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Ermittlungserzwingungsverfahren

Eine Ermittlungserzwingungsklage1 wird bisweilen notwendig, wenn die Staatsanwaltschaft nach einer Strafanzeige bereits den Anfangsverdacht (§ 152 Abs. 2 StPO) aus rechtlichen Gründen verneint und deshalb die Strafakte sofort wieder schließen will – ohne jegliche oder zumindest ohne eine intensivere Aufklärung des tatsächlichen Sachverhalts.2

Das Ermittlungserzwingungsverfahren als Unterfall des Klageerzwingungsverfahrens war in Rechtsprechung und Schrifttum lange Zeit streitig3, wurde aber inzwischen von zahlreichen Oberlandesgerichten bejaht4. Inzwischen wird die Anordnung weiterer Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft sogar dann für zulässig erachtet, wenn diese in einem Kernbereich der zu untersuchenden Tat nur unvollständig ermittelt hat und umfangreichere Nachforschungen vom Gericht für notwendig gehalten werden5. Nach anfänglicher Ablehnung im Schriftum, hat sich diese Meinung mittlerweile durchgesetzt6.

Der 2. Senat am Oberlandesgericht München führte 2007 aus (abgedruckt in NJW 2007, 3734):

Zwar ist das gerichtliche Verfahren nach §§ 172 ff. StPO grundsätzlich nur auf das Ziel der Klageerzwingung ausgerichtet. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der §§ 171, 172, 173 III und 175 StPO. Dennoch ist in Fällen, in denen -wie hier- die StA den Anfangsverdacht aus rechtlichen Gründen verneint und deshalb den Sachverhalt in tatsächlicher Hinsicht überhaupt nicht aufgeklärt hat, ausnahmsweise das gerichtliche Verfahren nach §§ 172 ff. StPO nicht als Klage-, sondern als Ermittlungserzwingungsverfahren zu behandeln, das gegebenenfalls auch mit der Anweisung an die StA enden kann, die erforderlichen Ermittlungen durchzuführen.

Das Verfahren einer Ermittlungserzwingungsklage entspricht der einer Klageerzwingung gemäß § 172 StPO. Es ist grds. nur zulässig, wenn die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO einstellt bzw. erst gar keine Ermittlungen anstellt. Antragsberechtigt ist der Verletzte, gemäß § 172 Abs. 2 StPO beträgt die Klagefrist zum zuständigen OLG einen Monat. Durch Beschluss des Gerichts hat die Staatsanwaltschaft den Sachverhalt so aufzuklären, wie dies zur Entscheidung über die Anklagereife bei Zugrundelegung der Rechtsauffassung des Gerichts erforderlich ist. Die Entscheidung hat weiter zur Folge, dass die Staatsanwaltschaft nach Abschluss der erforderlichen Ermittlungen eine neue Abschlussverfügung zu treffen hat, gegen die, falls mit ihr das Verfahren wiederum nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wird, dem Verletzten erneut das Klageerzwingungsverfahren offensteht.7

Formell sind an den Antrag überaus hohe Anforderungen zu stellen, die im Einzelnen hier nachgelesen werden können (bitte beachten Sie auch die Hinweise zu den Kosten!).

  1. Die Ermitt­lungs­er­zwin­gung ist rela­tiv unbe­kannt oder wird aus ande­ren Grün­den nicht häu­fig ange­wen­det. In Meyer-Goßner wird sie nicht ein­mal im Sach­ver­zeich­nis auf­ge­führt. []
  2. vgl. Graalmann-Scheerer, in: Löwe-Rosenberg (26. Aufl.), StPO § 175 Rn. 16 ff. []
  3. ableh­nend noch Meyer-Goßner, in: Löwe-Rosenberg (23. Aufl.), StPO § 173 Rn. 11 []
  4. OLG Mün­chen, NJW 2007, 3734; OLG Braun­schweig, wis­tra 1993, 31; OLG Koblenz, NStZ 1995, 50; OLG Zwei­brü­cken, NStZ-RR 2001, 308; OLG Hamm, StV 2002, 128; OLG Köln, NStZ 2003, 682 []
  5. OLG Zwei­brü­cken, NStZ-RR 2001, 308 []
  6. Meyer-Goßner, StPO § 175 Rn. 2 []
  7. Meyer-Goßner, StPO § 175 Rn. 22; OLG Zwei­brü­cken, GA 1981, 96 []

28 Kommentare zu “Ermittlungserzwingungsverfahren

    • @RA Alexander Würdinger:

      Zum Ermittlungserzwingungsverfahren schreibt Meyer-Goßner/Schmitt, Kommentar zur StPO, 60. Auflage 2017, Rn. 1b zu 172 StPO:

