Der „Prinz Protz“ Marcus von Anhalt wurde im Januar zu vier Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, verbringt die Zeit bis zur Entscheidung über seine Revision allerdings weiterhin nicht im Luxusappartement sondern auf ein paar Quadratmetern in einer Zelle.
Über den Antrag des Staatsanwalts – der hatte 4 Jahre und 10 Monate Freiheitsstrafe gefordert – scheint er aber wohl noch erbost zu sein, wenn man der Berichterstattung glauben darf. Danach schrieb der Prinz in einem privaten Brief aus der Justizvollzugsanstalt, dieser Staatsanwalt sei der dümmste der Welt, der schiele, viel zu klein sei und auch gerne George Clooney wäre, aber voll sei mit Komplexen.1 Dieser Brief blieb unglücklicherweise in der Postkontrolle (§ 29 Abs. 3 StVollzG) hängen und erreichte den Empfänger nicht.
Dafür landete der Brief erneut beim Staatsanwalt (bei welchem bleibt unklar) und schließlich beim Strafrichter, der einen Strafbefehl über 60.000 Euro erließ – wegen Beleidigung. Nun darf Rechtskenntnis bei bayrischen Amtsrichtern ja nicht zwingend vorausgesetzt werden2, so dass hier auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hingewiesen werden soll.
So urteilte der 1. Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 90, 255), dass eine vom Schutz der Privatsphäre umfasste vertrauliche Äußerung diesen Charakter nicht dadurch verliert, dass sie der Briefüberwachung gemäß §§ 29 Abs. 3, 31 StVollzG unterliegt. Eine Verurteilung wegen Beleidigung, die auf einer gegenteiligen Annahme beruht, verstößt daher gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG). In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Brief hatte eine Jurastudentin die Bediensteten einer JVA als schwachsinnig bezeichnet und mit KZ-Aufsehern verglichen. Die Rechtsprechung gesteht bei ehrverletzenden Äußerungen über nicht anwesende Dritte in besonders engen Lebenskreisen nämlich eine beleidigungsfreie Sphäre zu, wenn die Äußerung Ausdruck des besonderen Vertrauens ist. Dieser Schutz der Vertrauenssphäre geht auch dann nicht verloren, wenn sich der Staat – etwa durch die Postkontrolle – Kenntnis von vertraulich gemachten Äußerungen verschafft.3
Im „Reichparteitags-OLG“ II-Beschluss verwies das Bundesverfassungsgericht das Verfahren gar nicht erst an das Ausgangsgericht zurück, sondern entschied in der Sache, da für das Ausgangsgericht kein Entscheidungsspielraum mehr bestand und sich das OLG Bamberg nicht willig gezeigt hatte, die Entscheidung des BVerfG („Reichparteitags-OLG“) nachzuvollziehen.
- Wer sich selbst ein Bild verschaffen möchte, muss den Ursprungsartikel bei Google suchen. [↩]
- OLG München, Beschluss v. 04.06.2014 – 3 Ws 656/13; 3 Ws 657/13 = StraFo 2014, 422 (Ls.) [↩]
- Ausführlich: Arloth, Die „beleidigungsfreie Sphäre“ bei Briefen im Strafvollzug, ZIS 2010, 263 [↩]
Da der Fall offenkundig in Bayern spielt, liegt auch der Verweis auf § 29 StVollzG neben der Sache, da Bayern über ein eigenes Vollzugsgesetz verfügt.
@SH: Und wo ist da noch gleich der Unterschied?
Art. 32 Abs. 3 BayStVollzG:
§ 29 Abs. 3 StVollzG:
@Strafakte.de:
Es gibt ein bayerisches UVollzG (Art. 19, 20 BayVollzG), so dass auch der zweite Versuch (knapp) daneben gegangen ist.
Inhaltlich gibt es zwischen den beiden zitierten Normen keinen Unterschied. Ich meine nur, dass man auch die richtigen Normen anführen sollte, wenn man schon der Auffassung ist, sich auf der Basis unzureichender Informationen als Oberlehrer gerieren zu müssen.
@SH:
Art. 19, 20 BayUVollzG muss es natürlich heißen.
@SH: Da haben Sie die Diskussion mit Ihrem Kommentar aber unglaublich weitergebracht! Schon einmal daran gedacht, dass Deutschland nicht nur aus Bayern besteht und viele interessierte Leser auch aus anderen Bundesländern kommen könnten und sich für die entsprechenden Normen interessieren.
Deshalb wird versucht, die Artikel so allgemein wie möglich zu verfassen. Das kann ein bayrischer Oberlehrer natürlich nicht verstehen …
@Strafakte.de:
Woher nehmen Sie die Information, dass ich aus Bayern komme?
Lediglich eine Vermutung. So, und nun genug der Freundlichkeiten – ich muss für mein Geld arbeiten!
