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Fall Tuğçe: Anklage wegen Körperverletzung mit Todesfolge

Nun beginnt die juristische Aufarbeitung des Todes der Studentin Tuğçe, die auf dem Parkplatz eines Fastfood-Restaurants nach einem Streit niedergeschlagen wurde und an den Verletzungen verstarb. Die Staatsanwaltschaft Darmstadt (Zweigstelle Offenbach) erhob heute Anklage vor der Jugendkammer des Landgerichts wegen Körperverletzung mit Todesfolge gem. § 227 StGB.

Die Staatsanwaltschaft geht demnach bereits in der Anklageschrift davon aus, dass die Tat ohne – zumindest bedingten – Tötungsvorsatz geschah. Die Körperverletzung, für die allerdings ein Schlag oder eine Ohrfeige ausreichend sein würde, müsste allerdings mit Vorsatz ausgeführt worden sein. Wenn sich die Presseberichte bewahrheiten sollten, dass dem Schlag eine verbale Auseinandersetzung vorausging, ist zumindest nicht ausgeschlossen, dass der Täter in Notwehr handelte oder eine solche irrig annahm. Dadurch würde der Vorsatz wegfallen und somit auch die Anknüpfung der besonders schweren Folge1.

Durch Notwehr geboten?

Die Bezeichnung als „Hurensohn“ könnte der Täter als einen gegenwärtigen Angriff auf seine Ehre, die neben anderen Rechtsgütern2 auch ein strafrechtlich geschütztes Rechtsgut darstellt, verstanden haben. Handelte der so Betitelte mit Verteidigungswillen, könnte der Schlag unter Umständen durch Notwehr gerechtfertigt gewesen sein. Er war geeignet, den Angriff auf seine Ehre sofort zu beenden – fraglich könnte demgegenüber allerdings sein, ob die Antwort mit Fäusten auf einen verbalen Angriff erforderlich war. Zwar ist grundsätzlich das relativ mildeste Mittel zu wählen, um den Angriff zu beenden, eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter findet jedoch nicht statt. Dabei kommt es ausdrücklich nicht auf die Gleichwertigkeit des angegriffenen und des durch die Notwehrhandlung verletzten Rechtsguts an3, lediglich ein unerträgliches Missverhältnis kann die Notwehr als nicht geboten erscheinen lassen.

Vorhersehbarkeit des Todes von Tuğçe

Die schwere Folge, also der Tod von Tuğçe, wäre dem 18-Jährigen dann zurechenbar, wenn diese kausal auf den Schlag zurückzuführen wäre und ein sog. gefahrspezifischer Zusammenhang zwischen Grunddelikt und schwerer Folge gegeben ist. Der Eintritt des Todes müsste für den 18-Jährigen auch vorhersehbar gewesen sein.

Die gestrigen Berichte von Bild.de, der Ohrring von Tuğçe wäre für ihren Tod „verantwortlich“, haben sich als unzutreffend herausgestellt. Im Obduktionsbericht finde sich nach einem Statement der Staatsanwaltschaft dazu jedenfalls „keine Passage“.

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Justitia muss blind sein und sich nicht durch die öffentliche Meinung beeinflussen lassen // Foto: Lupo / pixelio.de

Insbesondere mit der Frage der Vorhersehbarkeit der tödlichen Folge wird sich das Gericht sehr eingehend auseinandersetzen werden müssen. Maßgeblich ist, ob von dem Heranwachsenden in seiner konkreten Lage, nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten der Eintritt des Todes vorausgesehen werden konnte. Eine Rolle wird dabei auch die erhebliche Alkoholisierung (1,4 Promille) spielen, die die kognitiven Fähigkeiten des Täters wahrscheinlich beeinträchtigt haben könnten und zudem enthemmend wirkten sowie, ob sich der Eintritt des Todes nur als eine Verkettung außergewöhnlicher und unglücklicher Umstände darstellte.

Kommt man zu dem Schluss, dass der Tod für den Heranwachsenden aufgrund seines Alters, der Erregung wegen einer vorangegangenen Beleidigung und auch der Alkoholisierung nicht vorhersehbar war, bliebe es bei einer Verurteilung wegen einfacher Körperverletzung nach § 223 StGB. Zudem bleibt abzuwarten, ob eine Verurteilung im Sinne des § 105 JGG nach Jugendstrafrecht erfolgt, weil der 18-jährige die erforderliche Reife eines Erwachsenen nicht aufweist oder die abzuurteilende Tat jugendtypische Züge aufweist.

Wie auch immer das Urteil am Ende ausfallen mag, geht es im Strafprozess um die persönliche Schuld eines Täters und nicht um Vergeltung. So tragisch und unnötig der Tod von Tuğçe auch empfunden wird, muss die Bestrafung des vermeintlichen Täter trotz allem schuldangemessen in Bezug auf eine konkrete, ihm vorwerfbare Handlung sein. Ohne Recht keine Gerechtigkeit.

  1. vgl. StV 2014, 347 []
  2. u.a. Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit, sexuelle Selbstbestimmung; ferner auch Eigentum, Vermögen und rechtlich geschützte Interessen wie das Recht am eigenen Bild []
  3. BGH, 03.06.1980 – 5 StR 287/80 []

4 Kommentare zu “Fall Tuğçe: Anklage wegen Körperverletzung mit Todesfolge

  1. Wuerde die Notwehr nicht an der Gegenwaertigkeit scheitern? Der Angriff ist ja bereits beendet, außer natuerlich es folgte ein Schwall weiterer Beleidigungen

    • @Sven: Das ist nicht sicher zu beurteilen, die Presseberichte sind da nicht eindeutig. Es war aber zu lesen, dass die eine Beleidigung sozusagen „das Fass zum Überlaufen brachte“, der Schlag also direkt darauf erfolgte. Dann wäre der verbale Angriff gegenwärtig gewesen.

      • @Strafakte.de: aber selbst wenn es im unmittelbaren zusammenhang waere, waere in dem moment wo die beleidigung ausgesprochen worden ist der angriff bereits vollendet und somit nicht mehr gegenwaertig, soweit nicht weitere beleidigungen folgen bzw die gefahr dazu besteht. Ich bin mir dessen zwar sicher kann mich natuerlich aber auch irren, in dem fall die floskel: betrachten sie das bitte als gegenstandslos ;)

  2. Ich kann den Fall natürlich auch nur aufgrund der Medienberichte beurteilen. Wenn ich mich nicht irre, lauerte der Täter dem Opfer aber auf dem Parkplatz nach der ursprünglichen Konfrontation auf. Es würde mich sehr überraschen, wenn die Beleidigungen nicht ursprünglich vom Täter ausgingen und eine Notwehrprovokation vorliegt. Das ist zwar zugegebenermaßen Spekulation, mehr ist bei diesem Fall zur Zeit aber auch nicht möglich ;)

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