Der Frage, ob sich ein Angeklagter redend oder doch besser schweigend verteidigen soll, kommt in jedem Strafverfahren eine entscheidende Rolle zu, welche die Weichen für die gesamte dem Prozess zugrundeliegende Verteidigungsstrategie stellt. In dieser Woche wurde die Frage erneut kontrovers diskutiert, als Beate Zschäpe über den Vorsitzenden Richter des 6. Strafsenats am Oberlandesgericht München erklären ließ, ihre Verteidiger abberufen lassen zu wollen, weil sie das Vertrauen in diese verloren habe. Die Wellen schlugen – erwartungsgemäß – hoch und vor allem die Presse lief wild spekulierend zur Höchstform auf. Eine noch gemäßigte Auswahl:
Joachim Jahn (FAZ) twittere vorgestern:
„So kann’s enden, wenn Strafverteidiger Angeklagte ohne jede Rücksicht auf Wahrheit (und Opfer) offenbar zum Schweigen nötigen“
Annette Ramelsberger schrieb auf Süddeutsche.de:
„Schweigen allein ist zu wenig, um die Anklage zu entkräften. Möglicherweise hat Zschäpe das schneller erkannt als ihre Anwälte.“
Gisela Friedrichsen (Spiegel Online) stellte den Verteidigern gar ein insgesamt mieses Zeugnis aus: Eine schlechtere Befragung eines Zeugen, habe es selbst in diesem Verfahren bisher nicht gegeben, in dem die Zschäpe-Verteidigung allerdings selten überzeugend agiert habe:
„Gerüchte hatte es schon lange gegeben, die Hauptangeklagte wolle eigentlich reden, aber ihre Verteidiger seien dagegen. Da die Anwälte Anja Sturm, Wolfgang Heer und Wolfgang Stahl auch mit ihren Mitverteidigern nicht über ihre Strategie sprachen, wurde viel gerätselt.“
Offenbar weiß man wenig, rätselt, schreibt und redet dafür aber umso mehr.
Reden ist Silber
Die Frage, ob der Mandant schweigen soll, darf niemals „aus dem Bauch heraus“, sondern allein als Ergebnis rationaler Überlegungen beantwortet werden. Der Verteidiger sollte Alltagstheorien oder bloße Prozesstaktik für oder gegen das Schweigen nicht zur Richtschnur seines Handelns machen. Keinesfalls darf er dem Drängen des Mandanten nachgeben, welcher sich – menschlich nur allzu verständlich – regelmäßig durch Gegenrede gegen die Vorwürfe zur Wehr setzen will.1
Gleichwohl ist erstaunlich, dass die Frage, ob sich ein Beschuldigter zur Sache einlassen sollte, immer noch recht unterschiedlich beurteilt wird: Dahs meint, dass schweigende Angeklagte in deutschen Gerichtssälen noch immer Ausnahmeerscheinungen seien und daher Erstaunen oder Ärgernis hervorrufen würden. Ihr Schweigen wirke wie ein Schuldeingeständnis, weil sich nach allgemeiner Lebenserfahrung ein Mensch eher redend verteidigen würde. Nach richterlicher Erfahrung würden zudem nur schuldige Angeklagte von ihrem Schweigerecht Gebrauch machen. Die Verweigerung der Aussage wirke darüber hinaus wie eine Kampfansage an das Gericht, die das Verhandlungsklima negativ beeinflussen könnte.2
Schlothauer bezweifelt, ob die Annahme von Dahs heute noch zutreffe. Schweigende Angeklagte seien längst keine Ausnahme mehr und gehörten zumindest vor großstädtischen Gerichten zum typischen Erscheinungsbild.3 Derartige Überlegungen haben in der Entscheidungsfindung, ob ein Mandant aussagen sollte, nichts zu suchen. Im Zentrum der Überlegungen des Verteidigers hat das Gesetz zu stehen, wie Klemke und Elbs richtigerweise feststellen.4 Und § 136 Abs. 1 S. 2 StPO gewährt dem Beschuldigten das Recht, sich nicht zur Sache zu äußern. Nach ständiger Rechtsprechung dürfen aus diesem Schweigen – weder unmittelbar noch mittelbar – nachteilige Schlüsse gezogen werden.5 Ansonsten würde das Recht zu schweigen völlig entwertet.
