Sind Pressevertreter Windhunde? Muss man sie möglichst klein halten? Und das Los darüber entscheiden lassen, ob sie überhaupt im Gerichtssaal arbeiten können? Diese Fragen stellt die (von mir geschätzte) SZ-Gerichtsreporterin Annette Ramelsberger in einem Beitrag unter dem Titel „Von unbekannten Feinden belagert“.
Gerichtsberichterstattung von Geheimprozessen?
Darin vertritt die Journalistin die Auffassung, das Verhältnis zwischen Justiz und Öffentlichkeit sei gestört. Das Gebaren eines Berufsstandes, der „Selbstkritik für eine Krankheit“ halte, werfe Fragen auf. Sie beklagt, dass im Tugce-Prozess keine aktuelle Berichterstattung möglich wäre. Und meint, der Deutsche Journalistenverband würde diese Umstände zurecht kritisieren. Der beklagt „unerträgliche Zustände“, das Verfahren würde wie ein „Geheimprozess“ geführt – und qualifiziert unsere Justiz durch diese Kampfrhetorik auf Prozesse wie zu Nazi- oder DDR-Zeiten herab. Das empfinde ich als unerträglich!
Was Frau Ramelsberger fordert, ist nichts weniger, als dass sich die Gerichte bitteschön auf die Journalisten einzustellen haben. Bitte keine Urteile mehr nach 16:00 Uhr, weil doch um 16:30 Uhr Redaktionsschluss ist. Und nach dem Urteilsspruch bitte eine Unterbrechung, damit die Eilmeldungen live auf die Smartphones gepusht werden können. Als ob das nicht auch eine halbe Stunde länger Zeit hätte. Hat die Öffentlichkeit tatsächlich einen Anspruch auf eine quasi Live-Berichterstattung oder überhöhen Journalisten die eigene Stellung damit nicht etwas?
Entkopplung der Justiz vom Druck der Öffentlichkeit
Auch Journalisten sind Zuschauer wie alle anderen. Das wird zuweilen vergessen. Die Justiz versucht zurecht, sich von diesem Druck der Öffentlichkeit zu entkoppeln, dadurch nicht den Alltag bestimmen zu lassen. Richter dürfen bei der Urteilsfindung nicht darüber nachdenken, was die Medien zu einem Urteil schreiben wird oder ob die Öffentlichkeit das Urteil verstehen wird. Oder ob Journalisten die Zeit haben müssten, den Urteilsspruch unverzüglich (aber unbegründet) der Öffentlichkeit zu übermitteln.
Auch das ist die „Schere im Kopf“, die so gern für die Pressefreiheit angeführt wird. Sicher ist die Welt für Journalisten im Umbruch seit sie nicht nur an den Redaktionsschluss denken müssen, sondern auch darüber, dass der erste Artikel im Netz vielleicht mehr Klicks erzielt als die nachfolgenden. Jeder will im Netz der erste sein, aber müssen Richter ihre Entscheidungen deshalb darauf einstellen? Sich somit indirekt auch an diesem Konkurrenzkampf beteiligen?
Der hehre Anspruch, die Öffentlichkeit „zu unterrichten“
Die Realität ist freilich eine andere: Es geht schon lange nicht mehr um den hehren Anspruch, die „Öffentlichkeit zu unterrichten“. Häufig stachelt die Gerichtsberichterstattung an, erlaubt den Lesern, sich aufzugeilen am Prozessgeschehen – wahlweise des armen Opfers, der hinterbliebenen Familie oder des fiesen, skrupellosen Täters. Das wird besonders deutlich, wenn man die Kommentare der Leser unter den jeweiligen Artikeln liest. Geht es da um den Bamberger Chefarzt der 12 Patientinnen vergewaltigt haben soll, braucht man auf die ersten Kommentare, die dessen Kastration fordern, nicht lange zu warten. Nur wenig später wird dann für gewöhnlich die Wiedereinführung der Todesstrafe gefordert. Ist das dann noch ein fairer Prozess?
Aus diesem Blickwinkel betrachtet haben sich Justiz und Öffentlichkeit tatsächlich voneinander entfernt. Es geht in den meisten Berichten überhaupt nicht darum aufzuzeigen, warum jemand ein bestimmtes Verbrechen begangen haben könnte, zu zeigen, wie aus dem Menschen ein Täter wurde – dafür wurden Gerichtsreportagen einst ausgezeichnet. Es wird auch viel zu selten erklärt, warum ein Urteil so oder so ausgefallen ist und warum der Richter vielleicht nicht anders entscheiden konnte. Dies wäre die eigentliche Aufgabe der Presse.
Gerichtsprozesse bald nahezu live auf YouTube?
Die Frage, ob ein Laptop im Gerichtssaal erlaubt ist, ist von Verteidigern schon einmal ausgefochten worden. Denn bis vor einigen Jahren wollte man auch denen nicht zugestehen, auf der Verteidigerbank einen Laptop als Arbeitsmittel zu benutzen.
Es ist jedoch keineswegs der Herrschsucht von Richtern zuzuschreiben, dass sie ungern allzuviel technisches Gerät auf den Zuschauerbänken sehen. Jeder ist heute Journalist oder kann durch einen eigenen Blog dazu werden. Wie soll der Richter eine Unterscheidung treffen, wer Technik benutzen darf und wer nicht. Kollegen, die sich früh angestellt haben, weil sie im Losverfahren keinen Platz zugewiesen bekamen, dürften dann auch kein technisches Gerät benutzen?
