Kann man den Betreiber einer Internetseite zur Rechenschaft ziehen, der kein Impressum vorhält? Theoretisch schon, praktisch wird sich das häufig als außerordentlich schwierig erweisen. §§ 5 TMG, 55 RStV sind zwar eindeutig und gem. § 16 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 TMG stellt ein Verstoß gegen die Impressumspflicht – ganz gleich ob diese fahrlässig oder vorsätzlich begangen wird – eine Ordnungswidrigkeit dar, die mit Bußgeld von bis zu 50.000 Euro geahndet werden kann.
Wer sich im Ordnungswidrigkeitenrecht auskennt, weiß, dass Bußgelder abseits von Verkehrs-OWi eher selten verhängt werden. Der „Ermittlungseifer“ der zuständigen Behörden hält sich in Grenzen und regelmäßig werden nur grobe Verstöße in der Praxis überhaupt verfolgt. Ein Jura-Student aus München schwingt sich nun allerdings zur „Impressumspolizei“ auf und will einen bislang anonymen Plagiatsjäger so zur Verantwortung ziehen, berichtet die „WILDZeitung“, ein Projekt der Journalisten-Azubis der Axel Springer Akademie.
Wer ist Robert Schmidt?
Der Plagiatsjäger nennt sich „Robert Schmidt“ und betreibt zwei Blogs bei dem amerikanischen Anbieter WordPress.com – schavanplag und lammertplag. Auf den Seiten dokumentiert er nach eigenen Angaben vermeintlich wissenschaftliches Fehlverhalten in den Dissertationen der ehemaligen Bundesbildungsministerin Annette Schavan und des Bundestagspräsidenten Norbert Lammert. Vorgestern wies das Verwaltungsgericht Düsseldorf eine Klage Schavans gegen den Entzug ihres Titels ab, der Plagiatsjäger hat in diesem Fall demnach Recht behalten. Anders sieht es hingegen im Fall Lammert aus – die Uni Bochum hat das Verfahren eingestellt, weil die Arbeit „lediglich handwerkliche Schwächen“ aufweise.
Natürlich ist es bedenklich, dass ein anonymer Plagiatsjäger solche Vorwürfe in die Welt setzen kann – aber die Verantwortung trifft meines Erachtens in erster Linie die Medien, die diese Vorwürfe fast ausnahmslos ungeprüft aufgreifen und weiterverbreiten. Erst dadurch wird aus der Dokumentation ein Vorwurf – außerdem trifft die Medien eine besondere Sorgfaltspflicht, allein schon wegen ihrer enormen Reichweite sowie der Verpflichtung im Pressekodex. Das liest man bei den angehenden Journalisten der Axel Springer Akademie hingegen nicht.
Volkssport Denunziation?
Nicht verwunderlich ist, dass der Jura-Student wohl Mitglied der CDU ist, dies verdeutlicht zumindest seine Motivation: „Es ist mittlerweile beinahe zum Volkssport im Internet geworden, dass Politiker denunziert werden sollen. Und dies stets hinter dem Deckmantel der Anonymität des Netzes.“ Zwar gibt es Millionen deutsche Internetseiten ohne ordentliches Impressum – ein generelles Problem scheint er darin aber nicht zu sehen. Ebenso nicht darin, dass offensichtlich von Robert Schmidt keinesfalls unwahre Tatsachen behauptet oder verbreitet werden, lediglich dokumentiert er Stellen in Doktorarbeiten, die wissenschaftlich nicht „sauber“ nachgewiesen sind. Wie der Autor des Artikels allerdings zu folgender Schlussfolgerung kommt, erschließt sich – freundlich formuliert – eher nicht:
Eigentlich hätten die deutschen Gesetze Annette Schavan also vor dem Entzug ihres Doktortitels schützen müssen.
Die Impressumspflicht soll geeignet sein, vor dem Entzug eines Doktortitels zu schützen? Die Plagiatsvorwürfe im Fall Schavan wären dann nicht publik geworden? Mich erinnert das an die aktuelle Entwicklung in der Türkei, wo kurzerhand der Zugriff auf Twitter blockiert wird, um damit die korruptiven Verfehlungen des Ministerpräsidenten zu verdecken.
Meinungsfreiheit und Impressumspflicht
Aus TMG und RStV folgt zwar eine Impressumspflicht für bestimmte (nicht private) Webseiten, diese kann jedoch nicht die verfassungsrechtlich garantierte Meinungsfreiheit einschränken. Erinnern wir uns zurück an die Vorlesung „Grundrechte“ – in Hamburg im zweiten Semester: Die Meinungsfreiheit ist „für die freiheitliche demokratische Staatsordnung schlechthin konstituierend“ (BVerfGE 42, 133) und allgemeine Gesetze i.S.d. Art. 5 Abs. 2 GG können die Freiheiten des Abs. 1 nicht beliebig einschränken. Es gilt die Wechselwirkungslehre:
„Die allgemeinen Gesetze müssen in ihrer das Grundrecht beschränkenden Wirkung ihrerseits im Lichte der Bedeutung dieses Grundrechts gesehen und so interpretiert werden, dass der besondere Wertgehalt dieses Rechts, der in der freiheitlichen Demokratie zu einer grundsätzlichen Vermutung für die Freiheit der Rede in allen Bereichen, namentlich aber im öffentlichen Leben, führen muss, auf jeden Fall gewahrt bleibt.“ (BVerfGE 7, 198)
Weitaus interessanter ist doch, dass die Betroffenen selbst scheinbar nicht an der Verfolgung von Robert Schmidt interessiert sind. Ihnen würde mit den §§ 186, 187 StGB sogar die Strafverfolgung offenstehen und damit weitreichende staatsanwaltliche Ermittlungsmöglichkeiten. Aus wahrscheinlich gutem Grunde wird davon jedoch kein Gebrauch gemacht.
Ich finde dass sich, auch ohne viel Phantasie, recht gut erkännen lässt, wie der Autor zu seinem Schluss kommt: Hätte „Robert Schmidt“ sich an die Impressumspflicht (bei Christian Piovano „die deutschen Gesetze“) halten müssen, hätte er von der Veröffentlichung abgesehen, hätten die Medien das Thema nicht aufgegriffen, hätte die Universität nicht geprüft, hätte Frau Schavan ihren Titel behalten. Das ist vollkommen strigent – für jemanden der bei seiner Argumentation über die schlichte Kausalität nicht hinaus kommt.
Nach ca. 4 Jahren juristischen Studiums hätte man allerdings in der Tat mehr erwarten können. Zumindest die Einsicht, welche Weiterungen die gezeigte Argumentationslinie bringt (u.a. „Hätte Frau Schavan nicht plagiert, hätte sie den Titel nicht verloren“ oder gleich „wäre sie nicht promoviert worden…“)