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76 Tage pro Jahr für das Lesen von AGB

Wer liest eigentlich Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB), bevor er auf „Annehmen“ klickt? Eine Studie hat nun errechnet, dass es durchschnittlich 76 Tage im Jahr dauern würde, wenn wir alle Nutzungsbedingungen und Datenschutzerklärungen lesen würden, die uns in diesem Jahr im Alltag begegnen und von uns ohne nähere Prüfung akzeptiert werden.

AGB im Umfang von „Hamlet“

Viele Bedingungstexte grenzen an eine Zumutung: 33.500 Worte benötigt etwa der Zahlungsdienstleister PayPal, um uns seine Nutzungsbedingungen, Datenschutzgrundsätze, Nutzungsrichtlinien, Käufer- und Verkäuferschutz nahe zu bringen. Damit ist dieses Vertragsstück länger als Shakespeares „Hamlet“ – und natürlich deutlich langweiliger.

Überraschende Klauseln

In London wollte eine Organisation kürzlich zeigen, wie sorglos man mit Nutzungsbedingungen umgeht. Im Stadtzentrum stellten sie kostenloses WLAN bereit und ließen die Nutzer zuvor ihre Bedingungen akzeptieren. Diese enthielten allerdings eine Falle: In verklausulierter Sprache war darin eine „Herodes-Klausel“ enthalten, die dazu verpflichtete, im Gegenzug für die kostenlose Nutzung des WLAN seinen Erstgeborenen an die Organisation abzutreten. Hat irgendjemand diese Klausel beanstandet? Natürlich nicht.

Eine solche Vereinbarung wäre natürlich im Sinne von § 305c Abs. 1 BGB eine überraschende Klausel, die nicht Vertragsbestandteil würde. Überhaupt sollen Geschäftsbedingungen nur dann wirksam werden, wenn der AGB-Verwender der anderen Vertragspartei bei Vertragsschluss die Möglichkeit verschafft, in zumutbarer Weise vom Inhalt der Regelungen Kenntnis zu nehmen. Kann man tatsächlich verlangen, dass eine Partei Bedingungen im Umfang von „Hamlet“ liest, um 3,75 Euro via PayPal zu überweisen?

Begrenzung auf 200 Wörter?

Kritsanarat Khunkham fordert daher in der Welt, dass Vertragsbedingungen vom Umfang her begrenzt werden sollten. In 200 Worten sollten Firmen demnach erklären müssen, worauf sich der Kunde einlässt. Das wäre dann nicht nur nutzerfreundlich, sondern auch ehrlich.

Dieser Beitrag hat übrigens 266 Wörter.


18 Kommentare zu “76 Tage pro Jahr für das Lesen von AGB

  1. In 200 Worten zu erklären, worauf sich der Kunde einlässt, dürfte ohne Weiteres möglich sein und halte ich auch für sinnvoll. Allerdings hat ein solcher Text dann natürlich nichts mit Nutzungsbedingungen/ AGB zu tun.

    Eine allgemeingültige Beschränkung von AGB auf 200 Worte sollte es m. E. nicht geben. Damit würden den Verwendern ihre Möglichkeiten der Vertragsgestaltung unangemessen beschnitten. Die Alternative wäre wohl, dass man umfangreiche (externe) AGB verbietet und im Gegenzug umso umfangreichere Vertragsformulare hervorruft…

    Gruß, Julian Jansen
    http://www.dasrechtderstrasse.blogspot.de

    • @Julian Jansen: Wenn ich Strafakte (endlich) richtig verstanden habe wären aus meiner Sicht 2 Versionen ideal: Die kurze, Übersicht, für den User und eine seeeeehr lange für die Herren Abmahnanwälte.

      • Eine kurze Übersicht gibt durchaus Sinn, das stimmt. Aber wie du schon richtig sagst: nur als Ergänzung zu den weiter bestehenden normal-langen AGB. Wenn man den „Usern“ aber durch eine kurze Version quasi nahe legt, dass sie die AGB gar nicht mehr lesen müssen, weil vermeintlich alles schon in der Zusammenfassung steht, dann wäre das keine gute Konsequenz…

        Andererseits ist unser Recht nach meinem Empfinden in Sachen AGB-Kontrolle ohnehin sehr streng. Sehr viele Klauseln werden aus Sicht des Kunden als unangemessen oder überraschend gewertet – und sind deshalb unwirksam. Der Schutz der „User“ ist also schon gut ausgeprägt (gerade dann, wenn die User in der Praxis tatsächlich nie AGB lesen).

