Strafakte.de

Ausfall revisionsgerichtlicher Kontrolle

Der Fall Peggy, Ulvi K., BGH, Ausfall revisionsgerichtlicher Kontrolle, StrafsenatDer emeritierte Professor für Strafrecht, Kriminologie, Jugendstrafrecht und Strafvollzug der Freien Universität Berlin Prof. Dr. Ulrich Eisenberg muss nach der Lektüre des Buchs „Der Fall Peggy“ der beiden Journalisten Ina Jung und Christoph Lemmer sehr verärgert gewesen sein. In der aktuellen Ausgabe der „Juristischen Ausbildung“ (10/2013) kritisiert er im Editorial überaus deutlich den „Ausfall revisionsgerichtlicher Kontrolle“ in dem Verfahren.

Dabei greift er insbesondere den 1. Strafsenat am Bundesgerichtshof unter dem damaligen und im April 2013 ausgeschiedenen Vorsitzenden harsch an, wegen der

rechtstatsächlich durch eine von den anderen Strafsenaten des BGH deutlich abweichende(n) Art des Umgangs mit der Kontrollpflicht gegenüber Rechtsfehlern des erstinstanzlich zuständigen Gerichts (wie gleichsam umgekehrt einer gewissen Tendenz der Urteilsaufhebung mit dem Ziel einer Verschärfung).

Der 1. Strafsenat (spöttisch auch gern als „Kahn-Senat“ – der alles hält – bezeichnet1 ) fasste sich in seinem Verwerfungsbeschluss (BGH, 25.1.2005 – 1 StR 502/04) ausgesprochen kurz:

Die Beweiswürdigung, insbesondere die Würdigung des Geständnisses des Angeklagten, ist rechtsfehlerfrei. Auch die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Beurteilung der Aussagefähigkeit des Angeklagten und der Glaubhaftigkeit seiner Aussagen ist rechtsfehlerfrei.

Geständnis nur im Gedächtnisprotokoll

Das Geständnis von Ulvi K. war unter zweifelhaften Umständen zustande gekommen. Zu Beginn des Verhörs hätten die Polizeibediensteten ihm erzählt, dass auf seinem Overall Blutspuren von Peggy gefunden worden wären, was aber frei erfunden war. Ausgerechnet als K. dann in einem der folgenden Vernehmungen ein vollumfängliches Geständnis abgegeben haben soll, war das Mikrofon des Aufnahmegerätes kaputt, so dass es kein Tonbandprotokoll wie von den anderen Vernehmungen gibt, sondern lediglich ein Gedächtnisprotokoll.

Ausfall revisionsgerichtlicher Kontrolle

Der Ehre des 9-jährigen Mädchens hätte es gebührt, wenn die strafjustizielle Aufarbeitung ihres Verschwindens oder (möglicherweise) ihrer Tötung im Einklang mit strafverfahrensrechtlichen Grundsätzen stattgefunden hätte. Einerseits wäre die strengbeweisrechtliche Überprüfung der Angaben der vernehmenden Polizeibediensteten als Zeugen zu deren Vernehmungsmethoden nicht nur geboten, sondern erforderlich gewesen. Zum anderen hatte das Urteil des LG Hof die uneingeschränkte Schuldfähigkeit des Angeklagten Ulvi K. trotz seiner geistigen Behinderung bejaht, obwohl bei testpsychologischen Untersuchungen ein IQ-Wert von lediglich 67 ermittelt wurde – womit die Stufe des sogenannten „Schwachsinns“ im Sinne des § 20 StGB erreicht war. Nach der Darstellung im Urteil habe ein Psychiater aus der Art des zweifelhaften Geständnisses und einem „Bericht“ der vernehmenden Polizeibediensteten in der Hauptverhandlung darauf geschlossen, der Angeklagte habe über eine ausreichende Einsichts- und Steuerungsfähigkeit verfügt. Eine solche mittelbare Herleitung, zumal ohne nähere Untersuchung dazu, ob und ggf. welche Teile seines Geständnisses seitens der Vernehmungspersonen veranlasst waren, seien nach der Ansicht von Eisenberg  mit der Aufklärungspflicht unvereinbar.

Am Mittwoch war das Verschwinden von Peggy und insbesondere die neue Spur das Thema der Sendung „stern tv“, in der auch ihre Mutter und einer der Autoren des Buchs Christoph Lemmer zu Gast war.

Der Mordfall Peggy K., über den wir bereits im April erstmals berichteten und insbesondere das abstruse Zustandekommen des – sehr wahrscheinlich falschen – Geständnisses ist damit in der breiten Öffentlichkeit angekommen und wird womöglich für vergleichbar viel Aufsehen sorgen wie der Fall Mollath. Noch sitzt K. in derselben psychiatrischen Anstalt wie er bis vor kurzem.

  1. Ausführlich: Die schiere Freude am Strafen []

3 Kommentare zu “Ausfall revisionsgerichtlicher Kontrolle

  1. Sie wissen aber schon, dass K. nicht wegen des Mordes an Peggy in der psychiatrischen Anstalt sitzt, sondern wegen sexuellen Missbrauchs anderer Kinder?
    Leider ergeht sich der Professor in vielen Andeutungen und Schwurbelsätzen („ggf. als anhaltend herrschaftlich anmutend empfundene“: also empfindet irgendjemand und wenn ja wer?) mit Verweis auf eher schwer zugängliche Quellen, statt einfach mal die Namen zu nennen. Ist das vornehme wissenschaftliche Zurückhaltung oder schlichte Feigheit trotz der vehement vorgetragenen Kritik?

    • Schwer zugänglich? Das lässt sich alles in der Wikipedia nachlesen inkl. der Namen und dem Grund, warum er zur Zeit untergebracht ist.

  2. wenn hier vom sexuellen Missbrauch des geistig Behinderten die Rede ist, muss sehr wohl unterschieden werden, ob er auf dem lt. Gutachten stand eines 8-10 Jährigen Kinder „missbraucht“ hat (lt. Staatsanwaltschaft Onanieren vor Kindern/ gegenseitiges Betatschen in Einzelfällen), ohne Anwendung von Gewalt oder das Vorgehen eines Kinderschänders auf geistig hoch stehendem Niveau wie z.B. kath. Priester! es sollten sich diesbezüglich hier nur diejenigen äußern können, die genau den Inhalt der Akten kennen! es gab bis heute keine Strafanzeige gegen diesen Menschen wegen Missbrauch von einem „Opfer“

Keine Kommentare zugelassen