Das interessiert einige Journalisten freilich recht wenig; für sie sind schweigende Angeklagte in erster Linie unbefriedigend. Sie geben aus der Ferne Ratschläge, die Angeklagte möge endlich aussagen, dies sei sie auch den Opfern schuldig. Das ist sie allerdings höchstens moralisch, und um Moral geht es im Strafprozess gerade nicht. Vielleicht ist für diese Vertreter eher ihr eigenes Interesse an spannenden Einblicken in das Seelenleben der Angeklagten handlungsleitend – das würde ihnen sicherlich eine kräftige Auflage bescheren und das Sommerloch stopfen.
Schweigen ist Gold
Im Grundsatz sollte stets gelten: Der Angeklagte sollte vom Schweigerecht Gebrauch machen. Er sollte sich niemals ohne Not zum Beweismittel gegen sich selbst machen. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn (gewichtige) Rechtfertigungsgründe vorliegen, die den Beschuldigten erheblich entlasten können. Der Richter würde einer bestreitenden Einlassung ohnehin tendenziell viel weniger Gewicht beimessen, als den Tatvorwurf bestätigenden Informationen. Allzuschnell wird eine Äußerung des Angeklagten deshalb als bloße Schutzbehauptung abqualifiziert.
Unbewusst wird der Richter in der Vernehmung des Angeklagten sogar versuchen, dessen Einlassungen durch Nachfragen und Vorhalte – zumindest teilweise – tatsächlich oder vermeintlich zu widerlegen. Dies ermöglicht ihm, sie in freier Beweiswürdigung als insgesamt unglaubwürdig zu entwerten. In der Revision ist die Beweiswürdigung nicht zu beanstanden, da tatrichterliche Schlüsse nur möglich, nicht jedoch zwingend sein müssen.6 Die tatsächlich gegebene, objektive Beweislage (selbst mitsamt Sachbeweisen) gerät so schnell in den Hintergrund.
Warum sollte ein Richter so handeln? Die Einlassung eines Beschuldigten löst nicht selten einen fatalen psychologischen Prozess bei einem Richter aus: Im Zwischenverfahren hat sich anhand der Aktenlage der Tatverdacht zumindest soweit verfestigt, dass er das Hauptverfahren eröffnet und somit die Verurteilung des Angeschuldigten für „wahrscheinlich“ hält.7 Diese Vorprägung führt dazu, dass der Richter in der Hauptverhandlung die erhobenen Beweise und damit auch etwaige Einlassungen des Angeklagten einseitig in Richtung auf die Bestätigung des Angeklagevorwurfes hin verzerrt würdigt.8 Den Tatvorwurf bestätigende Informationen werden demnach höher bewertet, da der Richter unbewusst nach Beweisen sucht, die seine Anklagehypothese bestätigen. Eine bestreitende Einlassung passt da eher schlecht ins Bild.
Die Einlassung eines Angeklagten sollte im Ergebnis also sehr wohl überlegt und entsprechend gut vorbereitet sein. Staatsanwalt und Richter, eventuell auch ein Nebenkläger werden zweifelsohne versuchen, ein „Haar in der Suppe“ zu finden. Gerade dem Zeitpunkt einer Einlassung kommt eine entscheidende Rolle zu: Sie darf weder zu früh, wenn noch nicht alle Beweise auf dem Tisch liegen, noch zu spät erfolgen, wenn sich das Gericht bereits einen vollständigen Eindruck gebildet hat. Diesen Moment zu finden ist wohl die schwierigste Aufgabe.
Ob Beate Zschäpe diesen Moment schon verpasst hat ist fraglich. Viel spannender ist aber auch die Frage, ob es diesen Moment überhaupt jemals gab, an dem die öffentliche Meinung über die „Nazi-Braut“ nicht schon zur vollen Überzeugung nahezu aller Beteiligten feststand.
