Wie ein Gefangener von A nach B kommt, darüber werden sich wohl die wenigsten schon einmal Gedanken gemacht haben. Ich bin im Praktikum am Amtsgericht Hamburg-Altona in die Praxis der Gefangenensammeltransporte eingeweiht worden. Ein Vater, der inzwischen in Süddeutschland lebte, war gem. § 170 StGB wegen Verletzung der Unterhaltspflicht angeklagt. Wiederholt hielt er es nicht für nötig, sich dem Strafprozess in Hamburg zu stellen und blieb unentschuldigt fern. Nach dem dritten Anlauf hatte der Strafrichter die Nase voll und erließ gem. § 230 Abs. 2 StPO einen Vorführungshaftbefehl. Praktisch läuft das dann so ab, dass der Mann rechtzeitig vor dem Termin verhaftet wird und quer durch Deutschland mit Gefangenensammeltransporten von Justizvollzugsanstalt zu Justizvollzugsanstalt „verschubt“ wird. Dauer: ca. zwei Wochen.
Verschubung einmal quer durch Deutschland
In einem Aufsatz im Strafverteidiger (StV 2008, 611) schildert Andreas Mroß die „Realität und Rechtswidrigkeit der gegenwärtigen Transporthaft“ so:
Die Person wird in eine Kabine eingesperrt. Die Kabine befindet sich eingebaut in einem Bus. Die Fahrt wird mehrere Stunden dauern. In Stehhöhe dieser Kabine ist ein Sehschlitz angebracht. Die Milchglasscheibe lässt sich nicht öffnen. Die Person kann die Außenwelt nicht sehen. Eine Frischluftzufuhr von außen gibt es nicht. Ebenso wenig ist der Raum klimatisiert. An sonnigen Tagen wird es in der Kabine unerträglich heiß. Die Grundfläche der Kabine beträgt weniger als einen halben Quadratmeter. Die Person erreicht irgendwann am Tag ein Zwischenziel. Sie wird nun in einen spärlichst eingerichteten Haftraum verbracht. Nichts persönliches ist vorhanden. Den Rest des Tages bleibt sie unter Verschluss. Findet die Weiterfahrt erst am übernächsten Tag statt, mag die Person am Folgetag an einem einstündigen Hofgang teilnehmen dürfen. Eine Kontaktmöglichkeit zur Familie, zu Angehörigen oder zum Verteidiger gibt es in dieser Zeit nicht. Die Behandlung kann zwei Wochen oder länger dauern.
Die Odyssee führt einen Gefangenen dann durch mehrere Haftanstalten in ganz Deutschland (zehn Stationen sind keine Seltenheit). Es gibt ein ganzes Netz von Schubbussen mit eigenem Fahrplan, die zwischen den Justizvollzugsanstalten pendeln. Deutschlandweit sind 2.000 Busse im Einsatz, die täglich ca. 6.000 Gefangene transportieren. Da diese Busse einen festen Linienverkehr zwischen Haftanstalten fahren, ist es üblich, dass eine Umverlegung von Nordost nach Südwest für den Gefangenen eine mehrwöchige Reise darstellt.
Transporte ließen sich oftmals leicht vermeiden
Fragwürdig ist diese Situation insbesondere, weil derartige Transporte häufig vermeidbar und durch einen kurzen Brief des Verteidigers abzuwenden wären. Steht dem Zeugen etwa ein Auskunftsverweigerungsrecht gem. § 55 StPO zu, so beschränkt sich sein Erscheinen in der Hauptverhandlung auf die Erklärung, nichts sagen zu wollen. Das hätte der Verteidiger allerdings auch in einem Brief mitteilen können und der Transport bliebe dem Häftling erspart. Hat er allerdings keinen (fähigen) Verteidiger, geht es für diese Erklärung einmal quer durch Deutschland.
Auch der Transport des angeklagten Vaters aus Süddeutschland nach Hamburg hätte sich wohl vermeiden lassen, wenn er einen Verteidiger gehabt hätte. Dieser hätte ihm sicherlich deutlich vor Augen geführt, was ihn erwartet, wenn er wiederholt dem Termin fernbleibt. Auch durch ein Telefonat des Strafverteidigers mit dem Richter hätte sich der Vorführungshaftbefehl noch nach dessen Anordnung außer Vollzug setzen lassen. Tja: Hätte, hätte, Fahrradkette.
Haben Sie mal in das „Kursbuch“ geschaut? In höchstens 5 Tagen und 25 Std. Netto-Fahrtzeit kommen Sie von so gut wie jedem Ort in Deutschland an jeden anderen. Für eine Fahrt von „mehreren Wochen“ muss wirklich alles schiefgehen.
@Jens: Ja, das Versprechen kennt man von der Bahn ja auch. Wie es bei Fahrplänen aber so ist, fällt dann ein Transport aus, der andere ist schon voll (es gibt ja nur eine sehr begrenzte, feste Zahl an Plätzen) und dann liegt das Wochenende dazwischen und schon sind es mehr Tage. Schließlich geht die Reise oftmals ja genauso auch wieder zurück.
