Urteile ergehen „Im Namen des Volkes“ – das ist auch gut so, denn dadurch bekommt Volkes Stimme einen kompetenten Vertreter an die Seite, der über die Schuld und das Strafmaß urteilt. Andersrum bekommt der Richter zwei Laienrichter, also Schöffen an die Seite, die ebenso über Schuld und Strafmaß mitentscheiden und dadurch Volkes Stimme repräsentieren.
Recht und Gerechtigkeit sind nicht dasselbe
In den letzten Jahren ist allerdings – gerade in Strafverfahren, die in der Öffentlichkeit stehen – zu beobachten, dass sich jeder zum Richter aufschwingt. Da wird über Beweisrecht diskutiert, die Zulässigkeit von Rechtsmitteln und natürlich über vermeintlich zu milde Strafen. Man meint, Recht kann jeder. Rechtsgrundsätze werden wahllos übertragen, vermeintlich passende Urteile vom Amtsgericht Kleinkleckersdorf herangezogen, es werden Vorschriften zitiert, die überhaupt nicht anwendbar sind. Schließlich wird immer darauf gepocht, die ganze Wahrheit zu ermitteln.
Natürlich gab es in den letzten Wochen und Monaten wiederholt Gerichtsurteile, die öffentliche Aufmerksamkeit und – teilweise zurecht – auch viel Kritik erregten: etwa die Freiheitsentziehung des Gustl Mollath, der 100-Millionen-Deal mit Bernie Ecclestone oder das Urteil im Fall Hoeneß – durchgängig waren diese Strafverfahren geeignet, Zweifel an der Justiz zu nähren. So kritisch diese Urteile auch aufgenommen wurden, es ist nach einer aktuellen Allensbach-Analyse nicht zu erkennen, dass sie das Grundvertrauen in die deutsche Justiz erschüttert hätten.
Das Vertrauen ist groß: Zwei Drittel der Deutschen haben ein großes Vertrauen in die deutschen Gerichte, nur 29 Prozent wenig und ganze fünf Prozent keinerlei Vertrauen. Über die letzten Jahre hinweg schwankte der Vertrauenspegel jeweils zwischen 60 und 71 Prozent.
Aufgehetzt durch ahnungslose Journalisten und populistische Ferndiagnosen
Dennoch wird die Unwissenheit und der Unmut durch Journalisten angeheizt, die vollkommen planlos über Strafprozesse berichten, Ferndiagnosen stellen und die Schuld eines Angeklagten in hochkomplexen Verfahren schon lange vor dem Schuldspruch ausmachen – grundlegende Rechtsbegriffe jedoch nicht zuordnen können, etwa: Das Gericht werde die Anklage bestätigen.
Längst ist dieser Populismus keine Domäne der „volksnahen“ Presselandschaft mehr – auch bisweilen seriöse Zeitungen driften in diesen überzogenen Empörungsjournalismus ab. Einseitige Berichterstattung mit einer mehr oder minder deutlichen Portion anbiedernder Entrüstung über diese oder jene Entscheidung – auch dort, wo diese völlig fehl am Platze ist.
Aufgabe der Presse ist es auch, gerichtliche oder gesetzgeberische Entscheidungen für die breite Öffentlichkeit transparenter zu machen und zu erklären, warum ein Gericht so und nicht anders entschieden hat oder entscheiden konnte. Eine rechtlich richtige Einschätzung ist allerdings nur überaus selten zu finden, die präzisen Analysen von Thomas Fischer und dergleichen sind allzu seltene Lichtblicke.
Zum Glück gibt es einige wirklich gute Blogs, die das Recht verständlich machen und gerade in öffentlichkeitswirksamen Prozessen das Geschehen treffend einordnen. Dennoch verbleibt bei vielen offenbar ein subjektives Ungerechtigkeitsempfinden, das sich in den Kommentarfeldern der Onlineausgaben und den sozialen Netzwerken manifestiert. Würde man dort eine Umfrage beginnen, das Vertrauen in die Justiz wäre verschwindend.
