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Kür und Pflicht vor Gericht

Strafverteidiger haben es schwer, von Gerichten als Pflichtverteidiger beigeordnet zu werden. Natürlich gibt es – wie überall – sone und solche Richter, aber dass eine wirkliche Rotation in der Auswahl des Pflichtverteidigers erkennbar ist, scheint wohl eher die Ausnahme zu sein.

Ein Verteidiger, der bellt, wird selten bestellt!

Der Kollege Dr. Adam Ahmed aus München brachte es unlängst im Strafverteidiger (StV 2015, 65: „Praxisprobleme beim Pflichtverteidiger“) auf den Punkt:

Diese praktische Freiheit bei der Auswahl lädt gerade dazu ein, im Zweifel solche Verteidiger zu benennen, welche in der Vergangenheit beim jeweiligen Gericht einen »guten«, weil kontrollierbaren Eindruck hinterlassen haben, mit anderen Worten einen möglichst geschmeidigen, reibungslosen und konfliktfreien Verfahrensablauf garantiert und jegliche sachbezogene Konfrontation mit dem Gericht (ggf. sogar bewusst) gescheut haben. Insoweit ist es daher kein Zufall, dass in auffälliger Häufigkeit immer wieder dieselben Rechtsanwälte bestellt werden.

Der Gesetzgeber sei gefordert, endlich eine klare und transparente Regelung zu schaffen, nach welchen Kriterien sich die Gerichte bei der Bestellung eines Verteidigers zu richten haben – und nicht wie bisher das Recht des Beschuldigten auf effektive Verteidigung durch verfahrensfremde Erwägungen zu untergraben. Alternativ könnte den Gerichten die Bestellungsbefugnis entzogen und den örtlichen Rechtsanwaltskammern übertragen werden. Die Rechtsanwaltskammern führen meist ohnehin eine Pflichtverteidigerliste, die regelmäßig aktualisiert wird.

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„Bauernopfer“ Foto: Lupo / pixelio.de

Der Mandant wird verraten statt verteidigt

Der Süddeutschen Zeitung offenbarte Ahmed in der letzten Woche, ihm schlage auch Missgunst aus der eigenen Zunft entgegen. So gerate er teils in Konflikt mit Kollegen, die nur des Honorars wegen im Gerichtssaal sitzen. In ein laufendes Verfahren um die Unterbringung eines jungen Mannes in der Psychiatrie – er war im Wahn auf seine Mutter losgegangen – schaltete sich Adam Ahmed kurzfristig ein und ließ sich als Wahlverteidiger verpflichten, weil sich der bereits vom Gericht bestimmte Pflichtverteidiger nach Auffassung von Ahmed nur mäßig für diesen Fall zu interessieren schien. Schließlich musste dieser Pflichtverteidiger einräumen, seinen Mandanten monatelang nicht in der Psychiatrie besucht zu haben.

Pflicht zur Einseitigkeit zugunsten des Mandanten

In der Schweiz schreibt ein ähnlicher Fall nun Justizgeschichte: Ein Prozess muss wegen eines „unmotivierten“ Pflichtverteidigers wiederholt werden. Das Bezirksgericht Zofingen konstatiert:

Die Verteidigung ist (…) verpflichtet, einseitig und zugunsten der beschuldigten Person tätig zu werden, und zwar nur entlastend (…).

Wenn ein Verteidiger diesem Auftrag nicht nachkomme, dann müsste das Gericht einschreiten. Der Pflichtverteidiger hatte den Mandanten über Monate nicht in Untersuchungshaft besucht. Vor Gericht hatte er darüber hinaus für seinen Mandanten auf schuldig plädiert, obwohl dieser immer wieder seine Unschuld beteuert hatte.

Angesichts solcher offensichtlichen Missstände kann Beschuldigten nur geraten werden, sich frühzeitig selbst einen Pflichtverteidiger Ihres Vertrauens zu suchen oder aber von Angehörigen suchen zu lassen, der sich dann vom Gericht bestellen lässt.


9 Kommentare zu “Kür und Pflicht vor Gericht

  1. Auch ich habe schon öfters Pflichtverteidiger (eher Urteilsbegleiter) erlebt, bei denen noch das beste war, was man über sie sagen konnte, dass sie die anderen Verfahrensbeteiligten nicht gestört haben (wobei das gerade der Kritikpunkt des Autors ist).

    Die Alternativen sind aber auch nicht optimal:

    Bei der Aufstellung von objektiven Kriterien zur Bestellung der Pflichtverteidiger verbleibt den Richtern letztlich doch ein Ermessensspielraum. Dem nicht bedachten Kollegen steht ein Beschwerderecht nicht zu (woher sollte das auch kommen). Es würde sich effektiv gar nichts ändern.

