Vielfach werden Gerichtsflure und Verhandlungssäle von Pressefotografen und Kamerateams belagert, wenn ein Strafverfahren auch nur halbwegs spektakulär erscheint. Damit verbunden ist die Frage, ob Angeklagte und ihre Verteidiger – aber auch andere Verfahrensbeteiligte, also Opfer, Zeugen, Sachverständige oder auch die Richter, Schöffen sowie die Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft dies hinnehmen müssen. Immerhin sind die Beteiligten kein „Freiwild“ und dürfen nicht ohne Weiteres „abgeschossen“ werden.
Grundlegendes zur Gerichtsberichterstattung
Grundsätzlich sind alle Strafverfahren mit Ausnahme von Jugendsachen1 öffentlich. Dies gilt im Besonderen auch für die Anwesenheit von Pressevertretern, die als Mittler an der individuellen und öffentlichen Meinungsbildung mitwirken. Zudem wird die öffentliche Kontrolle durch eine Anwesenheit der Medien und deren Berichterstattung grundsätzlich gefördert.2
In den letzten Jahren ist eine stetige Zunahme der Gerichtsberichtserstattung festzustellen, in vielen Fällen sogar bei geradezu alltäglichen Delikten. Dabei werden regelmäßig die Rechte des Angeklagten, aber auch der anderen Verfahrensbeteiligten verletzt. So bedarf es keiner großen Fantasie, dass es für ein Verbrechensopfer (etwa einer Vergewaltigung) schwierig ist, mit einem solchen Medieninteresse umzugehen. Damit einher geht sowohl für das Verbrechensopfer als auch den mutmaßlichen Täter eine sensationslüsterne, unangemesse Prangerwirkung.
Die Gerichtsreporter überschreiten dabei – häufig vom Vorsitzenden unbemerkt – die durch die Rechtsordnung gezogenen Grenzen der §§ 169, 176 GVG und §§ 22, 23 KunstUrhG.
Berechtigtes Informationsinteresse der Öffentlichkeit
Ein berechtigtes Informationsinteresse der Öffentlichkeit besteht grundlegend nur in Verfahren schwerer und mittlerer Kriminalität, bei dessen Gewichtung insbesondere die Schwere der dem Angeklagten zur Last gelegten Straftat maßgeblich zu berücksichtigen ist.3 Gewöhnliche Delikte, die lediglich zur Veranschaulichung der Arbeit der Gerichte im Allgemeinen dienen, begründen generell keine Berichterstattung über einen Angeklagten. Das öffentliche Informationsinteresse setzt vielmehr erst ein, je mehr die Straftat sich von der gewöhnlichen Kriminalität abhebt, etwa aufgrund der Art der Begehung oder der Besonderheit des Angriffsobjekts4. Lediglich bei einer breiten Öffentlichkeit bereits bekannten Angeklagten („Prominenten“) wird auch bei kleineren Delikten ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit zu bejahen sein.
Allgemeine Zulässigkeit von Fotoaufnahmen
Die Zulässigkeit von Fotoaufnahmen ist auch für Gerichtsbilderstattung nach dem allgemeinen abgestuften Schutzkonzept der §§ 22, 23 KunstUrhG zu beurteilen. Danach dürfen Fotografien nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder veröffentlicht werden. Das gilt ebenso für sämtliche Beteiligte an einem Strafverfahren. Ohne Einwilligung des Abgebildeten dürfen nach § 23 KunstUrhG nur Fotos von Personen der Zeitgeschichte veröffentlicht werden. Das sind nur diejenigen Personen, an denen die Öffentlichkeit ein berechtigtes Informationsinteresse hat.5 Ob jemand als eine relative Person der Zeitgeschichte einzustufen ist, bestimmt sich nach dem Zweck des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KunstUrhG, bei dem es sich um eine Ausnahmebestimmung handelt, die restriktiv auszulegen ist6. Demgemäß werden Angeklagte, denen kein „außergewöhnliches“ Delikt zur Last gelegt wird, nicht als Personen der Zeitgeschichte anzusehen sein. Somit hat das öffentliche Interesse an einer Berichterstattung zurückzutreten.7
Für die Erlaubnis von Fotoaufnahmen im Gerichtssaal und dem Flur davor ist der Vorsitzende Richter zuständig. Bei der Entscheidung darüber hat er auch die Grenzen des § 23 KunstUrhG angemessen zu berücksichtigen8. Sofern die Beteiligten nicht einverstanden sind, fotografiert zu werden9, darf der Vorsitzende das Fotografieren in Ausübung seiner sitzungspolizeilichen Zuständigkeit (§ 176 GVG) nicht erlauben oder dulden, wenn die Gefahr einer unzumutbaren Anprangerung besteht.10 Jede Beschränkung der Berichterstattung muss aber die Bedeutung des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG beachten und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen11.