      „Ausnahmsweise kommt im Verfahren nach §§ 172 ff auch die Anweisung an die StA in Betracht, Ermittlungen überhaupt erst aufzunehmen und durchzuführen, wenn die StA den Anfangsverdacht rechtsfehlerhaft aus rechtlichen Gründen verneint und deshalb den Sachverhalt nur unzureichend oder gar nicht aufgeklärt hat oder wenn die StA fehlerhaft unter Verneinung des Anfangsverdachts aus tatsächlichen Gründen nach § 152 II keinerlei Ermittlungen durchgeführt hat.“

  1. Ja sehr schön, aber wie kann ich dieses Verfahren konkret durchführen? Besteht Anwaltszwang?

    Kennen Sie jemand, der das in Berlin für mich machen würde?

    Aus Vorsicht hatte ich geschrieben, ich beantrage zu überprüfen, ob (der Beschuldigte) sich strafbar gemacht hat und meine Beschuldigungen seien als Mtmaßungen zu verstehen, nur damit der Staatsanwalt mich nicht wegen meines Eintretens für Recht und Gesetz anklagt (unter dem Vorwandt der Beleidigung des beschuldigten).

    Der Staatsanwalt meinte sogar gemeint, die STA sei keine Überprüfungsbehörde. Ca. 60 Seiten Gegenbeweise wollte er offenbar nicht lesen.

    • Ich behaupte, es ist als Nicht-Jurist aussichtslos, einen nur allein zulässigen Ermittlungserzwingungsantrag hinzubekommen, im Übrigen muss die Klage von einem Rechtsanwalt eingereicht werden. Das Verfahren ist sehr formal, es gibt strenge Anforderungen, die beachtet werden müssen – sonst beschäftigt sich weder das Gericht, noch die Staatsanwaltschaft mit der Klage. Selbst für Rechtsanwälte ist das Verfahren äußerst kompliziert, weshalb nur die wenigsten Anträge erfolgreich sind. Ich empfehle Ihnen daher dringend, einen spezialisierten Strafverteidiger aufzusuchen, der die Erfolgsaussichten für Sie prüft. Fragen Sie den, wieviele erfolgreiche Ermittlungserzwingungsverfahren er schon im Klagewege durchgesetzt hat.

      • @Strafakte.de:

        Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 2. Juli 2018 mit dem Aktenzeichen 2 BvR 1550/17 stellt einen weiteren wesentlichen Fortschritt zur Stärkung der prozessualen Stellung des Verletzten im Klageerzwingungsverfahren dar:

        https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/201

        Die nachfolgend zitierten Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zum Klageerzwingungsverfahren gelten selbstverständlich auch für das Ermittlungserzwingungsverfahren. Dieser Beschluss des Bundesverfassungsgerichts betrifft ausweislich des Leitsatzes eine Verletzung der Rechtsschutzgarantie (Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG) durch überzogene Anforderungen an die Begründung eines Klageerzwingungsantrags. Entscheidend sind hierbei die Rnrn. 20 und 21 dieses Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts, die wie folgt lauten:

        „20
        Der Zweck des Klageerzwingungsverfahrens darf nicht darauf verkürzt werden, den Oberlandesgerichten eine bloße Aufsicht über die Richtigkeit der staatsanwaltschaftlichen Einstellungsbescheide zu überantworten. Für die gerichtliche Kontrolle im Klageerzwingungsverfahren kommt es vielmehr darauf an, ob zum Zeitpunkt der Entscheidung aus der Sicht des Oberlandesgerichts genügender Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage besteht (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Juli 2016 – 2 BvR 2040/15 -, juris, Rn. 19).

        21
        Das Gericht darf deshalb im Hinblick auf die norminternen Direktiven des Art. 19 Abs. 4 GG einen Klageerzwingungsantrag nicht vorschnell aufgrund der formellen Hürden des § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO verwerfen. Es hat insbesondere zu beachten, dass das Bestehen eines genügenden Anlasses zur Erhebung der öffentlichen Klage keine Voraussetzung für den Zugang des Antragstellers zu Gericht ist, sondern für die Anklageerhebung (§§ 170 Abs. 1, 174 Abs. 1 StPO). Die Zulässigkeit des Antrags gemäß § 172 Abs. 2 Satz 1 StPO erfordert nicht das Bestehen eines hinreichenden Tatverdachts (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Juli 2016 – 2 BvR 2040/15 -, juris, Rn. 22). Dessen Vorliegen ist vom Gericht erst im Verfahren gemäß § 173 StPO zu prüfen, wobei es lückenschließende Ermittlungen anordnen kann. Die formalen Anforderungen des § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO verlangen lediglich, dass der hinreichende Tatverdacht schlüssig dargelegt wird.“