§ 55 StPO gibt kein Zeugnisverweigerungsrecht, sondern ein Auskunftsverweigerungsrecht. Dieser Unterschied ist nicht ganz unwesentlich. Und kein Vorsitzender wird ernsthaft das Risiko eingehen, dass sein Urteil am Ende deshalb fliegt, weil er einen Zeugen nicht geladen oder wieder abgeladen hat, nur weil dessen Zeugenbeistand mitgeteilt hat, dass er nichts sagen will – schon allein weil einer der Beteiligten anfangen können wollte, über das Recht, Zeugnis oder Auskunft zu verweigern, streiten zu wollen.
Und ob ein Richter, dem schon mehrfach Termine geplatzt sind, einen 230er Haftbefehl einfach mal so wegen eines netten Anrufs des Verteidigers außer Vollzug setzt, wage ich dann auch zu bezweifeln…
@Ein Ermittlungsrichter: Der Richter am AG Altona, bei dem ich das Praktikum ableistete, hatte mir gesagt, dass er auf einen Anruf des Verteidigers hin den Haftbefehl wieder außer Vollzug gesetzt hätte, weil ihm ausgesprochen unwohl dabei war, einen Angeklagten wegen eines geringfügigen Delikts zwei Wochen quer durch die Republik verschuben zu lassen. In dem konkreten Fall sind die Zweifel daher unberechtigt.
Was den § 55 StPO angeht, haben Sie natürlich recht. Ich hatte die Passage mehrfach umgeschrieben, so dass dies durchgerutscht ist. Ich habe es oben korrigiert.
@Strafakte.de:
Noch interessanter wird es ja, wenn der Richter im Grunde schon weiss, dass der Angeklagte freizusprechen ist.
Wobei der Fall ja noch seltener vorkommen dürfte, denn ein Unschuldiger wird eher geneigt sein anzureisen. besonders wenn er Justiz noch nicht kennt und glaubt dann auch freigesprochen werden zu müssen.
Das Symbolbild des „Schubbusses“ ist ja etwas missverständlich gewählt, handelt es sich doch (nicht nur nach der Beschriftung) um einen für den Personentransport vorgesehenen Reisebus der Polizei (und kein Fahrzeug der Justiz, das nicht nur anders beschriftet wäre, sondern zudem auch keine so großzügigen Fensterfronten hätte). Der abgebildete Bus jedenfalls sieht nicht nur bequem aus, er ist es aller Voraussicht nach aus. :-)
Gefangenentransportfahrzeuge dieser Größenordnung sehen etwa so aus wie http://www.polizeimodelle-shop.de/WebRoot/Store21/Shops/62612703/4BEF/10BB/4491/4FA9/438A/C0A8/28BE/D628/Vorbild_Variante_B_ab2008.jpg oder http://www.polizeiautos.de/pics/nds-mw-mb-gefkw_h2314v.jpg – man erkennt deutlich die schmalen vergitterten Öffnungen.
@Thomas Hochstein: Das ist richtig. Das Foto taugt eher als Symbolfoto. Danke für den Hinweis.
Eine weitere Möglichkeit wäre, bei Nichterscheinen einen Strafbefehl, bei Bewährungsstrafe mit Pflichtverteidiger, zu erlassen, sodass im ggf. anzuberaumenden Einspruchstermin der Einspruch verworfen oder (nur) mit dem Verteidiger verhandelt werden kann, 411 Abs. 2 StPO.
Ich hatte vor ein paar Jahren 6 Monate Gelegenheit als Hausarbeiter die Verschubung aus nächster Nähe zu beobachten – bzw. die passenden Gespräche zu führen. Die für die „armen Schweine“ die auf Schub sind vorgesehenen Hafträume sind meist die schlechtesten in der ganze JVA. Wäschewechsel/Einkauf/Telefonate gibt es nicht, Körperpflege ist oft nur bedingt möglich. Mitnahme eines TV/Radio gibt es quasi nicht und so ist der Gefangene noch mehr auf sich selbst reduziert als sonst. Übrigens kann man als vermögender Knacki auch im Einzeltransport reisen; 0,30 je KM und 30€ je Beamtendienststunde kann man ansetzen, das ganze in einem Kleinbus – mit solchen wird man auch zu Gericht gefahren. Herr Hoeneß ist sicher nicht im Sammeltransport gereist. Und nur so als Anmerkung: Schlachtvieh wird humaner transportiert, da läuft die Belüftung auch wenn das Fahrzeug steht, im Schubbus nicht und an jedem Haltepunkt dauert der Zwischenstop bis zu 30 Minuten. Zu Fahrtantritt bekomt man eine Flasche Wasser, ein paar Stullen und (mit Glück) ein Stück Obst – ähnliches gilt auch für die Fahrt zu Gericht. Hätten Gefangene eine Lobby wie Tiere wär diese Prozedur längst verboten.
Ich habe gelesen, dass diese Busse sogenannte „Bahnhöfe“ anfahren,also ähnlich einem Bahnhof, wo die Gefangenen wiederum auf andere Busse verteilt werden. Wie funktionieren diese Transporte genau? Bedeutet das,dass die Gefangenen an diesem Bahnhof abgesetzt bzw. von anderen Bussen abgeholt werden?
ich hatte in meinem studium einen fall wo ein geschaeftsmann an der schweizer grenze verhaftet wurde und einen monat nach norddeutschland transportiert wurde. anscheinend war es vorrschrift das der gefangene jeweils bei ankunft an einer station nach drogen durchsucht wird. und das beinhaltet ihm einen finger in den anus zu stecken. als er entlich am ziel ankahm merkten sie den namen falsch gelesen haben und liessen ihn frei.