Unter dieser Rubrik veröffentlichen wir – ähnlich einer juristischen Presseschau – regelmäßig Links zu interessanten Nachrichten, die Sie im Selbstleseverfahren rezipieren können.
Darf ein Angeklagter die Beantwortung der Fragen eines bestimmten Prozessbeteiligten insgesamt ablehnen und darf das Gericht daraus negative Schlüsse ziehen? Diese Frage ist praktisch unter dem Aspekt des Teilschweigens höchst relevant und bis heute nur wenig beleuchtet.
Nicht nur im NSU-Prozess gegen Beate Zschäpe u.a., sondern auch im Strafverfahren gegen Christina Block stellte sich die Frage, ob die Angeklagte es ohne für sie nachteilige Schlüsse ablehnen darf, die Fragen z.B. der Nebenklage zu beantworten. Reflexhaft wies die Vorsitzende im aktuellen Verfahren darauf hin, dass auch die Nebenklage ein Fragerecht hat – das ist natürlich richtig. Aber ist ein Angeklagter verpflichtet, sich deshalb auch von dem Nebenklagevertreter befragen zu lassen? Und darf das Gericht hieraus negative Schlüsse („Teilschweigen“) ziehen, wenn die Beantwortung von Fragen eines Prozessbeteiligten insgesamt abgelehnt wird?
Schweigerecht des Angeklagten und Teilschweigen
Klar ist, dass dem Angeklagten grundsätzlich ein umfassendes Schweigerecht zur Seite steht. Er muss sich nicht zum Beweismittel gegen sich selbst machen. Den Zeitpunkt seiner Einlassung und die Art bestimmt er grundsätzlich selbst, hieraus dürfen keine negativen Schlüsse gezogen werden. So darf die Einlassung in der Art einer Verteidigererklärung abgegeben und auch Fragen des Gerichts und aller anderen Prozessbeteiligten abgelehnt werden ohne dass hieraus negative Schlüsse gezogen werden dürften. Einzig ist der Beweiswert dieser Einlassung dann gemindert. Ob das Gericht diese als glaubhaft bewertet, dürfte in den meisten Fällen wohl verneint werden (was sich leider im Übrigen häufig auch nicht ändert, wenn der Angeklagte Fragen beantwortet).
Dies gilt aber nur insoweit in einer Verteidigererklärung bestimmte Aspekte einer prozessualen Handlung (bewusst?) offenbleiben, obwohl nach den Umständen Angaben hierzu zu erwarten gewesen wären und andere mögliche Ursachen des Verschweigens durch das Gericht ausgeschlossen werden können.
Flucht ins Schweigen: Teilschweigen auf einzelne Nachfragen und Vorhalte
Demgegenüber darf das teilweise Schweigen eines Angeklagten als Beweisanzeichen nachteilig verwertet werden, wenn er auf einzelne Nachfragen und Vorhalte keine oder lückenhafte Antworten gibt. Allerdings gilt auch hier das soeben Erwähnte, es dürfen nur dann nachteilige Schlüsse für den Angeklagten gezogen werden, wenn nach den Umständen Angaben zu dem verschwiegenen Punkt zu erwarten gewesen wären, andere mögliche Ursachen des Verschweigens ausgeschlossen werden können und die gemachten Angaben nicht ersichtlich lediglich fragmentarischer Natur sind, es sei denn, der Angeklagte hat zu dem betreffenden Teilaspekt auch auf konkrete Nachfrage hin keine Antwort gegeben.
Teilschweigen des Angeklagten bei Ablehnung nur der Fragen der Nebenklage?
Das ist natürlich auch schlüssig, denn das Gericht muss dann davon ausgehen, dass die Antwort nicht gegeben werden kann ohne sich direkt selbst zu belasten. Wenn der Angeklagte also die Frage nicht beantworten kann, warum er ein Messer mitgenommen hat, bleibt möglicherweise nur die Antwortoption, weil er schon von vornherein plante, das Messer auch einzusetzen. Das Gericht hat den Angeklagten dann gestellt und seine anderslautende Einlassung widerlegt.
