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Betrug und der fiktive Vermögensschaden

Beim Betrug gemäß § 263 Abs. 1 StGB liegt der Problemschwerpunkt nur selten im Vermögensschaden. Dieser wird typischerweise durch die sog. Gesamtsaldierung unter Beachtung etwaiger Kompensationen bestimmt.1 Gerade die Feststellung eines Vermögensschadens bereitete im medial stark verfolgten Fall „Hoyzer“ jedoch besondere Schwierigkeiten und zieht sich bis heute durch die Rechtsprechung zu Sportwettenbetrügen.

1. Der Fall Hoyzer, BGHSt 51, 165

Durch Bestechung von Schiedsrichtern und Spielern versuchte der Angeklagte, Einfluss auf den Ausgang jener Spiele zu nehmen, auf welche er Wetten platziert hatte, um sich so zu bereichern. Das vom Angeklagte gewählte Wettsystem „Oddset“ basiert auf der Grundlage „fester Gewinnquoten“. Hierbei erwirbt ein Kunde einen Wettschein mit einer bestimmten – vom Wettanbieter kalkulierten – Gewinnwahrscheinlichkeit zu einem festgelegten Preis. Als eher unproblematisch zu betrachten sind hierbei jene Wetten, die gewonnen wurden und deren Gewinnbetrag bereits ausgezahlt wurde. Hier lässt sich der Schaden im Wege der Gesamtsaldierung auf den Gewinn, minus des Kaufpreises des Wettscheins, klar festlegen. Vor bislang unbekannte dogmatische Schwierigkeiten wurde das Gericht jedoch hinsichtlich der verlorenen Wetten gestellt.

Die Frage um des Pudels Kern war somit, ob auch eine verlorene Wette einen vollendeten Betrug begründen könne – also inwiefern auch in einer verlorenen Wette ein Vermögensschaden im Sinne des § 263 StGB zu sehen sei.

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Der Bundesgerichtshof stützte sich vorliegend auf die Figur des Eingehungsbetrugs. Abgestellt wird hierbei auf den Umstand, dass der Wettanbieter den Wettschein aufgrund einer im Vorhinein kalkulierten Quote zu einem festen Preis verkaufen wollte. Greift nun der Angeklagte durch Manipulation in die Gewinnwahrscheinlichkeit seines Tipps ein, so verschiebe sich der Wert der festgelegten Quote zu Ungunsten des Wettanbieters. Die daraus resultierende Quotendifferenz stelle bereits bei Abschluss des Wettvertrags einen nicht unerheblichen Vermögensschaden dar. Der Schaden liege also in dem deutlich gesteigerten Wert des zu einem günstigeren Preis erworbenen Wettscheins, der in seiner Gewinnwahrscheinlichkeit nicht mehr den vorgenommenen Kalkulationen des Wettanbieters entspreche. Ein solcher Quotenschaden sei jedoch nicht notwendigerweise zu beziffern. Käme es trotz der Manipulation nicht zu einem Gewinn, bliebe der durch Täuschung erlangte Quotenschaden als Vermögenschaden bestehen. Der BGH nimmt somit auch bei verlorenen Wetten nach einer Manipulation im Oddset-System einen vollendeten Betrug an. Berücksichtigung fände die Tatsache, dass der Angeklagte keinen materiellen Vorteil erlangt hat nur im Rahmen der Strafzumessung.2

2. Der Juni-Beschluss des BVerfG, BVerfGE 126, 170

Im Rahmen des sog. Juni-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Untreuetatbestand nach § 266 StGB wurden unter besonderer Beachtung des Bestimmtheitsgebots aus Art. 103 II GG die Ausuferung des Tatbestandes u.a. dadurch einzuschränken versucht, dass bei der Bestimmung eines Nachteils eine Bezifferung möglich sein muss, um diesen anzunehmen. So müssten die Gerichte bei Annahme eines Nachteils diesen der Höhe nach beziffern und diesen auch in wirtschaftlich nachvollziehbarer Weise in ihren Urteilsgründen darlegen. Sollte dies die Zuziehung eines Sachverständigen erfordern, so sei dieser zu bestellen. Zumindest ein Mindestschaden müsse feststellbar sein. Anderenfalls müsse ein Freispruch hinsichtlich des vollendeten Betrugs unter Berücksichtigung des „in dubio“-Grundsatzes erfolgen.3

