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StPO-Reform 2017: Änderungen im Ermittlungsverfahren

Am 24. August 2017 ist das „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ in Kraft getreten. Diese StPO-Reform beschert uns neben starken Grundrechtseingriffen, wie der Quellen-Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) und Online-Durchsuchung, weitere Änderungen, die insbesondere aus Verteidigersicht nicht zu unterschätzen sind. Hier zunächst eine Übersicht der Änderungen im Ermittlungsverfahren:

Kein Richtervorbehalt für Blutprobenentnahmen, § 81a StPO

Bei Straßenverkehrsdelikten, die im Zusammenhang mit Alkohol oder Drogen stehen, bedarf es für Blutprobenentnahmen nach der Neufassung des § 81a Abs. 2 S. 2 StPO keiner Anordnung eines Richters mehr. Davon erfasst sind die Taten nach § 315a Abs. 1 Nr. 1 StGB (Gefährdung des Bahn-, Schiffs- und Luftverkehrs durch Trunkenheit), § 315c Abs. 1 Nr. 1 lit. a StGB (Gefährdung des Straßenverkehrs durch Trunkenheit), sowie § 316 StGB (Trunkenheit im Verkehr). Hiervon sind über § 46 Abs. 4 S. OWiG sowie außerdem auch die Ordnungswidrigkeiten nach § 24a StVG (Trunkenheits-/Drogenfahrten) und § 24c StVG (Alkoholverbot für Fahranfänger) erfasst. Durch diese Norm wird ein bisher durch das Bundesverfassungsgericht als rechtswidrig und teilweise sogar mit Verwertungsverboten geahndetes Handeln der Polizei legalisiert. Entsprach es zuvor häufig der Praxis, insbesondere nachts, den Richtervorbehalt zu umgehen, erlaubt die Neufassung des § 81a StPO genau diese – verfassungsrechtlich nicht unbedenklichen – Maßnahmen der Polizei.

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Präzisierung molekulargenetischer Untersuchungen, § 81e StPO

Eine geringfügige Änderung findet sich auch in § 81e StPO. Zum einen werden die Möglichkeiten um die Erstellung von DNA-Identifizierungsmustern ergänzt: Der Gesetzeswortlaut beschränkte die molekulargenetischen Untersuchungen bislang auf die Feststellung der Abstammung oder der Tatsache, ob aufgefundenes Material dem Beschuldigten oder dem Verletzten zuzuordnen ist.

Der Begriff „Spurenmaterial“ wurde durch „Material“ ersetzt. Dies ist der Situation geschuldet, dass in der Praxis häufig die Frage aufkam, wie mit Fällen umzugehen sei, in denen keine Sicherheit darüber bestehe, ob das Untersuchungsmaterial überhaupt Vergleichsspuren enthalte. Oft war daher unklar, ob Untersuchungen nach § 81e StPO durchgeführt werden durften, denn ob es sich tatsächlich um „Spurenmaterial“ handelte, sollte durch die Untersuchung erst festgestellt werden. Untersuchungen sind nun auch zulässig, wenn es sich nicht um „Spurenmaterial“ im engeren Sinne handelt.

In Fällen, in denen bekannt ist, von welcher Person das Material stammt, verweist der neue Satz 3 des zweiten Absatzes auf § 81f Abs. 1 StPO, sodass auch in diesen Fällen der Richtervorbehalt gewährleistet ist.

DNA-Reihenuntersuchung auf Verwandte erweitert, § 81h StPO

Ebenfalls betroffen von der StPO-Reform sind die Regelungen zur DNA-Reihenuntersuchung. Seit der Neuerung dürfen nun auch Erkenntnisse verwertet werden, die auf ein nahes Verwandtschaftsverhältnis zwischen Spurenverursacher und Probengeber hindeuten. Damit ist die Verwertbarkeit sogenannter Beinahetreffer nun kodifiziert.

Auch diese Erweiterung ist verfassungsrechtlich bedenklich. Zwar ist die Reihenuntersuchung als besonders starker Grundrechtseingriff nur mit Einwilligung der Betroffenen erlaubt, ob diese die Tragweite einer solchen Entscheidung allerdings tatsächlich einschätzen können, scheint mit Blick auf die Komplexität dieser Maßnahmen doch fragwürdig. Auch ein möglicherweise bestehender Interessenkonflikt der Betroffenen ist hier nicht zu unterschätzen.

Quellen-TKÜ, § 100a StPO

Nach der neuen Fassung des § 100a Abs. 1 StPO ist ab sofort auch die Quellen-TKÜ mit Hilfe einer Schadsoftware erlaubt. Die Quellen-TKÜ betrifft nur die laufende unverschlüsselte Kommunikation – dabei werden informationstechnische Systeme mittels einer eigens für diesen Zweck entwickelten Software infiltriert, die die Kommunikation zwischen den Beteiligten aufzeichnet. Hintergrund dafür ist, dass das Ausleiten laufender Kommunikation lediglich einen Eingriff in das Post- und Fernmeldegeheimnis, wohingegen die Online-Durchsuchung (s.u.) einen Eingriff in das aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m Art. 1 Abs. 1 GG hergeleitete und stärker geschützte IT-Grundrecht darstellt.

Nach § 100a Abs. 1 S. 3 StPO dürfen außerdem auch Vorgänge aufgezeichnet werden, bei denen der Übertragungsvorgang bereits abgeschlossen ist. Dies betrifft vor allem die verschlüsselte Kommunikation über Messenger-Dienste wie Whatsapp.

