Als steuerpflichtiger Bürger könnte man mitunter tatsächlich auf den Gedanken kommen, die geltenden Steuergesetze und -vorschriften nicht so genau zu nehmen – in der Hoffnung, dass das schon nicht auffallen werde. Der Staat tritt seinen Bürgern mit einem hohen Vertrauensvorschuss gegenüber, die Besteuerung erfolgt nahezu ausschließlich nach dem Vertrauensprinzip.
Grundsätzlich sind meist keinerlei Belege mehr vorzulegen, die Finanzbehörden glauben häufig geradezu „blind“, was der Steuerpflichtige deklariert. Mit Ausnahme einer Plausibilitätskontrolle wird nach Übermittlung der elektronischen Daten an das Finanzamt nicht sehr viel geprüft. Erst wenn Unregelmäßigkeiten auffallen, kann es zu einer steuerlichen Betriebsprüfung kommen. In diesem Rahmen wird dann jeder Beleg dreifach umgedreht – wer das schon einmal erlebt hat, kennt die unangenehme Situation. Allerdings: Von den 7.920.418 Betrieben, die in der Betriebskartei der Finanzämter erfasst sind, wurden im Jahr 2013 lediglich 193.573 Betriebe geprüft – also gerade einmal 2,4 Prozent. Darunter waren 21,3 % der Großbetriebe, 6,5 % Mittelbetriebe, 3,2 % Kleinbetriebe und nur 1,1 % aller Kleinstbetriebe.
Systembedingt nicht sehr intensive Kontrollmechanismen
Nun könnte man als Verteidiger in einem Verfahren wegen Steuerhinterziehung auf die Idee kommen, der Fiskus trage eine Mitschuld an der Verkürzung, gerade weil er Steuerpflichtige nur (sehr) stichprobenartig überprüfe. Mit einer solchen Argumentation hatte sich nun der 1. Strafsenat am Bundesgerichtshof auseinanderzusetzen. Dieser kommt zu dem Schluss dass es zwar grundsätzlich zutreffe, dass das Verhalten des Steuerfiskus als Verletztem – nicht anders als bei einem sonstigen Geschädigten einer Straftat – strafmildernd berücksichtigt werden kann, wenn es für den Taterfolg mitverantwortlich war. Jedoch sei das Besteuerungssystem auf wahrheitsgemäße Angaben des Steuerpflichtigen angewiesen, da eine Überprüfung aller steuerrechtlich relevanten Sachverhalte durch die Finanzämter ausgeschlossen ist. Missbraucht ein Täter die systembedingt nicht sehr intensiven Kontrollmechanismen, kann ihm das nicht zugutekommen.
Grundsätzlich keine Mitverantwortung des Fiskus
Deshalb ist eine staatliche Mitverantwortung für Steuerverkürzungen regelmäßig nur gegeben, wenn das den staatlichen Stellen vorwerfbare Verhalten unmittelbar auf das Handeln des Täters Einfluss genommen hat – etwa weil er bislang nicht tatgeneigt war oder ihm wenigstens durch das Verhalten der Finanzbehörden die Tat erleichtert wurde – und den staatlichen Stellen die Tatgenese vorgeworfen werden kann. Demgegenüber ist eine bloße kausale Mitverursachung eines Taterfolgs durch staatliche Stellen nicht ausreichend.
Einen Anspruch darauf, dass Ermittlungsbehörden rechtzeitig gegen einen Täter einschreiten, um seine Taten zu verhindern, besteht nicht und folgt insbesondere auch nicht aus dem Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRK.
BGH, Urt. v. 27.01.2015 – 1 StR 142/14
Das wird dem ehemaligen Innenminister Friedrich und seinem proklamierten “Supergrundrecht” auf Sicherheit, nicht gefallen.….…..