Im Mordprozess gegen den einstigen Olympiahelden Oscar Pistorius (27) wurde heute das Urteil verkündet: Er ist der fahrlässigen Tötung („culpable homicide“) an seiner Lebensgefährtin Reeva Steenkamp schuldig. Das Strafmaß wurde heute noch nicht festgesetzt. Wie in Deutschland gibt es dafür auch in Südafrika keine gesetzliche Mindeststrafe. Mord sowie rechtfertigende Notwehr schloss die Richterin dagegen wie gestern bereits erwartet aus. Ob der nun Verurteilte vorerst frei bleibt, wird ebenfalls noch zu entscheiden sein.
Der Staatsanwaltschaft kommt im Strafprozess die Aufgabe zu, dem Gericht belastende Beweise zu präsentieren. Genau das ist der Anklage im Fall Pistorius aber erkennbar nicht gelungen. Ein Motiv, seine Freundin zu ermorden, konnte schlicht nicht ergründet werden. Es gab im Ergebnis keinerlei Beweise dafür, dass das Paar an diesem Abend stritt oder Reeva Steenkamp vorhatte, die Beziehung aufzulösen. Warum also hätte er sie erschießen sollen? Diese Frage konnte auch die Richterin nicht zweifelsfrei beantworten.
Die Schuld muss zur vollen Überzeugung des Gerichts feststehen
Im Zweifel für den Angeklagten – „in dubio pro reo“ – so lautet die Antwort des Rechtsstaats auf eine solche Situation. Die ungeklärten Fragen – etwa warum Pistorius nicht merkte, dass seine Lebensgefährtin nicht neben ihm im Bett lag, als er in der Nacht aufwachte und Einbrecher vermutete, müssen nicht vom Angeklagten ausgeräumt werden. Die Staatsanwaltschaft muss eine überzeugende Antwort auf diese Fragen finden. Das hat sie aber nicht.
Der Staatsanwalt Gertie Nel hat alles in die Waagschale geworfen und Zeugen der Verteidigung ordentlich in die Mangel genommen. Nicht umsonst wird er als Bullterrier bezeichnet. Dennoch schaffte er es nicht, schlüssig das Mordmotiv herauszuarbeiten. Schreie, die einige Nachbarn gehört haben wollen, konnten nicht von Reeva Steenkamp stammen. Sie konnte bereits nach dem ersten Schuss nicht mehr schreien. Um einen Streit gehört zu haben, waren die Zeugen jedoch zu weit weg – dies hat ein Akustikgutachten deutlich bewiesen.
Und die Whatsapp-Nachrichten? Die meisten waren liebevoll und zärtlich, nur in einer schrieb sie, dass sie manchmal Angst vor ihm habe. Aber was beweist das? Die Nachricht hatte keinen aktuellen Bezug. Meint Angst, dass sie Todesangst hatte? Oder Angst vor Gefühlsausbrüchen? Oder Angst vor Eifersucht? Dieses Indiz trägt jedenfalls keine Verurteilung wegen Mordes.
Sofern sich südafrikanische Strafrechtler über die Entscheidung nun empört zeigen, ist das rein rechtlich betrachtet nicht wirklich erklärlich. Die Beweiswürdigung obliegt dem Gericht, das aus meiner Sicht die Beweislage überzeugend dargelegt hat. Kommt man dann schließlich zu einer Notwehrlage, muss man anerkennen, dass sich der Angeklagte im Irrtum über die Gegenwärtigkeit oder zumindest die Reichweite der Notwehr befand. Eine Verurteilung wegen Fahrlässigkeit ist nur folgerichtig, da der Erlaubnistatbestandsirrtum den Vorsatz entfallen lässt.
In einem vergleichbaren Fall (NStZ 2012, 272) kam der Bundesgerichtshof zu einem Freispruch: Ein Mitglied der Hells Angels hatte nachvollziehbar aus Furcht um sein Leben (vgl. § 33 StGB) durch die geschlossene Haustür geschossen, nachdem er durch Geräusche vor der Tür geweckt wurde. Er wusste nicht, dass es sich vor der Tür um einen Polizeibeamten handelte, der tödlich getroffen wurde. Der Bundesgerichtshof kam zu dem Ergebnis, der Angeklagte sei irrtümlich von einer Notwehrsituation ausgegangen und habe deshalb im Ergebnis straflos gehandelt.
