Gerade in der vergangenen Woche veröffentlichte das Landgericht München II das Urteil gegen Uli Hoeneß, jetzt hat das Landgericht Regensburg das 121-seitige Urteil des Wiederaufnahmeverfahrens zugunsten Gustl Mollath auf seiner Internetseite veröffentlicht, der am 14. August 2014 freigesprochen wurde (6 KLs 151 Js 4111/2013 WA).
Auch der ehemalige Verteidiger von Gustl Mollath, Gerhard Strate, hat in seiner Dokumentation des Verfahrens das schriftliche Urteil des Landgerichts Regensburg veröffentlicht – erfreulicherweise allerdings in einer nicht-anonymisierten Form. Da alle Zeugen und Sachverständige in öffentlicher Hauptverhandlung gehört wurden und auch alle im Urteil zitierten Dokumente in öffentlicher Hauptverhandlung verlesen worden sind, spreche nichts gegen die Publikation.
Revision gegen das Urteil eingelegt
Mollath selbst ist mit diesem Urteil nicht zufrieden („Diese Art von Freispruch habe ich schon siebeneinhalb Jahre genossen“) und besteht auf einen Freispruch „erster Klasse“ – also wegen erwiesener Unschuld. Sein neuer Rechtsanwalt Adam Ahmed hat bereits Rechtsmittel eingelegt, derzeit läuft die Revisionsbegründungsfrist. Ob eine Revision in diesem Fall überhaupt zulässig ist, wird der Bundesgerichtshof zu entscheiden haben. Der Freigesprochene ist durch den Tenor des Urteils nicht beschwert, was – nach allgemeiner Ansicht – Voraussetzung für die Zulässigkeit der Revision ist. Die Gründe allein können dagegen niemals eine Beschwer enthalten1:
Ergeben sie [die Gründe], dass der Angeklagte aus Mangel an Beweisen freigesprochen worden ist, so kann er nicht Revision einlegen, um wegen erwiesener Unschuld freigesprochen zu werden.2 Auch wenn das Urteil den Angeklagten wegen Zurechnungsunfähigkeit (z.B. wegen Geisteskrankheit) freispricht, ist er nicht beschwert, selbst dann nicht, wenn die Feststellung der Geisteskrankheit ihn praktisch viel härter trifft, als eine Verurteilung ihn treffen würde. (…)
Wollte man die Anfechtung wegen jeder beschwerenden Ausführung der Urteilsgründe zulassen, so würde das zu einer uferlosen Ausweitung des Verfahrens führen.
Glaubwürdigkeit der Angaben der Nebenklägerin
Die 6. Strafkammer unter Vorsitz von Richterin Elke Escher hatte Mollath von den Vorwürfen der Körperverletzung, der Freiheitsberaubung und der Sachbeschädigung freigesprochen. Dennoch war die Kammer davon überzeugt, dass Mollath seine damalige Ehefrau im Jahr 2001 sowohl angegriffen, sie geschlagen, getreten, gebissen und gewürgt habe:
Die Kammer erachtet die Aussagen der Nebenklägerin insbesondere deshalb als glaubhaft und überzeugend, weil die Hauptverhandlung zeitnahe Tatschilderungen durch die Nebenklägerin zu Zeitpunkten ergeben hat, als Angeklagter und Nebenklägerin noch zusammenlebten und keinerlei überzeugendes Motiv für eine Falschbeschuldigung bestand (…) Zudem ergibt sich eine Konstanz der Angaben der Nebenklägerin hinsichtlich des festgestellten Kemgeschehens aus deren zeitnahen Schilderungen, den weiteren später erfolgten Äußerungen gegenüber den vernommenen Zeugen und den verlesenen Protokollen über ihre Vernehmungen (…) Ferner sind die von der Nebenklägerin geschilderten Verletzungshandlungen mit dem festgestellten Verletzungsbild auch aus rechtsmedizinischer Sicht zu vereinbaren.3
Die Kammer setzte sich zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin und ihrer Glaubwürdigkeit auch mit der Frage auseinander, ob die Angaben des Arztes glaubhaft sind, der der Ehefrau damals das Attest ausstellte:
