Eigentlich war das Urteil im Mordprozess gegen den südafrikanischen Sprintstar Oscar Pistorius für heute erwartet worden. Doch die Vorsitzende Richterin Thokozile Masipa unterbrach die Verhandlung überraschend nur etwa 10 Minuten nach der ausgiebigen Mittagspause.
Wahrscheinlich fahrlässige Tötung
Neunzehn Monate nach den tödlichen Schüssen von Oscar Pistorius auf seine Lebensgefährtin, das Model Reeva Steenkamp ist das Gericht unter dem Vorsitz der Richterin Thokozile Masipa überzeugt, er habe die Tötung seiner Lebensgefährtin ohne Vorsatz begangen.
Der Anklage sei es im Ergebnis nicht gelungen, einen geplanten Mord nachzuweisen. Zwar ist für die Richterin nicht nachvollziehbar, warum Pistorius spontan und ohne nachzudenken feuerte, er habe die Schüsse jedoch auch nicht reflexartig abgegeben, sondern traf eine bewusste Entscheidung. Andererseits gab es keinerlei Anzeichen dafür, dass das Paar an diesem Abend stritt oder eine sonstige Auseinandersetzung hatte. Dadurch fehle es an einem Motiv, da die Richterin dem Angeklagten glaubte, dass er seine Freundin nicht töten wollte.
Keine belastbaren Indizien für die Mordhypothese
Die Schreie, die einige Nachbarn gehört haben wollen, konnten aber nicht vom Opfer stammen. Nach dem Gutachten der Rechtsmedizin war sie schon nach dem ersten Schuss bewusstlos und so außerstande, noch zu schreien. Insgesamt ohne Beweiswert war auch der Mageninhalt des Opfers, denn der ließ nach den Gutachtern keine verlässlichen Rückschlüsse zu, wann sie zuletzt gegessen hatte. Dass sie ihr Handy mit auf Toilette nahm, konnte auch daran gelegen haben, dass sie dieses als Lichtquelle benutzt habe, da im Raum das Licht defekt war.
Die Schüsse auf die Tür waren jedoch fahrlässig, da Pistorius damit rechnen musste, die Person in der Toilette zu töten. Dass er glaubte, auf einen Einbrecher zu schießen, stelle jedenfalls nur einen unbeachtlichen error in persona dar.
Widersprüchliche Einlassung des Angeklagten Oscar Pistorius
Nur Oscar Pistorius selbst weiß, was wirklich in den frühen Morgenstunden des 14. Februar 2013 passierte, als er in seiner Villa bei Pretoria durch die geschlossene Toilettentür schoss. Er ist der einzige lebende Augenzeuge, der stets beteuert hatte, er habe seine Freundin nur aus Versehen erschossen. Allerdings gab er vor Gericht kein gutes Bild ab: Er beantwortete die ihm gestellten Fragen nicht oder nur unvollständig, wirkte zeitweise bockig bis auch aggressiv und legte sich mit dem Staatsanwalt an. Im Zeugenstand gab Pistorius außerdem verschiedene Versionen von dem ab, was in der Tatnacht passiert sein soll: Zunächst sagte er aus, er habe geschossen, um sich gegen einen vermeintlichen Einbrecher zu verteidigen. Später sagte er jedoch, der Schuss habe sich aus Versehen gelöst, er habe automatisch geschossen, ohne darüber nachzudenken – es sei vielmehr ein Unfall gewesen. Mit solchen inkonsistenten Aussagen hat er sich sicherlich keinen Gefallen getan. Die Richterin rügte ihn für seine zögerlichen, ausweichenden Antworten: Der Angeklagte hörte nicht zu, wich stets aus und machte sich mehr Sorgen um die Folgen, die seine Antworten haben könnten anstatt zur Wahrheitsfindung beizutragen.
Der Prozess wird morgen um 9:30 Uhr fortgesetzt – dann ist sicher mit einem Urteil zu rechnen.
Ein sehr ausgewogener Bericht, vielen Dank!