    Unzulässige Einflussnahme und sachfremde Erwägungen des Richters werden letztlich nur zuverlässig ausgeschlossen, wenn man stur der Reihe nach die Pflichtverteidigerliste abarbeitet, in die sich jeder Anwalt eintragen lassen kann. Dann hat jeder Beschuldigte die gleiche Chance einen guten Verteidiger zu bekommen. Der Beschuldigte hat dann aber gleichzeitig auch eine gute Chance an einen Berufsanfänger (oder einfache eine Pfeife) zu geraten, selbst wenn es sich um eine Kapitalsache, ein kompliziertes Sexualdelikt oder ein komplexes Großverfahren handelt.

    Die Bestellung der Pflichtverteidiger durch die Rechtsanwaltskammer hat den Charme, dass sachfremde Überlegungen des Gerichts bei der Bestellung des Pflichtverteigers ausgeschlossen werden. Man sollte sich vielleicht aber vorher fragen, wer von den Kollegen letztlich in das Gremium gelangt, dass die Pflichtverteidiger dann auswählt. Das werden ohne Zweifel die alteingesessenen Strafverteidiger sein, die schon ewig im Geschäft sind. Die werden den Markt der Pflichtverteidigung dann effektiv gegen Berufseinsteiger und ihnen nicht genehme Kollegen abschirmen.

    Ich sehe den Schwachpunkt im derzeitigen System, aber mir fehlt eine Idee, wie man es ändern könnte.

    • @Oliver Twist:

      Die werden den Markt der Pflichtverteidigung dann effektiv gegen Berufseinsteiger und ihnen nicht genehme Kollegen abschirmen.

      Ich teile Ihre Befürchtung; dieser könnte zumindest nominell dadurch entgegengetreten werden, dass das Gremium als „Besonderes Organ der Rechtspflege“ auf seine durch das Schweizer Bezirksgericht so treffend formulierten Pflichten vereidigt wird. Jedenfalls wäre der systematischen Bestellung von Urteils- oder gar Geständnisbegleitern durch das Gericht ein Riegel vorgeschoben.

  2. Ich finde die Idee, die Auswahl des Pflichtverteidigers in die Hände der Anwaltskammern zu legen sehr interessant.
    Vielleicht ist das nicht der Weisheit bester Schluss. Aber, dass der Richter sich selbst einen genehmen Verteidiger auswählt, ist so abgefahren, dass man gar nicht glaubt, dass es das wirklich gibt.

    Man stelle sich einmal vor, der Angeklagte könnte sich Staatsanwalt und Richter auswählen…..

  3. „Straf­ver­tei­di­ger ha­ben es schwer, von Ge­rich­ten als Pflicht­ver­tei­di­ger beige­ord­net zu wer­den. “

    Das deckt sich mit meinen Erfahrungen. Wenn ich als prozessbeobachtender Rentner im Zuschauerraum bei Strafsachen sitze, geben sich Zivilrechtler die Klinke in die Hand.

    Demgegenüber sehe ich Strafverteidiger überproportional oft vor dem Sitzungssaal der LG-Spezialkammer für Bausachen sitzen.

    Manchmal frage ich mich dann schon, was das alles für einen Sinn hat.

  4. Man vergleiche hierzu auch die vor einigen Wochen in den Blogs von Siebers und Braun ausgetauschten Argumente.

  5. Vergessen werden sollte bei der Diskussion aber auch nicht, dass es auch „Kollegen“ Strafverteidiger gibt, die sich mit Macht in eine Pflichtverteidigung drängen mit dem Argument, der Pflichtverteidiger kümmere sich nicht um den Mandanten und müsse daher entpflichtet werden. Was da für krude Dinge mit den betroffenen Mandanten geschehen, ist zumindest unkollegial.

  6. Ich miene auch, dass sich was ändern muss. Man muss sich bei der Diskussion auch klar machen, dass nicht immer der Richter, der entscheidet, den Anwalt aussucht. In Haftsachen ist die fast immer der Ermittlungsrichter bei Haftbefehlseröffnung. Bei konzentrierten Haftzuständigkeiten ist m.E. der Hebel dort anzusetzen.
    Wie, weiß ich auch nicht. Ich sehe die Lage nicht ganz so schwarz, wie viele andere.

    @ Matthias-Wilhelm;

    „Dem­ge­gen­über sehe ich Straf­ver­tei­di­ger über­pro­por­tio­nal oft vor dem Sit­zungs­saal der LG-Spezialkammer für Bau­sa­chen sitzen.“

    Vielleicht gibt’s da mehr zu verdienen…

  7. Haben Strafverteidiger es wirklich insgesamt schwer, als Pflichtverteidiger beigeordnet zu werden? Zumindest aus der Nahbereichsempirie kann ich das nicht bestätigen.