Die Angaben des Zeugen (…) sowie das Attest vom 14.8.2001 werden nämlich durch den von der RBA Nürnberg gefertigten Auszug aus dem Praxis-Backup vom 27.3.2002 bestätigt, aus dem sich ergibt, dass die Word-Datei mit der Bezeichnung (…), die das Attest vom 14.8.2001 beinhaltet, tatsächlich bereits am 14.8.2001 gespeichert wurde. Damit ist auch eine erst nach der Trennung der Nebenklägerin vom Angeklagten erfolgte erstmalige Ausstellung des Attests ausgeschlossen.4
Insbesondere konnten zwei Zeugen unabhängig voneinander das Vorliegen von Verletzungen am Hals, eine markante und beeindruckende Bissverletzung am Arm rechts und eine Verletzung am Kopf im Bereich der rechten Schläfe in Form blauer Flecken bestätigen. Auch die ungenaue Dokumentation der Verletzungen begründen keine Zweifel an der Richtigkeit der Feststellungen, denn nach der Erfahrung der Kammer und des Sachverständigen Prof. Dr. Eisenmenger legen Hausärzte andere Maßstäbe an die Erstellung von Attesten an als Gerichte und Rechtsmediziner.
Im Ergebnis schloss die Kammer ein durchschlagendes Motiv für eine Falschbeschuldigung bereits am 14.8.2001 und im Herbst 2001 bzw. Winter 2001/2002 sicher aus. Hierbei bedachte die Kammer vor allem die Möglichkeit, dass die Nebenklägerin den Angeklagten zu Unrecht beschuldigt haben könnte, um die Aufdeckung von Schwarzgeldverschiebungen und illegalen Bankgeschäften sowie hochriskanten Spekulationsgeschäften zu verhindern, hält dieses Motiv für eine Falschbezichtigung des Angeklagten zu den maßgeblichen Zeitpunkten jedoch für nicht überzeugend:
Zu diesen Zeitpunkten lebten Nebenklägerin und Angeklagter nicht nur noch zusammen, sondern der Angeklagte war im Hinblick auf die im Zusammenhang mit den Bankgeschäften der Nebenklägerin erhobenen Vorwürfen noch nicht an Dritte herangetreten. Die Schreiben des Angeklagten an Banken und Dritte, die in die Hauptverhandlung eingeführt worden sind, datieren sämtlich vielmehr auf Zeiträume nach der Trennung.5
Schließlich setzte sich die Kammer sehr ausführlich mit der Konstanz der Aussagen der Nebenklägerin6 und der Entstehungsgeschichte der Anschuldigungen auseinander7.
Schuldfähigkeit des Angeklagten
Zur Frage der Schuldfähigkeit schließt sich die Kammer in der Gesamtschau des Ergebnisses der Beweisaufnahme aufgrund eigener kritischer Prüfung den Ausführungen des Prof. Dr. Nedopil an und berücksichtigte dabei auch alle Umstände, welche die Bewertung des Sachverständigen in Frage stellen könnten8. Dieser ist in seinem in der Hauptverhandlung mündlich erstatteten Gutachten überzeugend zu dem Ergebnis gelangt, dass es möglich und nicht ganz fernliegend sei, dass beim Angeklagten eine schwere andere seelische Abartigkeit in Form einer wahnhaften Störung Vorgelegen habe und zwar bereits am 12.08.2001, und dass der Angeklagte auf Grund dieser Störung bei Tatbegehung möglicherweise nicht in der Lage gewesen sei, sein Verhalten zu steuern.9 Im Weiteren erscheint der Kammer der Schluss des Sachverständigen Nedopil, beim Angeklagten seien auffällige Verhaltensweisen festzustellen, die die Integration von Erlebnissen in ein geschlossenes Denksystem zeigten, nach der Beweisaufnahme nachvollziehbar und überzeugend.10 Der Angeklagte war demnach aus rechtlichen Gründen freizusprechen, da er nicht ausschließbar ohne Schuld im Sinne von § 20 StGB handelte.
