Regelmäßig zeigt sich die öffentliche „Volksseele“ entsetzt über vermeintlich zu lasche Strafen vor Gericht. Insbesondere bei jugendlichen Tätern wird dabei verkannt, dass die Anwendung des Jugendstrafrechts gemäß § 2 JGG erneuten Straftaten eines Jugendlichen entgegenwirken soll und die Rechtsfolgen deshalb ausschließlich am Erziehungsgedanken auszurichten sind.
Die Hamburger Morgenpost interviewte anlässlich eines aktuellen Falls in Hamburg den neuen Direktor des Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen Prof. Thomas Bliesener.
Professor Bliesener, begreifen Jugendliche bei einer Bewährungsstrafe überhaupt, dass sie etwas falsch gemacht haben? Das wirkt doch überhaupt nicht abschreckend.
Thomas Bliesener: Es gibt eine Reihe von Untersuchungen zum Abschreckungsgedanken. Demnach wirken harte Strafen nur im Verkehrsrecht abschreckend. Bei Gewalttaten funktioniert das nicht. Diese Taten, ob von Jugendlichen oder Erwachsenen, werden oft im Affekt begangen. Die denken in dem Moment auf Deutsch gesagt nicht bis zum nächsten Laternenpfahl.
Was geht in Jugendlichen vor, die so eine brutale Gewalttat verüben?
Da spielt die Gruppendynamik oft eine wichtige Rolle, normative Grenzen werden durch gegenseitige Anstachelung verschoben, nach dem Motto: „Wenn die anderen das gut finden, kann es ja kein unerwünschtes Verhalten sein.“ Die Täter glauben sogar, im Ansehen ihrer Altersgenossen zu steigen. Und dann kommen oft noch Drogen und Alkohol dazu, die Hemmungen abbauen.
Die Jugendlichen haben Therapieauflagen bekommen. Das klingt nicht besonders streng.
Therapie ist harte Arbeit für die Jugendlichen. Sexualstraftäter müssen sich etwa in die Rolle des Opfers versetzen, Männlichkeits-Stereotype werden in Frage gestellt, Vergewaltigungsmythen aufgebrochen. Alles, womit die Jugendlichen die Tat vor sich selbst und unter Gleichaltrigen rechtfertigen, etwa die Vorstellung, dass das Opfer es doch auch wollte, wird intensiv bearbeitet. Wenn die Jugendlichen da nicht mitmachen, schwebt ja immer die Aufhebung der Bewährung über ihnen.
Was bedeutet monatelange Untersuchungshaft für einen jungen Menschen?
Das ist ein einschneidendes Erlebnis, das wird schon als Strafe erlebt. Es gibt aber keine Hinweise, dass das läuternd wirkt. Da ist eher zu befürchten, dass die Jugendlichen in der U-Haft Leute kennenlernen, die sie später zu weiteren Straftaten animieren.
Ist die Rückfallquote nach Bewährungsstrafen eigentlich geringer als nach Jugendhaft?
Grundsätzlich gilt: Je härter die Strafe, desto größer die Rückfallgefahr. Was auch deshalb plausibel ist, weil nur die schweren Fälle in Haft gehen, bei denen die Gerichte oft auch eine Wiederholungsgefahr sehen.
Stimmt der Eindruck, dass die Jugendkriminalität immer schlimmer wird?
Im Gegenteil, die Jugendkriminalität nimmt seit Jahren ab. Im vergangenen Jahr stagnierte die Zahl, aber ein Anstieg ist nicht zu verzeichnen.
Aber die Taten werden immer brutaler.
Auch das wird häufig behauptet, stimmt aber ebenfalls nicht. Keine Untersuchung bestätigt, dass die Personenschäden gravierender werden.