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Teldafax: Die Unschuldsvermutung beim Handelsblatt

Der „Teldafax-Prozess“ muss neu aufgerollt werden: Das Landgericht Bonn gab heute den Besetzungsrügen der Verteidiger von zwei der drei Angeklagten statt und setzte das Verfahren am zweiten Verhandlungstag aus. Eine Besetzungsrüge zielt darauf ab, dass die Besetzung einer Strafkammer für unzulässig erklärt wird – die Richter demzufolge nicht „zuständig“ sind. Eine solche Rüge begründet einen absoluten Revisionsgrund gem. § 338 Nr. 1 StPO, denn der „gesetzliche Richter“ – besser, der gesetzlich bestimmte Richter ist verfassungsrechtlich garantiert, Art. 101 GG. Das Präsidium des Landgerichts Bonn hatte jedoch die Wirtschaftsstrafkammer 7a eigens für diesen Prozess als Hilfsstrafkammer zur Entlastung der regulären Wirtschaftsstrafkammer eingerichtet, somit die Angeklagten den eigentlich zuständigen Richtern entzogen.

Die Präklusion der Besetzungsrüge

Hätte die Verteidigung der angeklagten Teldafax-Geschäftsführer diese Besetzungsrüge nicht erhoben, wäre dies als schwerwiegender Kunstfehler zu bezeichnen, denn § 222b StPO schreibt vor, dass die nicht ordnungsgemäße Besetzung nur bis zum Beginn der Vernehmung des ersten Angeklagten zur Sache in der Hauptverhandlung geltend gemacht werden kann – ansonsten ließe sich eine Revision nicht auf diesen Grund stützen.

Anders sieht das eigentlich nur das Handelsblatt, genauer deren Leiter Investigative Recherche. Der twitterte unter dem Artikel: „Nach einem Jahr Vorbereitung hat das Gericht gemerkt, dass es für #Teldafax nicht zuständig ist.“ Auf meine Antwort, dass es die Aufgabe der Verteidigung ist, den Finger in diese Wunde zu legen, kam die Antwort:

Sie meinen wohl, das Verfahren zu verzögern, so lang es eben geht. Schuldiger als diese Angeklagten es sind, geht es kaum.

Soviel zum Thema Unschuldsvermutung und Vorverurteilung in der investigativen Recherche beim Handelsblatt. Es ist so viel in den letzten Wochen über dieses Thema geschrieben worden – offensichtlich ist es nicht überall angekommen. Für die Medien schreibt Ziffer 13 des Pressekodexes im Wege der freiwilligen Selbstverpflichtung vor:

Die Berichterstattung über Ermittlungsverfahren, Strafverfahren und sonstige förmliche Verfahren muss frei von Vorurteilen erfolgen. Der Grundsatz der Unschuldsvermutung gilt auch für die Presse.

Eigentlich müsste es heißen: … „gilt insbesondere für die Presse“. Wozu benötigen wir sonst noch Gerichte, wenn das Urteil eigentlich schon feststeht?


14 Kommentare zu “Teldafax: Die Unschuldsvermutung beim Handelsblatt

  1. Die Frage könnte auch lauten: Wozu gibt es diesen Blog, wenn hier jemand über Sachverhalte schreibt, die er gar nicht kennt?

    Der Hauptangeklagte im Teldafax-Prozess ist ein Mann, der schon 2007 wegen massenhaften Betrugs zu zweieinhalb Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt worden war. Die Richter attestierten ihm „erhebliche kriminelle Energie“. Er wurde aber nicht eingesperrt, sondern setzte sich ab in die Schweiz und steuerte von dort aus Teldafax. Nach drei Jahren kam er schließlich hinter Gitter, steuerte aber weiter sein neues Unternehmen. Als Freigänger.

    Zur Unschuldsvermutung: Teldafax war ausweislich der Expertise des Insolvenzverwalters, der Staatsanwaltschaft und zahlreicher interner Dokumente seit 2009 überschuldet. Der Insolvenzantrag kam aber erst Mitte 2011. Eine Geschäftsführerin hat bereits einen Strafbefehl akzeptiert. Sie ist rechtskräftig wegen Beihilfe zur Insolvenzverschleppung verurteilt. Die Männer, denen sie geholfen hat, sind die angeklagten Vorstände.

    Die Strafakte kann nun gern weiter von Unschuldsvermutung schwadronieren. Aber Sie können nicht verlangen, dass Handelsblatt-Redakteure, die seit 2010 in diesem Fall recherchieren, 2014 plötzlich all ihre Sachkenntnis vergessen und von den Angeklagten schreiben, als hätten sie gerade erst ihre Namen gelesen. So wie offenbar die Strafakte.

    • Pressekodex Ziffer 13 / Richtlinie 13.1 – Vorverurteilung – Folgeberichterstattung:

      „Bis zu einer gerichtlichen Verurteilung gilt die Unschuldsvermutung, auch im Falle eines Geständnisses. Auch wenn eine Täterschaft für die Öffentlichkeit offenkundig ist, darf der Betroffene bis zu einem Gerichtsurteil nicht als Schuldiger im Sinne eines Urteilsspruchs hingestellt werden.