Die §§ 22 ff. KunstUrhG stellen zwar nach dem Wortlaut lediglich auf eine Veröffentlichung und Verbreitung von Lichtbildern ab – trotzdem ist ein Schutz vor der unberechtigten Anfertigung von Fotografien allgemein anerkannt.12 Denn ist ein Foto erst einmal gemacht, obliegt es allein der Entscheidung des Fotografen, wie damit weiter verfahren wird. Auch auf eine Zusicherung, das Foto würde nur mit unkenntlich gemachten (verpixelten) Gesichtern veröffentlicht, könne regelmäßig nicht vertraut werden. Diese Gefahr eines Kontrollverlustes rechtfertigt es somit, bereits das Fotografieren selbst zu verbieten. Dementsprechend schränkt die Rechtsprechung die Tätigkeit von Fotografen dahingehend ein, dass bereits die Anfertigung von Personenfotos ohne Einwilligung des Abgebildeten eine Verletzung dessen Allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstellt. Trotz des gegenteiligen Wortlauts der §§ 22 ff. KunstUrhG ist danach eine Herstellung von Fotografien nur in dem Umfang zulässig, in dem auch die Verbreitung dieser hergestellten Fotoaufnahmen zulässig wäre.13
Fotografieren des Angeklagten und die Unschuldsvermutung
Ein berechtigtes Informationsinteresse der Öffentlichkeit besteht dementsprechend lediglich an Angeklagten, die schwere oder mittlere Straftaten begangen haben und selbst dann ist eine identifizierende Berichterstattung nur in den absoluten Ausnahmefällen zulässig, in denen ein Angeklagter als Person der Zeitgeschichte einzustufen sein wird.
Besondere Maßstäbe sind bei der sog. Verdachtsberichterstattung anzulegen, also in Fällen, in denen der Angeklagte noch nicht rechtskräftig verurteilt wurde. Die Unschuldsvermutung gilt also auch nach dem Urteil fort und gebietet bis zur Rechtskraft entsprechende Zurückhaltung, mindestens aber eine ausgewogene und nicht einseitige Berichterstattung14. Andernfalls droht die Gefahr, dass dieser Angeklagte eine Stigmatisierung erfährt, die auch durch einen späteren Freispruch nicht mehr zu beseitigen sein könnte. Der Unschuldige würde trotz des Freispruchs in der breiten Öffentlichkeit mit dem Makel behaftet sein, die Tat „in Wahrheit“ doch begangen zu haben15. Dies ist bereits bei der Zulassung von Fotografen zu berücksichtigen.
Zulässigkeit einer Fernseh- und Filmberichterstattung
Die Herstellung von Ton-, Film- sowie Fernsehaufnahmen von Gerichtsverhandlungen sind nach § 169 Satz 2 GVG verboten. Das gilt allerdings nicht, wenn die Verhandlung noch nicht begonnen hat, sowie während der Verhandlungspausen und nach Schluss der Verhandlung.16
Hier ist für den Angeklagten allerdings die mögliche „Prangerwirkung“ zu berücksichtigen, die durch eine identifizierende Medienberichterstattung bewirkt werden kann17, da selbst eine um Sachlichkeit und Objektivität bemühte Fernsehberichterstattung oft einen wesentlich stärkeren Eingriff in das Persönlichkeitsrecht darstellt als nur die Berichterstattung in der Tagespresse18. Dies folgt aus der stärkeren Intensität des optischen Eindrucks sowie der Kombination von Ton und Bild, aber auch aus der verhältnismäßig größeren Reichweite, die dem Fernsehen nach wie vor gegenüber anderen Medien zukommt19. Schließlich kann auch nicht ohne Weiteres auf eine eventuell erfolgende Anonymisierung vertraut werden, wenn bereits mangels des berechtigten öffentlichen Interesses die Anfertigung der Filmaufnahmen rechtswidrig wäre.
Dem Schutzbedürfnis kann sich ein Angeklagter auch nicht dadurch begeben, dass er während der laufenden Ermittlungen der Erstellung von Bildaufnahmen zustimmte sowie sich in diesem Zusammenhang auch zum Ermittlungsverfahren äußerte20, etwa als Augenzeuge oder Nachbar.
