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Pflichtverteidigung

Jedermann kann sich plötzlich und unerwartet in einem Ermittlungsverfahren der Polizei oder Staatsanwaltschaft gegen ihn wiederfinden. Dann hat er das Recht, sich in jeder Lage des Strafverfahrens des Beistandes eines – frei gewählten – Verteidigers zu bedienen (§ 137 StPO).

„Wenn Sie sich keinen Verteidiger leisten können, wird Ihnen einer gestellt“ – diese Belehrung kommt eigentlich in jedem (amerikanischen) Fernsehkrimi vor. Leider gilt dies in Deutschland so nicht, zumindest nicht uneingeschränkt.

Die Fälle notwendiger Verteidigung

Ein Pflichtverteidiger wird vom Gericht nur in den Fällen einer „notwendigen“ Verteidigung gem. § 140 StPO beigeordnet, die wichtigsten Gründe für eine Beiordnung sind:

  • Hauptverhandlung vor dem Landgericht od. Oberlandesgericht, § 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO
    • Die Mitwirkung eines Verteidigers ist immer dann notwendig, wenn die Hauptverhandlung erstinstanzlich vor dem Landgericht oder Oberlandesgericht stattfindet, weil die Staatsanwaltschaft dort Anklage erhoben hat.

  • Verdacht auf Verbrechen, § 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO
    • Die Mitwirkung eines Verteidigers ist auch stets erforderlich, wenn dem Angeklagten ein Verbrechen zur Last gelegt wird. Als Verbrechen gelten nach § 12 Abs. 1 StGB Taten, die mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr bedroht sind.

  • Drohendes Berufsverbot, § 140 Abs. 1 Nr. 3 StPO
    • Wenn der Prozess zu einem Berufsverbot führen kann, ist ebenfalls ein Pflichtverteidiger beizuordnen. Die Voraussetzungen eines Berufsverbots sind in den §§ 70 ff. StGB geregelt.

  • Untersuchungshaft (U-Haft), § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO
    • Sitzt der Beschuldigte bereits in Untersuchungshaft, ist auf jeden Fall sofort (unverzüglich) vom Gericht ein Pflichtverteidiger zu bestellen. Die Vertrauensperson des Beschuldigten sollte sich in diesem Fall sofort in seinem Auftrag um einen Strafverteidiger kümmern, der den Beschuldigten dann in U-Haft besuchen und weitere Maßnahmen ergreifen kann.

  • Freiheitsentziehung, § 140 Abs. 1 Nr. 5-7 StPO
    • Ist ein Beschuldigter „einstweilen“ in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt untergebracht, muss ihm ein Verteidiger bestellt werden – auch wenn er dort zur Erstellung eines Gutachtens (zur Beobachtung) untergebracht ist oder werden soll. Dies gilt auch für Fälle, in denen jemand seit mindestens drei Monaten aufgrund einer richterlichen Anordnung oder Genehmigung in Auslieferungshaft, Strafhaft und sonstigem (rechtswidrigem) Gewahrsam ist. Wird ein Sicherungsverfahren durchgeführt, weil der Angeklagte bei Begehung der Tat schuldunfähig (§ 20 StGB) gewesen sein und eine isolierte Maßregel der Besserung und Sicherung verhängt werden soll (Gefahr für die Allgemeinheit) ist ebenfalls ein Anwalt hinzuzuziehen.

  • Schwere der Tat oder Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage, § 140 Abs. 2 StPO
    • Praktisch häufig ist die Pflichtverteidigung wegen der Schwere der Tat oder aufgrund der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage. Wem etwa bei Verurteilung ein Widerruf der Bewährung droht, wenn ein „Deal“ ausgehandelt werden soll, dem Verfahren komplexe Sachverhalte zugrundeliegen oder im Prozess viele Zeugen und/oder Sachverständige zu hören sind, kann ein Fall der notwendigen Verteidigung gegeben sein. Auch eine Situation Aussage-gegen-Aussage kann eine Pflichtverteidigung erfordern.

