Die Frankfurter Allgemeine Zeitung nannte ihn einst das „schillerndste Organ der Rechtspflege in Niedersachsen“ und meint Richter Jörg L., der zuletzt als Referatsleiter im niedersächsischen Justizprüfungsamt in Celle beschäftigt war und im dringenden Verdacht steht, Prüfungsthemen für das zweite Staatsexamen an Referendare weitergegeben zu haben. Diese habe er für Beträge zwischen 4.000 und 20.000 Euro oder vielleicht sogar gegen sexuelle Dienstleitungen verraten. Der „Spiegel“ berichtet in seiner aktuellen Ausgabe aus den Ermittlungsakten, wonach er bis zu fünf intime Beziehungen zu Referendarinnen unterhalten haben soll.
Offenbart Jörg L. der Staatsanwaltschaft seine Kunden?
Die Polizei führe in dem Ermittlungsbericht ca. 20 Fälle auf, in denen zumindest Klausurthemen gezielt zum Kauf angeboten worden sein sollen. Diese seien nun Gegenstand der Anklageschrift, die die Zentralstelle für Korruptionsstrafsachen der Staatsanwaltschaft Verden in den nächsten Tagen erheben will. Die Hauptverhandlung könnte dann sogar noch im Dezember beginnen. Es ist nicht auszuschließen, dass bereits Verhandlungen über einen „Deal“ laufen, in dem L. seine ehemaligen Kunden offenbart, was ihm mit einer Strafmilderung „gedankt“ würde. Andernfalls wäre wohl kaum sicherzustellen, auch alle „falschen“ Juristen zu entlarven, die heute vielleicht selbst bei einer Staatsanwaltschaft oder als Richter tätig sind.
Wahrscheinlich auch noch andere Bundesländer betroffen
An die 2.000 Absolventen, die seit 2011 in Niedersachsen ihre Examensklausuren geschrieben haben, wurden oder werden noch überprüft. Es ist allerdings gut möglich, dass sich Kandidaten auch in anderen Bundesländer durch die Prüfungen „gemogelt“ haben könnten, da diese häufig parallel auch in anderen Bundesländern geschrieben werden und L. innige Kontakte zu einem Repetitor in Hamburg unterhalten habe, der ebenfalls Kunden geworben haben soll. Der war jahrelang ein Kollege von Jörg L., als dieser vor seiner Tätigkeit im Justizprüfungsamt (JPA) noch selbst Repetitor war und dort Kandidaten auf das Examen vorbereitete. Wegen der guten Kontakte nach Hamburg könnte somit ebenfalls das Gemeinsame Prüfungsamt für Hamburg, Schleswig-Holstein und Bremen von dem Klausurenleck betroffen sein.
Überaus peinlich ist, dass die niedersächsische Justiz bereits seit Längerem von einer undichten Stelle gewusst haben soll und ausgerechnet Jörg L. mit der Aufklärung der Verdachtsmomente betraut habe. Erst im Januar 2014 geriet L. selbst unter Verdacht, als sich die Vizepräsidentin des Landgerichts Stade beim Prüfungsamt meldete und von einer Referendarin berichtete, der von einem Hamburger Repetitor Klausuren aus Niedersachsen angeboten worden seien.
Nachlässigkeiten im Justizprüfungsamt und bei den Ermittlungen
Die Ermittlungen der Polizei ergaben außerdem, dass das Prüfungsamt in Celle bis 2013 einen unverständlich nachlässigen Umgang mit den kommenden Examensklausuren und zugehörigen Musterlösungen pflegte. Diese seien unverschlüsselt in einem Ordner auf dem Server des JPA aufbewahrt worden, so dass darauf nicht nur hauptamtliche Prüfer, sondern alle Mitarbeiter der Geschäftsstelle und auch Rechtspfleger zugreifen konnten. Darüber hinaus wären vollständige Ausdrucke der zukünftigen Klausursachverhalte in Stehordnern auf der Geschäftsstelle aufbewahrt worden – der Kreis der Mitarbeiter, die darauf Zugriff hatten, sei völlig unüberschaubar gewesen. Daher sei ein erstes Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft eingestellt worden.
Der „Spiegel“ will zudem herausgefunden haben, dass die Ermittlungen gegen den Richter nur sehr schleppend verliefen. Anstatt zeitnah eine Durchsuchung von Büroräumen und Wohnung zu veranlassen, wurde er lediglich observiert – konnte allerdings noch mit einem Prepaid-Handy Kontakt zu ehemaligen Kunden aufnehmen.
Kurz vor seiner Flucht Ende März – man hatte nun handfeste Beweise gegen L. – fand eine Unterredung unbekannten Inhalts mit einem Staatssekretär statt, der den Richter über den Umfang der Ermittlungen informiert haben könnte. Nach dem Gespräch soll L. nach Informationen des „Spiegel“ seine ursprünglichen Pläne geändert und sich für eine Flucht entschieden haben. Dass ihn diese nur nach Südeuropa und nicht nach Südamerika führte, ist allerdings unverständlich, zumal noch kein Haftbefehl gegen ihn vorlag. Die Reise währte nur kurz und endete in in einem Mailänder Vier-Sterne-Hotel, wo er mit 30.000 Euro in bar, einer geladenen Pistole des Kalibers 7,65 und einer Prostituierten aufgegriffen wurde. Nun sitzt er in Bremen in U-Haft.
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