Es ist nun einmal nicht von der Hand zu weisen, dass diese Geräte erhebliche Gefahren mit sich bringen. Selbst wenn man vom Einsatz eines Laptops mit Sprengstoff oder als Wurfgeschoss einmal absieht, lassen sich damit problemlos Aufnahmen jeglicher Art der Hauptverhandlung herstellen. Schon mit dem Smartphone oder Tablet ist das leicht möglich. Und ich halte jede Wette, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis Teile einer Hauptverhandlung bei YouTube hochgeladen werden (wenn nicht sogar schon geschehen). Wer hätte es vor kurzem schon für möglich gehalten, dass ein Tatortvideo praktisch direkt nach der Tat im Internet veröffentlicht wird – mit katastrophalen Folgen für die Rechtsfindung.
Zur Erinnerung: Bisher sind die Medien (noch nicht) als vierte Gewalt im Grundgesetz erwähnt, auch wenn sie diese Position immer häufiger für sich beanspruchen. Welcher Berufsstand hier ein seltsames Gebahren an den Tag legt, ist je nach Standpunkt gar nicht so eindeutig.
Ich finde es eigentlich ziemlich eindeutig …
Schöner Artikel! Sicherlich ist es wichtig, dass die Justiz Journalisten nicht absichtlich oder unabsichtlich an der Erfüllung ihrer Aufgaben behindern; sie hat eine Funktion als Public Watchdog. Aber mal abgesehen davon, dass Echtzeitberichterstattung iSv reinem Beschreiben, was passiert, statt Beschreiben nebst Analysieren und Erklären diese Funktion nicht wirklich erfüllen können dürfte, habe ich an Frau Ramelsbacher euphemistisch mit „Analyse“ überschriebener Meinungsäußerung schon etwas vermisst, dass sie sich so gar keine Gedanken darüber zu machen schien, dass der Sinn der Justiz weniger in der Materialbeschaffung einer zunehmend boulevardisierten Presse als vielmehr in der schnöden Recht-Sprechung iS der Erledigung von Verfahren unter Wahrung der Rechte aller Beteiligten (mit dann möglichst „gerechten“ Ergebnis) und unter Verursachung möglichst geringer Kosten für die Allgemeinheit liegt (vielleicht wollte man zB mit einem VT um 16:00 Uhr einen weiteren Hauptverhandlungstag mit hohen Kosten für besondere Sicherheitsmaßnahmen vermeiden, vielleicht auch schlicht Angeklagten, Nebenkläger und StA nicht zu lange schmoren lassen? Und wem (außer den unmittelbar Beteiligten) bringt eigentlich das Urteil ohne Begründung etwas?!)
Und Danke für den Hinweis auf Laptops als mögliche Aufzeichnungsquelle, zumal in einem Prozess gegen einen Heranwachsenden das Schutzbedürfnis des Angeklagten ohnehin höher eingestuft wird als üblich und zu seinem Schutz (!) die Öffentlichkeit einschließlich Presse sogar vollständig ausgeschlossen werden kann.
Ich muss gestehen, mir kam beim Lesen des Artikels der böse Gedanke: wenn Annette Ramelsbacher ihre Artikel immer parallel zum Prozessgeschehen zu verfassen pflegt, könnten einige Merkwürdigkeiten ihrer Artikel besser erklärlich sein – man sollte, gerade wenn man offenbar kein Jurist mit zwei Staatsexamen ist, also als Laie eine komplizierte Materie zu verfolgen versucht, die eigene Multitasking-Fähigkeiten vielleicht nicht überschätzen…;)
Der Hinweis auf Zeit und Sorgfalt hilft den durch widrige Arbeitsverhältnisse geplagten Journalisten auch nicht, schon klar. Aber es wäre schön, wenn sie dem einzelnen Gericht zumindest zubilligen könnten, zuallererst Zeit und Sorgfalt auf die Führung des Verfahrens verwenden zu dürfen, denn da geht es nun schon um mehr als „nur“ einen Artikel. Berechtigte Belange der Medienvertreter schließen mE die Rücksichtnahme auf den Redaktionsschluss nicht mit ein.
„Selbst wenn man vom Einsatz eines Laptops mit Sprengstoff oder als Wurfgeschoss einmal absieht, lassen sich damit problemlos Aufnahmen jeglicher Art der Hauptverhandlung herstellen. Schon mit dem Smartphone oder Tablet ist das leicht möglich. “
Satz 1 entwertet die Argumentation in Satz 2 ein wenig. Wenn jemand Bild- oder Tonaufnahmen in einem Gerichtssaal machen will, dann wird ein Verbot von LapTops ihn davon nicht abhalten, nicht einmal ein Verbot von Smartphones u. ä.. Vermittels eines einfachen Diktiergerätes o. ä. ist das schon seit Jahrzehnten möglich, heute kommen „Smart-Uhren“, winzige Überwachungsgeräte usw. dazu. Trotzdem hat es sich offenbar nicht zu einem Problem entwickelt. LapTop-Verbote sind daher weder bzgl. Überwachungsängsten weder geeignet noch verhältnismäßig.
Daneben muss man schlicht lachen, wenn der Staat in Form von Richter X Angst davor hat, seine Stimme auf youtube wiederzufinden, aber gleichzeitig in Form von Richter Y, Gesetzgeber und Bundesanwalt Telefonüberwachungen, Vorratsdatenspeicherung, Ausspähung durch Nachrichtendienste usw. usf. hingenommen oder sogar gefordert werden.