Zur Auswahl und Beiordnung eines Pflichtverteidigers sowie der Einzelfälle einer notwendigen Verteidigung existiert eine unübersichtliche obergerichtliche Rechtsprechung.

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Der Umfang oder die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage kann eine Pflichtverteidigung notwendig machen.

Zeitpunkt der Beiordnung eines Pflichtverteidigers

Ein Verteidiger ist gem. § 141 Abs. 1, 2 StPO spätestens dann zu bestellen, wenn der Angeklagte zur Erklärung über die Angeklageschrift aufgefordert wird, ihm diese also zugestellt wird und das Zwischenverfahren beginnt. Einem Beschuldigten wird meist zu diesem Zeitpunkt ein Pflichtverteidiger bestellt. Mit der Aufforderung an den Beschuldigten, einen Verteidiger seiner Wahl als Pflichtverteidiger zu benennen, bereitet das Gericht seinen Eröffnungsbeschluss vor.

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft ist eine Pflichtverteidigung auch schon früher, also bereits im Ermittlungsverfahren möglich (§ 141 Abs. 3 StPO); dies liegt jedoch im Ermessen der Staatsanwaltschaft. Nur wenn der Beschuldigte bereits in Untersuchungshaft (U-Haft) sitzt, ist ihm sofort (mit Beginn der Untersuchungshaft) ein Pflichtverteidiger zu bestellen.

Tipp: Pflichtverteidiger selbst aussuchen

Jeder Beschuldigte hat das Recht, sich selbst einen Strafverteidiger zu suchen und diesen vom Gericht gem. § 142 Abs. 1 StPO als seinen Pflichtverteidiger bestellen zu lassen. Sie sollten von diesem Wahlrecht unbedingt Gebrauch machen!

Ansonsten wird das Gericht Ihnen irgendeinen Rechtsanwalt zum Pflichtverteidiger bestellen, dies kann auch ein Fachanwalt für Familienrecht sein. Leider tendieren Gerichte nicht selten dazu, einen Rechtsanwalt zu bestellen, der in der Vergangenheit nicht unbedingt durch seine professionelle und beherzte Pflichtverteidigung aufgefallen ist, sondern seine Mandanten eher nur zur Verurteilung begleitet. Diese Gattung von Rechtsanwälten zeichnet sich nicht selten dadurch aus, dass sie in der Hauptverhandlung nicht weiter auffallen, selten Anträge stellen und auch sonst eigentlich keine Fragen haben. Sie setzen auf eine positive Atmosphäre im Gerichtssaal, nehmen fehlerhafte Anordnungen des Vorsitzenden Richters gern widerspruchslos hin und hoffen bis zuletzt, ihrem Mandaten werde schon irgendwie eine (gerechte) Bestrafung zuteil.

Wer möchte einen solchen Verteidiger neben sich wissen, wenn es um so etwas wichtiges wie Freispruch oder Freiheitsstrafe geht? Treten Sie daher selbst möglichst rechtzeitig mit einem Verteidiger Ihres Vertrauens in Kontakt, den Sie bitten, Ihre Pflichtverteidigung zu übernehmen!

Was kostet die Pflichtverteidigung?

Ein Pflichtverteidiger bekommt Anwaltsgebühren, die allerdings oft deutlich niedriger ausfallen als bei einem Wahlverteidiger. Die Kosten für die Pflichtverteidigung und für das Strafverfahren insgesamt übernimmt bei einem Freispruch der Staat. Verurteilt das Gericht den Angeklagten, muss er die Verfahrenskosten einschließlich der Gebühren für seinen Pflichtverteidiger selbst zahlen. Wenn ihm dies aus wirtschaftlichen Gründen nicht möglich sein sollte, kann er mit dem Gericht vereinbaren, die Kosten in Raten abzuzahlen.

Dieser Artikel zur Pflichtverteidigung wurde von Rechtsanwalt Mirko Laudon verfasst. Foto: plumbe / pixelio.de