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Krawattenpflicht am Strafgericht

Angeregt durch die Diskussion im Lawblog und die zunehmende Anzahl an Krawatten- oder Robenverweigerern soll dieses Thema auch hier einmal aufgegriffen werden.

Seit einigen Jahren ist in den Gerichtssälen des Landes häufiger zu beobachten, dass einige Rechtsanwälte und Strafverteidiger ihre modischen Freiheiten ausleben und dementgegen die Berufsordnung (§ 20 BORA) nicht allzu ernst nehmen. Erst in der letzten Woche saß mir ein Verteidiger in offener Robe gegenüber, der darunter ein kariertes Freizeithemd trug, welches mit zwei geöffneten Hemdsknöpfen und Goldkette (statt Krawatte um den Hals) allzu lässig daherkam.

Das Bundesverfassungsgericht hatte sich bereits im Februar 1970 mit solchen „renitenten“ Amtstrachtverweigerern zu beschäftigten und urteilte:

Seit rund 100 Jahren besteht in Deutschland einheitlich die Verpflichtung der Rechtsanwälte, in den öffentlichen Verhandlungen jedenfalls der LG und der ihnen im Rang entsprechenden sowie der im Instanzenzug höheren Gerichte in Amtstracht aufzutreten. Sie beruht in den Ländern, die insoweit keine gesetzliche Regelung erlassen haben, auf Gewohnheitsrecht, das durch längere tatsächliche Übung entstanden ist, die dauernd und ständig, gleichmäßig und allgemein war und von den beteiligten Rechtsgenossen als verbindliche Rechtsnorm anerkannt wurde.
(…)
Es besteht ein erhebliches Interesse der Allgemeinheit daran, daß Gerichtsverhandlungen in guter Ordnung und angemessener Form durchgeführt werden können. Diesem Zweck dient es, wenn auch die an der Verhandlung beteiligten Rechtsanwälte eine Amtstracht tragen. Sie werden dadurch aus dem Kreis der übrigen Teilnehmer an der Verhandlung herausgehoben; ihre Stellung als unabhängiges Organ der Rechtspflege wird sichtbar gemacht (§ 1 BRAO). Darin liegt auch ein zumindest mittelbarer Nutzen für die Rechts- und Wahrheitsfindung im Prozeß; denn die Übersichtlichkeit der Situation im Verhandlungsraum wird gefördert und zugleich ein Beitrag zur Schaffung jener Atmosphäre der Ausgeglichenheit und Objektivität geleistet, in der allein Rechtsprechung sich in angemessener Form darstellen kann.

Und am 13.03.2012 äußerte sich das Bundesverfassungsgericht noch einmal dahingehend, dass es für Strafverteidiger auch eine Krawatte für angemessen erachtet. Der Verteidiger war von einer bayrischen Strafkammer zurückgewiesen worden, weil er sich hartnäckig weigerte, eine Krawatte anzulegen (und auch schon vorher unangenehm aufgefallen war):

Der Beschwerdeführer kann ähnliche Maßnahmen künftig abwenden, indem er eine Krawatte anlegt. Dies stellt für ihn – auch mit Blick auf die Interessen seines Mandanten an einem zügigen Prozessverlauf – keine unzumutbare Belastung dar.

In den meisten Bundesländern ist gesetzlich konkretisiert (z.B. in Hamburg durch Bestimmung des Senats vom 08.03.1955, Amtlicher Anzeiger S. 265), wie diese Amtstracht auszusehen hat, sinngemäß heißt es dort1, dass ein Anwalt zur schwarzen Robe ein weißes Hemd und eine Krawatte zu tragen hat. Dass diese nach Möglichkeit für Strafverteidiger ebenfalls weiß zu sein hat, ist mittlerweile schon fast in Vergessenheit geraten.

Nach Johannes „Johnny“ EisenbergUdo VetterRainer PohlenCarsten R. Hoenig und vielen anderen bekennenden Krawattenmuffeln wird die Frage gestattet sein, wo die Schmerzgrenze der tauglichen Standesbekleidung erreicht sein soll: Verteidiger im T-Shirt (NJW 2006, 3079), im Hawaii-Hemd, Jogging-Anzug oder grellfarbigen Hemden oder Anzügen (wie sie etwa in den 90er Jahren sehr modern waren)?

Eine Einführungsbuch in die Praxis der Strafverteidigung2 konstatiert, dass die Gerichte mittlerweile in aller Regel Oberhemden und Krawatten in nahezu allen Farben und Mustern akzeptieren und auch das Tragen von Anzügen nicht mehr erwartet oder gefordert wird. Weiter heißt es (und man beachte den möglichen Rückschluss zur unangemessenen Kleidung):

Zum Teil tragen selbst Berufsrichter und Staatsanwälte unter der Robe Jeans und Turnschuhe. Der Verteidiger sollte dem nicht unbedingt nacheifern und sich angemessen kleiden, da auch heute noch immer Kleider Leute machen. Wenn es unbedingt eine Jeans sein muss, sollte sie keinesfalls allzu ausgewaschen oder gar zerschlissen sein.

Mit der Allgemeinen Verfügung der Senatsverwaltung für Justiz vom 23. März 2009 hob das Land Berlin die bis dahin geltende gesetzliche Konkretisierung auf. Der damals zuständige Staatssekretär Hasso Lieber stellt jedoch dazu klar, dass damit keinesfalls die Robenpflicht abgeschafft, sondern lediglich in die Hände der Anwaltschaft übertragen wurde:

In Berlin ist für Anwälte die Pflicht, eine Robe zu tragen, keineswegs abgeschafft worden. § 20 BORA regelt, dass eine Robe zu tragen ist, „soweit dies üblich ist“. Ob dies bei Anwälten üblich ist, regelt in fast allen Ländern die Justizverwaltung. Dass diese dazu auch die Kompetenz besitzt, ist in Berlin bis zum OVG ausgeurteilt worden. Ich habe das für einen Anachronismus gehalten. Die Begründung aus dem politischen Testament Friedrichs II. dürfte heute kaum noch tragend sein. Also regelt die entsprechende VO in Berlin seit 2009, dass die Anwaltschaft – nicht mehr die Justizverwaltung – regelt, was für sie üblich ist. Nach einer Übergangsphase hat die RAK Berlin aufgrund der Stellungnahmen aus der Anwaltschaft und der Praxis vor den Gerichten inzwischen entschieden, dass das Tragen der Robe in Berlin üblich ist. Damit hat die Anwaltschaft selbst entschieden. Selbstbestimmung statt Oktroyation war das Ziel der Regelung.

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Da haben wir es in Deutschland doch gut erwischt: Berufstracht in anderen Ländern

Die Frage nach einer Robe oder Krawatte ist häufig nicht mehr als eine Kraftprobe zwischen dem Gericht und verweigernden Rechtsanwalt. Die Entscheidung, ob diese auf dem Rücken des Mandanten ausgetragen wird, liegt allerdings einzig beim Rechtsanwalt. Schließlich geht es „nur“ um eine Krawatte und eine Robe – beides wohl nicht vergleichbar mit Amtstrachten in anderen Ländern.

  1. vgl. Prütting, in: Henssler/Prütting, BRAO § 20 BORA Rn. 8 []
  2. Klemke/Elbs: Einführung in die Praxis der Strafverteidigung (3. Aufl. 2013) Rn. 818 []