  2. Zu dem Thema „Ermittlungserzwingungsverfahren“ kann ich folgenden Text anbieten:

    Im Wikipedia-Artikel über das Klage- und das Ermittlungserzwingungsverfahren gem. §§ 172 ff StPO lautet ein Absatz:

    „Einer vereinzelt gebliebenen Mindermeinung zufolge kommt auch eine entsprechende Anwendung der Vorschriften des Verwaltungsprozessrechts in Betracht.[1] Dies hätte prozessual vor allem zur Folge, dass das Gericht dem Verletzten vor Erlass einer Entscheidung ggf. richterliche Hinweise gemäß § 86 Abs. 3 VwGO analog erteilen müsste und anderenfalls das Grundrecht auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzte. [2] Die vom Bundesverfassungsgericht bestätigte Rechtspraxis der Oberlandesgerichte hat eine unmittelbare oder analoge Anwendung der Verwaltungsgerichtsordnung indes nicht in Erwägung gezogen.“

    Daran ist folgende Ergänzung angebracht:

    I. Überprüfbarkeit behördlicher Entscheidungen

    Der Bürger hat einen Anspruch auf eine möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle in allen ihm von der Prozessordnung zur Verfügung gestellten Instanzen, wobei es keinen Unterschied macht, ob es sich um Eingriffe in geschützte Rechtspositionen oder die Versagung gesetzlich eingeräumter Leistungsansprüche handelt. Aus der Garantie effektiven Rechtsschutzes folgt grundsätzlich die Pflicht der Gerichte, die angefochtenen Verwaltungsakte in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht vollständig nachzuprüfen. Das schließt eine Bindung der rechtsprechenden Gewalt an tatsächliche oder rechtliche Feststellungen und Wertungen seitens anderer Gewalten hinsichtlich dessen, was im Einzelfall rechtens ist, im Grundsatz aus.[3] Der Gesetzgeber ist daher nicht frei in der Einräumung behördlicher Letztentscheidungsbefugnisse. Die durch Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG garantierte Effektivität der Gerichte darf auch der Gesetzgeber nicht durch zu zahlreiche oder weitgreifende Beurteilungsspielräume für ganze Sachbereiche oder gar Rechtsgebiete aufgeben. Anderer Ansicht ist in diesem Punkt wohl die Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs (BayVerfGH) – Vf. 32-VI-15 – vom 17. November 2015.[4] Die Zulässigkeit eines Klageerzwingungsantrags darf jedenfalls nicht von einer expliziten Verbescheidung des Verletzten durch die Staatsanwaltschaft abhängig gemacht werden. Eine gerichtliche Kontrolle ist nämlich vielmehr auch bei einer Nichtbescheidung durch die Staatsanwaltschaft geboten. [5]

    II. Beschluss des BVerfG vom 22. Mai 2017, Az. 2 BvR 1453/16 im einzelnen

    „[10] b) Diesen Maßstäben entspräche eine Handhabung der Zulässigkeitsvoraussetzungen des Klageerzwingungsverfahrens nicht, die dessen Zulässigkeit von einer gerichtlich nicht erzwingbaren spezifischen Sachbehandlung durch die Strafverfolgungsbehörden abhängig machen würde. Hinge die Zulässigkeit der weiteren Stufen des Verfahrens und insbesondere des Antrags auf gerichtliche Entscheidung einerseits davon ab, dass die Staatsanwaltschaft zuvor gegenüber dem Verletzten einen ausdrücklichen ablehnenden Bescheid erlassen hat, und wäre die Weigerung, diesen zu erlassen, andererseits jeder gerichtlichen Nachprüfung entzogen, hätte die Staatsanwaltschaft es in der Hand, die in § 172 Abs. 2 StPO gesetzlich vorgesehene gerichtliche Überprüfung ihrer Einstellungsentscheidungen dauerhaft zu vereiteln.

    [11] Dementsprechend hat auch der Bundesgerichtshof entschieden, dass der Anzeigende ungeachtet eines Unterbleibens der Mitteilung nach § 171 Satz 1 StPO die Beschwerde an die Generalstaatsanwaltschaft erheben und im Anschluss gegebenenfalls das Klageerzwingungsverfahren durchführen kann (BGH, Beschluss vom 21. Januar 2014 – 5 AR (VS) 29/13 –, juris, Rn. 2). Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass die erforderliche Entscheidung über das Strafverfolgungsverlangen auch stillschweigend – durch Einstellung oder Nichtbetreiben eines Ermittlungsverfahrens – ohne förmliche Bescheidung erfolgen kann.