- Klemke/Elbs: Einführung in die Praxis der Strafverteidigung (3. Aufl. 2013) Rn. 435 [↩]
- Dahs: Handbuch des Strafverteidigers (7. Aufl. 2005) Rn. 455 [↩]
- Schlothauer: Vorbereitung der Hauptverhandlung (2. Aufl. 1998) Rn. 55 [↩]
- Klemke/Elbs, a.a.O. Rn. 437 [↩]
- vgl. nur BGHSt 25, 365; BGHSt 32, 140; BGHSt 34, 324 [↩]
- BGHR StPO § 261 Einlassung 6; BGH NStZ 2002, 48 [↩]
- „hinreichender Tatverdacht“, vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO (57. Aufl. 2014) § 203 Rn. 2 sowie ferner: Der psychologisch-psychiatrisch-kriminologische Laie in der Richterrolle (letzter Absatz) [↩]
- sog. Prinzip der selektiven Informationssuche, ausführlich bei Schünemann, StV 2000, 159 ff. [↩]
Vergleicht man die hier zitierten Meldungen mit dem SWR Blog von Holger Schmidt ( http://www.swr.de/blog/terrorismus/2014/07/17/zschaepeschmollt-der-kommentar/ ), so kann man durchaus den Eindruck gewinnen, dass die Journalisten nicht beim selben Verfahren waren:
„..Doch in den vielen Tagen, an denen ich Beate Zschäpe am OLG München beobachten konnte, hatte ich den Eindruck, dass sie selbst schweigen will….Auch die Tatsache, dass sie nichts sagte, sondern nur nickte, als der Vorsitzende Richter Manfred Götzl sie fragte, ob das so richtig verstanden worden sei, spricht nicht für ein Mitteilungsbedürfnis.
Im Gegenteil: Durch ihr Auftreten, ihre Mimik und Gestik vermittelt sie nicht den Eindruck, sie lasse sich von ihren Anwälten etwas sagen….“
DIE eine, stets richtige Verteidigungstaktik gibt es nicht. Weder sollte der Angeklagte immer reden, noch ist es richtig, dass er grundsätzlich schweigt. NSU kann ich aus der ferne nicht beurteilen, allerdings zeigt die tägliche Erfahrung, dass nicht selten auch dann geschwiegen wird, wenn die Beweislage aus Sicht des Angeklagten so ungünstig ist, dass sich eine geständige Einlassung geradezu aufdrängt. Da wird dann der einzige gewichtige Strafmilderungsgrund konsequent hinwegverteidigt, zum Nachteil des Mandanten. Die Frage „reden oder nicht“ kann daher nur im Einzelfall entschieden werden.
Genau das habe ich geschrieben! Die Frage, ob eine Einlassung erfolgen soll, muss anhand der Beweisprognose beurteilt werden – völlig nüchtern, ohne vermeintlich „taktische“ Überlegungen.
Die andere Seite, dass ein Mandant in aussichtsloser Lage kein Geständnis ablegen wollte, um noch sicher zur Bewährungsstrafe zu gelangen, habe ich auch schon kennengelernt. Leider!
„Fair is foul, and foul is fair:
Hover through the fog and filthy air.“
Etwas stimmt nicht, was ist es ? Üblicherweise wird von Pflichtverteidigern erwartet, dass sie dem Gericht nicht mit langwierigen Beweisaufnahmen auf die Nerven gehen, und am Ende einer ereignislosen Verhandlung einen Antrag auf “ gerechte Bestrafung “ stellen, um dann ihr Honorar zu erhalten. Und Folgeaufträge.
Was noch ? Zeitgleich mit der Edathy-„Anklage“ und der Aussage eines Verfassungsschützers
wird die Verteidigerproblematik aufgeworfen.
Das Schweigen ist in gewisser Weise die logische Ergänzung einer Desinformationskampagne, denn es wirkt wie eine Bestätigung einer Berichterstattung von Freiheitspredigern und
Rechtsstaatsgurus, die noch nie etwas von der Unschuldsvermutung gehört haben.
Wir haben es also mit einer „Zelle “ zu tun, die aus Toten besteht ( verteidigungsunfähig ) und einer Schweigenden, sowie 25 enttarnten Verfassungsschützern als Unterstützer, und
einem schwarzen undefinierten Loch.
