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Zweifelssatz bei Maßregeln: In dubio pro Freispruch?

Im Zweifel für den Angeklagten, oder: Keine Verurteilung, wenn Zweifel an der Schuld bestehen. Dies gilt nicht nur in Bezug auf objektive und subjektive Elemente des Tatbestandes, sondern auch im Hinblick auf die Schuldfähigkeit. Hinsichtlich der Voraussetzungen einer Unterbringung nach § 63 StGB kann die konsequente Anwendung des Grundsatzes mitunter zu merkwürdigen Ergebnissen führen. Denn hier gilt: Eine Maßregel darf nur ausgesprochen werden, wenn die Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB zweifelsfrei feststehen.

„In dubio pro reo“ bei Schuldunfähigkeit

Ob die Voraussetzungen des § 20 StGB oder § 21 StGB vorliegen, entscheidet das Gericht. In der Regel wird das Gericht mangels eigener Sachkunde einen Sachverständigen hinzuziehen. Dieser hat dem Gericht allerdings lediglich die Tatsachen mitzuteilen, aufgrund derer das Gericht seine Entscheidung trifft. Trifft der Sachverständige bereits rechtliche Schlussfolgerungen oder nimmt eine eigene Beweiswürdigung vor, überschreitet er seinen Gutachtenauftrag, was zu dessen Ablehnung wegen der Besorgnis der Befangenheit führen kann (§ 74 StPO). Die Entscheidung, ob die durch den Gutachter vorgetragenen Feststellungen unter eines der Merkmale des § 20 StGB zu subsumieren sind, obliegt allein dem Gericht.

Kommt das Gericht nach seiner Beweiswürdigung zum Ergebnis, dass nicht behebbare Zweifel an der Schuldfähigkeit des Angeklagten bestehen, ist wegen dieser Zweifel zu seinen Gunsten zu entscheiden. In dubio pro reo ist folglich von einer (verminderten) Schuldunfähigkeit zum Zeitpunkt der Tat auszugehen. Dies kann im Fall der Schuldunfähigkeit zu einem Freispruch führen.

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Zweifelssatz und Unterbringung

Geht man auf dieser Ebene aufgrund von Zweifeln davon aus, dass der Angeklagte nicht oder nur vermindert schuldfähig war, so könnte man zunächst meinen, dass eine Unterbringung nach § 63 StGB in Betracht käme. Allerdings müssen auch hier die Voraussetzungen der §§ 20 und 21 StGB positiv festgestellt sein.

Geht man dagegen „nur“ in dubio von einer Schuldunfähigkeit des Angeklagten aus, so darf die Anwendung des Zweifelssatzes sich auch die Entscheidung über die Anordnung von Maßregeln, wie der Unterbringung nach § 63 StGB, nicht zu Lasten des Täters auswirken. Diese Maßregeln dürfen nur ausgesprochen werden, wenn

zweifelsfrei feststeht, dass die unterzubringende Person bei Begehung der Anlasstaten aufgrund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Begehung der Taten auf diesem Zustand beruht.“1

Dies kann zu dem im Ergebnis unbefriedigenden Ergebnis führen, dass ein nicht ausgeschlossen gefährlicher Straftäter auf der einen Seite aufgrund des Zweifelssatzes als schuldunfähig freigesprochen wird, im Rahmen der Entscheidung über die Unterbringung jedoch nicht als schuldunfähig im Sinne des § 63 StGB anzusehen ist. Damit kommt eine Unterbringung nicht in Betracht. Der Täter käme auf freien Fuß.

  1. BGH, Urt. v. 23.11.2016 – 2 StR 108/16; Beschl. v. 26.03.2015 – 2 StR 37/15 u. v. 26.09.2012 – 4 StR 348/12 []

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