    [12] c) Soweit das Oberlandesgericht die Zulässigkeit des Klageerzwingungsantrages aufgrund des Fehlens einer Entscheidung der Staatsanwaltschaft verneint und die Möglichkeit einer stillschweigenden Entscheidung durch Ablehnung von Ermittlungen nicht einmal erwogen, die gerichtliche Kontrolle der Nichtbescheidung vielmehr prinzipiell abgelehnt hat, genügt dies den Anforderungen aus Art. 19 Abs. 4 GG nicht.“

    III. Statthaftigkeit der Untätigkeitsklage gem. § 75 VwGO

    Auf eine Strafanzeige gegen einen Amtsträger reagiert die zuständige Staatsanwaltschaft drei Monate lang in keiner Weise: Es erfolgt keine Mitteilung des Aktenzeichens, unter dem die Strafanzeige bearbeitet wird, geschweige denn die nach Recht und Gesetz unabweisbare förmliche Einleitung des Ermittlungsverfahrens. Vor allem aber handelt es sich um einen Fall eines Anspruch auf Strafverfolgung Dritter. Am 26. Juni 2014 fasst das Bundesverfassungsgericht mit der Tennessee Eisenberg-Entscheidung einen Nichtannahmebeschluss.[6] Das BVerfG judizierte:

    „c) Ein Anspruch auf eine effektive Strafverfolgung kann auch dort in Betracht kommen, wo der Vorwurf im Raum steht, dass Amtsträger bei Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben Straftaten begangen haben, weil ein Verzicht auf eine effektive Verfolgung solcher Taten zu einer Erschütterung des Vertrauens in die Integrität staatlichen Handelns führen kann. In diesen Fällen muss bereits der Anschein vermieden werden, dass gegen Amtswalter des Staates weniger effektiv ermittelt wird oder dass insoweit erhöhte Anforderungen an eine Anklageerhebung gestellt werden.“

    Was also soll man als Staatsbürger tun, wenn eine Behörde drei Monate lang die Erfüllung eines Rechtsanspruchs missachtet? Dann erinnert man sich an die Vorschrift des § 75 VwGO, die Vorschrift über die verwaltungsprozessuale Untätigkeitsklage: Bleibt eine Behörde drei Monate lang untätig, wendet man sich als Staatsbürger an die staatlichen Gerichte: Man bittet als Staatsbürger das staatliche Gericht, das Gericht möge die Behörde dazu anweisen, sich gemäß Recht und Gesetz zu verhalten. Man wendet sich also an das Gericht mit dem Ziel, das Gericht möge die Behörde dazu anweisen, dem Rechtsanspruch des Staatsbürgers nachzukommen und das Ermittlungsverfahren förmlich einzuleiten. Man wendet sich also an das gem. § 172 IV StPO zuständige Oberlandesgericht mit dem Antrag, die Staatsanwaltschaft anzuweisen, das Ermittlungsverfahren förmlich einzuleiten. Man kann sich übrigens auch an den § 27 EGGVG erinnern. Auch nach § 27 EGGVG gilt die Drei-Monats-Frist.

    IV. Anspruch auf eine mündliche Verhandlung gem. § 101 I VwGO i.V.m. Art. 6 I EMRK

    Zudem gilt hierbei für das weitere Verfahren: Es ist in analoger Anwendung des § 101 I VwGO eine mündliche Verhandlung über den Antragsschriftsatz des Verletzten i.S.d. § 172 StPO durchzuführen. Das Erfordernis der mündlichen Verhandlung ist dem Art. 6 I EMRK geschuldet: In einem Verfahren vor einem Gericht erster und einziger Instanz gibt das Recht auf öffentliche Verhandlung einen Anspruch auf eine mündliche Verhandlung. Eine mündliche öffentliche Verhandlung macht die rechtsprechende Gewalt transparent und trägt so dazu bei, den Zweck von Art. 6 I EMRK zu erreichen, nämlich ein faires Verfahren, dessen Garantie zu den grundlegenden Prinzipien jeder demokratischen Gesellschaft im Sinne der EMRK gehört.[7]

    V. Beiladung der Beschuldigten gem. §§ 65, 66 VwGO

    Die Beschuldigten sind gem. §§ 65, 66 VwGO analog beizuladen und ihnen der verfahrenseinleitende Schriftsatz zuzustellen. Begründung: Durch eine förmliche Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wird massiv in die Rechte eines Beschuldigten eingegriffen. Es ist deshalb das Recht des Beschuldigten, sich hiergegen zur Wehr zu setzen. Der Beschuldigte muss prozessual in die Lage versetzt werden, dass nicht über seinen Kopf hinweg über den Eingriff in seine Rechte verhandelt und entschieden wird.