      Vorverurteilende Darstellungen und Behauptungen verstoßen gegen den verfassungsrechtlichen Schutz der Menschenwürde, der uneingeschränkt auch für Straftäter gilt.“

  2. Wir haben nie geschrieben, dass die Vorstände schuldig im Sinne eines Gerichtsurteils sind. Sondern schuldig im dem Sinne, dass sie einen riesigen Schaden angerichtet haben, nämlich eine halbe Milliarde Euro. Hier ein Service für die Autoren dieses Blogs:

    „In der Kalenderwoche 25 wurde der Tatbestand der Zahlungsunfähigkeit festgestellt.“
    Brief des Teldafax-Vorstandes an den Aufsichtsrat, 9. Juli 2009

    „Es empfiehlt sich, im Moment – da die Insolvenzreife des Konzerns – mit hoher Wahrscheinlichkeit (ggf. schon länger) gegeben ist, alle Zahlungen zu stoppen, es sei denn, die Nichtzahlung würde zu einem sofortigen Zusammenbruch des Geschäftsbetriebs führen. Leisten Sie dennoch Zahlungen an einzelne Gläubiger in Kenntnis der Insolvenzreife, machen Sie sich als Vorstand/Geschäftsführer schadenersatzpflichtig.“
    E-Mail der Rechtsanwaltskanzlei Görg an den Teldafax-Vorstand, 17. Juli 2009

    „Die Berichtsfirma war ab Juni 2008 nicht mehr in der Lage, die Stromsteuern in zutreffender Höhe abzuführen, obwohl diese Beträge von den Kunden vereinnahmt wurden. Die Berichtsfirma hat in der Vergangenheit ihre Liquidität in erster Linie durch die Vorauszahlungen ihrer Kunden sowie durch Sonderabschlagszahlungen geschaffen.“
    Prüfungsbericht des Hauptzollamtes Düsseldorf, 1. Oktober 2009. Bfa bezeichnet die Berichtsfirma, also Teldafax.

    „Die uns vorgelegten Unterlagen legen den Schluss nahe, dass die Gesellschaft zum 31. Dezember 2008 bilanziell überschuldet war und vermutlich auch weiterhin ist. Eventuelle stille Reserven sind hierbei bereits berücksichtigt.“
    Schreiben der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO an den Teldafax-Vorstandsvorsitzenden Klaus Bath, 28. Oktober 2009

  3. Das Recht auf den gesetzlichen Richter ist ja gut und richtig – aber welchen Vorteil hat denn die Verteidigung, abgesehen von der Verzögerung, von der Rüge? Muss man davon ausgehen, dass die 7a. Kammer dem Angeklagten gegenüber negativer eingestellt ist als die eigentlich zuständige?

    • Nein, es ist zumindest nicht offensichtlich, dass die Kammer 7a negativer eingestellt wäre. Es geht darum, die Revisionsmöglichkeit zu erhalten – also eine Rechtsmittelinstanz vor dem Bundesgerichtshof.

      • Aber die Revisionsmöglichkeit bleibt ja gar nicht erhalten – denn der Besetzungsrüge wird ja entsprochen, der Revisionsgrund entfällt also. Im Ergebnis sitzen also nur andere zufällige Richter dort und der Prozess dauert länger. Das kann natürlich im Strafmaß positive Auswirkungen haben. Geht es darum, oder wirklich nur um Verteidigerego, wie Stefan annimmt?

        • Es geht nicht um das Verteidigerego, es wäre ein schwerer Kunstfehler, eine solche Rüge nicht zu erheben, weil dadurch die Rügemöglichkeit präkludiert wird. Ob einem Antrag (hier der Besetzungsrüge) entsprochen wird, weiß man ja erst hinterher. Es ist also nicht die Verzögerung der Verteidigung, sondern die des Gerichts. Der Verteidiger MUSS den Finger in diese Wunde legen!

  4. Der „gesetzliche Richter“ i.S.v. Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG ist nicht Selbstzweck. Er hat den Zweck, die Bindung des Gerichts an Gesetz und Recht (Artt. 20 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG) durchzusetzen, umgekehrt formuliert: zu verhindern, dass durch Manipulationen bei der Gerichtsbesetzung auf das Ergebnis des Prozesses Einfluss genommen wird.

    Demgemäß ist kein großes rechtsstaatliches Unglück geschehen, wenn aufgrund irrtümlicher Handhabung des Geschäftsverteilungsplans oder der für seine Aufstellung geltenden Regeln drei bzw. fünf andere Zufallshanseln auf der Richterbank Platz nehmen, und eben deshalb lässt das Gesetz dem Angeklagten auch die Wahl, ob er wirklich einen möglichen Fehler rügen will mit allen Konsequenzen für die Zeitplanung aller Prozessbeteiligten, oder ob er nicht sagen will, dass ihm das egal ist, solange kein Anhaltspunkt für bewusste Manipulation besteht.

    Leider stellen Strafverteidiger (anders, notabene, die im Zivilrecht tätigen Anwälte, die so gut wie nie die Besetzung rügen, obwohl hier theoretisch nichts anders gilt) diese Frage sehr häufig weder sich noch vor allem ihrem Mandanten. Für ihr persönliches Ego wollen sie diesen kleinen verfahrensrechtlichen Erfolg haben, und ob es ihrem Mandanten irgendwas nützt, wenn der Prozess etwas später mit manchmal ja nur einem einzigen ausgetauschten Richter neu beginnt, ist ihnen ziemlich schnurz.

  5. So ist es.
    Und dazu ist der Verteidiger allein schon aus berufs- u. haftungsrechtlichen Gründen gegenüber seinem Mandanten verpflichtet. Ob das Journalisten gefällt o. nicht.
    Übrigens sehen das Gerichte wesentlich emotionsloser, weil i.d. Regel professioneller.

  6. Leider liest sich nun mein Kommentar verzerrt.
    Er bezieht sich auf den K. vom 8.März 2014 at 10:07 (Zitat: „Es geht darum, die Re­vi­si­ons­mög­lich­keit zu er­hal­ten — also eine Rechts­mit­tel­in­stanz vor dem Bundesgerichtshof“)

  7. Erschreckend ist ja, wie wenig Ahnung Handelsblatt-Journalisten haben, obwohl sie seit 2010 recherchieren. Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit sind bekanntlich nicht dasselbe.

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