        Gruß, Julian
        http://www.dasrechtderstrasse.blogspot.de

        • @Julian Jansen: Die Idee ist, die Kurzversion nicht von den Unternehmen sondern von Dritten (z.B. von Nutzern) erstellen zu lassen. Die Anbieter mit aus Nutzersicht „unfairen“ AGB würden in ihren eigenen Zusammenfassungen die kritischen Inhalte wahrscheinlich nicht nach vorne stellen.

          In der Kurzversion geht es dann überhaupt nicht mehr um das Thema Rechtssicherheit oder Abmahnschutz sondern um das Thema Transparenz der nutzerrelevanten Inhalte.

          Die Vision der Kurzversion von AGB besteht darin, die (nutzerrelevanten) Inhalte zu Produktmerkmalen der Anbieter zu machen.

          Beispiel: Bei Amazon muss der Kunde die Rücksendekosten beim Buchkauf selbst tragen. Gibt es einen Anbieter, der die Rücksendekosten im Widerrufsfall übernimmt, wechsel ich vielleicht zu dem. Wie reagiert Amazon darauf, wenn das immer mehr Kunden machen? Das funktioniert grundsätzlich für jeden nutzerrelevanten Aspekt von AGB.

          • @Ralf:

            Die Vi­sion der Kurz­ver­sion von AGB be­steht darin, die (nut­zer­re­le­van­ten) In­halte zu Pro­dukt­merk­ma­len der An­bie­ter zu machen.

            Da ist ja noch Spielraum für ein Internet Start-up, die ein solches Portal ins Leben rufen könnte – finanziert durch Werbung und Affiliate.

          • ach so ist das?! Dritte sollen die Kurzfassung erstellen… Das hatte ich gar nicht verstanden. Umso interessanter, dieser Ansatz!

            Und ja, das schreit geradezu nach einem Startup.

      • @Ralph W.: Also die lange Version gibt es ja schon mit dem Ziel, die Grundlagen der Geschäftsbeziehungen rechtlich zu konkretisieren. Eine kurze Version müsste ausschließlich die für Nutzer (Verbraucher) relevanten Inhalte aufzeigen.

        Am Beispiel wird das vielleicht deutlich: Die Standard-Widerrufsbelehrung ist über 500 Wörter lang. Jeder E-Commerce Anbieter tut gut daran, diese zu nutzen (und das Wort regelmäßige an der richtigen Stelle hinzuzufügen.) Für den Nutzer sind daraus nur drei Infos relevant: Widerrufsfrist, Rücksendekosten und Ausnahmen. Die Haftungsbeschränkung von einem inländischen Internetanbieter ist dagegen für den Nutzer uninteressant. Hier versucht jeder Anbieter seine Haftung bis zum maximal zulässigen Umfang zu minimieren. Aus der Nutzersicht ergeben sich hieraus keine nützliche Information über den Vertragsinhalt.

        An Kurzversionen von AGB im Internet wird übrigens auch schon gearbeitet. (vgl. wikimarx.de oder tosdr.org)

  2. Ich will ja nicht meckern, aber: Es ist ja fast wie bei den 76 Tagen für die AGB: Haben Sie den Artikel nur gelesen, oder auch verstanden und gewichtet/geprüft?
    „A standard reading rate in the academic literature is about 250 words a minute, so each and every privacy policy costs each person 10 minutes to read.“
    Wenn Menschen AGB mit 250 Worten pro Minute lesen werden sie sie gelesen haben, aber recht wahrscheinlich (Wahrscheinlichkeit umgekehrt proportional zu juristischer Kompetenz und Übung im verstehenden Lesen -solcher- Werke) nicht unbedingt in ihrer vollen rechtlichen Wirkung verstanden.
    „Man“ (Studien sollen ja einen Durchschnitt oder Regelwert darstellen) braucht also deutlich länger als „76d“.

    Ausserdem hat, wenigstens umgangssprachlich, ein Tag 24h, ein Arbeitstag 8. Man braucht nach Meinung der Studie also 76 Arbeits- oder Manntage (gibt es für Letzteres eigentlich schon einen korrekten „Gleichstellungsbegriff“?), nicht 76 Tage.

    P.S. Die Herodes-Klausel kann böse nach hinten losgehen… Mancher ist froh, wenn er den Balg endlich los wird ;)

    • @Ralph W.: Es geht hier ja nicht um Verständnis der AGB, sondern um das bloße Lesen – man könnte auch „Überfliegen“ sagen. Dadurch soll nur gezeigt werden, wie umfangreich solche Vertragsklauseln sind. Ginge es um das Verständnis, müsste man wohl zugestehen, dass kaum ein Durchschnittsbürger ohne juristische Kenntnisse diese überhaupt verstehen würde.

