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Das Selbstverständnis des Strafverteidigers

In der aktuellen Ausgabe der „Zeit“ wird unter dem Titel »Im Namen der „Bösen“« ein durchaus interessanter Blick auf die Strafverteidigerin Anja Sturm und ihr Selbstverständnis eröffnet. Seit nunmehr 109 Verhandlungstagen verteidigt sie vor dem Oberlandesgericht München zusammen mit Wolfgang Heer und Wolfgang Stahl die Angeklagte Beate Zschäpe – im wohl bedeutendsten Strafprozess der Bundesrepublik Deutschland.

In der Öffentlichkeit vorverurteilt

In der Vergangenheit musste sich Anja Sturm selbst gegen Angriffe von „Kollegen“ verteidigen – etwa, dass man sich als Verteidiger mitschuldig mache, wenn man wie Sturm und ihre beiden Mitverteidiger einen Antrag auf Einstellung des Verfahrens stelle und Zschäpe dadurch freikäme. Oder wie es sich anfühle, die „Böse“ zu verteidigen, nicht auf der „richtigen Seite“ zu stehen, wie es eine Vertreterin der Nebenklage allen Ernstes formulierte? Allein solche Fragen von Rechtsanwälten machen einigermaßen sprachlos – kommen sie doch einem Angriff auf den Rechtsstaat gleich und untergraben nicht nur tragende Verfassungsprinzipien auf ein faires und rechtsstaatliches Verfahren (Art. 6 MRK), sondern außerdem auch die Unschuldsvermutung. Es heißt nichts anderes, als dass „solche Menschen“ keine Verteidigung verdient hätten. Völlig zu Unrecht wird häufig auch kritisiert, dass die Angeklagte von ihrem Recht zu schweigen Gebrauch macht.

Derartige Angriffe gehen sicher auch an Anja Sturm nicht spurlos vorbei, auf der Veranstaltung bayerischer Strafverteidiger im Oktober des letzten Jahres war sie nicht davon ausgegangen, über solche Selbstverständlichkeiten reden zu müssen: Verteidigung dürfe schließlich nie eine Frage der Moral oder der politischen Einstellung sein. Mit Recht sagt sie, müsse sich gerade bei diesem Verfahren unser Rechtsstaat auf die sauberste Art bewähren:

„Ich empfinde es als frustrierend, dass kaum infrage gestellt wird, ob Beate Zschäpe schuldig ist oder nicht. Eigentlich meinen doch alle, schon alles zu wissen.“

Auch Anja Sturm kann nicht von allen geliebt werden

Wenn man andere Prozessbeteiligte oder außenstehende Juristen nach Anja Sturm befragt, gibt es viel Lob: Integer, kompetent, fähig, emphatisch sind häufige Zuschreibungen. Manchmal schwingt jedoch auch ein „aber“ mit – „aber“ sie verteidigt nun einmal Beate Zschäpe.

Man hätte seinen Beruf als Strafverteidiger sicherlich verfehlt, würde man erwarten, dass einem allenthalben Zustimmung für seine Rolle im Strafverfahren entgegenschallt. Das muss man aushalten können. Aber man wird unter Anwaltskollegen erwarten dürfen, dass diese verfassungsrechtlich garantierten Verfahrensrechte nicht als bloße „Förmelei“ betrachtet werden. Es geht allein um die Frage, ob die Angeklagte als Mittäterin an zehn Morden beteiligt war.

Die Rechtsprechung erfordert dafür einen eigenen, wesentlichen Tatbeitrag auf der Grundlage eines gemeinsamen Tatplans, so dass Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des betreffenden Mittäters abhängen. Nur deshalb steht Beate Zschäpe vor Gericht – nicht wegen ihrer Gesinnung, ihrer Weltanschauung oder wie auch immer gearteten Beziehung zu mutmaßlichen Terroristen. Diese Tatbeteiligung wird ihr die Bundesanwaltschaft nachweisen müssen, ansonsten ist sie freizusprechen.

* Anja Sturm: Im Namen der „Bösen“ – von Özlem Topçu für „Die Zeit“

5 Kommentare zu “Das Selbstverständnis des Strafverteidigers

  1. Die mediale Vorverurteilung in der Sache Z. steht in einem sehr seltsamen Kontrast zu dem Ermittlungschaos, was vorher angezettelt worden war, so dass man folgern kann, es handele sich um – Desinformation. Gerade wegen des Chaos sollte man erwarten, dass vorsichtig agiert wird, was aber nicht passierte.

  2. Interessant in diesem Artikel finde ich den Vergleich zu den RAF-Prozessen! Das ist schon der Wahnsinn, mit welchen Argumenten damals gekämpft wurde. Dagegen kommen die gegen die Tätigkeit von Frau Sturm vorgebrachten Einwände wie falsch verstandenes oder einfach nur extrem nerviges Gutmenschentum daher. Vor allem, wenn diese Einwände von Kollegen (!) kommen.

    • Wobei die Forderung einiger RAF-Verteidiger (u.a. Otto Schily), den inhaftierten RAF-Mitgliedern den Kombattanten-Status zuzuerkennen und die Angeklagten aus der Haft zu entlassen und in Kriegsgefangenschaft zu überführen, damals auch schon – freundlich formuliert – absolute Mindermeinung war.

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