Der Beschluss des Landgerichts Arnsberg vom 16.9.2022 – 3 Ns-110 Js 1471/21 betrifft ein praktisch wichtiges Problem, nämlich die fehlende Unterschrift beim Strafbefehl.
Im Fokus der Entscheidung steht die Frage, ob sich der Strafbefehl vor der Unwirksamkeit retten lässt, und zwar in Fällen, in denen aus der Akte ersichtlich ist, „dass dennoch eine der Willensäußerung des Richters entsprechende Entscheidung vorliegt“.
Das Landgericht Arnsberg verneint dies und zieht zum Vergleich die fehlende Unterzeichnung einer Urteilsurkunde heran. Hier wie dort komme es maßgeblich darauf an, ob „der Richter die Verantwortung für den Inhalt des – gemäß § 408 Abs. 3 StPO nicht von ihm herrührenden – Schriftstücks übernehmen“ wolle. Und dies könne nur durch Unterzeichnung dokumentiert werden. Selbst wenn sich anderswo, beispielsweise unter der Begleitverfügung, ein Namenskürzel dennoch finden lässt, soll dies nach Auffassung des Landgerichts nicht genügen – weder beim Urteil noch beim Strafbefehl.
Der Auffassung ist zuzustimmen. Denn nur so bleibt sichergestellt, dass einheitliche und zugleich rechtssichere Maßstäbe für gerichtliche Entscheidungen im Strafverfahren bestehen. Darüber hinaus geht es, wie sich aus § 408 StPO ergibt, auch beim Strafbefehl um eine gerichtliche Kontrolle. Das gilt umso mehr, als im Strafbefehlswege nicht unerhebliche Rechtsfolgen1 festgesetzt werden können. Die Unterschrift des Richters oder der Richterin ist dabei letztlich nichts anderes als eine Art notwendiges Kontrollzeichen beziehungsweise ein Beleg dafür, dass ebendiese Kontrolle stattgefunden hat. Auch muss die kritische Frage erlaubt sein: Welchen Eindruck macht es auf Betroffene, wenn man nach Anzeichen für diese gesetzlich vorgeschriebene Kontrolle suchen muss?
Dennoch – bei aller Freude über die Entscheidung des Landgerichts Arnsberg wird man eines nicht von der Hand weisen können: Die herrschende Meinung sieht es anders. So führt etwa Temming2 aus, dass die fehlende Unterzeichnung des Strafbefehls „nach hM unschädlich sein“ soll, „wenn sich ein entsprechender Wille des Richters aus den Akten, etwa aus der Begleitverfügung zum Strafbefehl ergibt“. Gerade Verteidigerinnen und Verteidiger sollten sich davon jedoch nicht abschrecken lassen, zumal die meisten Kommentierungen mit dem bloßen Hinweis auskommen, dass die „hM“ es anders sieht.
- vgl. § 407 Abs. 2 S. 2 StPO: Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr [↩]
- Temming, in: BeckOK-StPO (44. Ed. 1.7.2022) StPO § 409 Rn. 12 [↩]
„Sie haben keinen Anspruch auf ein unterschriebenes Urteil. Die Richter unterschreiben schon lange nichts mehr“.
„Die Staatsanwälte und die Richter unterschreiben deshalb nichts, weil die nicht wollen, daß die Leute wissen wie deren Unterschrift aussieht“.
Das sagte kürzlich die Mitarbeiterin einer Straf-Richterin vom AG-Lampertheim, am Telefon zu mir.
Auf dem Strafbefehl ist kein gedruckter Name. Keine Unterschrift. Kein einziger Buchstabe zu erkennen. Kein Datum. Kein Stempel.
So wie es aussieht, will die Richterin die Verantwortung für den Inhalt des Schriftstücks nicht übernehmen. Welchen Eindruck macht es, wenn man als Betroffener, auf JEDEM BRD-JUSTIZ-Dokument, nach vorgeschriebenen Unterschriften suchen muss?
Wie ist so etwas möglich in einem Rechtsstaat?
Es ist wohl so, dass Richter/innen – das beste Beispiel erlebe ich derzeit am AG Pirmasens – von der Unwissenheit der Bürger/innen ausgehen, was leider allzu oft zutrifft. Den Meisten ist unser Dasein im Informationszeitalter in keiner Weise präsent, so dass der Ausspruch „Das hab‘ ich nicht gewusst!“ immer noch täglich häufig zu hören ist. Gerade in Rechtsangelegenheiten kann sehr Vieles im Internet recherchiert werden.