In der Gesamtschau der feststellbaren Persönlichkeitszüge, Verhaltensweisen und der Tatbegehung ist nicht ausschließbar, dass beim Angeklagten am 12.8.2001 eine so schwerwiegende Abweichung in der Persönlichkeitsstruktur vorlag, dass sie nach Art und Ausprägungsgrad aus rechtlicher Sicht dem vierten Eingangskriterium des § 20 StGB zuzuordnen ist. (…)
Die festgestellten Persönlichkeitszüge und Verhaltensweisen belegen nämlich Anzeichen für einen gewissen Realitätsverlust des Angeklagten und ein Bewe gen in einem geschlossenen System, die der Sachverständige als charakteristisch für das Vorliegen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit aus medizinischer Sicht bezeichnet hat.11
Dennoch liegen die Voraussetzungen des § 63 StGB aus rechtlichen Gründen nicht vor, da es nach den Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme bereits an der Begehung einer rechtswidrigen Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit oder verminderten Schuldfähigkeit fehlt. Die Kammer schließt sich auch insoweit den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. Nedopil an, wonach eine aufgehobene oder verminderte Schuldfähigkeit bei Tatbegehung zwar nicht auszuschließen, aber auch nicht beweisbar ist.
Sachbeschädigung und Entschädigung
Hinsichtlich der Sachbeschädigung ist die Kammer nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung zwar von einer gezielten Manipulation der Reifen und Fensterscheiben, jedoch nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit von der Täterschaft des Angeklagten überzeugt. Gegen die Täterschaft des Angeklagten spricht insbesondere, dass Manipulationen auch an Reifen von Personen festgestellt wurden, die weder mit dem Angeklagten noch der Nebenklägerin in Verbindung gebracht werden können.
Für die Zeiträume der Unterbringung ist der Angeklagte nach § 1 Abs. 1, 2, § 2 Abs. 1, 2 Nr. 1, § 8 StrEG zu entschädigen.
Wobei es doch bei Mollath so war, dass nicht ausgeschlossen werden konnte, dass er nicht schuldfähig war und er deshalb wegen freigesprochen wurde. Hier hat die Richterin also nicht „aus Mangel an Beweisen“ freigesprochen, sondern geurteilt, dass Mollath die Tat begangen hat, ihn gleichzeitig aber freigesprochen, weil er möglicherweise schuldunfähig war. Dieser „Freispruch“ ist dann doch nochmal etwas anderes, als wenn die Richterin ihn aus Mangel an Beweisen freigesprochen hätte.
Auf „de legibus“ gibt es einen interessanten Artikel dazu.
http://blog.delegibus.com/2014/08/28/fall-mollath-zum-freispruch-verurteilt/
Es kommt doch auf etwas anderes an: ein Freigesprochener hat keinen Anspruch auf einen Freispruch wegen erwiesener Unschuld.
@Strafakte.de: …, wenn er aus Mangel an Beweisen freigesprochen wurde. Das ist der erste Teil des im Blogartikel zitierten Leitsatzes (?)
Und da ist ein mMn erheblicher Unterschied zum Mollath Urteil. Oliver Garcia sieht das Hauptproblem in der Feststellung des Gerichts, dass Mollath möglicherweise schuldunfähig und nur deshalb freizusprechen war. Und für mich klingen seine Ausführungen schlüssig.
Das der BGH die Revision trotzdem ablehnt, halte ich aber auch für wahrscheinlich. Insofern wird es spannend, ob Mollath dann zum BVerfG geht.