    Insbesondere verfügt der Beschuldigte hierbei über das Grundrecht auf Gewährung rechtlichen Gehörs, Art. 103 I GG. Es liegt hierbei ganz und gar nicht im Belieben des Gerichts, ob es das Grundrecht des Beschuldigten respektieren will oder nicht. Vielmehr hat das Gericht genau dasjenige Verfahren zu wählen, das das Grundrecht des Beschuldigten auf Gewährung rechtlichen Gehörs gem. Art. 103 I GG effektiv gewährleistet.

    Zu diesem Problemkreis enthalten die primär anwendbaren Vorschriften der §§ 172 ff StPO indes nur folgende schmale Vorschrift, den § 173 II StPO, der lautet:

    „(2) Das Gericht kann den Antrag unter Bestimmung einer Frist dem Beschuldigten zur Erklärung mitteilen.“

    Am Beispiel der Beiladung zeigt sich eine der Funktionen der ergänzenden Anwendung der Vorschriften der VwGO auf das Verfahren nach den §§ 172 ff StPO: Die Vorschriften der VwGO haben bezüglich der Beiladung den Sinn und Zweck, das Grundrecht des Beschuldigten auf Gewährung rechtlichen Gehörs gem. Art. 103 I GG in einfaches Verfahrensrecht umzusetzen. Denn nur die §§ 65, 66 VwGO vermögen das Grundrecht des Beschuldigten auf Gewährung rechtlichen Gehörs gem. Art. 103 I GG zur Verteidigung seiner Rechte sicherzustellen.

    Als Ergebnis dieser Überlegungen ist also festzustellen: Es ist zwingend erforderlich – ohne dass dem Gericht hierbei ein „Ermessen“ zukäme – neben der Vorschrift des § 173 II StPO die §§ 65, 66 VwGO auf das Gerichtsverfahren ergänzend anzuwenden und die Beschuldigten zum Verfahren beizuladen.

    VI. Anwendung der VwGO

    Das Gericht muss selbstverständlich dasjenige Prozessrecht anwenden, das am besten den Erfordernissen der Funktionalität, der Differenziertheit und der Rechtsstaatlichkeit entspricht. Nach diesen Kriterien ist die Anwendung des Verwaltungsprozessrechts zwingend geboten. Die Wahl des anzuwendenden Prozessrechts steht dabei ganz sicher nicht im freien Belieben des Gerichts. Folgt das Gericht nicht den Erfordernissen der Funktionalität, der Differenziertheit und der Rechtsstaatlichkeit, verletzt das Gericht zwangsläufig das Grundrecht des Verletzten auf Gewährung rechtlichen Gehörs, Art. 103 I GG. Die zwingende Anwendung des Verwaltungsprozessrechts ergibt sich hierbei im einzelnen aus folgenden Erwägungen:

    VII. Funktionalität

    Das Ermittlungserzwingungsverfahren kennt zwei Prozessparteien: Den Verletzten i.S.d. § 172 StPO und die Staatsanwaltschaft, daneben die Beschuldigten als in in ihren materiellen Rechten Betroffene. Der Verletzte verlangt von der Staatsanwaltschaft, einer Behörde, ein bestimmtes Verhalten, z.B. die förmliche Einleitung des Ermittlungsverfahrens gegen die Beschuldigten. Die Parteirollen sind also exakt dieselben wie im Verwaltungsprozess. Dann muss aus dem Gesichtspunkt der Funktionalität heraus eben auch genau dasjenige Prozessrecht Anwendung finden, das am besten dem Gesichtspunkt der Funktionalität Rechnung trägt. Und das ist hier ganz eindeutig das Verwaltungsprozessrecht.

    VIII. Differenziertheit

    Die §§ 172 ff StPO enthalten nur einige wenige, nicht weiter ausdifferenzierte Vorgaben für das gerichtliche Verfahren. Sehr viel mehr, eben vollständig ausdifferenzierte, Regelungen zum einzuhaltenden gerichtlichen Verfahren enthält das Verwaltungsprozessrecht. Dort finden sich eben z.B. auch Regelungen zur Beiladung der Beschuldigten gem. §§ 65, 66 VwGO und die Regelung anderer prozessualer Fragen auch. Ein weiteres Beispiel für die Ausdifferenziertheit des Verwaltungsprozessrechts ist die Regelung der Untätigkeitsklage gem. § 75 VwGO. Es handelt sich bei der VwGO eben um ein ausdifferenziertes vollständiges Prozessrecht, nicht nur um einzelne rudimentäre Vorgaben zu einzelnen Punkten wie in den §§ 172 ff StPO. Auch aus dem Gesichtspunkt der Differenziertheit heraus ist also das Verwaltungsprozessrecht auf das Ermittlungserzwingungsverfahren anzuwenden.

