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Das Märchen von der Resozialisierung

Resozialisierung kann nur gelingen, wenn ein Verurteilter das Unrecht und die Schuld seiner Tat auch einsieht – so lautet die weit verbreitete Überzeugung in der Rechtswissenschaft. Das führt jedoch zu Problemen, die Klaus Lüderssen in der Frankfurter Allgemeinen aufzeigt:

Fest steht: Unendlich ist die Komplexität der Delinquenz. Daher müssten auch die staatlichen Reaktionen unendlich komplex sein. Das ist jedoch Utopia. Reduzierung von Komplexität sei vielmehr die herrschende Parole. Die Schuld des Täters, also der persönliche Vorwurf seiner Tat, ist ein riesiges Mosaik; die Schuld des Täters ist im Kopf des Richters jedoch präjudiziert durch wenige Maximen und Lehrbuchweisheiten.

Völlig unberührt von der Entwicklung bleiben aber Theorie und Praxis der Strafzwecke gleich: Vergeltung durch Generalprävention (angedrohte oder vollstreckte) sowie Spezialprävention (Sicherung, Besserung, Abschreckung) sind die ewig gleichbleibenden Schlagworte mit zwar leichten Abwandlungen (Resozialisierung ist ein etwas jüngerer Terminus) – und danach die Unterscheidung zwischen positiver (normbestätigender) sowie negativer (abschreckender) Generalprävention, und ganz neu die Genugtuungsstrafe im Interesse des Opfers. Das Ganze schließlich eingehüllt in nebulöse Phrasen wie Strafbedürfnis und Strafwürdigkeit.

Was passiert nun, wenn der Verurteilte die ihm zur Last gelegte Tat tatsächlich nicht begangen hat – immerhin kommt das leider viel häufiger vor, als man vermuten mag. Wer sich einmal mit der Strafvollstreckung auseinander setzt, kennt den Umgang mit sogenannten Tatleugnern im Vollzug. Nach allen Regeln der Kunst werden sie bearbeitet, die festgestellten Taten endlich zu gestehen. Tun sie das nicht, gibt es weder Lockerungen noch eine Aussetzung der Reststrafe – es droht die Vollverbüßung, eventuell noch gefolgt von der Führungsaufsicht.

Wer sich von Bediensteten über die katastrophale Mangelverwaltung in deren Strafanstalten (euphemistisch Justizvollzugsanstalten genannt) in Kenntnis setzen lässt, der hört nicht nur von einem generellen Personalmangel – gern von den jeweiligen Justizministerien ignoriert – sondern auch von verfassungswidrigen Zuständen, die mit Respekt vor der Menschenwürde und den Persönlichkeitsrechten der Gefangenen nicht vereinbar sind. Konkret geht es um die Duldung interner Gewaltverhältnisse, Nichtverhinderung von Selbstmorden, Benutzung von Häftlingen als V-Leute, die sich ihr Material nicht selten als „agents provocateurs“ verschaffen. Wer unter diesen Umständen noch an eine Resozialisierung glaubt, der glaubt wahrscheinlich auch an die Erde als Scheibe.


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