Andere Beteiligte am Strafverfahren
Zu den Personen im Blickpunkt des Interesses zählen häufig auch die sonstigen Beteiligten des Strafprozesses – nicht nur der Angeklagte selbst, sondern auch sein Verteidiger sowie auch die übrigen Beteiligten wie Zeugen21 und Sachverständige.
Lediglich wenn ein berechtigtes öffentliches Informationsinteresse besteht, kann sich dieses auch auf die Identität der anderen Beteiligten erstrecken, etwa auch auf die beteiligten Richter, Schöffen, Staatsanwälte und Verteidiger sowie Sachverständige, Zeugen und auch Angehörige. Dabei ist zu bedenken, dass Richter und Schöffen22 sowie Staatsanwälte und Verteidiger infolge ihres öffentlichen Amtes und als Organe der Rechtspflege mehr im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehen und nicht in gleichem Ausmaß einen Anspruch auf Schutz ihrer Privatsphäre haben wie eine vom Verfahren betroffene Privatperson23. Allerdings ist auch hier abzustufen, denn selbst ein prominenter Rechtsanwalt kann nach eigenem Ermessen darüber befinden, ob, wann und wie er sich gegenüber Dritten oder der Öffentlichkeit im Bild darstellen will24.
Für Bildaufnahmen von dem Verbrechensopfer besteht ohne deren Einwilligung grundsätzlich keine Ausnahme nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 KunstUrhG und dementsprechend keine Erlaubnis zum Fotografieren oder Filmen, weil gerade die Opfer von Straftaten des besonderen Schutzes der Rechtsordnung bedürfen. Dieser Schutz bestehe auch dann fort, wenn die Person in anderem Zusammenhang Fotografien von sich zugelassen hat25.
Notwehr gegen Fotografen
Das Recht am eigenen Bild ist als Unterfall des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch § 823 Abs. 1 BGB geschützt und somit grundsätzlich notwehrfähig.26 Neben Notwehr, kommen auch Notstand, Nothilfe und Selbsthilfe (§ 229 BGB) in Betracht. Welche Notwehrhandlungen zulässig sind (Verhinderung des Fotografierens durch Abdecken des Objektivs, Wegnahme der Kamera oder der Speicherkarte aus der Kamera, gewaltsame Durchsetzung des Herausgabeverlangens) hängt sehr stark von den Umständen des Einzelfalls ab. So kann es sogar zulässig sein, sich durch einen Schlag gegen die Kamera des Fotografen gegen die unberechtigten Aufnahmen zu wehren. Dementsprechend muss man sich nicht darauf beschränken, sein Gesicht zu verdecken, sondern darf die Verteidigung wählen, die den Angriff sofort und endgültig beendet.27
- § 48 JGG [↩]
- BGH NJW 2006, 1220 [↩]
- HansOLG, Beschl. v. 05.04.2012 – 3-14/12 (Rev) [↩]
- BVerfGE 35, 202, 231; BVerfGE 119, 309 [↩]
- Auf die weiteren Ausnahmen des § 23 Abs. 1 Nr. 2, 3 KunstUrhG wird nicht eingegangen, da diese fernliegend sind. Beiwerk (Nr. 2) können die Prozessbeteiligten schon deshalb nicht sein, weil es bei dem Foto gerade um diese geht. Ein Strafverfahren ist im Übrigen auch keine Veranstaltung nach Nr. 3. [↩]
- BGH NJW 1965, 2148, 2150 [↩]
- Nach Ansicht des EGMR hat die Pressefreiheit immer dann zurückzutreten, sofern die Berichterstattung nur das Sensationsbedürfnis befriedige und vor allem kommerziellen Interessen des berichtenden Presseunternehmens diene; vgl. EGMR NJW 2004, 2647. [↩]
- LG Ravensburg, Beschl. v. 22.01.2007 – 2 Qs 10/07 = NStZ-RR 2007, 348 [↩]
- Einwilligungsvorbehalt des § 22 KunstUrhG, vgl. auch § 33 KunstUrhG i.V.m. § 183 GVG; eingehend zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Pressemitarbeitern bei der unbefugten Herstellung und Verbreitung fotografischer Darstellungen von Personen: Heinrich, ZIS 2011, 416 ff. [↩]
- Meyer-Goßner, StPO § 176 Rn. 15 [↩]