Ablehnung der Beantwortung von Fragen eines Prozessbeteiligten
Was folgt aus diesen Grundsätzen allerdings für die Konstellation, in der der Angeklagte es insgesamt ablehnt, die Fragen der Staatsanwaltschaft oder der Nebenklage zu beantworten?
Der Angeklagte, der die Fragen des Gerichts und ggf. der Staatsanwaltschaft bereits beantwortet hat, hat wahrscheinlich eigene Gründe, die Fragen der Nebenklage nicht zu beantworten. Diese Gründe braucht er nicht näher zu erläutern, denn es steht ihm grundsätzlich frei, von seinem Schweigerecht Gebrauch zu machen.
Da sich diese Ablehnung aber nicht auf einzelne, konkrete Fragen bezieht, dürften hieraus keine nachteiligen Schlüsse in dem Sinne gezogen werden, dass er diese nicht beantworten könnte ohne sich selbst zu belasten – der Angeklagte kennt die Fragen schließlich noch gar nicht. Somit kann es sich formal gesehen gar nicht um ein Teilschweigen des Angeklagten handeln.
Allenfalls könnte das Gericht dadurch den Beweiswert der Einlassung eingeschränkt sehen, weil er sich nicht allen Fragen gestellt hat. Allerdings hat er alle Fragen beantwortet, die das Gericht für die Beweiswürdigung als relevant erachtete. Mit welcher Begründung sollte der Beweiswert der Einlassung herabgesetzt sein? Das Gericht hatte die Möglichkeit, die Richtigkeit zu prüfen.
Mir ist keine Entscheidung bekannt, in der diese Frage des Teilschweigens bereits vom Bundesgerichtshof behandelt worden wäre. Man darf gespannt sein, wie die Rechtsprechung diesen Punkt sieht. Über eine spannende Diskussion freue ich mich in den Kommentaren.
Jimi Blue Ochsenknecht, vom früheren Qualitätsmedium als „Prinz Protz“ verunglimpft, musste sich gestern vor dem Landesgericht Innsbruck verantworten wegen einer unbezahlten Hotelrechnung in Höhe von ca. € 14.000, was als Betrug angeklagt worden war. Eine Hotelrechnung nicht zu bezahlen ist dann als Betrug strafbar, wenn man von vornherein – schon beim Checkin – weiß, dass man die Rechnung nicht bezahlen wird, z.B. weil die finanziellen Mittel fehlen.
Bis hierhin alles wenig dramatisch – solche Verfahren gibt es tagtäglich zuhauf. Das Problem bestand darin, dass er für die österreichischen Justizbehörden offenbar nicht greifbar war, weil er seinen Wohnsitz unbekannt ins Ausland verlegt hatte (böse Zungen behaupten, er sei gar ohne festen Wohnsitz gewesen). Daher gab es einen europäischen Haftbefehl, der unglücklicherweise ausgerechnet am Flughafen Hamburg vollstreckt wurde. Die Folge war, dass er von Hamburg bis an die österreichische Grenze mit einem Sammeltransport verschubt werden musste. Und Strafrechtler wissen, dass das alles andere als angenehm ist, eingepfercht in eine Minizelle auf Rundreise durch zahlreiche Haftanstalten in ganz Deutschland.
Jimi Blue Ochsenknecht bleibt unbestraft
Gestern nun die Hauptverhandlung, die lediglich auf eine Stunde terminiert war, was auch nicht ungewöhnlich ist bei einem solchen Vorwurf. Jimi Blue Ochsenknecht räumte ein, die Rechnung nicht bezahlt zu haben und entschuldigte sich. Danach wurde das Strafverfahren gegen eine Geldauflage in Höhe von € 18.000 eingestellt – in Österreich Diversion genannt, in Deutschland Einstellung gegen Auflagen. Über die Schuld des Angeklagten wurde somit gar nicht gerichtlich entschieden, er gilt auch nicht als vorbestraft. Es gab also weder eine Geldstrafe, noch wurde er verurteilt oder schuldig gesprochen, wie die deutschen Qualitätsmedien behaupten.
Die Geldauflage kann er in sechs monatlichen Raten bezahlen, die ursprüngliche Rechnung war schon von seiner Ex-Partnerin bezahlt worden, was als Schadenswiedergutmachung positiv zu berücksichtigen war. Wer damals mitfeierte, ist meines Wissens nach öffentlich nicht bekannt.