Im Al-Qaida-Beschluss des BVerfG vom 7. 12. 20114 werden eben jene Erwägungen auch auf den Betrugstatbestand gem. § 263 StGB übersetzt. So führte das BVerfG aus, der Tatbestand dürfe nicht überdehnt werden. Die bloße Möglichkeit eines Schadenseintritts genüge nicht. Viel eher müsse ein greifbarer Mindestschaden festgestellt oder ein tatsächlicher Schaden der Höhe nach beziffert werden. Sofern ein Mindestschaden nicht konkret beziffert werden könne, müsse zumindest eine tragfähige Schätzung vorgelegt werden.

Ziel beider Beschlüsse war die Konkretisierung beider Tatbestände, um dem Bestimmtheitsgrundsatz Rechnung zu tragen. Der Begriff des Quotenschadens wurde somit untragbar, da sich dieser eben nicht auf eine konkrete Bezifferung, sondern viel eher auf eine abstrakte Möglichkeit eines Schadens stützte.

3. Bochum-Fall, BGH NStZ 2013, 234

Nach diesen Beschlüssen des BVerfG war der BGH gezwungen, von dem Konstrukt des Quotenschadens abzurücken und neue Anknüpfungspunkte für den Vermögenschaden hinsichtlich verlorener Sportwetten zu finden. Erneut bejahte der BGH zwar den Vermögensschaden bereits bei Abschluss des Wettvertrags, änderte jedoch seine Argumentation. Erhöhe sich durch die Manipulation die Wahrscheinlichkeit, dass das vom Angeklagten gewettete Ergebnis eintrete, so erhöhe sich auch der Geldwert seines Anspruchs gegenüber dem Gegenanspruch des Wettanbieters und dessen Haftungsrisikos.5 Der Vermögensschaden liege somit in dem Umstand, dass die eingegangene Auszahlungsverpflichtung des Wettgewinns nach der Manipulation nicht mehr durch den Anspruch auf den Wetteinsatz aufgewogen werde.6 In diese Berechnung müssten die Wahrscheinlichkeit des Wetterfolgs vor und nach der Manipulation, sowie der wirtschaftliche Wert des Gewinnauszahlungsanspruchs, wie auch des Gegenanspruchs des Wettbetreibers einfließen. Zu beachten ist, dass gerade im Rahmen der Berechnung von Wahrscheinlichkeiten bzgl. des Erfolgseintritts Ungenauigkeiten auftreten, da sich die Gewinnwahrscheinlichkeit wieder an Quoten orientiert, welche durch den BVerfG-Beschluss eigentlich für unzureichend befunden wurden.7 Weiterhin ist es dem Gericht nur selten möglich, in den komplexen Sachverhalten selbstständig den Schaden zu errechnen. Somit müsste stets ein Sachverständiger hinzugezogen werden um das Urteil entsprechend zu begründen.

4. Kritik: Sportwettenbetrug als Eingehungsbetrug?

Veranlasst durch die Beschlüsse des BVerfG musste auch der BGH seine Begründung zum Vermögensschaden überarbeiten. Nach wie vor hält der BGH jedoch an seiner Ansicht fest, dass bereits beim Abschluss des Wettvertrags der Betrug vollendet werde, auch wenn später gar kein Gewinnfall eintritt. Der Quotenschaden und der Vergleich von Anspruchswerten erscheinen eher wie ein Konstrukt, das – wenn überhaupt – erst durch komplexe mathematische Berechnungen festzustellen ist. Gerade im Fall von verlorenen Wetten wird der Wettschein wertlos und der Wettanbieter behält den Wetteinsatz. Ihm entsteht hier somit gar kein Schaden, sondern er erhält den Gegenwert seines Anspruchs.

Es bleibt somit fraglich, ob durch die Annahme des Eingehungsbetrugs bei verlorenen Wetten für mehr Rechtssicherheit gesorgt und dem Bestimmtheitsgrundsatz ausreichend Rechnung getragen werden kann. Weiterhin verbleibt die Frage, ob der BGH hier nicht bewusst auf eine konsequente Umsetzung der BVerfG-Beschlüsse verzichtet hat, um weiterhin bei Sportwetten aus dem Vollendungsdelikt strafen zu können – unabhängig vom Ausgang der Wette.

