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Die badische Aktenheftung

Ein kleines badisches Dorf, etwa einzugrenzen auf den Oberlandesgerichtsbezirk Karlsruhe,1 hält es tatsächlich immer noch für sinnvoll, seine Strafakten auf eine Aktenschnur einzufädeln. Dieses Prozedere wird als Badische Aktenheftung bezeichnet und geht auf deren Aktenordnung zurück, die dort seit Jahrhunderten (zumindest seit 1801) so praktiziert wird.

Die Akten werden mit einem speziellen Locher links oben zweifach gelocht. Die Löcher haben einen Durchmesser von ca. 2,5 mm und einen Abstand von 43 mm, die Aktenseiten werden mit einer Aktenschnur und rückseitig einem Knoten verbunden – natürlich nicht einem x-beliebigen, sondern einem Badischen Aktenknoten. Für das Auffädeln der Aktenseiten auf die Aktenschnur werden lustigerweise „Aktenstichel“ – auch Aktenstecher genannt – verwendet.

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Die Akte ist gemäß gallischer badischer Aktenordnung gebunden. Foto: @vieuxrenard (CC-BY SA 3.0)

So praktisch und günstig diese Heftart auch für deren Verwender sein mag, führt sie in unserem Sekretariat stets zu gedämpfter Begeisterung, ob dem Hinweis, die Akten bitte Blatt für Blatt (statt dem Einzugsscanner) zu kopieren. Die schöne Aktenheftung soll schließlich nicht zerstört werden. Man muss ja nun aber nicht jeden Unsinn mitmachen und so versenden wir die Akten regelmäßig mit aufliegendem Aktenbändel zurück, mit dem Hinweis, dass es – nach dem Amtsgericht Köln – einem hanseatischen Rechtsanwalt kaum zugemutet werden kann, diese Akten wieder in „musterländlegültiger Weise“ zusammenzuknoten.

Denn das Amtsgericht Köln schrieb in seinen Beschluss vom 08.01.1970 – Az. 72 AR 1217/69:

„Die badische Aktenordnung ist hier nicht bekannt. Es ist nur bekannt, dass sie recht altertümlich ist und eine ausgesprochene Sonderstellung innerhalb aller deutschen Aktenordnungen einnimmt, was allen Nichtbadenern immer wieder zusätzliche Last und Arbeit macht. Anscheinend verlangt die Villinger Geschäftsstelle, dass das Büro des Verteidigers, das offenbar die Akten zum Zwecke der Herstellung von Photokopien auseinandergenommen hat, dass es diese wieder in musterländlegültiger Weise zusammenknotet. Dabei sollte sie doch sehr anerkennen, dass dieses Anwaltsbüro sich überhaupt die Mühe gemacht hat, einen Zwirnsfaden durch 70 kleine Löcher zu ziehen, was sicherlich eine halbe Stunde Arbeit in Anspruch genommen hat. Das unterzeichnete Gericht pflegt das jedenfalls nicht zu tun …

Solange die Badener sich nicht entschließen, eine zeitgemäße Art des Aktenheftens einzuführen, wie sie ansonsten überall im Gebrauch ist, kann eine badische Geschäftsstelle nicht verlangen, dass ein nordrheinwestfälisches Gericht einen Rechtsanwalt anhält, sich oder sein Büro einem Lehrgang über badische Aktenheftung zu unterziehen. Wir haben hier wirklich größere Sorgen. Es entspricht auch nicht dem Art. 3 (1) GG, wenn die badischen Gerichte berechtigt sein sollen, anderen Leuten mehr Arbeit zu machen als alle anderen.“

Treffender kann man es kaum formulieren.

  1. Ich würde nicht soweit gehen, es wie bei Asterix als das „Dorf der Unbeugsamen“ zu bezeichnen. []

21 Kommentare zu “Die badische Aktenheftung

  1. Mit preußischer Fadenheftung würde das nicht passieren. Da werden die Akten nämlich säuberlich vernäht, das bekommt kein Anwalt so schnell gelöst. ;)

  2. Ich verstehe das Problem nicht. Knoten aufmachen, Faden raus, durch den Kopierer jagen, Blätter sauber aufstapeln… bis hierher ist alles wie beim Aktenordner… und anstatt die Seiten in den Ordner einzufädeln, nun hält einen Faden durchziehen. Mehr Arbeit ist das sicher nicht.

