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AG Bautzen: Freispruch dank Lügendetektor

Gestern erregte das Urteil in einem Strafverfahren vor dem Amtsgericht Bautzen Aufmerksamkeit: Dem Angeklagten Jens M. wurde Kindesmissbrauch vorgeworfen, er bestritt den Tatvorwurf aber. Eine klassische Aussage-gegen-Aussage-Konstellation also, denn direkte Tatzeugen gab es abgesehen von dem vermeintlichen Opfer nicht. Der Angeklagte wurde gestern freigesprochen. Überraschend war die Vorgehensweise des Richters. Um den Wahrheitsgehalt der Aussage des Angeklagten zu überprüfen zieht er einen sog. Lügendetektor zu Rate, ein Mittel, das sich im deutschen Strafverfahren nicht allzu großer Beliebtheit erfreut. Wahrscheinlich zu Unrecht – denn überlegenere Methoden zur Überprüfung der Erlebnisbasiertheit einer Aussage gibt der aktuelle Stand der Wissenschaft kaum her.

Problematik bei Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen

Insbesondere im Sexualstrafrecht sind Aussage-gegen-Aussage-Situationen sehr häufig. In diesen Konstellationen hängt die Verurteilung des Angeklagten maßgeblich davon ab, wem das Gericht Glauben schenkt. Daher müssen hier die Aussagen des vermeintlichen Opfers einer besonderen Glaubhaftigkeitsprüfung unterzogen werden1, wofür oft als einzige Möglichkeit nur ein aussagepsychologisches Gutachten blieb.

Funktionsweise des Lügendetektors

Bei dem sog. Lügendetektor handelt es sich um einen Mehrkanalschreiber, der während der Aussage bestimmte unbewusste bzw. unwillkürliche Körperreaktionen aufzeichnet. Dazu gehören die elektrische Hautleitfähigkeit an der Hand (aufgrund gesteigerter Schweißdrüsensekretion), die Veränderung von Atembewegungen im Brust- und Bauchbereich und auch Änderungen des ateriellen Blutdrucks. Diese Werte geben einen Hinweis darauf, ob die befragte Person bei der Beantwortung bestimmter Fragen innerlich angespannt oder gelöst war. Es wird hierbei also nur die subjektive Richtigkeit der Aussage überprüft.

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Ist ein aussagepsychologisches Gutachten dem Lügendetektor überlegen? Foto: Inked Pixels/Shutterstock

Die Befragung erfolgt über einen Kontrollfragentest, bei dem abwechselnd relevante (Fragen mit direktem Bezug zur Tat) und irrelevante Fragen (solche ohne direkten Zusammenhang mit der Tat, aber mit ähnlichen Inhalten) gestellt werden. Reagiert die befragte Person stärker auf diese relevanten Fragen gilt sie als glaubwürdig.2 Unterlegen ist ein polygraphisches Gutachten einem aussagepsychologischem Gutachten damit kaum – vielmehr nutzt es einen anderen Anhaltspunkt, nämlich die unbewusste körperliche Reaktion.

Lügendetektor im deutschen Strafverfahren

Der Bundesgerichtshof hat die Ergebnisse von Polygraphen früher wegen § 136 Abs. 1 StPO für unzulässig gehalten, was faktisch ein Beweisverwertungsverbot zur Folge hatte.3 Dem schloss sich zunächst auch das Bundesverfassungsgericht mit Hinweis auf Art. 1 Abs. 1 GG an4, ließ dies allerdings in einer späteren Entscheidung wieder offen.5

Tests gegen den Willen der zu befragenden Person unterliegen nach herrschender Meinung dem Verbot des § 136a Abs. 1 StPO, da die körperlichen Reaktion der Entschließungsfreiheit entzogen sind. Dieses Verbot ist praktisch aber rein deklaratorischer Natur, da das Ergebnis des Lügendetektors ohnehin nur bei Kooperationsbereitschaft brauchbar ist.6

Wie mit dem Einsatz eines Lügendetektors mit Einwilligung des Beschuldigten umgegangen werden muss, ist dagegen schwieriger: Aus Sicht des BGH unterliegt diese zwar nicht dem Verbot des § 136a StPO, allerdings handelt es sich um ein ungeeignetes Beweismittel i.S.d. § 244 Abs. 3 S. 2 StPO, es sei nicht möglich, die durch den Lügendetektor gemessene Reaktion sicher auf eine Ursache zurückzuführen.7 In diesem Zusammenhang hat das Amtsgericht Bautzen nicht das erste Mal für Aufsehen gesorgt: In einem Strafverfahren vernahm es eine Psychologin, die in einem zuvor am Familiengericht anhängigen Verfahren zum gleichen Thema bereits einen Polygraphentest mit dem Angeklagten durchführte. Das Ergebnis der Beweisaufnahme weckte offenbar Zweifel und führte auch hier zum Freispruch des Angeklagten.8

Zukunft des Lügendetektors im deutschen Strafverfahren

Das Ergebnis des Polygraphentests am Amtsgericht Bautzen konnte den Angeklagten entlasten. Das Urteil könnte zum Nachdenken im Strafverfahren anregen, denn es sind durchaus Einsatzgebiete denkbar: Im Familienrecht ist die Einführung polygraphischer Gutachten in bestimmten Fällen bereits anerkannt9.

