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Fehlbildungsrate als Hauptargument für das Inzestverbot

Der Beischlaf zwischen Verwandten – insbesondere unter Geschwistern – ist gem. § 173 StGB in Deutschland strafbar und gehört noch immer zu einem gesellschaftlichen Tabuthema, das die Gemüter erhitzt wie nur wenig andere. Dementsprechend heftig wurde die Stellungnahme des Deutschen Ethikrats kritisiert, der empfahl, das strafrechtliche Verbot eines ein­ver­nehm­li­chen Beischlafs unter erwachsenen Ge­schwis­tern aufzuheben.

Fehlbildungsrate als Hauptargument für das Inzestverbot

Die höhere Wahrscheinlichkeit für eine Behinderung des leiblichen Kindes von Geschwistern (Fehlbildungsrate) ist in der Bevölkerung das Hauptargument für ein Inzestverbot. Dieses ist als Argument allerdings kaum haltbar. Bei einer gewöhnlichen Schwangerschaft zwischen nicht-blutsverwandten Partnern liege das Risiko für eine Fehlbildung zwischen zwei und vier Prozent. Bei Halbgeschwistern liege es zwischen 15 und 20 Prozent, bei Vollgeschwistern bei 25 Prozent.

Im Vergleich dazu tragen andere Schwangerschaften weitaus höhere genetische Risiken – etwa von spätgebärenden Frauen über 45 Jahren oder Menschen mit Anlagen für Erbkrankheiten wie Mukoviszidose oder bestimmten Krebsarten (BRCA1). Die Deutsche Gesellschaft für Humangenetik attestierte schon im Jahr 2008, dass die „Volksgesundheit“ als Argument für ein Inzestverbot zugleich ein „Angriff auf die reproduktive Freiheit aller“ sei. Dürften sich Menschen mit einer Behinderung dann überhaupt noch fortpflanzen? Man käme in ethisch hochbrisante Gefilde.

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Die mögliche Behinderung möglicher Kinder ist ein kaum tragfähiges Argument // Foto: S. Hofschlaeger / pixelio.de

Auch die Minderheit im Ethikrat, die sich gegen die Straffreiheit von einvernehmlichem Beischlaf unter Geschwistern aussprach, begründet ihr abweichendes Votum nicht mit den genetischen Problemen. Neun der 25 Mitglieder ging es um den Schutz der Familie. Warum gelte das Inzestverbot dann jedoch nur für Blutsverwandte und nicht für Adoptivkinder oder Stiefgeschwister? Warum erfasse es darüber hinaus nur den Vaginalverkehr, nicht aber andere sexuelle Praktiken?

Eine weitere Minderansicht im Ethikrat empfiehlt, Staatsanwälte sollten § 173 StGB großzügig handhaben und ein Verfahren eher einstellen, wenn evident kein Missbrauch vorliege.

Eine Liebe mit Aktenzeichen

Die Süddeutsche Zeitung nimmt sich in einer emotionalen Reportage von Christina Berndt dem Tabuthema Inzest an. Zwei Halbgeschwister, die nicht gemeinsam aufgewachsen sind, haben ein Kind gezeugt, das nun als Beweis ihrer „verbotenen“ Liebe herhalten soll. Der Rechtsanwalt der Familie sieht dem Verfahren, dessen Einstellung von der Staatsanwaltschaft abgelehnt wurde, unaufgeregt entgegen. Schließlich könne niemand beweisen, ob das Kind nicht in Paris oder Amsterdam gezeugt wurde, wo Inzest unter Geschwistern nicht strafbar ist.


8 Kommentare zu “Fehlbildungsrate als Hauptargument für das Inzestverbot

  1. Die in diesem Artikel aufgeworfenen Fragen treffen genau den Punkt. Die Gesellschaft muss sich wohl eingestehen, dass es in Wahrheit andere Gründe für die Strafbarkeit gab und gibt, als es nach außen bislang vorgegeben wurde. Es ist offensichtlich, dass es nicht (nur) um das Risiko von Fehlbildungen geht.

    Gruß, Julian
    http://www.dasrechtderstrasse.blogspot.de

  2. Ich Frage mich in diesem Zusammenhang immer, wie ich als Richter Inzest eigentlich nachweisen will: Eine allgemeine Lebenserfahrung, dass miteinander lebende Paare automatisch (vaginalen) Geschlechtsverkehr haben, dürfte nicht existieren. Und selbst, wenn beide miteinander ein Kind zeugen: Kann ich ausschließen, dass das Kind mittels einer Einwegspritze gezeugt wurde, um auch ja nicht gegen § 173 StGB zu verstoßen?

    Diese Verteidigungsansätze allein zeigen schon, wie erniedrigend die Vorschrift ist. Sie hilft niemanden, schützt insbesondere keine Familien (denn Personen, die miteinander aufwachsen, entwickeln keinerlei sexuelles Interesse aneinander), sondern zerstört sie nur.

  3. Es geht nicht nur um das Fehlbildungsrisiko. Es geht darum, die Institution Familie in ihrer überlieferten Form zu schützen und zu erhalten. Sie ist es nämlich wert. Die Familie ist die Kernzelle eines funktionierenden Staates. Und, ja, dieses Familienbild hat christliche Wurzeln.