      • Wenn man eine Akte, bestehend aus ca. 250 Blatt, kopieren möchte, muss man den Bad. Aktenknoten zumindest lösen, und einen losen Sicherheitsknoten (vergleichbar einem Schuhbindeknoten) anbringen. In diesem Fall ist der ursprüngliche Bad. Aktenknoten bereits geöffnet. Insoweit könnte man auch die Aktenschnur ausfädeln und die Akte mit dem Einzugsscanner kopieren. Die gescannten Aktenblätter richtet man zum Stoß aus (wie sonst auch üblich) und fädelt die original Bad. Aktenschnur wieder ein. Hierzu benötigt man nicht zwingend den original Bad. Aktenstichel oder Aktenstecher sondern benutzt hilfsweise eine etwas dickere Stricknadel aus dem häuslichen Bestand oder dem Handarbeitsgeschäft. Ist die Akte wieder aufgefädelt reicht, wenn man zugegebenermaßen den original Bad. Aktenknoten (auch Ruhe- oder Archivknoten genannt) nicht beherrscht, ein einfacher Knoten (Schuhbindeknoten, Schnürsenkelknoten) ausreichend. Wenn die Akte so gebunden unter Beachtung der Paginierung wieder in ihr badisches Musterbüro zurückkommt, wird sicherlich kein Verfechter der althergebrachten und nachweislich äußerst praktischen bad. Aktenführung aufgebracht sein. Das bad. Musteramt oder Musterbüro hat sicherlich in der Vergangenheit schlimme Erfahrungen hinsichtlich des Zustandes der zurückgekommenen Aktenbündel gemacht. Wenn man Blätter aus einer Ringordnerakte zum Scannen oder Kopieren entnimmt, sendet man sie auch nicht lose mit dem leeren Ringordner zurück.
        Für uns bad. Verwaltungsbeamte ist die badische Aktenführung und Heftung eine zeitgemäße, praktische und revolutionäre Erfindung, die nur von wahren Kennern und Praktikern als solche erkannt wird.

        Günther Johann Braun
        (Verfechter der original Badischen Aktenheftung

        • Als 14-jähriger Lehrling in einer Gemeindeverwaltung hat man mich in den ersten Tagen mit dem Binden des Badischen Aktenknotens, im speziellen Fall bei den „Faszikeln“ der Grundbuch“hilfsakten“ beschäftigt. Vor über einem halben Jahrhundert.

          Jahre später und nicht mehr in der Verwaltung habe ich mir einen Locher und leibhaftige Aktenschnüre für meine Ablage zugelegt un schaff no alliwiil gärn demid!

  3. Einfach herrlich, dieser Artikel, und allzu ernst sollte man die Sache nicht nehmen, denke ich, sondern unter „Sonderbarkeiten“ abhaken.

  4. Diese badische Kuriosum hat gewaltige Vorteile: Man kann darin blättern wie in einer Zeitung, man kann einzelne Seiten kopieren, ohne die Blätter aus der Heftung zu nehmen, UND eine badische Akte ist garantiert heftklammerfrei – man kann die Akte ungelesen durch den Kopierer oder Scanner jagen.
    Beim Versand spart man Porto, weil ein voluminöser Aktendeckel fehlt.

    Wenn man weiß, wie es geht, macht die Akte vom Auspacken bis zum Wiedereintüten die wenigste Arbeit.

    • @Freiberufler: Außer, man „verbietet“ eben quasi die Entfernung des Aktenfadens (siehe Foto) und möchte, dass man jede Seite einzeln kopiert. Bei mehr als 100 Seiten wird das nervig, weil mehreren Tausend zu einer langen Aufgabe.

  5. Mein Gott könnt ihr euch aufregen. Sind die lieben Anwälte denn tatsächlich so pleite, dass sie sich keine halbe Stunde einer Sekretariats-Azubine mehr leisten können?

    Mein Motto: Nicht jammern, sondern arbeiten!

    Und über altertümliche Bräuche brauchen sich die Kölner mal gar nicht lustig machen. Ich sag nur „Karneval“. Der wohl sinnloseste und stumpfsinnigste Brauch der Welt!

