Das Bundesverfassungsgericht musste sich im August in zwei weiteren Verfassungsbeschwerden mit der Negativmitteilung zur Verständigung im Strafverfahren (Deal) befassen. Dabei war durch das Urteil vom 19.03.2013 (BVerfGE 133, 168) eigentlich alles gesagt.
In den heute veröffentlichen Beschlüssen vom 26. August 2014 weist das Bundesverfassungsgericht unmissverständlich darauf hin, dass ein Gericht jeweils zu Beginn der Hauptverhandlung mitzuteilen hat, ob Gespräche über die Möglichkeit einer Verständigung stattgefunden haben. Auch eine Negativmitteilung, dass solche Gespräche nicht stattgefunden haben, ist erforderlich.
„in unvertretbarer und damit objektiv willkürlicher Weise“
Ein verfassungsgerichtliches Eingreifen gegenüber Entscheidungen der Fachgerichte unter dem Gesichtspunkt des Willkürverbots (Art. 3 Abs. 1 GG) kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht. Willkürlich ist ein Richterspruch nämlich erst dann, wenn die Rechtsanwendung oder Verfahren unter keinem denkbaren Aspekt mehr rechtlich vertretbar sind und sich daher der Schluss aufdrängt, dass die Entscheidung auf sachfremden Erwägungen beruht.
Den mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Revisionsentscheidungen des 5. Strafsenats am Bundesgerichtshof liegt allerdings eine Auslegung des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO zugrunde, nach der eine Mitteilungspflicht nicht bestehen soll, wenn auf eine Verständigung hinzielende Gespräche nicht stattgefunden haben. Diese Auslegung verstößt in unvertretbarer und damit objektiv willkürlicher Weise gegen den eindeutigen objektivierten Willen des Gesetzgebers, wie dieser schließlich in BVerfGE 133, 168 herausgearbeitet wurde.
Sprachlich wenig geglückt – Negativmitteilung dennoch unumgänglich
Der Wortlaut des sprachlich wenig geglückten § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO lautet:
„Der Vorsitzende teilt mit, ob Erörterungen nach den §§ 202a, 212 stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c) gewesen ist und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt.“
Dieser Wortlaut erscheint zwar auf den ersten Blick mehrdeutig – einerseits „ob“, andererseits „wenn“ –, lässt jedoch durch die dann folgende Formulierung „und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt“ auf das Bestehen einer Mitteilungspflicht auch für den Fall schließen, dass derartige Verständigungsgespräche nicht stattgefunden haben (sog. Pflicht zur Negativmitteilung), weil es des Zusatzes „und wenn ja“ ansonsten nicht bedurft hätte. Da der Gesetzeswortlaut selbst bei einer Ersetzung des „ob“ durch ein „dass“ unverständlich bliebe, ist nicht das „ob“, sondern das „wenn“ als Redaktionsversehen einzuordnen.
Nicht zuletzt die Gesetzessystematik spricht ebenso für eine Negativmitteilungspflicht. Wenn in § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO von „Änderungen gegenüber der Mitteilung zu Beginn der Hauptverhandlung“ die Rede ist, so lässt dies allein den Schluss zu, dass zu Beginn der Hauptverhandlung in jedem Fall eine Mitteilung – sei es positiv oder negativ – zu erfolgen hat.
Die vom Bundesgerichtshof favorisierte Auslegung, wonach eine Mitteilungspflicht nur bestehe, wenn auf eine Verständigung hinzielende Gespräche tatsächlich stattgefunden haben, wird nun – völlig zurecht – hoffentlich der Vergangenheit angehören.
BVerfG, Beschl. v. 26.08.2014 – 2 BvR 2172/13, 2 BvR 2400/13
Neben einer Entscheidung des 5. Strafsenats, wurde auch eine Entscheidung des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs kassiert. Im Grunde ging die Rechtsprechung vom 2. Senat aus, der 5. Senat schloss sich an. Brisant wird es aus meiner Sicht, nachdem Herr Fischer nun Vorsitzender des 2. Senats ist. Dieser wird den Vorwurf der Willkür sicher nicht auf „seinem“ Senat sitzen lassen!
@Johannes Kalb: Die beiden Beschlüsse 2 BvR 2172/13 und 2 BvR 2400/13 bezogen sich allerdings auf Entscheidungen des 5. Strafsenats: 5 StR 310/13 und 5 StR 258/13.
Im Urteil BGHSt 58, 315, das Johannes Kalb meint, hatte der 2. Strafsenat geschrieben, daß die Argumentation des BVerfG „einfachrechtlich nicht schlüssig“ sei. Detlef Burhoff meinte damals dazu lakonisch, das werde man am Schloßplatz nicht so gerne lesen (http://blog.strafrecht.jurion.de/2013/08/bverfg-einfachrechtlich-nicht-schluessig-bgh-zur-mitteilungspflicht-bei-der-absprache/). Mit Recht, wie sich nun zeigt.
Gegen BGHSt 58, 315 und alle ihm folgenden Entscheidungen, die nicht rechtzeitig mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen worden sind, dürfte nun die Wiederaufnahme nach § 79 Abs. 1 BVerfGG zulässig sein („auf der Auslegung einer Norm beruht, die vom Bundesverfassungsgericht für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden ist“).
Mein Fehler, habe mich ungenau ausgedrückt. OG hat es für mich gerade gerückt.