Gestern wurde der Lagebericht zur Computer- und Internetkriminalität 2013/14 – neudeutsch: Cyberkriminalität – vorgestellt. Für das Bundeskriminalamt (BKA) und den IT-Branchenverband BITKOM steht nach dem Bericht fest: Die Internetkriminalität ist weiterhin auf dem Vormarsch und nehme beständig zu. Und so liest sich das dann auch heute in den Medien: u.a. Erpressung und Sabotage im Netz nehmen zu oder Polizei warnt: Cyber-Kriminalität nimmt stark zu.
Nun ist Aufklärung und auch die Warnung vor allzu großer Leichtsinnigkeit richtig und wichtig. Ein näherer Blick auf die Zahlen zeigt allerdings, dass der Anstieg von 2012 mit 63.959 Fällen auf 2013 mit 64.426 tatsächlich nicht einmal ein Prozent betrug. Schaut man noch genauer hin, wie dies netzpolitik.org getan hat, werden auch Straftaten herangezogen, die mithilfe des Tatmittels Internet begangen wurden. Dort wurde ein Anstieg von 12 Prozent auf 257.486 Fälle beobachtet.
Unscharfe Abgrenzung von Cyberkriminalität und dem Tatmittel Internet
Betrachtet man die Aufschlüsselung der Straftaten in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS), fällt allerdings auf, dass die Kategorisierung als „Cyberkriminalität“ nicht einschlägig, ja sogar implausibel ist. Denn in dieser Auflistung finden sich auch 184 Fälle von Körperverletzung sowie sogar der Diebstahl von Fahrrädern (7 Fälle). Hatte dort jemand Google Maps als Hilfsmittel zum Finden von Fahrradabstellplätzen genutzt? Und ist das dann Cyber-Fahrraddiebstahl?
Natürlich sind Körperverletzungen prinzipiell „online“ denkbar, etwa durch Cybermobbing, das sich bei dem Geschädigten gesundheitlich nachteilig auswirkt. Ist es hier allerdings richtig, von Cyberkriminalität zu sprechen? Vielmehr handelt es sich um eine normale Straftat, die lediglich mit dem Tatmittel Internet begangen wurde – also weder Computer- noch Internetkriminalität.
Um die Wirkung zu verstärken, wird eine repräsentative Befragung unter 1.000 Internetnutzern herangezogen, nach der mehr als die Hälfte (55 %) in den vergangenen zwölf Monaten Opfer von Cyberkriminalität geworden seien. Das entspräche – wahllos hochgerechnet – einer Gesamtzahl von rund 29 Millionen betroffenen Internetnutzern in Deutschland. Das Ergebnis der Befragung wird man diskutieren können, insbesondere wie weit der Begriff der Cyberkriminalität hier gefasst wurde (zählen Spam-Nachrichten und Phishing-Versuche hier mit hinein?).
Es geht um mehr Ermittlungsbefugnisse im Internet
Es ist recht durchsichtig, welches Ziel das Bundeskriminalamt mit diesem Lagebericht verfolgt: Mehr Ermittlungsbefugnisse im Netz, vor allem Abschaffung der Anonymität und Vertraulichkeit persönlicher Kommunikation. Das sagt BKA-Präsident Jörg Ziercke auch recht unverblümt:
[Die Zunahme von Cyberkriminalität und mangelnde Aufklärungserfolge] sind auch ein Effekt der fehlenden Verkehrsdatenspeicherung, von Anonymisierung und Kryptieren.
Dass weniger Anonymität und mehr Ermittlungen nicht gleichzeitig zwingend zu mehr Sicherheit führt, liegt auf der Hand. Wer grundlegende Freiheiten aufgibt um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren. Für eine größere Sicherheit im Internet wäre in erster Linie mehr Aufklärung notwendig: Es ist einfach keine gute Idee, für jedes Internetkonto dasselbe Passwort zu verwenden. Kinder und Jugendliche sollten Medienkompetenz in der Schule erlernen.
Letztlich wird man dem Lagebericht zur Computer- und Internetkriminalität wenig Aussagekraft beimessen können, zumindest solange die Abgrenzung von Cyberkriminalität und dem Internet als bloßes Tatmittel derart unscharf und zugleich interessengesteuert verläuft.