    Unterscheiden muss man hier sicherlich, ob gegen den Beschuldigten Untersuchungshaft vollzogen wird oder nicht. Befindet der Beschuldigte sich auf freiem Fuß, mag sich mir das Problem nicht recht erschließen; als Pflichtverteidiger pflegt ihm dann (im Verlaufe der Ermittlungen oder in der Regel spätestens mit Anklageerhebung) der ohnehin bereits gewählte Wahlverteidiger beigeordnet zu werden, und für dessen Auswahl besteht in diesem Fall ausreichend Zeit. Dass in einer Nicht-Haftsache ein Pflichtverteidiger zu bestellen ist, ohne dass bereits ein Wahlverteidiger vorhanden ist, scheint mir in der Realität schlicht nicht vorzukommen; ich erinnere mich jedenfalls in mehr als einem Jahrzehnt an allenfalls einen oder zwei Fälle. (Dass die Wahl des Beschuldigten, Angeschuldigten oder Angeklagten nicht immer zu seinem Besten ist, gilt freilich auch in diesem Fall, doch ist jeder auch insoweit seines Glückes Schmied – daran könnte auch eine wie auch immer geartete Neuregelung nichts ändern.)

    Anders sieht der Fall freilich aus, wenn der Beschuldigte sich in Haft befindet. Die Verhaftung trifft ihn in der Regel überraschend, und seine Möglichkeiten zur Auswahl eines Verteidigers sind begrenzt. Den Widerstreit zwischen einer möglichst schnellen Verteidigerbestellung und ausreichender Gelegenheit zur Auswahl eines Verteidigers des Vertrauens hat der Gesetzgeber mit der Neuregelung des Untersuchungshaftrechts zugunsten der möglichst schnellen Bestellung gelöst, wenn ich mich recht entsinne, durchaus auf Forderung der oder zumindest im Einvernehmen mit den Strafverteidigervereinen und -vereinigungen. Auch hier ist es aber nicht selten so, dass der Beschuldigte nicht zum ersten Mal mit der Strafjustiz konfrontiert wird und daher bereits einen Verteidiger seines Vertrauens benennen kann, den er auch als Wahlverteidiger wählen würde, dass seine Angehörigen entsprechend tätig werden oder dass er binnen der regelmäßigen Stellungnahmefrist von einer Woche einen Verteidiger wählt. Die Fälle, in denen (auf Wunsch oder zumindest mit Zustimmung des Beschuldigten) unmittelbar bei der Vorführung bereits ein Verteidiger – dann nach Auswahl des Gerichts, also konkret des Haftrichters – bestellt wird, sind nach meiner Beobachtung auch hier in der Minderzahl.

    Zugestanden sei, dass wohl kaum ein Richter auf die Idee verfallen wird, einen Verteidiger beizuordnen, der ihm durch ein Verhalten aufgefallen ist, dass – je nach Standpunkt und Wertung – als irgendetwas zwischen „hoch engagierter Verteidigung“ und „querulatorischer Konfliktverteidigung“ beurteilt werden könnte. (Man kann auch durchaus geteilter Auffassung darüber sein, ob eine solche Strategie der mehr – oder oft weniger – „sachbezogenen“ Konfrontation immer oder auch nur häufig im objektiv besten Interesse des Mandanten ist, und manchmal zudem zweifeln, wessen Interessen ein lautstarkes Auftreten in der Hauptverhandlung eigentlich wirklich in erster Linie bedient.) Ich kann aber auch hier aus meiner (notwendig begrenzten) Erfahrung nicht den Eindruck bestätigen, dass überwiegend Berufsanfängern Pflichtverteidigermandate zugespielt werden würden oder dass Verteidiger mit einem besonders konsensualen Stil bevorzugt bestellt würden. Bei der, wie einleitend dargestellt, überwiegend (oder ausschließlich) praxisrelevanten Konstellation der Verteidigerbestellung durch den Haftrichter fallen zudem der bestellende und der die Hauptverhandlung durchführende Richter entweder grundsätzlich (großes Gericht mit Haftrichterabteilung, deren Richter praktisch ausschließlich die Aufgaben des Haft- und Ermittlungsrichters wahrnehmen) oder zumindest häufig (an Gerichten, bei denen die Haftrichter auch Straf- oder Schöffenrichter sind) auseinander, so dass auch gar kein erkennbarer Anlass zur Bestellung besonders „“willfähriger“ Verteidiger bestünde. Eine konfrontative Verteidigung bereits im Vorverfahren ist doch eher sehr selten, schon aufgrund der bestehenden begrenzten Möglichkeiten.

    Die Verbesserung eines – möglicherweise – bestehenden oder zumindest empfundenen Missstands durch die Übertragung der Bestellung auf die Rechtsanwaltskammern halte ich für eher fernliegend. Der Ersatz eines persönlich und sachlich unabhängigen Richters durch einen von Mehrheiten gewählten Vorstand scheint kaum geeignet, zu objektiven Ergebnissen zu führen, und natürlich agiert auch der Vorstand einer Rechtsanwaltskammer nicht im luft- und interessenleeren Raum. Ich erlaube mir insoweit den Verweis auf die Berichterstattung über die kürzlich erfolgte Vorstandswahl bei der RAK Berlin, bei der nunmehr vorwiegend Syndikusanwälte im Vorstand sitzen: http://www.lto.de/recht/job-karriere/j/groesste-kammerversammlung-berlin-plaediert-jetzt-fuer-syndici-gleichstellung/

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