  6. Ich schneide die Kordel meistens einfach durch, scanne die Akte im Einzelblatteinzug und schicke sie dann ungebunden und mit beiden Kordelhälften zurück nach Baden. Für mehr habe ich keine Zeit.

    Bisher hat sich noch niemand darüber beschwert – aber für den Fall der Fälle kenne ich ja jetzt die Rechtsprechung meines AG Köln dazu. :)

  7. Karlsruhe ist eigentlich schon Pfalz. Ich weigere mich, diese als Badner anzusehen ;D

  8. Badener Aktenheftung – Wieder was dazugelernt…
    Wie sortiert der gemeine badische Rechtspfleger denn aber neu hinzugekommene Schriftstücke in die Akte wenn der Badische Aktenknoten so solide geknüpft ist, dass er jedesmal mit der Schere getötet werden muss?

  9. Man möge die Aktenheftung sehen wie man will, den Kommentarten ist aber eine seltsame Respektlosigkeit zu entnehmen, die beschriebenen „Trotzreaktionen“ erscheinen gar kindisch.

  10. Einerseits halten wir die badischen Kollegen für rückständig; diese wiederum uns Württemberger für nicht traditionsbewusst und unkultiviert.
    Effizient wie wir Württemberger nun einmal sind, nutzen wir selbstverständlich den Dokumenteneinzug des Kopierers – freilich ohne die Möglichkeit, die Akte wieder zusammenfädeln zu können, was regelmäßig verärgerte Beschwerden aus Baden nach sich zieht.
    Mit der Einführung der eAkte bei der Justiz B-W wird der Hauptgrund des württembergisch-badischen Gegensatzes hoffentlich nunmehr endgültig verschwinden.

  11. Ich lernte 1995-1997 beim Amtsgericht Offenburg und bei allem Respekt für diesen humorvollen Artikel, so schwer ist der Knoten jetzt ned…

  12. Was Art. 3 GG betrifft, hat der Richter/Rechtspfleger am AG Köln im Fach Grundzüge der Grundrechtslehre nicht aufgepaßt (vgl. BVerfG, 25.02.1960 – 1 BvR 239/52).

    Im Übrigen ist es eine Selbstverständlichkeit, daß ein Prozeßbeteiligter die Regelungen des Gerichtsorts zu beachten hat. Wenn ein nordrhein-westfälischer Anwalt an einem Prozeß in Frankreich (Gallien!) teilnimmt, übernimmt er die damit zusammenhängenden Pflichten und macht sich lächerlich, wenn er im selben Atemzug ruft „Alles falsch! Altertümlich!“. Gleiches gilt für ein Gericht, das zur Rechtshilfe verpflichtet ist.

    • @OG: Aber nun gehört Baden ja nun nicht zu Frankreich, sondern zu Deutschland. Und hier kann man m.E. nicht verlangen, dass sich eine teuer bezahlte Fachkraft einen Tag an den Kopierer stellt, um eine 1.000-seitige Akte (4 Sonderbände) Blatt für Blatt zu kopieren, wenn es der Einzugscanner in unter 15 Minuten schaffen würde.

      • @Strafakte.de:

        Aber nun gehört Baden ja nun nicht zu Frankreich, sondern zu Deutschland.

        Das ist für mich ein Null-Argument. Genauso gut könnte der Anwalt in meinem Beispiel sagen: „Nun gehört Frankreich ja zur EU und ich kann erwarten, daß die Prozeßregeln EU-weit dieselben sind.“

        Warum sollte der nordrhein-westfälische Anwalt gegenüber seinen badischen Berufskollegen besser gestellt sein?

        Natürlich darf man die badische Tradition als umständlich, unzeitgemäß etc. kritisieren. Innerhalb und außerhalb Badens. Aber eben nicht mit dem Ansatz „Das machen wir hier nicht, weil wir hier nicht in Baden sind“. Dies zur Klarstellung, worauf sich meine Erwiderung bezieht.

      • Oh, wie kleinkariert seid ihr denn, es ist doch mehrfach erwähnt worden, dass die Akten trotz sogenannten Verbot aufgefächert kopiert werden und das Einfädeln kein große Hinderniss darstellt. Ein unbedarfter nicht juristischer Leser

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