Ebenfalls sehr lesenswert: „In der Pflicht“ von Heinrich Schmitz
http://www.theeuropean.de/heinrich-schmitz/8776-beate-zschaepe-und-die-pflichtverteidiger
„Böse Zungen nennen manchen Dauerpflichtverteidiger auch „Urteilsbegleiter“, was unterstellt, dass diese Verteidiger einen aus Sicht des Gerichts reibungslosen Ablauf des Verfahrens garantieren.“ Wieso böse ? Das ist nur statistisch zutreffend, hinzu tritt eine bei nicht wohlwollender Kostenfestsetzung fehlende Rentabilität der Pflichtverteidigung.
Frau Z. – die Schweigende – ist in der Boulevardpresse schon zum „Satan“ avanciert und auf der Titelseite so präsentiert worden.
Das ist angesichts der zahllosen Unregelmäßigkeiten bei der Bearbeitung des Komplexes „NSU“, was immer das ist, auffallend.
Sie haben als Beschuldigter einer Straftat das Recht zur Sache zu schweigen. Von diesem Recht sollten sie unter allen Umständen Gebrauch machen!!
Machen Sie nur Angaben zu Ihrer Person (Name, Geburtsdatum, Anschrift, Familienstand, Staatsangehörigkeit und Beruf). Nur dazu sind Sie verpflichtet.
Sie müssen sich nicht selbst belasten – weder bei der polizeilichen Vernehmung,noch gegenüber der Staatsanwaltschaft. Daher schweigen Sie!!
Der Verteidiger wird zunächst Akteneinsicht nehmen und klären, was Ihnen vorgeworfen wird und welche Beweismittel gegen Sie vorliegen.
Erst nach der Akteneinsicht und der anwaltlichen Beratung haben Sie den Überblickund können, zusammen mit Ihrem Verteidiger, entscheiden, ob Sie zur Sacheaussagen möchten oder lieber von Ihrem Recht zu Schweigen weiterhin Gebrauch machen!
Fazit: Egal ob als Verdächtiger oder als Opfer – zu denken, man käme mit der unbekannten und undurchschaubaren Situation allein klar und könnte sie ohne fachmännische Hilfe zufriedenstellendlösen, ist eine Illusion.Weiterhelfen kann Ihnen nur ein Fachanwalt für Strafrecht!! Dieser auf das Strafrecht spezialisierte Rechtsanwalt, setzt sich in Ihrem Interesse mit Polizei, Staatsanwaltschaft und Strafgericht auseinander.
„Weiterhelfen kann Ihnen nur ein Fachanwalt für Strafrecht!! “
Wie wahr, ein Pflichtverteidiger reicht da nicht unbedingt, zwei oder drei auch nicht, wenn man in der Boulevardpresse zum Satan hochstilisiert wurde wie Z. in der *-Zeitung. Als Leibhaftige sollte man vielleicht doch ein wenig von sich geben, um diesen übernatürlichen Eindruck zu korrigieren.
„Erst nach der Akteneinsicht und der anwaltlichen Beratung haben Sie den Überblickund können, zusammen mit Ihrem Verteidiger, entscheiden, ob Sie zur Sacheaussagen möchten oder lieber von Ihrem Recht zu Schweigen weiterhin Gebrauch machen!“
Sicher, sicher. Wenn man überhaupt Akteneinsicht hatte, was mir dazu noch einfällt:
Die unwahrhaftig werthaltigen Ermittlungen insbesondere der Verfassungsschutzämter und anderer Institutionen, die -amtlich bestätigt- durch Nichtleistung geglänzt haben, diese haben
zur wohl größten Akten – und Datenvernichtungsaktion geführt, die in der Bundesrepublik stattgefunden hat.
Worüber man daher nachdenken kann: über Verfahrenshindernisse. Die Ergebnisse des Untersuchungsausscusses sind mehr oder weniger versickert, und es häufen sich Panikaktionen.
Das Schweigen passt auch irgendwie zu den Aktenvernichtungsaktionen.