Online-Durchsuchung, § 100b StPO

Die auf Grundlage der vorherigen Gesetzeslage als unzulässig geltende und vom BVerfG in ähnlicher Form als verfassungswidrig angesehene (BVerfG NJW 2008, 822) Online-Durchsuchung ist nun in § 100b StPO geregelt. Diese Norm erlaubt den Ermittlungspersonen durch das Aufspielen einer Schadsoftware alle gespeicherten Daten der Betroffenen Person auszuleiten – davon sind auch solche erfasst, die bereits vor der Anordnung gespeichert wurden. Die Voraussetzungen an die Online-Durchsuchung sind eng an die des großen Lauschangriffs angelehnt. Im Hinblick auf das aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht hergeleitete IT-Grundrecht, stellt die Online-Durchsuchung einen der schwersten Eingriffe in die Rechte des Beschuldigten und unbeteiligter Dritter dar, den sie StPO zu bieten hat.

Zwar darf in diesem Rahmen nur auf Daten zugegriffen werden, bei denen man davon ausgeht, dass sich in ihnen beweiserhebliches Material finden lässt, ausgehend von der Menge an gespeicherten Daten, die sich auf Smartphones, Tablets etc. befinden, ermöglicht die Online-Durchsuchung dem Staat nun jedoch faktisch die Erstellung eines umfangreichen Persönlichkeitsprofil des Betroffenen.

Erste richterliche Vernehmung, § 136 StPO

Die Vorschrift über die erste richterliche Vernehmung des Beschuldigten hat sich im Rahmen der StPO-Reform in zweierlei Hinsicht geändert:

Der Beschuldigte ist vor der Vernehmung darüber zu belehren, dass er im Falle einer notwendigen Verteidigung im Sinne des § 140 Abs. 1 und 2 StPO nach Maßgabe des § 141 Abs. 1 und 3 StPO die Bestellung eines Verteidigers beanspruchen kann. Seit der StPO-Reform sind Beschuldigte nun auch über die Möglichkeit der Kostentragung nach § 465 StPO bei einer Verurteilung zu belehren. Auch diese Gesetzesnovelle erscheint bedenklich, besteht doch die Gefahr, dass der Beschuldigte aufgrund des Kostenrisikos auf die Inanspruchnahme eines Verteidigers verzichten könnte.

Im Übrigen wird § 136 StPO um einen vierten Absatz ergänzt, in dem die audiovisuelle Aufzeichnung von Beschuldigtenvernehmungen geregelt wird. Diese war zuvor nur über den Verweis in § 163 Abs. 1 Satz 2 StPO auf die §§ 58a und b StPO möglich, in denen die audiovisuelle Aufzeichnung von Zeugenvernehmungen geregelt ist.

Da § 136 Abs. 4 S. 2 StPO nun auch Fälle regelt, in denen Vernehmungen zwingend aufzuzeichnen sind, tritt diese Neuerung erst am 1. Januar 2020 in Kraft, um den Ländern genügend Zeit zu geben, sich entsprechendes Equipment zuzulegen.

Pflichtverteidigerbestellung, § 141 StPO

Der eingefügte § 141 Abs. 3 S. 4 regelt die Pflichtverteidigerbestellung bei richterlichen Vernehmungen. Hierbei sind zwei Fälle zu unterscheiden: Das vernehmende Gericht hat zum einen auf Antrag der Staatsanwaltschaft einen Verteidiger zu bestellen. Zum anderen hat es nun auch von Amts wegen einen Verteidiger zu bestellen, sofern die Mitwirkung eines Verteidigers aufgrund der Bedeutung der Vernehmung zur Wahrung der Rechte des Beschuldigten geboten erscheint.

Auch die Zuständigkeit für die Pflichtverteidigerbestellung wurde durch die StPO-Reform vereinfacht. Nach altem Recht entschied der Vorsitzende des Gerichts, das für das Hauptverfahren zuständig ist oder des Gerichts, bei dem das Verfahren anhängig ist. Dies stellte während des Hauptverfahrens regelmäßig kein Problem dar, befand man sich jedoch im Ermittlungsverfahren mussten die Akten dem Gericht übersandt werden, welches (demnächst) zuständig gewesen wäre. Für die Bestellung regelt § 141 Abs. 4 S. 2 1. HS StPO nun die einheitliche Zuständigkeit des Ermittlungsrichters.

Generelle Erscheinenspflicht für Zeugen bei der Polizei, § 163 StPO

Nach der seit der StPO-Reform geltende Fassung des § 136 StPO sind Zeugen von nun an verpflichtet auf Vorladung der Polizei zu erscheinen und zur Sache auszusagen. Dies gilt nur in Fällen, in denen der Vorladung ein Auftrag der Staatsanwaltschaft zugrunde liegt. Problematisch könnte diese Neuerung nicht nur im Hinblick auf Konstellationen sein, in denen Zeugen auch als Beschuldigte in Frage kommen, sondern auch auf die grundsätzlich geltende Sachleitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft. Die Erscheinenspflicht gilt im Übrigen auch für Ladungen der Steuerfahndung (vgl. § 399 AO).

Erweiterung der Privatklagedelikte um die Nötigung, § 374 StPO

Schließlich wurde der Katalog der Privatklagedelikte in § 374 Abs. 1 StPO um den Tatbestand der Nötigung (§ 240 StGB) ergänzt.

StPO-Reform 2017: Änderungen im Haupt- und Rechtsbehelfsverfahren

Auch für das Haupt- und Rechtsbehelfsverfahren bringt die StPO-Reform einige Neuerungen mit sich. Die wichtigsten Neuerungen und was hier im Speziellen zu beachten sein wird, werden Sie in der nächsten Woche hier lesen.