      Im Übrigen sind die 76 Tage eher symbolisch zu verstehen.

      • @Strafakte.de: Hallo Strafakte :)
        Waren das nicht die Juristen, die sich bei Abschluss von für Diese unvorteilhaften Verträgen durch Verbraucher an die Stirn klatschen (neudeutsch: Facepalm) und fragen „Ja, haben Sie das denn nicht gelesen?“ (und meinen „verstanden“).
        Wenn ich einen Vertrag nicht verstehend lese, brauche ich ihn IMHO gar nicht zu lesen. Das kommt dann auf’s Gleiche raus. Oder sehen Sie das wirklich anders?

        • @Ralph W.:

          Oder se­hen Sie das wirk­lich anders?

          Ja, weil es darum in diesem Artikel überhaupt nicht geht. Noch einmal: Der Artikel soll lediglich verdeutlichen, dass der Umfang der Vertragstexte wächst und von einem Durchschnittsmenschen gar nicht gelesen werden kann.

          Es geht nicht darum, ob man die AGB lesen sollte oder wie zivilrechtlich spezialisierte Anwälte diese einschätzen – es geht schlicht darum, dass schon das Lesen zeitlich nicht machbar ist.

          Um das Verständnis – was zweifelsohne noch viel länger dauern würde – geht es hierbei überhaupt nicht. Gerade die Dauer für ein „verstehendes Lesen“ wäre von Mensch zu Mensch je nach seiner Vorbildung auch sehr unterschiedlich und kann deshalb kaum zu einer allgemeinen Größe gemacht werden.

          • @Strafakte.de: AHA! Ja, da kann ich mitgehen.
            Wobei die Webmaster, die ich kenne, machen das aus reinem Selbstschutz und nicht um den User zu vergraulen (nützt dem User nur nichts…).
            Es gibt ja in Ihrer Branche so das eine oder andere maximal pigmentierte Abmaaaaahn-Schaf.

            P.S. Dann würde ich also bei meiner offensichtlich „schnellen“ Auffssungsgabe gleich doppelt so lange benötigen ;)

  3. @strafakte.de: touché

    Ein solches Start-up Portal würde aber auch pfiffigen Anwälten Spielraum geben, sich positiv zu differenzieren. Abmahnsicher ist leicht behauptet und für den Mandanten kaum nachvollziehbar. Nutzerfreundlich dagegen ist ein neues Kriterium. Ein Imageschaden aufgrund von kritisch bewerteten AGB ist für viele Mandanten möglicherweise ebenso relevant wie nachvollziehbar. Bereits als kritisch bewerte AGB würden zudem einen gewissen Handlungsdruck erzeugen.

    Nach meiner Einschätzung sind eine Vielzahl der durch Nutzer als kritisch bewerteten Vertragsklauseln weder rechtlich noch wirtschaftlich notwendig. (Beispiel: „Wir speichern den Vertragstext nicht..“

    Man könnte das ganze noch weiter spinnen und Anwälten die Möglichkeit bieten, in einer geschlossenen Nutzergruppe (gegen kleines Entgelt in Form von Nutzerprämien) AGB vor ihrer Veröffentlichung auf ihre Akzeptanz zu überprüfen. Aber das führt an dieser Stelle wirklich zu weit.

    • @Ralf: „Ab­mahn­si­cher ist leicht be­haup­tet“
      Wenn ich über sowas stolpere, frage ich gerne ob der Anbieter (Jurist) bei 100% Umsetzung seiner „Vorschläge“ die Haftung (Rechtsvertretung inkl. aller Kosten) übernimmt. Kommt kein positives Feedback (nicht-Veröffentlichung oder keine Antwort auf Kontaktform)

      • @Ralph W.:
        Ich bin kein Anwalt, dafür schon öfters Mandant in diesem Kontext gewesen. Dabei habe ich mich immer um ein verständliches Wording in meinen eigenen AGB bemüht und oft vom Anwalt komplizierte Formulierungen mit dem Abmahnargument erklärt bekommen. Aus der Mandantensicht ist diese Argument schnell behauptet, ohne dass er (Mandant) dies nachvollziehen oder überprüfen kann.
        Da sich die Rechtssprechung permanent durch neue Gerichtsurteile ändert, ist 100% abmahnsicher natürlich Quatsch. Das habe ich aber so auch noch nie von einem Anwalt gehört.

  4. „Die­ser Bei­trag hat üb­ri­gens 266 Wörter.“

    266 Wörter die ich gern gelesen hab ;)

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