    IX. Rechtsstaatlichkeit

    Dem Erfordernis der Rechtsstaatlichkeit wird nur durch ein Prozessrecht Genüge getan, das den Prozessparteien ihr Grundrecht auf rechtliches Gehörs, Art. 103 I GG effektiv gewährt. Dem Grundrecht der Prozessparteien auf Gewährung rechtlichen Gehörs, Art. 103 I GG wird vor allem durch das Erfordernis der mündlichen Verhandlung, § 101 I VwGO und durch die Erteilung richterlicher Hinweise gem. § 86 III VwGO Genüge getan. Das Erfordernis der mündlichen Verhandlung, § 101 I VwGO ist zudem durch die Vorschrift des Art. 6 I EMRK zwingend geboten. Da für das Ermittlungserzwingungsverfahren nur die Vorschriften des Verwaltungsprozessrechts den Prozessparteien ihr Grundrecht auf Gewährung rechtlichen Gehörs, Art. 103 I GG in effektiver Weise verschaffen, sind die Vorschriften des Verwaltungsproessrechts auf ein solches Verfahren anzuwenden. Wie eingangs bereits betont, steht es eben nicht im freien Belieben des Gerichts, ob es das Grundrecht der Prozessparteien auf Gewährung rechtlichen Gehörs, Art. 103 I GG respektieren will oder nicht.

    X. Einzelnachweise

    1. Meyer-Goßner/Schmitt, Kommentar zur Strafprozessordnung, 60. Auflage 2017, Rn. 1 zu § 173 StPO
    2. Alexander Würdinger: Die Zeitenwende im Klageerzwingungsverfahren, HRRS 2016, 29.
    3. BVerfG, Beschluss vom 31. Mai 2011 – 1 BvR 857/07 = NVwZ 2011, 1062
    4. Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs (BayVerfGH) – Vf. 32-VI-15 – vom 17. November 2015 http://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/Y-300-Z-BECKRS-B-2015-N-55407?hl=true
    5. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Mai 2017, Az. 2 BvR 1453/16 http://www.rechtsprechung-im-internet.de/jportal/portal/t/19ke/page/bsjrsprod.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=10908&fromdoctodoc=yes&doc.id=KVRE420181701&doc.part=L&doc.price=0.0&doc.hl=1#focuspoint
    6. BVerfG Beschluss vom 26. Juni 2014, Az. 2 BvR 2699/10
    7. Urteil der IV. Sektion des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 5.4.2016, Az. 33060/10, in der Sache Blum gegen Österreich, abgedruckt in NJW 2017, 2455 (Heft 34/2017) https://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Gericht=EGMR&Datum=05.04.2016&Aktenzeichen=33060/10

  3. Mein heutiger Schriftsatz zum OLG München:

    „Im Anschluss an meinen Schriftsatz vom 16.10.2017 begründe ich die Anhörungsrügen und das Ablehnungsgesuch weiter wie folgt:

    I. Weitere Begründung des Ablehnungsgesuchs

    Die Zulässigkeit des Ablehnungsgesuchs richtet sich nach § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO. Demgemäß ist z.B. auch ein Ablehnungsgesuch gegen den Strafsenat beim OLG gem. § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO zulässig. Es darf keinesfalls von dem Spruchkörper, gegen den sich das Ablehnungsgesuch richtet, verbeschieden werden. Niemand darf Richter in eigener Sache sein. Für die Besorgnis der Befangenheit i.S.d. § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO kommt es nicht auf die subjektive Rechtskenntnis des zuständigen Strafsenats am OLG oder andere subjektive Befindlichkeiten an. Es kann dem Strafsenat des OLG nicht gestattet sein, sich in objektiv willkürlicher Weise selbst zu entlasten und die Entscheidung der Sache entgegen Recht und Gesetz an sich zu ziehen. Es liegt sonst ein Verstoß gegen den gesetzlichen Richter i.S.d. Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG vor.

    Die Besorgnis der Befangenheit ergibt sich hier aus der Häufung von Verfahrensfehlern. Die Fallgruppe der Häufung von Verfahrensfehlern ist in der Rechtsprechung als Fallgruppe anerkannt, die die Besorgnis der Befangenheit regelmäßig auslöst. Dem Ablehnungsgesuch ist deshalb zwingend stattzugeben.

    II. Grundsätzlich zum Ermittlungserzwingungsverfahren

    Der Beschluss des OLG Bremen, Az. 1 Ws 55/17 vom 21. September 2017 befasst sich lehrbuchartig mit dem Ermittlungserzwingungsverfahren. Dieser Beschluss lautet auszugsweise:

    „1. Der Beschwerdebescheid der Generalstaatsanwaltschaft Bremen vom 17.03.2017 sowie der Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft Bremen vom 24.01.2017 werden aufgehoben.