Ich hatte jetzt gerade den Fall eines Richters an o. g. AG, der mir ohne irgendeine Verhandlung geführt zu haben, ein Versäumnisurteil (!) zukommen ließ. Daraufhin legte ich Widerspruch ein und schrieb eine E-Mail an den Betreffenden, wann ich die Voraussetzungen für ein solches Urteil denn überhaupt erfüllt hätte. Nun wurde eine Verhandlung anberaumt, allerdings ohne diese näher zu benennen.
Dies stellt den Gipfel des Eisbergs an Vergehen und massiven Verstößen gg. Verfahrens- und Staatshaftungsrecht dar.
Ist denn die Ladung zu einem Gerichtstermin gültig, wenn die Unterschrift der Richterin nur gestempelt ist?
Nein.Die Gültigkeit ergibt sich durch Ihr/Dein Erscheinen vor dem Richter.
Hans-Jürgen Walfort
Leider trifft die Überschrift “Der nicht unterzeichnete Strafbefehl” nicht das eigentliche Thema.
Ausgangssituation ist das Urteil des AG Schmallenberg vom 27.04.2022 – 5 Cs 158/21 – also kein Strafbefehl!
Aus dem Beschluss des LG Arnsberg vom 16.09.2022 – 3 Ns 92/22 bzw 3 Ns-110 Js 1471/21-92/22 geht nicht hervor, ob das in der Originalakte befindliche Urteil unterschrieben ist. Der Beschluss setzt sich somit nur mit dem Eröffnungsbeschluss (EB) auseinander. Dem Beschluss ist auch nicht zu entnehmen, ob es einen EB gibt. Vermutlich ja, aber ohne Unterschrift. In dem Beschluss steht nämlich: „Die von Amts wegen vorzunehmende Prüfung ergibt, dass es an der Verfahrensvoraussetzung eines Eröffnungsbeschlusses fehlt. Denn insoweit steht ein vom zuständigen Richter nicht unterzeichneter Strafbefehl einem fehlenden Eröffnungsbeschluss gleich.“ Fraglich ist schon ob ein nicht unterschriebener Strafbefehl mit einem nicht unterschriebenem Urteil gleichzusetzen ist. Vgl. BVerfG vom 17.01.1985, 2 BvR 498/84: Rn. 4: Eine Scheinentscheidung (fehlende Unterschrift) kann weder formell noch materiell in Rechtskraft erwachsen. Wäre das Urteil des AG nicht unterschrieben, wäre die Sache klar: Dann könnte das Urteil weder formell noch materiell in Rechtskraft erwachsen und wäre aufzuheben. Hier geht es aber darum, ob es als Verfahrensvoraussetzung a) einen EB geben muß und wenn ja, b) ob der EB unterschrieben sein muß.
Wenn das OLG Hamm in seiner Entscheidung vom 17.11.2022 – 5 Ws 289/22 nunmehr argumentiert, Zwar trägt der hiesige Strafbefehl keine Unterschrift – aber selbst bei fehlender Unterzeichnung ist ein Strafbefehl wirksam,
ist dies mehr als fragwürdig.
Nochmals: Das BVerfG hat in seiner Entscheidung vom 17.01.1985, 2 BvR 498/84 eindeutig klargestellt: Eine Entscheidung ohne Unterschrift stellt eine Scheinentscheidung dar und kann weder formell noch materiell in Rechtskraft erwachsen.
Hans-Jürgen Walfort
Ich muss mich korrigieren. Es geht hier doch (auch) um einen nicht unterschriebenen Strafbefehl. Dies ist der Entscheidung des OLG Hamm vom 17.11.2022 – 5 Ws 289/22 zu entnehmen. Danach gab es zuerst einen nicht unterschriebenen Strafbefehl. Gegen den Strafbefehl wurde Einspruch eingelegt und dann gab es ein Urteil.
Man könnte jetzt argumentieren, dadurch das aufgrund des Einspruchs eine Hauptverhandlung stattgefunden hat und anschließend ein Urteil erging, ist der Strafbefehl aufgehoben worden.
Nicht aber wie das OLG Hamm in seiner Entscheidung vom 17.11.2022 – 5 Ws 289/22 argumentiert: Zwar trägt der hiesige Strafbefehl keine Unterschrift – aber selbst bei fehlender Unterzeichnung ist ein Strafbefehl wirksam weil
nach der Entscheidung des BVerfG vom 17.01.1985, 2 BvR 498/84 es dort eindeutig heißt: Eine Entscheidung ohne Unterschrift stellt eine Scheinentscheidung dar und kann weder formell noch materiell in Rechtskraft erwachsen.