächer die Auffindevermutung von Beweismitteln auf dem beschlagnahmten Computer.
Schließlich sei die besondere Eingriffsintensität einer Durchsuchung von Kanzleiräumen eines Rechtsanwalts zu berücksichtigen, was Amts- und Landgericht hier offenbar versäumten.
Die besondere Eingriffsintensität der Durchsuchung von Anwaltskanzleien ergebe sich daraus, dass die strafprozessuale Maßnahme wegen der Vielzahl verfahrensunerheblicher Daten in den durchsuchten Kanzleiräumen eine Streubreite aufweise und daher zahlreiche Personen in den Wirkungsbereich der Maßnahme mit einbezogen würden, die in keiner Beziehung zu dem Tatvorwurf stehen und den Eingriff durch ihr Verhalten nicht veranlasst hätten.
Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne
Die hier sehr weit formulierte Durchsuchungsanordnung sei aus Sicht eines durchschnittlichen Dritten auch nicht auf die Mandatsunterlagen beschränkt gewesen, die die Anzeigende betrafen, sondern habe potentiell auch verfahrensunerhebliche Daten und Betroffene erfasst (sic!). Eine Abwendungsbefugnis sei sogar ausdrücklich mit der Begründung ausgeschlossen worden, dass sich nur aus der Gesamtschau der Unterlagen Erkenntnisse erwarten ließen. Es sollte offenbar auch nach Unterlagen außerhalb der mandatsbezogenen Verfahrensakte des Rechtsanwalts zur Anzeigenden gesucht werden.
Das tut beim Lesen schon weh und so muss man sich auch nicht darüber wundern, dass das Bundesverfassungsgericht hierzu einiges auszuführen hatte. Leider befürchte ich, dass dies in Hamburg nicht auf offene Ohren treffen wird.
Fazit in aller Kürze und Deutlichkeit
Die Aspekte der geringen Schwere des Tatvorwurfs, des schwachen Tatverdachts, des geringen Grads der Auffindewahrscheinlichkeit, der schon grundsätzlich bei Durchsuchungen erheblichen Eingriffstiefe und der weiteren denkbaren Ermittlungsansätze sprechen zusammengenommen erheblich gegen die Angemessenheit der Durchsuchung. Da die Durchsuchungsanordnung für die Rechtsanwaltskanzlei weit gefasst ist und potentiell zahlreiche unbeteiligte Mandanten betrifft, spricht die besondere Rolle als Rechtsanwalt im Ergebnis aber entscheidend gegen ein angemessenes Verhältnis aus staatlicher Eingriffsmaßnahme zur Wahrheitsermittlung.