- BVerfGE 91, 125; BVerfG NJW 2012, 2178 [↩]
- vgl. dazu Palandt, BGB § 823 Rn. 112a m.w.N. [↩]
- Soehring, Presserecht (4. Aufl.), § 9 Rn. 3-5; HansOLG, Beschl. v. 05.04.2012 – 3-14/12 (Rev): „Der Eingriff in das Recht am eigenen Bild entfällt nicht etwa deshalb, weil das später veröffentlichte Bild in der Presse durch einen Balken über die Augenpartie verfremdet werden könnte. Es reicht, wenn der Angeklagte nur durch einen eingeschränkten Personenkreis identifiziert werden könnte.“ [↩]
- BVerfGE 35, 202, 231 f. [↩]
- BVerfG NJW 2009, 350 [↩]
- BGHSt 23, 123; BVerfG NJW 1995, 184 [↩]
- BVerfGE 119, 309, 323 [↩]
- BVerfG NJW 2009, 350 [↩]
- BVerfGE 35, 202, 226 f. [↩]
- BVerfG NJW 2009, 350 [↩]
- BGH NJW 1965, 2148 [↩]
- BVerfG NJW 2000, 2890 [↩]
- BVerfGE 119, 309, 329; BVerfG NJW 2008, 977, 979 [↩]
- LG Berlin, NJW-RR 2007, 1270 [↩]
- OLG Frankfurt a.M. AfP 1976, 181; LG Köln NJW 1992, 443; LG Berlin, Urt. v. 12.02.2009 – 27 O 1016/08 [↩]
- Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung (5. Aufl.), Kap. 7 Rn. 37 [↩]
- HansOLG, Beschl. v. 05.04.2012 – 3-14/12 (Rev): „Der Schlag gegen die Kamera ist grundsätzlich geeignet, ein rechtswidriges Fotografieren zu beenden. Die bisherigen Feststellungen ergeben auch nicht, dass dem Angeklagten ein milderes Mittel zur Verfügung gestanden haben könnte. Der Angeklagte musste sich nicht darauf beschränken, sein Gesicht zu verdecken, denn der Angriff betraf die Abbildung seiner gesamten Person, nicht nur die seines Gesichts. Er durfte vielmehr die Verteidigung wählen, die den Angriff sofort und endgültig beendete.“ [↩]
Letzte Woche zeigte mir eine Kollege aus Berlin ein Foto, auf dem drei Personen im Gerichtssaal nebeneinander saßen. Die mittlere Person schaute einfach nach vorne, die beiden anderen Personen hielten sich jeweils das Gesicht mit einem Hefter zu. Überschrift des Bildes war: „Dies sind die Vergewaltiger“.
Blöd war nur, dass die Person in der Mitte der Dolmetscher gewesen ist. Ein Hinweis fand sich hierzu nicht.
Das veranschaulicht das Problem sehr schön und bestärkt in der These, dass schon das Fotografieren nicht gestattet werden sollte. Auf eine nachträgliche Anonymisierung oder auf richtige Bildunterschriften darf nicht vertraut werden!
Am heutigen Tag, 19.12.2016 , war ich zu einer Gesichtsverhandlung am AG Zwickau als Angeklagter wegen einer angeblichen Beleidigung geladen. Bereits am Eingang bei der Personenkontrolle wurde ich von einem Fotograf mehrmals abgelichtet. Trotz Aufforderung meines Anwaltes, dieses zu unterlassen konnte der Fotograf nicht davon ablassen. Um einen weiteren Versuch zu unterbinden ging ich direkt zum Fotografen hin und drückte die Kamera beiseite. Darauf hin verspürte ich starke Schmerzen an der der linken Schulter . Ein ca. zwei Meter großer „Justizbeamter“ hatte mir einen derben Schlag gegen mein Schulterblatt versetzt. Er stand jedenfalls die ganze Zeit in der Nähe des Fotografen und konnte die Aufforderungen meines Anwaltes, das Fotografieren zu unterlassen, deutlich wahrnehmen. Meinem Anwalt erklärte er, dass der Fotograf dazu berechtigt sei jegliche Fotoaufnahmen im Gerichtsgebäude anzufertigen. Es sei ja schließlich sein Beruf und er hätte dazu die Genehmigung des Gerichtsdirektors. Soviel dazu zum rechtsfreien Raum im AG Zwickau und offensichtlich mental überforderten Schlägertypen in der Uniform der Justiz. Ich habe Anzeige gegen beide Herren gestellt. Von der Staatsanwaltschaft Zwickau erhoffe ich keine befriedigende Aktivität. Diese ist zu sehr am Sumpf angesiedelt der bisher noch nicht ausgetrocknet wurde. Frohe Weihnachten