Strafakte.de

Welche Lehren zieht das BVerfG aus dem Fall Mollath?

Die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat in einem erst heute veröffentlichten Beschluss der Verfassungsbeschwerde des Gustl Ferdinand Mollath gegen Beschlüsse des Landgerichts Bayreuth und des Oberlandesgerichts Bamberg am 26. August 2013 stattgegeben. Die in diesen Beschlüssen aufgeführten Gründe genügen nicht, um eine Fortdauer der Unterbringung zu rechtfertigen und verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Freiheit der Person in Verbindung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.

Welche Lehren zieht das Bundesverfassungsgericht aus dem Fall Mollath?

1. Entscheidungen über den Entzug der persönlichen Freiheit müssen auf einer zureichenden richterlichen Sachaufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben. Insbesondere darf der Strafvollstreckungsrichter die Prognoseentscheidung nicht dem Sachverständigen überlassen, sondern hat diese selbst zu treffen.

2. Eine Gefährlichkeitsprognose, die eine Begehung von weiteren Straftaten lediglich „möglich erscheinen“ lasse, rechtfertigt nicht die Anordnung einer Fortdauer der Unterbringung. Folgt ein abrupter Wechsel der Einschätzung in „sehr hoch“ ohne substantiierte Begründung, führt das dazu, dass das Gutachten nicht als Grundlage der Fortdauerentscheidung herangezogen werden kann.

3. Abzustellen ist auf die Gefahr solcher rechtswidriger Taten, die ihrer Art und ihrem Gewicht nach ausreichen, auch die Anordnung der Maßregel zu tragen; diese müssen mithin „erheblich“ im Sinne des § 63 StGB sein.

4. In einer Gesamtwürdigung sind die von dem Täter ausgehenden Gefahren ins Verhältnis zur Schwere des mit der Maßregel verbundenen Eingriffs zu setzen. Je länger die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus andauert, umso strenger sind die Voraussetzungen für die Verhältnismäßigkeit des Freiheitsentzuges. Dabei ist die von dem Untergebrachten ausgehende Gefahr hinreichend zu konkretisieren:

Unerörtert bleibt, ob und gegebenenfalls wie sich die zwischenzeitliche Scheidung und langjährige Trennung des Beschwerdeführers von seiner früheren Ehefrau auf die von ihm ausgehende Gefahr ausgewirkt hat. Auch insoweit hätte es eigenständiger Darlegung bedurft, ob und in welchem Umfang aktuell die Gefahr besteht, dass der Beschwerdeführer im Sinne des § 63 StGB erhebliche Körperverletzungsdelikte zum Nachteil seiner früheren Ehefrau oder sonstiger Personen begehen werde.

5. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit: Auch entlastende Umstände müssen im Rahmen der notwendigen Prognoseentscheidung erkennbar Berücksichtigung finden.

* BVerfG, Beschluss vom 26.8.20132 BvR 371/12


5 Kommentare zu “Welche Lehren zieht das BVerfG aus dem Fall Mollath?

  1. Unter RZ 57 findet sich u. a. folgendes: „Das Oberlandesgericht stellt darauf ab, dass sich unter den Anlasstaten auch Körperverletzungen zum Nachteil der früheren Ehefrau des Beschwerdeführers befänden, die mit erheblicher Aggressivität und Brutalität begangen worden seien. Die Gerichte setzen sich aber nicht damit auseinander, dass es sich bei den in Bezug genommenen Taten um Beziehungstaten handelt, die der Beschwerdeführer vor rund zehn Jahren begangen haben soll, als er noch verheiratet war und mit seiner Ehefrau zusammenlebte.“

    Körperverletzungen ZUM VORTEIL der Verletzten sind extrem selten, nur bei lebensrettenden Maßnahmen denkbar. Körperverletzungen durch Vergeudung der Lebenszeit von Menschen, die sehr viel juristischen Text lesen müssen, wesentlich häufiger festzustellen.

    Hervorzuheben ist, daß es offensichtlich lange niemand gestört hat, nicht mal im Zuge der öffentlichen Empörung, daß stets nur der Verdacht strafbarer Handlungen im Raum stand und Gutachter wie Richter aus Vermutungen potentielle Gemeingefährlichkeit schlu§folgerten. Das restliche Leben von Gustl Mollath hatte kaum eine Rolle gespielt, ich vermute sogar, gar keine.

    Wie gemeingefährlich sind Juristen, die sowas zustande bringen? Wie gemeinfährlich solche, die Rechtsuchende in mündlichen Verhandlungen ihres Schadensersatzprozesses durch Androhung eines beschwerlichen, aussichtslosen Rechtsweges „regelrecht“ zu einem Vergleich nötigen und damit Assekuranzen unter dem allgemeinen Wettbewerbsdruck dazu zwingen, außergerichtlich nur noch Hinhaltevorschüsse zu leisten, damit das dann notwendig werdende Gericht ihre Leistungspflicht satt mit Rabatten von 50% und mehr reduziert?

    Damit wird seit vielen Jahren schon so viel Gift in unsere Gesellschaft gepumpt, daß Menschen ihre sozialen Kontakte verlieren und alles zusammen Betroffene so aggressiv machen kann, daß sie gemeingefährlich werden.

  2. Die Tätigkeit der Justiz aks Ursache für gemeingefährliche Straftaten.

    Auf solche Gedanken kommt noch nicht mal strafakte.de.

    • Inwiefern unterscheidet sich das, was Menschen ohne Jurastudium aggressiviert und sie gemeingefährlich machen kann von dem, was Menschen mit Jurastudium aggressiviert und gemeingefährlich machen kann? Daß man sich im Regelwerk auskennt, bedeutet ja nicht, daß man deshalb die Regeln mehr berücksichtigt als Menschen, die nicht mit dem Regelwerk vertraut sind.

      Wissen dient oft dazu, sich Vorteile aufkosten jener zu verschaffen, die nicht über dieses Wissen verfügen. Und wenn ein Rosenkrieg bei Gustl Mollath Ursache vermuteter Gemeingefährlichkeit gewesen sein soll, können juristische Konsequenzen, die Betroffene nicht nachvollziehen können, weil Juristen eine Aufklärung schuldig bleiben, doch noch viel effektiver gemeingefährliches Verhalten hervorrufen.

      Juristen können weder Wahrheit noch Gerechtigkeit so praktikabel erklären, daß der Diensteid der Richter respektiert werden kann. Der muß ja nicht nur für Richter Geltung haben, damit Auseinandersetzungen zwischen Richtern und normal Sterblichen nicht vorprogrammiert sind.

      Danke, daß Sie mit ihrer Reaktion meinen übrigen Gedanken zugestimmt haben, Guzzi.

Keine Kommentare zugelassen