Das Arztstrafrecht hat in den vergangenen Jahren so wie wohl kein zweites Gebiet im materiellen Strafrecht an Bedeutung gewonnen. Zwar liegen dazu keine Statistiken vor, aber dennoch scheint es, als zähle der Arztberuf nunmehr zu gefahrgeneigten Tätigkeiten, was am besten durch eine „Verrechtlichung der Medizin“ im Hinblick auf ein „Diktat juristischer Zwänge“ und eine Kriminalisierung ihrer Tätigkeit zu erklären ist. Die Patienten greifen früher und häufiger zur „Keule des Strafrechts“ – sicher auch eine Folge der Steigerung der Eingriffe, wenn etwa wie am Fließband künstliche Hüftgelenke eingesetzt werden. Es stellt sich dann nicht nur die Haftungsfrage, sondern man greift auch zu den Mitteln des Strafrechts.
Zahlreiche Möglichkeiten fahrlässigen ärztlichen Handelns
Der Band aus der Reihe „Praxis der Strafverteidigung“ stellt die Mandatsbearbeitung in den einzelnen Verfahrensabschnitten dar, angereichert durch viele Hinweisen zur Verteidigerstrategie und zu den Besonderheiten bei Strafverfahren gegen Ärzte (Kapitel 2). Den deutlich größeren Umfang im Buch nimmt allerdings das materielle Arztstrafrecht im ersten Kapitel ein, das einen beeindruckenden Bogen schlägt von der fahrlässigen Tötung und fahrlässigen Körperverletzung durch Behandlungsfehler, Aufklärungsfehler oder durch Organisationsfehler über Themen wie Sterbehilfe, unterlassene Hilfeleistung, ärztliche Schweigepflicht sowie Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse hin zu Delikten mit vermögensrechtlichem Einschlag wie Abrechnungsbetrug und Industriesponsoring im Spannungsfeld zur Vorteilsnahme und Bestechlichkeit.
Überaus detailliert beschäftigt sich Ulsenheimer im materiellen Teil auch mit den vielen kleinen Problemen des ärztlichen Alltags, jeweils unter Zuhilfenahme der bislang ergangenen und teils unveröffentlichten Rechtsprechung, die stets sehr sorgfältig ausgewertet wird. Ein besonderes Augenmerk legt der Verfasser auch auf eine saubere Aufgliederung der tatbestandlichen Voraussetzungen der jeweiligen Strafnorm, natürlich speziell im Hinblick auf ärztliches Handeln oder Unterlassen. Dies verschafft dem Leser einen schnellen Überblick über den Tatbestand und der damit einhergehenden rechtlichen Probleme. Zur Vertiefung der Ausführungen sind in Fußnoten zahlreiche Verweise auf weiterführende Literatur und Rechtsprechung untergebracht.
Die Stoffvermittlung im prozessualen Teil hätte hingegen gestrafft werden können. Zu sehr hält sich Ulsenheimer hier in Allgemeinplätzen auf, etwa mit dem Hinweis an den Verteidiger, seinen Mandanten keine Einlassung zur Sache vor Akteneinsicht abzugeben zu lassen. Dieser Rat mag der Vollständigkeit halber geboten sein, bedarf aber sicher nicht der Erläuterung auf mehr als einer Seite. Meines Erachtens zu ausführlich geraten sind außerdem die Darstellungen zur Vermeidung der Anklage als Hauptziel und den Einstellungsalternativen der §§ 153 und 153a StPO. Hier gibt es praktisch kaum Besonderheiten im Vergleich zum Verfahrensrecht außerhalb des Arztstrafrechts. Hilfreich wären aus meiner Sicht Erfahrungswerte gewesen, wie der Verteidiger die Fülle des Aktenmaterials, die solche Verfahren meist mit sich bringen, sinnvoll strukturieren und organisieren kann; im Speziellen, wenn die Akten nur digital zur Verfügung gestellt werden.
Ulsenheimer: neu bearbeitet und erweitert
Die 5. Auflage berücksichtigt erstmals das ärztliche Qualitäts- und Risk-Management sowie die Themen Patientenrechtegesetz und Patientenverfügung. Eingearbeitet wurde Rechtsprechung zur Sterbehilfe, zum Sponsoring im niedergelassenen Bereich (rechtliche Stellung des Vertragsarztes) sowie zum Abrechnungsbetrug des Vertragsarztes im GOÄ-Liquidationsbereich.
Insgesamt lässt das Buch im Übrigen kaum Wünsche offen und kann zurecht als Standardwerk eingeordnet werden. Die Anschaffung der Neuauflage ist schon deshalb zu empfehlen, da die Vorauflage bereits 2007 erschien und der Umfang des Werkes um 200 Seiten angewachsen ist.
C.F. Müller – Reihe: Praxis der Strafverteidigung (Band 7) – € 84,99
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