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Containern: Lebensmittelrettung im Strafrecht?

Zwei Studentinnen stehen heute vor dem Strafrichter am Amtsgericht Fürstenfeldbruck. Ihnen wird vorgeworfen, Lebensmittel aus dem Müllcontainer eines Supermarktes „entwendet“ zu haben. Wie ist das rechtlich zu bewerten?

Was ist Containern?

Gerade in Supermärkten fällt eine große Masse an Lebensmitteln an, bei der das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten wurde und deshalb nicht mehr verkauft werden darf. Auch optisch nicht mehr schönes Obst und Gemüse wird rigoros aussortiert. Ein Weg, die Lebensmittelverschwendung zu minimieren, ist das sogenannte ‚Containern‘: Supermärkte werfen die aussortierten Lebensmittel in ihre Mülltonnen, die selbsternannten Lebensmittelretter holen die noch genießbaren Produkte wieder heraus. Allein in Deutschland werden laut einer Studie des WWF von 2015 jedes Jahr über 18 Millionen Tonnen an genießbaren Lebensmitteln vernichtet. Das entspricht fast einem Drittel des derzeitigen Nahrungsmittelverbrauchs hierzulande.

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Containern ist strafbar

Auch zwei Studentinnen aus Olching bei München stehen hinter der Lebensmittelverwertung durch das Containern. Allerdings könnte Containern gemäß §§ 242 ff. StGB wegen Diebstahls oder gemäß § 123 Abs. 1 StGB wegen Hausfriedensbruch strafbar sein. So lautete auch die zunächst von der Staatsanwaltschaft gewollte Anklage in diesem Fall: besonders schwerer Diebstahl gemäß § 243 StGB. Die Lebensmittel, die die Studentinnen aus den Mülltonnen holten, sollten einen (Neu-) Wert von 100 € haben. Der zunächst gestellte Strafantrag von Edeka wurde nach Anfeindungen in sozialen Netzwerken gegen den Marktleiter zurückgezogen. Auf ihrem eigens für diese Sache erstellten Internetblog berichten die beiden Angeklagten Franzi und Caro, dass sie bedauern aus welchen Motiven der Supermarkt den Strafantrag zurückgezogen hat. Nicht aus Gründen der Nachhaltigkeit und der Entkriminalisiserung des Containerns, sondern allein aufgrund der Anfeindungen.

„Bei uns wird jeder Diebstahl zur Anzeige gebracht“
Edeka Südbayern

Die Staatsanwaltschaft hält jedoch weiter an einer Verfolgung des Falls fest – offenbar unter Annahme eines besonderen öffentlichen Interesses. Ursprünglich waren in einem Strafbefehl 40 Tagessätze zu je 30 €, also ingesamt 1.200 € als Geldstrafe für jede Angeklagte gefordert. Mittlerweile steht eine Einstellung mit der Auflage von Ableistung von Sozialstunden bei der Tafel im Raum. Doch beide Studentinnen wollen einen Freispruch erreichen.

Anwalt geht von Dereliktion an den Lebensmitteln aus

Die Rechtslage ist durchaus umstritten. Bisher gehen jedoch nur Mindermeinungen von einer Straflosigkeit aus. So auch der Anwalt der beiden Studentinnen Max Malkus. Im Magazin für Restkultur erörtert er die Dereliktion an den weggeworfenen Lebensmitteln und spricht sich für eine Straflosigkeit aus. Doch die herrschende Meinung geht weiterhin mit dem Abfallrecht von einer Eigentümerstellung bei den Supermärkten aus. Ein Diebstahl an diesen Lebensmitteln ist daher weiterhin möglich. Die bisherige Rechtsprechung hat sich dazu noch nicht eindeutig bekannt. Sämtliche Verfahren wurden ohne oder gegen Auflagen wegen fehlendem öffentlichen Interesse oder wegen geringer Schuld eingestellt.

Ein möglicher Hausfriedensbruch würde nur auf Antrag verfolgt werden. Es handelt sich gemäß § 123 Abs. 2 StGB um ein absolutes Antragsdelikt.

Eine Gesetzesänderung wird gefordert

Mit einer gestarteten Petition, die die Studentinnen auf ihren Blog online gestellt haben wollen sie die Bewegung für eine Gesetzesänderung stärken. Es gibt bereits einige Initiativen, die ein politisches Umdenken beim Thema Lebensmittelverschwendung und eine Gesetzesänderung fordern. Auch eine EU-weite Petition haben sie unterstützt. Der EU-Kommission wurden bereits 1,2 Millionen Unterschriften vorgelegt und eine Lösung angelehnt an die französische Gesetzeslage gefordert. Dort ist es seit 2016 den Supermärkten verboten noch genießbare Lebensmittel einfach zu entsorgen. Diese müssen gespendet oder verteilt werden.

Mit einem Freispruch ist heute freilich nicht zu rechnen, es wird also auf eine Einstellung des Verfahrens hinauslaufen. Damit wäre das Strafverfahren beendet.


6 Kommentare zu “Containern: Lebensmittelrettung im Strafrecht?

  1. Kann man da nicht argumentieren, dass der Verkehrswert der abgelaufenen Lebensmittel nach dem Aussortieren und Entsorgen gegen Null geht oder zumindest deutlich unter dem Neuwert liegt (sonst hätte der Supermarkt die Sachen ja nicht entsorgt)? Wenn man am Ende von einem Wert unter 50 Euro ausgeht, könnte es als geringwertige Sache gelten und damit wäre der „besonders schwere“ Diebstahl vom Tisch und das Verfahren könnte nach § 248a ohne Strafantrag leicht eingestellt werden.

    • @Jakob: Meines Erachtens ist der Wert sogar im Minusbereich, denn man erspart dem Unternehmen sogar die Entsorgungskosten. Dass der Wert im Moment des Entsorgen schon bei Null ist (schließlich sind die Waren nach Einschätzung des Marktleiters unverkäuflich), braucht wohl nicht ernsthaft diskutiert zu werden.

  2. Abgesehen von der ethischen Frage, die hier nicht zur Debatte steht (und auf die sehr interessante Rechtsprechung in Frankreich wurde ja bereits hingewiesen), stelle ich mir die Frage nach dem konkreten Schaden, der Edeka hier entstanden sein soll. Angeblich ist es verboten, derartige „Abfälle“ zur Schweinemast zu „nutzen“ (ich weiß aus der Praxis, dass dies dennoch geschieht…), bliebe also nur noch eine kostenpflichtige Entsorgung – die gerade durch das „Containern“ nicht mehr notwendig wird.

  3. Update: die beiden haben jeweils eine Verwarnung mit Strafvorbehalt bekommen, also das Unterste, was man ohne Zustimmung zur Einstellung des Verfahrens ausurteilen kann.

    Zur Frage des Wertes:
    Nachdem abgelaufene Lebensmittel in Tafeln verkauft werden dürfte sich ein Marktwert durchaus feststellen lassen, auch wenn der Eigentümer die Sachen entsorgt hat.
    Ebenso kann nach Ablauf des MHD noch verkauft werden, denn das MHD ist kein Verfallsdatum.
    Abgesehen davon haben die Sachen natürlich schon deshalb einen wirtschaftlichen Wert für den Containerer, weil er sich durch den Verzehr den Aufwand für den Kauf von anderen Lebensmitteln erspart. Was ja neben der Weltrettung teilweise auch ein Motiv für das Containern sein kann (bei den beiden Aktivistinnen wohl eher nicht).

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