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Kann Mann in zehn Jahren ein anderer Mensch werden?

Jeder hat sich wohl schon einmal gefragt: Kann ich ein anderer Mensch werden?

Gerade für Straftäter ist das eine überaus bedeutsame Frage: Könnte ein Raubmörder, der nach 13 Jahren in Haft gleich wieder neue Überfälle begeht und schließlich noch einmal zu 12 Jahren Gefängnis mit anschließender Sicherheitsverwahrung verurteilt wird, sein Leben umkrempeln und ein straffreies Leben führen, wenn er wieder entlassen wird?

Können Straftäter grundlegend andere Menschen werden?

In der aktuellen Ausgabe von „ZEIT Wissen“ portraitiert Franz Mechsner diesen Raubmörder, der nun – mit Mitte fünfzig – als Yogalehrer in Greifswald arbeitet – barfüßig, in weißer Kleidung, mit schulterlang wallendem Haar und einer Holzkette um den Hals. Der brutale Mann von einst, dem alles egal war, ist er heute nicht mehr. Stattdessen spricht er mit sanfter Stimme, empfiehlt Yoga und Meditation als stärkende Hilfen auf dem Weg zu Achtsamkeit und Liebe. In der langen Zeit in Unfreiheit fand er den Weg in die Achtsamkeit, erst da wusste er sein Glück zu würdigen: „Das Verschwinden meiner Wut hat erst den seelischen Raum geschaffen, in dem meine weitere Entwicklung möglich wurde.“

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Kann ein brutaler Verbrecher ein liebevoller Mensch werden? Wie es aussieht: Ja. // Foto: Daniel Stricker / pixelio.de

Es sind fundamentale Fragen des Lebens – und zugleich große Herausforderungen:

Ist der Charakter eine unveränderliche Matrix, unter deren Gesetz sich unser Dasein abspielt? Unsere Schwächen, Fehler, Laster und schließlich unsere schwärzesten Seiten, die wir uns kaum eingestehen mögen – sind wir alldem ausgeliefert? Welche Bedingungen braucht es, damit ich mich zur Fülle meiner Möglichkeiten entfalte?

Das Leben ist ein offenes Spiel

Die Vorsätze schwanken zwischen hoffnungsvollem Schwung und lähmendem Fatalismus. Eines immerhin ist tröstlich: Die Zeit arbeitet für uns. Jens Asendorpf, Psychologieprofessor an der Humboldt-Universität, arbeitet mit Langzeitstudien, die Verblüffendes offenbaren: „Nicht nur Freud hatte unrecht mit seiner Vermutung, dass alles für die menschliche Eigenart Wesentliche in der Kindheit geschieht“, sagt Asendorpf. „Auch Robert McCrae lag falsch, dessen berühmt gewordene Studien Flexibilität bis zum Alter von etwa dreißig Jahren zu zeigen schienen. Tatsächlich verändert sich die Persönlichkeit im Normalfall bis zum Alter von etwa fünfzig Jahren und bleibt danach im Wesentlichen stabil.“

Diese These unterstützt auch Niels Birbaumer, Professor für Medizinische Psychologie und Verhaltensneurobiologie an der Universität Tübingen: „Auf allen Ebenen kann jederzeit gelernt und umgelernt werden“. Er hält das Leben für ein (prinzipiell) offenes Spiel: „Wir haben kein überdauerndes Wesen, es ist alles ein Bündel veränderlicher Gewohnheiten. Das Gehirn tut, wofür es sich belohnt fühlt. Wenn das eine nicht mehr funktioniert, probiert es was anderes. Und der sogenannte Charakter fällt zusammen wie ein Kartenhaus.“

Resozialisierung funktioniert selten von allein

Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang dann stellt: Was ist die Gesellschaft bereit, für die Resozialisierung von Straftätern aufzuwenden? Jeder Mensch, der sein gesamtes Leben von Grund auf ändern will, braucht dabei Motivation, Anleitung und Unterstützung. Allein ist man häufig zu schwach, sein Leben mit neuen Inhalten zu füllen. Gut ein Fünftel der Inhaftierten im Strafvollzug wünschen sich eine Therapie, doch die Justizvollzugsanstalten können fast jedem Zweiten keine anbieten. Dabei würden gezielte Behandlungsangebote sowie eine humane Vollzugsgestaltung die Gesellschaft am effektivsten vor Rückfalltaten schützen.