Ein Freispruch für Pistorius war nicht zu erwarten
Der Pistorius-Verteidiger Barry Roux zählt zu den besten seiner Profession in Südafrika, gilt als scharfsinnig und unnachgiebig. Trotzdem stand er in diesem Prozess manches Mal nicht gut da: Pistorius benutzte ihn als „Sündenbock“ und die Argumentation war teilweise beachtlich, etwa der Angeklagte schreie in Panik wie eine Frau. Es blieb schlussendlich im Wesentlichen bei der eher schwachen Verteidigungsstrategie, aufgrund seiner Behinderung wäre Pistorius besonders verletzbar gewesen und leide zudem auch unter Angstzuständen. Gesteht man ihm dies zwar zu, hätte er dennoch nicht viermal durch die geschlossene Tür schießen dürfen – im Bewusstsein, dass dahinter ein Mensch – sei es auch ein Einbrecher – steht. Dadurch hatte er die erlaubte Notwehr sicher überschritten (extensiver Notwehrexzess). Mit der Verteidigungsstrategie konnte somit allenfalls eine Verurteilung wegen einer Fahrlässigkeitstat erreicht werden, aber kein Freispruch. Der Verteidiger setzte sich damit zu seinem Antrag auf Freispruch in Widerspruch.
Das letzte Wort ist in diesem Verfahren noch nicht gesprochen, das wird erst der Strafausspruch besorgen. Ich halte eine Bewährungsstrafe für unwahrscheinlich, ausgeschlossen ist eine solche dennoch nicht. Und dann stehen Staatsanwaltschaft und Verteidigung noch Rechtsmittel zu. Es bleibt weiterhin spannend.
Nachtrag: Oscar Pistorius wurde wegen fahrlässiger Tötung zu fünf Jahren Haft verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hat jedoch angekündigt, Berufung sowohl gegen die Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung, als auch gegen das Strafmaß einlegen zu wollen.
Hallo!
Die beschriebene Konstellation ist kein extensiver Notwehrexzess sondern ein Fall eines Putativnotwehrexzess. Aber das nur am Rande…
Zur Aufregung der Strafrechtler in SA:
Der Stein des Anstoßes ist – soweit ich das auf Twitter verfolgt habe – nicht eine fehlerhafte Beweiswürdigung, sondern die fehlerhafte RECHTSANWENDUNG der Richterin durch eine eklatante Fehlinterpretation von Dolus Eventualis in Kombination mit der Missachtung der Unerheblichkeit eines Error in Persona:
Der subjektive Tatbestand des Mords (zweiten Grades) sei – so die Richterin – nicht erfüllt, da „Pistorius nicht hätte vorhersehen können, dass durch das Abgeben von Schüssen auf die geschlossene Badtür möglicherweise seine Freundin getötet werden könnte“.
Was fällt an dieser Begründung auf?
1. Die Richterin beschränkt die Vorsatzfrage auf die Freundin, obwohl die Identität der Person welche Pistorius hinter der Tür vermutete für den Tötungsvorsatz unerheblich ist (Error in Persona).
2. Wer vier Schüsse auf eine Badezimmertür abgibt um einen dort vermuteten Einbrecher unschädlich zumachen handelt nach allen vernünftigen Erwägungen natürlich mindestens mit Dolus Eventualis.
Soweit mir bekannt ist werden die Anforderungen an einen Eventualvorsatz auch in SA bereits im ersten Semester gelehrt. Die Aufregung ist also verständlich.
By the way: Schönes Blog :)
@Jan: Google mal nach einer Lageskizze der Toilette und der Schüsse. das war astreiner Mord!
– minikleine Toilette (2qm?), das Opfer kann nicht ausweichen
– ein Schuss so, dass eine „auf der Schüssel“ sitzende Person getroffen werden musste
– 3 Schüsse so, dass eine nicht-sitzende Person getroffen werden musste
Ein Link ohne Grundriss: http://www.hlntv.com/slideshow/2014/03/17/oscar-pistorius-crime-scene-photos-murder-trial
Was ist das denn für eine unsinnige Argumentation? „Astreiner“ Mord wegen eines kleinen Toilettenraums?
@Strafakte.de: Wie nennen Sie es, wenn das potentielle Opfer schon rein räumlich nicht ausweichen kann?
Der einzige „safe place“ in dieser Toilette wäre gewesen, sich (in Erwartung eines Anschlages) an die Wand links der Tür zu pressen (in der Hoffnung auf D-Bauweise (Stein) vs. US-Bauweise (Holz, Pappe)).