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Öffentlichkeitsfahndung: „Bild“ zeigt erneut Tatortvideo

Die Öffentlichkeitsfahndung (§§ 131a, 131b StPO) ist ein Fahndungshilfsmittel nach Personen, um einen möglichst großen Personenkreis anzusprechen und diesen zur Mithilfe aufzufordern. Dadurch soll eine Aufklärung einer bestimmten Straftat herbeigeführt werden.

Öffentlichkeitsfahndung ist Strafverfolgungsbehörden vorbehalten

Diese an die Öffentlichkeit gerichtete Fahndungsmaßnahme nach Personen (oft Tatverdächtige, aber auch nach Zeugen) greifen überaus massiv in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen auf informationelle Selbstbestimmung ein. Deshalb soll sie nur durchgeführt werden, wenn weniger intensive Fahndungsmaßnahmen keinen hinreichenden Erfolg versprechen. Angeordnet wird die Öffentlichkeitsfahndung grundsätzlich durch einen Richter (§ 131c StPO). Einzelheiten dazu sind in Anlage B der Richtlinien für das Strafverfahren und Bußgeldverfahren (RiStBV) geregelt.

Zwar hat der Gesetzgeber auf einen Deliktskatalog verzichtet, aber doch klargestellt, dass diese zu einer öffentlichen Bloßstellung des Betroffenen führende Veröffentlichung bei geringfügigen Straftaten untersagt ist. Durch den Richtervorbehalt wird zudem verdeutlicht, dass es sich um eine hoheitliche Maßnahme handelt, die den Strafverfolgungsbehörden vorbehalten ist.

Gesetzliche Vorgaben gelten scheinbar nicht für jeden

Am vergangenen Sonntag um kurz vor 7 Uhr schoss ein Mann an der Großen Freiheit in Hamburg einem Türsteher ins Bein geschossen und konnte anschließend unerkannt entkommen. Der Türsteher soll den fünf Männern den Zugang zum Club verwehrt haben, daraufhin hätten einer der Männer und ein Türsteher sich zunächst gestritten. Als die Auseinandersetzung dann körperlich eskalierte, habe ein Mann aus der Gruppe eine Waffe gezogen und geschossen. Wie so häufig wurde das Geschehen durch eine Überwachungskamera festgehalten.

„Bild“ fragte bei der Staatsanwaltschaft Hamburg an, warum die Aufnahmen nicht veröffentlicht wurden und erhielt die Antwort, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Öffentlichkeitsfahndung bisher nicht vorlägen und die Ermittlungen andauerten. Mit der Begründung

Um der Polizei zu helfen, zeigt BILD das Video von dem Schützen trotzdem.

veröffentlichte die Regionalausgabe Screenshots von den Ausnahmen und „Bild.de“ zudem das Video der Überwachungskamera – selbstverständlich ohne die umstehenden Zeugen oder das Tatopfer unkenntlich zu machen. Mit der rechtswidrigen Vorgehensweise tritt das Medium die Persönlichkeitsrechte aller Beteiligten zum wiederholten Male mit Füßen und gefährdet darüber hinaus die Ermittlungen der Polizei und Staatsanwaltschaft Hamburg.

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„BILD zeigt das Video, das die Behörden geheim halten“ (Unkenntlichmachung durch Strafakte.de)

Die Behörden kritisieren die Veröffentlichung unterdessen scharf: „Die Verbreitung des Videos läuft unseren Ermittlungen entgegen“, sagt Nana Frombach, Sprecherin der Staatsanwaltschaft Hamburg. Laut Frombach müssten die Ermittlungen jetzt an die veränderte Situation angepasst werden. Verschiedene Ansätze, die die Polizei verfolgt hat, seien nicht mehr verwertbar.


10 Kommentare zu “Öffentlichkeitsfahndung: „Bild“ zeigt erneut Tatortvideo

  1. Die Pressefreiheit wird (zum Glück) durch Gesetz eingeschränkt: Einer Veröffentlichung steht allein das Recht am eigenen Bild entgegen, vgl. § 22, 23, 24 KunstUrhG:

    Für Zwecke der Rechtspflege und der öffentlichen Sicherheit dürfen von den Behörden Bildnisse ohne Einwilligung des Berechtigten sowie des Abgebildeten oder seiner Angehörigen vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zur Schau gestellt werden.

    Darüber hinaus steht das Persönlichkeitsrecht entgegen, insbesondere natürlich für das Tatopfer und die Zeugen. Hinsichtlich dieser Personen besteht keinerlei öffentliches Informationsinteresse.