    Man darf die Motive derjenigen hinterfragen, die die Strafbarkeit des Inzests aufheben wollen. Geht es nicht eher darum, dass diese ihr christentumsfeindliches Weltbild anderen aufdrücken wollen, ihre libertinäre Vorstellung von sexueller Freizügigkeit, auch um den Preis einer Aushölung der Familienstrukturen? Oft sind solche Absichten biografisch begründet, nicht rational. Wer unter einem katholischen Internat gelitten hat, drückt später seinen Hass auf alles Christliche eben auch in seiner „wissenschaftlichen“ Auffassung aus.
    Zuzugeben ist, dass die Nichtbestrafung des Beischlafs unter nicht blutsverwandten Familienangehörigen insoweit inkonsistent ist. Zu hoffen ist, dass diese Strafbarkeitslücke bald geschlossen wird. Die in ihrem Wert kaum zu überschätzende Institution Familie hätte eine solche Stärkung verdient. Die betroffenen Kinder hätten diesen Schutz vor dem sexuellen Notstand ihrer Stiefväter und älteren Stiefbrüder dringend nötig.

    • @RA Splendor:

      Es geht darum, die In­sti­tu­tion Fa­mi­lie in ih­rer über­lie­fer­ten Form zu schüt­zen und zu er­hal­ten. Sie ist es näm­lich wert.

      Warum ist sie es wert, und warum muss sie in ihrer über­lie­fer­ten Form geschützt werden?
      Müssten wir dann nicht auch Scheidung, homosexuelle Ehen und Adoptionen unter Strafe stellen?

      Oft sind sol­che Ab­sich­ten bio­gra­fisch be­grün­det, nicht ra­tio­nal.

      Vielleicht irre ich mich, aber ihr Kommentar macht (für mich) den Eindruck, dass Ihre Ansichten bio­gra­fisch (oder religiös) be­grün­det sind.

      Denn bis jetzt wurde noch kein rationales Argument für den erhalt der Strafbarkeit geliefert. Denn nur zu sagen, es gehe um den „Schutz der Fa­mi­lie“ ist kein Argument sondern Populismus.

      • Schutz der Familie? Vielleicht stellen wir Ehebruch wieder unter Strafe? Die angeführten Gründe für eine Strafbarkeit haben im StGB nix verloren.

      • @Peter MS: Vielen Dank, ,jetzt bist du mir zuvor gekommen. Genau dasselbe habe ich auch gedacht und wollte ich RA Splendor gefragt haben.

        Wie kommt man denn auf die Idee, dass von allen Straffreiheits-Befürworten anderen ein „christentumsfeindliches Weltbild“ aufgedrückt werden soll? Doch wohl nur dann, wenn man ein streng gläubiger Christ ist, der sich und seine persönlichen, privaten (!) Wertvorstellungen in Gefahr sieht? Außerdem wird sogar noch von „Hass auf alles Christliche“ gesprochen… Also das geht nun wirklich völlig fehl.

        Jedenfalls: im Kommentar von RA Splendor gab es noch kein Argument. Ich bin gespannt!

        Gruß, Julian
        http://www.dasrechtderstrasse.blogspot.de

  4. Meiner Meinung nach ist §173 völlig unnötig und kann ohne Probleme abgeschafft werden!
    Denn, alle strafrechtlich relevanten Tatbestände werden durch
    §174 bis §184 abgehandelt. Also Missbrauch von Kindern und Jugendlichen (es spielt ja dabei keine Rolle ob die „Täter“ Eltern
    oder Verwandte sind), ebenso an „geistig zurückgebliebenen“ Personen.

    Am Absatz 3 erkennt man auch, dass das Ganze einfach nur absurd ist.
    Warum um alles in der Welt soll das bei Minderjährigen (zw. 14. und 18 Jahren) – die wohlgemerkt per Definition „strafmündig“ sind – straffrei bleiben, aber mit dem erreichen des 18. Lebensjahres dann plötzlich eine Straftat sein?
    Der Sinn erschließt sich mir absolut nicht.

    Zum Thema „mögliche“ Fehlbildungen:
    Dann hätte man das auch so formulieren können, dass nur der Beischlaf bestraft wird, wenn auch ein Kind gezeugt wurde. So ist es in jedem Fall strafbar, unabhängig davon, ob verhütet wurde oder nicht.

    Zum Thema „Schutz der Familie“:
    Wenn der Paragraph abgeschafft werden würde, die Ehe zwischen Geschwistern ebenfalls möglich ist, dann haben wir „Vater + Mutter + evtl. auch ein Kind = Familie“ ;-) Also auch kein Problem.

    Wobei man sich generell die Frage stellen muss, ob der Staat bei volljährigen Personen, die im Vollbesitz ihrer Geistigen Kräfte sind, überhaupt in die sexuelle Selbstbestimmung reinzureden hat.
    Meiner Meinung nach hat der sich da raus zu halten, sofern kein Tatbestand im Bereich §174 bis §184 vorliegt.

    Und das gilt auch für die Gesellschaft, besonders die lieben Mitmenschen, die auch bei einem Verstoß gegen „ungeschriebene“ Gesetze gerne mit Steinen werfen (meist verbal)!!!

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