Dieses Festhalten an einem eher fiktiven, schwer greifbaren Schadensbegriff erscheint vor allem hinsichtlich alternativer Strafbarkeiten aus dem Versuchsdelikt eher fragwürdig. Die Annahme des Eingehungsbetrugs verlagert den Vollendungszeitpunkt so weit nach vorne, dass für den Täter kaum Raum zum strafbefreienden Rücktritt bleibt.

Es bleibt also kritisch festzustellen, dass hier mit der Strafbarkeit wegen vollendetem Betrug eher ein Symbolcharakter der Strafe bemüht werden soll. Eine Strafbarkeit nach §§ 263 Abs. 1, 22 StGB würde ebenfalls eine pönalisierende Wirkung erreichen, gleichzeitig jedoch dogmatisch sauberer und dem Bestimmtheitsgrundsatz entsprechender daherkommen.

  1. Duttge, in: Dölling/Duttge/Rössner, Gesamtes Strafrecht (3. Aufl. 2013) § 263 Rn. 56 []
  2. BGH NJW 2007, 782 []
  3. BVerfG NJW 2010, 3209 []
  4. BVerfG NJW 2012, 907. []
  5. BGH NStZ 2013,234. []
  6. Schiemann, Sportwettenbetrug durch Spielmanipulationen – Schadensermittlung, NJW 2013, 883 (888). []
  7. Jäger, Wettbetrug – Nicht nur ein Schaden für den Sport, sondern auch für das Vermögen!, JA 2013, 868. []

1 Kommentar zu “Betrug und der fiktive Vermögensschaden

  1. Hallo Herr Kollege Laudon,
    dazu zwei kurze Anmerkungen:
    Das mit der „abstrakten Möglichkeit eines Schadens“ (unter 2. A.E.) finde ich missverständlich Das BVerfG hat m.E. den Quotenschaden nicht abgeschafft, sondern fordert nur eine Konkretisierung der Höhe (wirtschaftlicher Vergleich zwischen Leistung und Gegenleistung). Es reicht nun eben nicht mehr zu sagen, „jedenfalls weniger“ hätte der Getäuschte bezahlt, sondern es bedarf einer Konkretisierung (Umsetzung z.B. in BGH 2 StR 79/12, „Plagiatsfelgen“, vgl. dazu auch die Diskussion in BGH 5 StR 344/12). Das, was der 4. Strafsenat bei BGH 4 StR 125/13 macht, ist ja letztendlich nichts anderes als die Berechnung der Höhe der Quote (mit dem für mich rätselhaften Satz Rn. 57 a.E.: „Lassen sich keine belastbaren Aussagen treffen und kann deshalb auch ein Mindestschaden nicht mehr geschätzt werden, scheidet ein Schuldspruch wegen vollendeten Betrugs aus.“ – ist das dann ein Wahndelikt oder ein untauglicher Versuch, wenn es wirtschaftlich keinen Vermögensschaden gibt?).
    Die Versuchslösung finde ich nicht überzeugend. Fehlt es da nicht an der Kausalkette zwischen Täuschungshandlung (Eingehen der Wette) und Auszahlung, denn immerhin hat sich doch die subjektive Sicht des Getäuschten durch den Eintritt des Wettereignisses gewandelt – der Anbieter zahlt aus, weil Paderborn gegen Hamburg gewonnen hat?
    Ihre Lösung führt m.E. dazu, dass bei Verträgen, die nicht sofort erfüllt werden, immer nur ein Versuch vorliegt, weil ja nicht feststeht, ob sich der Schaden später bei Erfüllung realisiert. Im Übrigen birgt auch die Versuchslösung das Problem, dass für den Zeitpunkt des Abschlusses des Wettvertrages der Schaden zwar nicht objektiv, aber sehr wohl nach der Vorstellung des Täters vorliegen muss. Für den Fall, dass das Wettereignis nicht eintritt, verschiebt sich das Problem lediglich von der objektiven auf die subjektive Tatseite. Oder übersehe ich da was?

    Ich wäre entgegen Ihrer Auffassung für eine sehr viel engere Anbindung der Täuschungshandlung an den Vermögensschaden. Es reicht nicht aus, wenn irgendwie jemand täuscht, und es kommt dann zu einem Schaden, vielmehr muss sich die Täuschung im Schaden abbilden.

    Viele Grüße
    A.Lickleder

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