Gab es einen Promi-Bonus?
Wie wäre das Verfahren in Deutschland ausgegangen? Sehr ähnlich, wahrscheinlich sogar noch „günstiger“ (außer in Bayern) ohne jetzt die Einkommenssituation von Jimi Blue Ochsenknecht näher zu kennen. Begleitet wurde er, so ist den Medien zu entnehmen, von zwei Kamerateams, die für die 5. Staffel „Diese Ochsenknechts“ drehten, die ab dem 16. September auf Sky/Wow zu sehen ist. Solche Geschichten schreibt nur das Leben.
Jimi Blue Ochsenknecht war in der letzten Staffel ins Format zurückgekehrt // Foto: Sky Deutschland
Und wer wirklich glaubte, für so eine Sache käme man in den Knast, dem ist eigentlich nicht mehr zu helfen und der hat unser Rechtssystem nicht verstanden! Unsere Haftanstalten platzen auch so schon aus allen Nähten. Einen „Promi-Bonus“ hat es hier ganz sicher nicht gegeben.
… aber leider ganz anders als gedacht bzw. erhofft!
Zuerst ein kleiner Rückblick: JuraBlogs war vor vielen Jahren *die* Referenzseite für juristische Blogs in Deutschland. Die Beiträge aller relevanten JuraBlogs liefen dort zusammen und man konnte sich leicht einen Überblick über neue juristische Beiträge verschaffen. Im Jahr 2018 ging das Projekt nach zwölf Jahren in den Ruhe(zu)stand, denn die alten Beiträge wurden weiterhin angezeigt, aber keine neuen Beiträge mehr. Ein Nachfolger ließ sich nicht finden, die große Zeit der Blogs ist seit Social Media eben vorbei.
Nun passiert wieder etwas auf JuraBlogs, die Seite wirbt für Online-Casinos in der Schweiz und nutzt dafür die früheren Beiträge und sogar Autoren aus, die über das Menü immer noch abrufbar sind. Vielleicht findet sich auf diesem Weg ja jemand, der dem einen Riegel vorschiebt.
So bleibt nun leider ein ziemlich fader Nachgeschmack des damals sehr erfolgreichen und stets lesenswerten Projekts. Schade!
Die Braunschweiger Zeitung berichtet über die Antrittsrede der neuen Leitenden Oberstaatsanwältin der Staatsanwaltschaft Braunschweig, Claudia Becker-Kunze, die sie am 14. August 2025 anlässlich einer Feierstunde hielt. Darin kam sie auch auf den Fall Josephine R. zu sprechen und verteidigte die Arbeit ihrer Behörde.
Zur Erinnerung, darum geht es im Fall Josephine R.:
Der Fall Josephine R.: Ein spektakulärer Justizskandal – Shortcut | DER SPIEGEL
Begriff des „Justizskandals“ inflationär gebraucht?
Staatsanwaltschaften klären Sachverhalte auf, „objektiv und unvoreingenommen“, stellte die Leitende Oberstaatsanwältin Becker-Kunze klar. Man dürfe die Arbeit der Behörden „sehr gerne“ kritisieren. In letzter Zeit werde ihrer Ansicht nach in der öffentlichen Diskussion der Begriff des „Justizskandals“ aber inflationär gebraucht:
„Es ist erstaunlich, was alles ein Justizskandal sein soll.“
Möglicherweise ist ihr in diesem Punkt sogar recht zu geben, denn bei dem Verfahrenskomplex Josephine R. handelt es sich nicht um einen Justizskandal, sondern um ein Justizversagen. Die Staatsanwaltschaft und das Gericht haben nicht nur die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ignoriert, sondern sich mit der Anzeigeerstatterin und späteren Nebenklägerin gemein gemacht und jede professionelle Distanz missen lassen. Selbst als die Polizei einen Bericht vorlegte, der zweifelsfrei offenbarte, dass die Angaben der Nebenklägerin keinesfalls stimmen können, führte auch dies zu keinem Umdenken – obwohl zwei Menschen in U-Haft saßen.