Es ist schon gesagt worden, dass der Hinweis auf das StVollzG fehl geht. Dies hängt damit zusammen, dass sich der Prinz offenbar noch in Untersuchungshaft befindet – also gerade nicht im Strafvollzug. Die Briefkontrolle erfolgt daher wohl eher auf Grund § 119 Abs. 1 Nr. 2 StPO.
Die Briefkontrolle wird in solchen Fällen – nach meiner Kenntnis – meist von den erkannt habenden Richtern oder (falls die Briefkontrolle übertragen worden ist) von dem zuständigen Staatsanwalt durchgeführt. Dabei ist dem Untersuchungshäftling genau bekannt – jedenfalls wird es ihm mitgeteilt – wer die Kontrolle durchführt.
@HD: Die beleidigungsfreie Sphäre knüpft an § 185 StGB an und nicht an das StVollzugsG. Warum sollte für Briefe aus der Untersuchungshaft dann etwas anderes gelten?
@Strafakte.de: Man muss sich immer genau die Konstellation ansehen. Zum Beispiel muss man genau hingucken, wie weit Briefkontrolleure und Beleidigte von einander entfernt sind. In den zitierten Fällen hat zum einen ein Außenstehender beleidigt, der noch nicht einmal wissen muss, dass der Brief kontrolliert wird. Zum anderen hat der Gefangene das OLG beleidigt, das mit dem Briefkontrolleur nichts oder nur sehr entfernt etwas zu tun hatte. Wenn es dem Beleidiger aber gezielt darauf ankommt, dass der von ihm Beleidigte Kenntnis von seiner Äußerung nimmt, etwa weil er weiß, dass der Beleidigte sie selbst liest oder Richter, die mit dem Beleidigten regelmäßig zu tun haben – dann verlässt er mit der objektiven Zielrichtung seiner Äußerung die Intimsphäre und kann sich nicht mehr auf ihren Schutz berufen.
Darauf hat ja auch schon meine5cent hingewiesen.
Daher halte ich den Umstand, dass sich der Prinz noch in U-Haft befindet, durchaus für ein zur Beurteilung des Sachverhalts wichtiges Faktum.
@HD: Ohne die royale Intelligenz beleidigen zu wollen, aber kann der ernsthaft wissen, wer die Post liest? Frag mal einen durchschnittlichen Jurastudenten, ob der das weiß. Grundsätzlich der Ermittlungsrichter, ausnahmsweise ein Staatsanwalt – aber dass es nun gerade ausgerechnet der Sitzungsvertreter sein soll, der gleichzeitig für die Postkontrolle zuständig ist, ist doch echt eher fernliegend.
@Strafakte.de: @Strafakte.de: Hmm. Mein aus Erfahrung gespeister Eindruck ist, dass die Betreffenden genau wissen, wer die Post liest. Aber gut, ob der Prinz das wusste oder nicht – ist Tatfrage (die man besser nicht anhand von Presseberichten beantwortet).
Vielleicht wurde der Prinz ja erst mal vom dümmsten Anwalt der Welt in den Knast verteidigt.
@Gitterschleicher: wenn er die Leitung des Verteidigers verrissen hätte, wäre er wegen dieses Briefes nicht verurteilt worden. Unterstellt, er hätte seinen Verteidiger als schwachsinnig bezeichnet.
Sorry aber diese „Justizhetze“ ist doch albern. Klar gibt es Fehlentscheidungen, dafür gibt es Rechtsmittel.
Allerdings gehört es nicht zum guten Ton zu versuchen, die Justiz und deren Mitarbeiter mit der Herausstellung von solchen Einzelfällen als unfähig oder unwissend darzustellen. Das scheint mir zu oft die Standardrechtfertigung eines Anwalts gegenüber seinem Mandanten zu sein, wenn der Fall nicht so gelaufen ist, wie vorher teilweise vollmundig in Aussicht gestellt wurde.
Ich war selbst mehrere Jahre als Anwalt tätig und ganz ehrlich, was die durchschnittliche juristische Qualität anwaltlicher Rechtsausführungen angeht (v.a. im Bereich der „überlaufenen“ Rechtsgebiete), darüber sollte die Zunft des Öfteren lieber den Mantel des Schweigens ausbreiten…
@LXRGB: Was die durchschnittliche juristische Qualität mancher anwaltlicher Rechtsausführungen angeht kann ich Ihnen zustimmen. Allerdings muss man auch bei der Wahrheit bleiben, dass auch so krasse Einzelfälle wie dieser (und die vielen anderen, über die ich hier bereits berichtet habe) eben doch irgendwie keine Seltenheit sind. So etwas darf der Justiz einfach nicht passieren – nicht dem Staatsanwalt und schon gar nicht darf es der Richter einfach durchwinken. Das erlebt man aber leider regelmäßig, selbst wenn man noch keine 20 Jahre als Anwalt arbeitet!
