Die Strafprozessordnung (StPO) unterscheidet Beschuldigte im Ermittlungsverfahren nach dem Tatverdacht in drei Verdachtsgrade, welche an sich nicht sehr verschieden sind, sich in ihren Auswirkungen jedoch immens unterscheiden. Trotzdem werden die Begriffe gerne verwechselt – nicht nur Sonntagsabends im „Tatort“, sondern auch im alltäglichen Sprachgebrauch.
Der Anfangsverdacht
Der Anfangsverdacht ist der schwächste Verdachtsgrad und oft nur wenig mehr als eine bloße Vermutung. Der Anfangsverdacht ist gegeben, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat vorliegen. Diese sind gegeben, wenn die Möglichkeit einer strafbaren Handlung besteht. Konsequenz des Anfangsverdachts ist, dass die Strafverfolgungsorgane ein Ermittlungsverfahren einleiten müssen (§ 152 Abs. 2 StPO). Dadurch sind verschiedene Zwangsmaßnahmen gegenüber dem Beschuldigten zulässig.
Hierzu gehören unter anderem:
- Durchsuchung der Wohnung oder Geschäftsräume (§ 102 StPO)
- Beschlagnahmung und Sicherstellung von Gegenständen (§ 94 StPO)
- Überwachung der Telekommunikation (§ 100a StPO)
- Körperliche Untersuchung, z.B. Blutentnahme zum Nachweis Alkohol/Drogen (§ 81a StPO)
Der Anfangsverdacht wird dadurch begründet, dass es kriminalistischer Erfahrung entspreche, dass hier eine Straftat begangen wurde. Es gibt jedoch auch Situationen, in denen nicht sofort klar ist, ob die Handlung strafbar ist oder eine sozialadäquate, strafrechtlich nicht relevante Handlung vorliegt. In den Fällen würde kein Anfangsverdacht begründet, da es sich nur um vage Verdachtsmomente handelt. In Zweifelsfällen sind jedoch sog. Vorermittlungen zulässig, um beispielsweise die Aussage des Verdächtigen auf Richtigkeit zu überprüfen oder sich vor Ort ein Bild von den Umständen zu machen.
Der hinreichende Tatverdacht
Die zweite Stufe ist der hinreichende Tatverdacht. Hinreichend verdächtig bedeutet, dass bei vorläufiger Tatbewertung eine spätere Verurteilung „mit Wahrscheinlichkeit“ zu erwarten ist.1 Somit ist der hinreichende Tatverdacht der wichtigste Begriff des Strafprozessrechts für den Beschuldigten, da dieser für die Anklageerhebung notwendig ist. Die Beweise müssen sich also derart verdichtet haben, dass eine Verurteilung wahrscheinlicher ist als ein Freispruch.
Der Rechtsbegriff des hinreichenden Tatverdachts ist jedoch so unbestimmt, dass er der Staatsanwaltschaft einen gewissen Beurteilungsspielraum lässt, ob sie eine Verurteilung aufgrund der Sachlage für wahrscheinlich hält. Dieser Beurteilungsspielraum wird von der Staatsanwaltschaft regelmäßig recht weit verstanden.
Der dringende Tatverdacht
Der dringende Tatverdacht wird dann benötigt, wenn der Beschuldigte in Untersuchungshaft oder vorläufig in Haft genommen werden soll. Hierfür ist neben dem dringenden Tatverdacht jedoch auch ein Haftgrund gemäß § 112 StPO notwendig.
Für eine Inhaftnahme muss zunächst der dringende Tatverdacht selbst festgestellt werden, also dass der Beschuldigte die Tat mit großer Wahrscheinlichkeit tatsächlich begangen hat und darüber hinaus die Verurteilung wahrscheinlich ist. Hierbei muss sich auf tatsächlich vorliegende Tatsachen gestützt werden, die dem Gericht als Beweismittel zugänglich sind.2 Zusätzlich muss dann noch ein Haftgrund (z.B. Flucht-/Verdunkelungsgefahr) hinzutreten.
- Meyer-Goßner/Schmitt, StGB (58. Aufl. 2015) § 170 Rn. 1. [↩]
- Dölling/Duttge/Rössner, Gesamtes Strafrecht (3. Aufl. 2013) § 112 StPO Rn. 3 ff. [↩]
Vielen Dank für die übersichtliche Darstellung!
Eine Ergänzung: im Gegensatz zu den anderen genannten Eingriffsmaßnahmen, bei denen der Anfangsverdacht genügt und ansonsten nur eine Verhältnismäßigkeitsprüfung stattfindet, gehört § 100a StPO zu den Eingriffsnormen, bei denen über einen Anfangsverdacht hinaus „bestimmte Tatsachen“ erforderlich sind, die den Verdacht begründen.