  2. Täter wird man bei uns erst, wenn die Staatsanwaltschaft genug Beweise hat, dass die betroffene Person auch die Tat begangen hat. Was ist da besser als ein Videobeweis, auf dem die Person genau zu erkennen ist. Mir ist es lieber, dass der Täter durch ein Video überführt, als wenn Augenzeugen eine Täterbeschreibung abgeben. Denn in den meisten Fällen werden die falschen Personen durch solche Zeugenaussagen als Täter angeklagt. Das die deutsche Justiz in den meisten Fällen auch als „faul“ gilt, dürfte ihnen doch bekannt sein. Und das die zu unschuldig angeklagte Personen in ihrer Existenz ruiniert sind, nehmen sie offenkundig in kauf.
    Videobeweise sollten auf jeden Fall veröffentlicht werden. Sie dienen auch der Abschreckung.
    Nur ein Hinweis. Die Polizei ist nur dazu da, um die Staatsanwaltschaft bei ihrer Arbeit zu unterstützen. Den Staatsanwalt will ich sehen, der Anklage erheben will, nur weil ich ein Video über den Tathergang veröffentlicht habe, auf dem der Täter genau zu erkennen ist.
    Ach ja! genau das ist gerade in Frankreich geschehen. Fragen sie doch einmal die Familie der Opfer, die die Täter im Gefängnis sehen wollen.

    • @demokrat:
      „Tä­ter wird man bei uns erst, wenn die Staats­an­walt­schaft ge­nug Be­weise hat, dass die be­trof­fene Per­son auch die Tat be­gan­gen hat“

      Nein. Täter ist man erst dann wenn man durch ein ordentliches Gericht verurteilt wurde und dieses Urteil rechtskraft erlangt.

      Bis dahin ist man Angeklagter bzw. Verdächtiger.

      Und glauben Sie wirklich die Bild hat nur aus heren Motiven gehandelt? Oder hat die Redaktion vieleicht auch gedacht: „Ey geil! DAS brinkt Klicks!!!“? (Ja, die denken Meiner Meinung nach tatsächlich in Grossbuchstaben und mit mehrfachen Ausrufezeichen)

  3. Was kann die Ermittlungen erschweren, wenn ich das Bild des Täters veröffentliche? Mir scheint, dass die Polizei ihre Untätigkeit verschleiern will.

    • @demokrat: So ein Blödsinn! Allerdings ließ schon der Name „demokrat“ erwarten, dass irgendein undemokratischer Blödsinn kommt.

      Die Ermittlungen könnte zum Beispiel erschweren, dass sich die Polizei, die vielleicht schon gute Hinweise hatte, nun mit Hunderten Hinweisen aus der Bevölkerung herumschlagen muss und dafür einige Beamte abstellen muss, die sonst effektiver bei erfolgversprechenden Hinweisen eingesetzt werden könnten.

      Da es keine genauen Einzelheiten gibt, kann man jedoch nur mutmaßen. Mir fallen aber auf Anhieb gleich einige Möglichkeiten ein, wie dadurch die Ermittlungen erschwert werden könnten. Wie will man jetzt bspw. noch eine sinnvolle Gegenüberstellung machen, wenn doch das Bild des Beschuldigten schon öffentlich ist?

      Frage: „War das der Mann vor der Disco?“
      Zeuge: „Ja, das ist doch der aus der Zeitung!“

      Super! Die Verteidigung wird es sicherlich freuen.

  4. Hier scheint es, dass das Recht zur Wahrheit und die Pressefreiheit der Bild durch einen RA nicht ausreichend respektiert wird. Zum Ersten hielten sich alle diese Personen in der Öffentlichkeit und im öffentlichem Raum auf. Damit besteht bei Körperverletzungsgefahr unbescholtener Bürger als Lebensrisko ein Informationsrecht und eine Informationspflicht für die Medien. Daran ändert sich auch nichts, dadurch dass der Staatsgewalt andere Schranken gegen bis zur Verurteilung unschuldige Bürger auferlegt sind. Ob hier eine Herausgabe durch den Videoersteller eine Straftat und damit entsprechend zu ahnden wäre, wird nicht einmal ansatzweise überlegt. Hier dürfte der Besitz des Videos in Händen eines Dritten schon als Verurteilungsindiz Ermittlungen erfordern.

  5. Welcher Hinweis ist besser als ein Video auf dem der Täter zu sehen? Täterbeschreibungen durch Zeugen sind in vielen Fällen nicht zu gebrauchen.
    Man könnte den Eindruck gewinnen, als wenn Sie die Täter zu Opfern machen wollen. Und sie sind ein Teil der Rechtspflege. Kein Wunder, dass die Täter immer dreister werden. Bei dem Rechtsverständnis der Anwälte.
    Für mich nehme ich in Anspruch, dass in solchen Fällen, dass Video auf jeden Fall veröffentlichen werde. Denn je schneller der Täter gefasst wird, um so größer ist die Abschreckung.

    • @demokrat: Auch Täter haben Rechte – das zeichnet unseren demokratischen Rechtsstaat aus.

      Es geht darum, dass „die vierte Gewalt“ das Video veröffentlicht und nicht die dafür vorgesehene Gewalt in der Gewaltenteilung. Wenn Sie für sich in Anspruch nehmen, das Video unter Verstoß gegen geltende Gesetze zu veröffentlichen, dass sind Sie auch Täter – nur mal so. Wie wollen Sie, dass dann mit ihren Rechten verfahren wird?

      • Komisch ich dachte immer in einem freien Land ist für natürliche und ebenfalls als Grundrechtsträger benannte juristische Personen das erlaubt, was nicht von Verbotsgesetzen als Schranke eingeschränkt ist. Abwägung zwischen Einzelinteressen haben Gerichte zu klären. Üble Nachrede ist was anderes.

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