Ausbildung ist überbewertet
Natürlich können auch andere Fachrichtungen ein Lied davon singen – Ärzte zum Beispiel. Da kommen die Patienten und bringen die Diagnose gleich mit. Man hat sie ja schon ergoogelt. Ich frage mich dann immer, wozu Ärzte oder auch Juristen jahrelang studiert haben, praktische Ausbildungsjahre absolvieren und zwei oder sogar drei Staatsexamen ablegen müssen, wenn man schließlich auch mithilfe des Internets zu richtigen Diagnosen (oder Urteilen) kommen könnte.
Auch seriöse Medien sollten nun darüber nachdenken, Berichte ihrer Journalisten über Prozesse oder strafrechtliche Gesetzgebung von strafrechtlich erfahrenen Juristen wenigstens auf „grobe Schnitzer“ gegenlesen zu lassen, wollen sie nicht jede Glaubwürdigkeit verspielen. Was auch dort teilweise zu lesen ist, kann nur noch als haarsträubend bezeichnet werden.
Sie haben mit dem Beitrag den Nagel auf den Kopf getroffen. Ich kann ein Lied davon singen, allerding bin ich in einem anderen Rechtsgebiet (Arbeits- und Sozialrecht) tätig. Aber der Artikel passt auch hierzu.
Vielen Dank! Mir brannte das schon etwas länger unter den Nägeln …
Auch ich/wir können uns für sämtliche Bereiche des Steuerrechts nur anschliessen.
Schön wäre es, wenn man dieses Verhalten insbesondere das der Jounalisten mehr
in die breite Öffentlichkeit trägen könnte.
Der Beitrag ist völlig richtig, vermittelt aber den Eindruck, das sei einmal anders gewesen oder sei in anderen Bereichen anders. Die Qualität der Presseberichterstattung merkt man meistens nur, wenn man über den Gegenstand der Berichterstattung selbst informiert ist oder doch das Thema fachlich kennt. Der richtige Rückschluss auf die Qualität aller anderen Artikel zu allen anderen Themen wird leider dennoch nur selten gezogen.
Und was die Aufgabe der Presse betrifft: der weitaus größte Teil des Inhalts des weitaus größten Teils der Presseerzeugnisse verfehlt die Erfüllung der so empfundenen Aufgaben der Presse nach meinem Eindruck durchaus deutlich. Überraschend ist insoweit nur, dass zum einen der obige Rückschluss nur selten gezogen wird – insbesondere, wenn die Berichterstattung das eigene Weltbild bestätigt – und dass eine rechtliche Stellung der Presse so energisch und bedenkenlos verteidigt wird, die ihr nur zukäme, würde sie denn auch zumindest im wesentlichen ihre Aufgaben erfüllen.
„… und dass eine rechtliche Stellung der Presse so energisch und bedenkenlos verteidigt wird, die ihr nur zukäme, würde sie denn auch zumindest im wesentlichen ihre Aufgaben erfüllen.“
Sehr richtiger Kommentar. Vielen Dank!
Vielen Dank für Ihren richtigen und wichtigen Kommentar.
Der Presse ist es kaum möglich über den Zustand des Deutschen Rechtsstaats zu berichten. Die Menschen würden noch mehr Angst vor der Justiz bekommen.
Über einen anderen Menschen zu richten, ist keine Kunst.
Ein natürliches Rechtsempfinden sollte man keinem Bürger absprechen.
„Jeder ist sich selbst der beste Arzt.“
Auch einem Arzt sollte niemand blind vertrauen müssen.
Aufgrund der von mir gemachten Erfahrung, sollte sich in Deutschland gegenwärtig niemand auf seinen Anwalt verlassen müssen.
Tatsächlich rate ich jedem Deutschen Bürger dazu, sich zielgerichtet über die aktuelle Justiz zu informieren. Das scheint existentiell wichtig zu sein.
Lernen ist ein lebenslanger Prozess.
