Kann man einen Menschen „für immer“ wegsperren, wie es einst ein früherer Bundeskanzler forderte? Vor wenigen Tagen entschied die Große Kammer des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, ob eine lebenslange Haft – also eine solche bis zum Tode – mit dem Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Bestrafung in Art. 3 EMRK vereinbar ist.
Maximilian Steinbeis greift ein seinem Verfassungsblog dieses Urteil auf und schildert, wie die europäischen Staaten bisher mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe umgehen. Das Ergebnis vorweg: Mittlerweile verlangen 32 EMRK-Mitgliedsstaaten nach einer Mindestfrist zwischen 10 und 30 Jahren eine Überprüfung der Strafe und danach gegebenenfalls deren Aussetzung zur Bewährung; neun Mitgliedsstaaten kennen gar keine lebenslange Freiheitsstrafe.
Kein Wegsperren für immer
In Deutschland wird bei einer lebenslange Freiheitsstrafe gem. § 57a StGB erstmals nach der Verbüßung von 15 Jahren geprüft, ob die Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann; allerdings nur, sofern nicht die besondere Schwere der Schuld festgestellt wurde.
Das Urteil der Großen Kammer leistet nun auf europäischer Ebene das, was 1977 das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 45, 187) auf bundesdeutscher Ebene geleistet hat. Zusammengefasst im Verfassungsblog:
Dass jemand sein ganzes Leben lang hinter Gittern verbringen muss, sei für sich genommen noch kein Verstoß gegen Art. 3 EMRK.
Welche Strafe für welche Tat angemessen sei, könne man so oder so sehen und jeder Staat autonom entscheiden, und das schließe auch die Möglichkeit ein, im Extremfall jemanden bis zum Tod einzusperren, zumal die Große Kammer anerkennt, dass es Täter gibt, die auch nach noch so langer Haft noch zu gefährlich sind, um sie freizulassen.
Aber das heißt nicht, dass man diese lebenslange Haft ohne Aussicht auf Bewährung von vornherein als Strafe für eine bestimmte Tat verhängen darf. Ein Rechtszustand, der vorsieht, dass sich hinter bestimmten Menschen die Gefängnistore für immer schließen wie der Sargdeckel über dem Sarg, der aus ihrem Leben jegliche Freiheit restlos tilgt und nur noch eine unfreie vegetative Rumpfexistenz übrig lässt, ein solcher Rechtszustand ist prinzipiell nicht anders zu beurteilen als einer, der Todesstrafe oder Sklaverei zulässt – nämlich als Verstoß gegen die Menschenwürde.
So hat es das BVerfG 1977 gesehen, und so sieht es jetzt der EGMR für ganz Europa von der Algarve bis zum Kaukasus (Nicht-Mitglieder Vatikanstaat und Weißrussland ausgenommen).