    2. Die Aufnahme der Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft Bremen wird angeordnet.

    G R Ü N D E:

    Die dargelegten Umstände begründen nach Auffassung des Senats damit einen Anfangsverdacht im Sinne des Vorliegens der mit der Strafanzeige und dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung behaupteten strafbaren Handlung, ohne dass sich die Anweisung zur Erhebung der öffentlichen Klage im gegenwärtigen Zeitpunkt rechtfertigte, da Ermittlungen bisher nicht durchgeführt worden sind.

    Beim Fehlen jeglicher oder völlig unzureichender Ermittlungen der Staatsanwaltschaft kommt ausnahmsweise die Anordnung in Betracht, dass die Staatsanwaltschaft die nach der Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts erforderlichen Ermittlungen durchzuführen hat (vgl. dazu Beschluss des Senats vom 27.08.1982 – Ws 71/82, vom 10.07.1989 – Ws 22/89 sowie vom 18.07.2007 – Ws 50/07). Dies ist in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte überwiegend anerkannt (so bereits OLG Zweibrücken, Beschluss vom 05.02.1980 – 1 Ws 424/79, juris Rn. 10; KG Berlin, Beschluss vom 26.03.1990 – 4 Ws 220/89, juris Ls.; OLG Brauchschweig, Beschluss vom 23.09.1992 – Ws 48/91, juris Rn. 19; OLG Koblenz, Beschluss vom 05.09.1994 – 1 Ws 164/94, juris Ls.; OLG Hamm, Beschluss vom 29.09.1998 – 1 Ws 227/98, juris Rn. 12 – 20; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 01.03.2001 – 1 Ws 83/01, juris Rn. 11; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.12.2002 – 1 Ws 85/02, juris Rn. 9; OLG München, Beschluss vom 27.06.2007 – 2 Ws 494/06 Kl, juris Rn. 8; OLG Brandenburg, Beschluss vom 17.03.2008 – 1 Ws 125/07, juris Rn. 6; KG Berlin, Beschluss vom 11.04.2013 – 3 Ws 504/12, juris Rn. 19 – 20; OLG Celle, Beschluss vom 21.01.2014 – 1 Ws 513/13, juris Rn. 7; OLG Stuttgart, Beschluss vom 06.07.2015 – 6 Ws 2/15, juris Rn. 66; OLG Celle, Beschluss vom 05.02.2016 – 2 Ws 1/16, juris Rn. 21; OLG Stuttgart, Beschluss vom 21.12.2016 – 4 Ws 284/16, juris Rn. 12).

    Die Möglichkeit bzw. – wie im gegebenen Fall – die Notwendigkeit einer solchen Anordnung ist zwar nicht ausdrücklich im Gesetz geregelt. Sie folgt jedoch aus dem Sinn und Zweck der Regeln über das Klageerzwingungsverfahren. Das Gesetz geht dabei offensichtlich von dem Verfahrensgang aus, der bei der gerichtlichen Kontrolle des Legalitätsgrundsatzes nach den §§ 172 ff. StPO die Regel bildet, dass nämlich die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, die nach ihrer pflichtgemäßen Auffassung erforderlichen Ermittlungen durchgeführt und dann unter Berücksichtigung des Ermittlungsergebnisses das Verfahren eingestellt hat. Dabei weisen die §§ 172 ff StPO dem Gericht grundsätzlich lediglich die Kontrollfunktion zu, ob die Staatsanwaltschaft als verantwortliche Ermittlungsbehörde entsprechend dem Legalitätsprinzip verfahren ist. An dieser grundsätzlichen Aufgabenverteilung, die der Gesetzgeber durch Abschaffung der gerichtlichen Voruntersuchung durch das 1. StVRG vom 09.12.1974 noch bestätigt hat, sollen die §§ 172 ff. StPO ersichtlich nichts ändern. In der Regel hat das Oberlandesgericht daher allein aufgrund der von der Staatsanwaltschaft in eigener Verantwortung geführten Ermittlungen zu entscheiden, ob diese das Ermittlungsverfahren zu Recht eingestellt hat oder ob Anklage zu erheben ist (vgl. OLG Hamm, a.a.O.).