Durch das Internet haben Menschen aller sozialen Gruppen und jeder Bildung Zugang zu Informationen jeder Art. Erhalten die Möglichkeit zum Lernen.
Auch zu Informationen und Wissen, welche offensichtlich nicht einmal Staatsanwälten und Richtern kennen.
Sehen Sie hier Armin Nack zum Thema „Schuldfähig“:
http://youtu.be/aV4gjef-W4o
Ansehen und verstehen könnte helfen, die willkürliche Justiz in Deutschland auf einen rechtsstaatlichen Pfad zu führen.
Egal ob ein Amtsgericht in Buxtehude, Pinneberg oder sonst wo. Die Erwartungen der Bürger an eine faire, an eine ans Gesetz und an die demokratische Verfassung gebundene Justiz sind überall gleich.
Von Anspruch und Wirklich sind die Juristen, mit denen ich bisher Erfahrungen gemacht habe, allerdings Lichtjahre entfernt.
Die sogenannten „Gerichts-Reporter“ und deren Räuber-Geschichten sind so seriös, wie Jerry-Cotton Romane. Das weiß inzwischen natürlich auch jeder.
Verdienterweise verlieren die einschlägigen Magazine und Medien immer mehr an zahlenden Interessenten.
Die Branche richtet sich selbst zu Grunde.
1: Das Schöffenwesen ist häufig – wenngleich nicht immer – eine Farce. Es gibt sehr viele Schöffen die lediglich ihre Zeit absitzen und sich auch nicht trauen zu intervenieren. Ähnliches galt für ähnliche Einrichtunge wie die Beisitzer in Musterungsausschüssen. Ja, lang lang ists her.
2. Rechtsgefühl hat jeder, Rechtskenntnisse leider nur relativ wenige Leute über den Kreis der Juristen hinaus. Mein altes Beispiel ist dass der Abiturient nicht in der Lage ist, gegen den Musterungsbescheid Widerspruch zu erheben weil er es nicht gelernt. Ja, die Wehrpflicht ist auch schon länger ausgesetzt, dennoch existiert das Problem immer noch, wenn es diskutiert wird, dann nur unter dem kaufmännischen Aspekt. Das bedeutet dann eben Kaufrecht und AGB, aber über Verwaltungsrecht und Strafrecht lernen Schüler praktisch nichts. Und im Journalismusstudium lernt man hier eben nichts mehr dazu.
Und der Qualitätsjournalismus hat nicht nur hier nachgelassen, in anderen Bereichen auch. Dass eine parteiische Person im Spiegel den Mollath Prozeß kommentieren durfte wäre früher nicht vorgekommen.
3. Anwälte aber auch Beamte machen Mist, genauso wie Ärzte. Die Ärzte sind schon länger ihrem Halbgottstatus verlustig gegangen, nun passiert das auch den Juristen, wobei die eh immer und nicht ganz zu Unrecht „Rechtsverdreher“ genannt wurden. Und gewisse Dinge setzen sich eben so langsam fest, etwa dass die Staatsanwaltschaft eine ganz normale Behörde ist und eben nicht unabhängig ist – und somit in Deutschland nach der Pfeiffe des Justizministers tanzen muss. Das entmystifiziert diese Institution allerdings. Und bei manchen Verfahren entschuldigt man dann häufige Verfahrensfehler damit, es seien ja „summarische Verfahren“. Gut, dann fahr ich künftig nur noch summarisch nach Geschwindigkeitsbeschränkung, ich kann und brauche sie ja nicht in jedem Fall einzuhalten. Hauptsache die Richtung stimmt so ungefähr…. aber wehe wenn es dann blitzt, und der Fahrer ist nicht erkennbar, dann drohen die einem sogar mit richterlicher Vernehmung oder läuten am Wochenende. Wenn sie keine Beweise haben, sollen sie es eben lassen. Mit sowas verärgert man den Bürger, von durch die Justiz gedecktem Fehlverhalten der Polizei mal ganz abgesehen.