Ich kann natürlich nachvollziehen, dass das großen Spaß bereiten muss, gegen den gesamten Berufsstand eines Bundeslandes pauschaliert Hetze zu betreiben. Vielleicht besteht aber zukünftig auch noch Gelegenheit dazu, den Artikel daneben mit den notwendigen Informationen zu unterfüttern. Ob der Brief der beleidigungsfreien Sphäre des engsten Lebensbereichs unterfällt, dürfte von dem (nicht mitgeteilten) Adressaten des Briefes abhängen.
Na ja, so eindeutig falsch ist der Strafbefehl angesichts der dünnen Faktenlage nicht. Denn der 1. Senat des BVerfG hat durchaus Spielraum gelassen für eine (Rest)Strafbarkeit:.. (unter Ziff. I. 3 vorletzter Absatz)
„Erst recht ist es der Fall, wenn eine Mitteilung an Vertrauenspersonen nur genutzt wird, um den Briefkontrolleur oder durch ihn Dritte zu treffen. Dazu bedarf es dann aber der Feststellung tatsächlicher Umstände, die diese Annahme rechtfertigen können. “
Und ob der „Bekannte“ als Briefempfänger eine Vertrauensperson i.S. der Entscheidungen des 1. und 2. Senats ist, kann man nach den Presseberichten auch nicht so ganz klar erkennen:
„Er sei aber der Meinung gewesen, dass der Staatsanwalt im Steuerrecht nicht sonderlich kompetent sei und von wirtschaftlichem Handeln nicht viel Ahnung habe. Das werde er „in einem privaten Brief ja wohl einem Bekannten gegenüber mitteilen dürfen“. (Augsburger Allgemeine)
Habe ich das richtig gelesen? 60.000? Für eine Meinungsäußerung ?
Entweder hat der Prinz ein geradezu märchenhaft hohes Einkommen oder da hat jemand etwas übertrieben.
Warum die Portokasse des Märchenprinzen in dieser Form belastet werden musste, ist unklar. Denn: es gibt den p.154 StPO. Dieser ermöglicht den Verfolgungsbehörden, die Staatskasse zu schonen, indem belanglose Vorwürfe nicht erhoben werden. Die Geldstrafe fällt im Hinblick auf die bereits ausgeurteilte Strafe nicht weiter ins Gewicht.
Die bayerische Justiz schäumt über vor persönlichen Rachefeldzügen von einzelnen Anhehörigen der Justiz. Es erscheint, als ob einige dort glauben, man könne das Recht missbrauchen, um persönliche Rachefeldzüge wegen bestimmter Persönlichkeitsblähungen auszuleben.
Richter und Staatsanwälte nehmen leider nach wie vor immer noch in Anspruch eine Sonderbehandlung zu erfahren. Den Kredit in der Bevölkerung verspielen sie allerdings zunehmendst selbst
Nur zur Klarstellung: Die Überschrift bezieht sich auf die Aussage des Prinzen in seinem Brief und diese mache ich mir ausdrücklich nicht zu Eigen. Ich kenne den Staatsanwalt ja auch gar nicht.
@Strafakte.de:
Und im Übrigen wurde der Strafbefehl ja auch von einem dummen (?) Richter erlassen. ;-)
Der dümmste Rechtsanwalt der Welt? Wär doch mal eine tolle Beweisaufnahme, ist doch ne Tatsachenbehauptung und damit überprüfbar ;)
*Ironiemodus off*
Rechtlich hat der Kollege Laudon ja recht. Aber man muss auch nicht immer sagen was man denkt. Gehört für uns Anwälte doch auch zum täglich Brot – und klappt sogar ab und an ;)
Man sollte öfter mal § 344 StGB ins Spiel bringen, so wie von Prof. Dr. Holm Putzke getan: http://www.nordkurier.de/mecklenburg-vorpommern/rabauken-affaere-staatsanwaltschaft-unter-druck-1215466606.html
Das alles zeigt, dass unreife Personen Positionen innehaben, denen sie charakterlich nicht gewachsen sind. Ein Staatsanwalt muss Beleidigungen von Strafgefangenen (jedenfalls in gewissem Maß) einfach aushalten.
@Helmuth Trostlos: „Man“ sollte öfter? Dies müsste ja die StA tun und die wird sich schwer hüten, gegen einen StA aus den eigenen Reihen oder gegen einen Richter ein Verfahren wegen § 344 StGB einzuleiten, ganz abgesehen davon, dass der Tatbestand zumindest in subjektiver Hinsicht wohl tatsächlich nicht erfüllt wäre – siehe oben: Rechtskenntnis kann nicht zwingend vorausgesetzt werden.