Im Gegenteil: Nachdem der Zwischenbericht der Polizei im Herbst 2023 der Staatsanwaltschaft vorlag, gelangte dieser erst im Mai 2024 zum zuständigen Landgericht, das kurz darauf den Haftbefehl gegen die Eltern mangels dringenden Tatverdachts aufhob.
Trotz offenkundiger Zweifel verurteilte das Landgericht Braunschweig die Mutter von Josephine R. zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren und sechs Monaten und ordnete ihre Unterbringung in der Sicherungsverwahrung an, ihren Lebensgefährten zu neun Jahren und sechs Monaten.
Der 6. Strafsenat am Bundesgerichtshof hob das Urteil allein auf die Sachrüge hin auf, da dieses zahlreiche Begründungsmängel aufwies und eine Überprüfung durch das Revisionsgericht nicht ermöglichte, u.a. deshalb, weil die früheren Aussagen der Nebenklägerin nicht mitgeteilt worden waren. Es ist schon traurig, dass dies gebetsmühlenartig immer wiederholt werden muss.
Steht Aussage gegen Aussage reicht bereits der Verdacht aus, die Anzeigeerstatterin könnte an einer Persönlichkeitsstörung leiden, um verpflichtend einen psychiatrischen Sachverständigen hinzuzuziehen, denn das Gericht darf sich in so einem Fall keine eigene Sachkunde zutrauen.
Im zweiten Anlauf folgte dann der Freispruch aus tatsächlichen Gründen für die Angeklagten, der auch von der Staatsanwaltschaft beantragt worden war. Dass die neue Behördenleiterin nun noch so tut, als hätte man von Beginn an stets „objektiv und unvoreingenommen“ ermittelt, ist blanker Hohn angesichts der zu Unrecht Verurteilten, die nahezu zwei Jahre zu Unrecht in der Untersuchungshaft ihrer Freiheit beraubt wurden – im wahrsten Sinne des Wortes.
„Objektiv und unvoreingenommen“?
Die Staatsanwaltschaft Göttingen sollte auf die Strafanzeige gegen die Oberstaatsanwältin, die die Ermittlungen damals leitete, prüfen, ob ihr eine Rechtsbeugung oder Freiheitsberaubung in mittelbarer Täterschaft zur Last liegt. Schon einen Anfangsverdacht will die Staatsanwaltschaft Göttingen hier allerdings nicht erkennen können.
Ist es üblich, muss man sich fragen, wenn die Oberstaatsanwältin ein enges Näheverhältnis zu der Anzeigeerstatterin und deren Anwältin unterhält, dass man sich duzt, per Kurznachrichten (über private Geräte?) kommuniziert und auf die Postkarte der Anzeigeerstatterin gerichtet an die Oberstaatsanwältin über die Anwältin antwortet:
„Sag ihr [der Anzeigeerstatterin], wir werden den Weg gemeinsam ohne böse Menschen bis zum Meer weitergehen. In 26 Dienstjahren ist es das schönste Ziel, was mir jemand gesagt hat. Lieben Dank dafür.“
Wenige Stunden nach dieser Nachricht sitzen die Eltern in Untersuchungshaft, nachdem vereinbart worden war, dass die Anzeigeerstatterin ein Codewort an ihre Anwältin schickt, die dieses wiederum – nach Mitternacht – der Oberstaatsanwältin weiterleitet und die dann die Kavallerie losschickt. Um 0:32 Uhr rammen Polizisten die Tür des Elternhauses aus der Verankerung und die Handschellen klicken. Ist das eine „objektiv und unvoreingenommen“ geführte Ermittlung?
Ein Justizskandal? Eher ein komplettes Justizversagen. Und leider kein Einzelfall.
Dass die Oberstaatsanwältin noch in der Nacht der Anzeigeerstatterin ins Krankenhaus folgt, um sich an ihrem Krankenbett zu versichern, dass es ihr gut gehe, dürfte befremdlich anmuten, sofern man weiß, dass Staatsanwältinnen und Staatsanwälte eher Distanz wahren und üblicherweise vor einer Hauptverhandlung nie persönlich Kontakt zu Anzeigeerstattern haben.
Man darf gewiss sein, dass das letzte Wort in dieser Angelegenheit noch nicht gesprochen ist.