Für eine Etablierung (zu Gunsten des Beschuldigten) spricht nicht zuletzt auch der Gedanke der Waffengleichheit10: Ein anschauliches Beispiel findet sich bei Putzke und Scheinfeld11. Angenommen, Polizeibeamte hätten den Angeklagten am Tatort angetroffen und ihn dabei als entspannt wahrgenommen (als hätte er von der Tat keine Kenntnis) dürfte die Tatsache durch die Vernehmung der Polizeibeamten unter Beweis gestellt werden. Bei der polygraphischen Untersuchung passiert dagegen kaum etwas anderes. Der Sachverständige wird in der Vernehmung die Ergebnisse zum Besten geben – nämlich, ob der Angeklagte bei Beantwortung bestimmter Fragen zum Tathergang entspannt oder angespannt reagiert hat. Die Würdigung dessen, obliegt – genau wie bei der Aussage des Polizeibeamten – weiterhin dem Tatgericht.12

Insoweit könnte das Urteil des Amtsgericht Bautzen einen Stein ins Rollen gebracht haben. Wie offen Literatur und vor allem auch Justiz darauf reagieren, wird sich zeigen. „Wir wollen die Rechtswissenschaft voran bringen, das ist von bundesweiter Bedeutung“, sagte gestern der Vorsitzende Richter. Und er könnte Recht behalten.

  1. BGH, Beschl. v. 05.04.2016, 1 StR 53/16 []
  2. Rill/Vossel, in: NStZ 1998, 481 [482] []
  3. BGH NJW 1954, 649 [649] []
  4. BVerfG NStZ 1981, 446 [447] []
  5. BVerfG StraFo 1998, 16 [16] []
  6. Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn 695 []
  7. BGH NJW 1999, 657 [659], aufrecht erhalten durch BGH NStZ 2011, 474 []
  8. AG Bautzen, Urt. v. 26.03.2013, 40 Ls 330 Js 6351/12 []
  9. z.B. OLG Bamberg NJW 1995, 1684 und OLG Koblenz, Beschl. v. 23.06.1996, 17 UF 121/96 []
  10. Schmuck und Brügge-Niemann, in: NJOZ 2014, 601 [603] []
  11. Putzke/Scheinfeld, in: StraFo 2010, 58 [60 f.] []
  12. Putzke, in: ZJS 2011, 558 [562] []

7 Kommentare zu “AG Bautzen: Freispruch dank Lügendetektor

  1. Wie sich jemand fühlt, sein innerer Gemühtszustand also, entscheidet über Freiheit oder Knast. Da würde es sich doch lohnen Lügendetektoren Trainings anzubieten für jene, die sich schon einmal vorbereiten wollen. Mit dem richtigen Mindset und entspannter Atemübung lässt sich die Wahrheit etwas leichter objektivieren. Der nicht entscheidungsfreudige Richter wird´s euch danken, ihm wurde die Entscheidung abgenommen – vom Beschuldigten.

  2. Es gibt noch deutlich aktuellere familiengerichtliche Entscheidungen, die polygrafische Untersuchungen als zulässiges Beweismittel akzeptiert haben, z.B. OLG Dresden, Beschl. v. 14.5.2013, Az.: 21 UF 787/12, BeckRS 2013, 16540; OLG Koblenz, Beschl. v. 29.9.2014, Az.: 7 UF 284/14; AG Andernach, Beschl. v. 7.3.2014, Az.: 72 F71/13.

  3. Richtigerweise müsste man dann ja nicht nur den Angeklagten, sondern auch den Belastungszeugen (Geschädigten) einem solchen Test unterziehen – ist er zuverlässig, dürfte dann ja nur bei einem der beiden eine glaubwürdige Aussage belegt werden.

    Man darf gespannt sein.

    • @Thomas Hochstein: Da der/die Geschädigte an der Untersuchung mitwirken müsste, könnte das schwierig werden. Ich höre außerdem schon die Opferanwälte schreien, dass dieser Generalverdacht gegen alle Opferzeugen unberechtigt ist. Dem ist prinzipiell sogar zuzustimmen.

  4. Also der Putzke-Aufsatz wird zB von Seiterle in der StraFO 2014, 58-64 zT deutlich kritisiert, insbesondere was Putzkes Behauptung zu angeblichen neueren Forschungsergebnissen angeht. Und in den USA ist der Polygraphentest auch nur in 19 Staaten als Beweismittel zugelassen. Die Übersicht zB bei wikipedia.org (englischsprachig zum Polygraph) zeigt, dass anders als Putzke es darstellt nicht nur der doofe BGH, sondern auch weltweit viele Gerichte erhebliche Zweifel an der Zuverlässigkeit haben, auch wenn Putzke bemängelt, dass dem polnischen und belgischen Richter doch dieses wertvolle Beweismittel zur Verfügung steht und dem deutschen Richter verweigert wird.
    Die „Undeutsch/Klein/Putzke/Scheinfeld-Gruppe“ und das AG Bautzen scheinen in D wohl die Einzigen zu sein, die das mit der Zuverlässigkeit anders sehen.

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