Ein Beschluss des OLG Frankfurt und die sich in diesem Zusammenhang stellende Frage der Reichweite des § 184b Abs. 5 StGB sorgt dieser Tage für Aufsehen.
Einem Strafverteidiger wird von der Staatsanwaltschaft Marburg zur Last gelegt, als Verteidiger einen Untersuchungsbericht mit 108 kinderpornografischen Abbildungen digital auf einen USB-Stick kopiert und ihn seinem Mandanten übergeben haben. Bei diesen Abbildungen handelte es sich um Fotos, auf die sich der Vorwurf gegen seinen Mandanten bezog. Darüber hinaus übergab er die Berichte und Gutachten an einen von ihm beauftragten Sachverständigen.
Das Verbot des § 184b StGB stellt für kinderpornografische Schriften ein absolut geltendes Verkehrsverbot dar, so dass jegliche Handlungen unter Strafe gestellt sind, mit der einem Dritten Besitz zu diesem Material verschafft wird. Dieses absolute, gegen jedermann wirkende Besitz- und Verkehrsverbot wird ausschließlich durch § 184b Abs. 5 StGB durchbrochen, und zwar vom Wortlaut nicht als Rechtfertigungsgrund, sondern vielmehr als eigenständige Berechtigungsnorm. Danach gilt § 184b StGB nicht
… für Handlungen, die ausschließlich der Erfüllung rechtmäßiger dienstlicher oder beruflicher Pflichten dienen.
Ein solches Verhalten hatte das Landgericht Marburg entgegen der Staatsanwaltschaft nicht als strafbare Drittbesitzverschaffung von kinderpornografischem Material qualifiziert. Gegen diese Entscheidung legte die Staatsanwaltschaft sofortige Beschwerde zum Oberlandesgericht Frankfurt ein. Dieses entschied, dass das Verfahren auch wegen dieser Tat zu eröffnen ist. Dazu führte es aus, dass die Berechtigungsnorm des § 184b Abs. 5 StGB eine abschließende Beschränkung enthält, die für Personen gilt, die mit dem inkriminierten Material auf Grund von dienstlichen oder beruflichen Pflichten zu tun haben müssen. Dies seien in erster Linie die Gerichte, Strafverfolgungsbehörden und die Verteidigung, sowie auch andere Personen in Erfüllung eines rechtmäßigen beruflichen Auftrags. Insbesondere umfasse das Verbot auch die Rückübertragung des Besitzes auf den Beschuldigten – von dessen Festplatte die Schriften stammen – zumal dessen Verteidigerrechte dadurch gewahrt werden können, dass ihm ein Akteneinsichtsrecht in den Räumen der Staatsanwaltschaft oder des Verteidigers gewährt wird. Für den Fall, dass der Beschuldigte seine sachgerechte Verteidigung nicht selber wahrnehmen kann (z. B. gerade wegen fehlenden Akteneinsichtsrechts), sieht die StPO deshalb vor, dass ihm in diesem Fall die Kenntniserlangung durch einen Pflichtverteidiger vermittelt werden muss (Meyer-Goßner, § 147 Rn. 4, ders. zu § 140 Rn. 27 m.w.N.).
Ebenfalls eröffnet Abs. 5 auch kein Recht zur Besitzübertragung auf einen vom Verteidiger beauftragten Sachverständigen, da im Ermittlungsverfahren die Staatsanwaltschaft „Herrin“ der Beweismittel und damit allein verfügungsberechtigt ist. In diesem speziellen Fall habe der vom Verteidiger beauftragte Sachverständige weder die erforderliche forensische Ausbildung, noch eigene Erfahrungen durch forensische Auswertung von Datenträgern gehabt, um ein dementsprechendes Gutachten erstellen zu können.
Eine interessante Entscheidung, die alle Strafverteidiger im Umgang mit verbotenem Material im Hinterkopf behalten sollten.
Nachtrag vom 16.06.2013: Deutliche Kritik an der Entscheidung des OLG Frankfurt übt Werner Beulke im Editorial des Strafverteidigers (StV), Heft Nr. 6:
Dessen Entscheidung ist bereits im Ausgangspunkt falsch, denn Beweismittel i.S.v. § 147 Abs. 1, 4 StPO sind ausschließlich die sichergestellten Originaldateien, während die hiervon angefertigten (digitalen) Kopien als Bestandteil der Ermittlungsakte anzusehen sind. Zwar darf auch Letztere nur vom Verteidiger eingesehen werden. Dahinter steckt jedoch in erster Linie das Bestreben, ihre Integrität und Vollständigkeit nicht zu gefährden. Zu Recht besteht daher Einigkeit, dass der Verteidiger grundsätzlich berechtigt ist, seinem Mandanten Kopien aus der Ermittlungsakte zu überlassen. Über Ausnahmen von diesem Grundsatz mag man allenfalls diskutieren, sofern es – anders als hier – um Verschlusssachen geht oder eine Gefährdung des Untersuchungszwecks droht.
Beulke rät, das Recht auf eine effektive Strafverteidigung nicht auszuhöhlen. Eine Weitergabe solle sich daher nur verbieten, wenn der Empfänger – für den Verteidiger eindeutig erkennbar – ausschließlich eine Nutzung der Akteninhalte für verteidigungsfremde Zwecke beabsichtigt. Er kritisiert ferner, dass die Verfolgungsbehörden diesem (vermeintlichen) Missbrauch von Verteidigerrechten nicht mit prozessualen Mitteln begegnen würden, sondern sich gleich der Keule des materiellen Strafrechts bedienten, obwohl der Gesetzgeber in Form des § 184b Abs. 5 StGB eine „goldene Brücke“ gebaut hat, um die sinnwidrige Kriminalisierung beruflicher Tätigkeiten in Fällen wie dem vorliegenden verneinen zu können. Schließlich lobt Beulke das Augenmaß des LG Marburg, das den Angeklagten inzwischen freigesprochen hat.
Nachtrag vom 29.07.2014: Nun hat sich auch der Bundesgerichtshof mit diesem Fall befasst (Urt. v. 19.03.2014 – 2 StR 445/13). Danach bestätigt der 2. Strafsenat grundsätzlich das Recht des Verteidigers, eigene Ermittlungen durchzuführen und dazu ggf. auch Sachverständige zu beauftragen, selbst wenn dadurch einem Dritten kinderpornografische Dateien verschafft würden, allerdings nur insoweit es zur Wahrnehmung der effektiven Strafverteidigung erforderlich ist.