    Zu einer anderen Beurteilung gibt auch § 173 Abs. 3 StPO keine Veranlassung, wonach das Oberlandesgericht zur Vorbereitung der vorgenannten Entscheidung Ermittlungen anordnen und mit ihrer Vornahme einen ersuchten oder beauftragten Richter betrauen kann. Unter Berücksichtigung der prinzipiellen strafprozessualen Rollen- und Aufgabenverteilung kann das Oberlandesgericht nach dieser Bestimmung nicht verpflichtet oder berechtigt sein, ein eigenständiges umfassendes Ermittlungsverfahren durchzuführen und den seiner Entscheidung zugrunde zu legenden Sachverhalt in vollem Umfang oder aber jedenfalls in seinen wesentlichen Teilen in eigener Regie und unter Anwendung aller strafprozessualer Ermittlungsmöglichkeiten selbst und anstelle der nach den gesamtsystematischen Regelungen dazu allein berufenen Staatsanwaltschaft aufzuklären. Der das Ermittlungsmonopol der Staatsanwaltschaft einschränkende § 173 Abs. 3 StPO ist vielmehr eng auszulegen und erlaubt dem Gericht daher zur Vorbereitung seiner Entscheidung nur lückenschließende Ermittlungen begrenzten Umfangs, mit denen das von der Staatsanwaltschaft schon gewonnene Ermittlungsergebnis nur noch zusätzlich ergänzt werden kann (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 60. Aufl., 2017, Rn. 3 zu § 173; OLG Braunschweig, a.a.O., OLG Hamm, a.a.O.).

    Hat die Staatsanwaltschaft demgegenüber aus Rechtsgründen keinerlei Ermittlungen angestellt, weil sie diese nicht für erforderlich hielt, oder völlig unzureichende Ermittlungen getätigt, sodass derartige „ergänzende“ Ermittlungen i.S.d. § 173 Abs. 3 StPO ersichtlich nicht ausreichen, verbleibt dem Gericht ausnahmsweise nur die Möglichkeit, die Staatsanwaltschaft durch eine das Klageerzwingungsverfahren abschließende Entscheidung anzuweisen, die gebotenen – grundlegenden – Ermittlungen durchzuführen und danach erneut über Einstellung oder Anklageerhebung zu entscheiden (vgl. OLG Hamm, a.a.O., OLG Koblenz, a.a.O., OLG Bremen, a.a.O.).

    Der entgegenstehende Rechtsauffassung, dass eine Anordnung der Durchführung der Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft wegen des eindeutigen Wortlautes der §§ 171, 172, 173 Abs. 3, 175 StPO nicht erfolgen könne (so OLG München, Beschluss vom 04.06.2014 – 3 Ws 656/13 Kl, juris Rn. 3; KK-Moldenhauer, Strafprozessordnung, 7. Auflage 2013, § 175, Rn. 3), kann aus den oben genannten Erwägungen des Vorliegens einer Regelungslücke gerade nicht gefolgt werden.

    Auch die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG gebietet die Anordnung von Ermittlungen in diesem Fall. Art. 19 Abs. 4 GG überlässt zwar die nähere Ausgestaltung des Rechtswegs den jeweils geltenden Prozessordnungen. Der Zugang zu Gerichten darf jedoch nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden. Dies muss der Richter auch bei der Auslegung prozessualer Normen beachten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.05.2017 – 2 BvR 1453/16, juris Rn. 6). Soweit die einschlägigen Verfahrensregeln einen Auslegungsspielraum lassen, darf ein Gericht diesen nicht in einem Sinn ausfüllen, der zu einem Widerspruch mit den Prinzipien des Grundrechts auf einen effektiven Rechtsschutz führen würde (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 7). Ein solcher Widerspruch würde aber gerade dadurch entstehen, dass man sich nur allein auf den Wortlaut der oben genannten Normen beruft.

    Über die Eröffnung des Rechtswegs hinaus gewährleistet Art. 19 Abs. 4 GG auch eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle. Die Garantie effektiven Rechtsschutzes wirkt daher über das gerichtliche Verfahren hinaus auch in das behördliche Verfahren hinein, wenn eine solche Vorwirkung für die Inanspruchnahme effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes erforderlich ist. Ein solches vorgelagertes behördliches Verfahren darf daher nicht so betrieben werden, dass gerichtlicher Rechtsschutz vereitelt oder unzumutbar erschwert wird (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 9). Wenn eine Anordnung der Durchführung von Ermittlungen unzulässig wäre, hätte es die Staatsanwaltschaft in der Hand, durch das Unterlassen der Ermittlungen insgesamt die gerichtliche Kontrolle ihres Handelns zu unterbinden. Dies würde aber zu einer nicht hinnehmbaren Einschränkung des verfassungsrechtlich gewährleisteten effektiven Rechtsschutzes führen.

    Trotz der Anordnung der Aufnahme der Ermittlung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts bleibt die Staatsanwaltschaft Herrin des Ermittlungsverfahrens, da sie zwar nicht entscheiden kann, ob weitere Ermittlungen durchzuführen sind, jedoch in welchem Umfang sie die erforderlichen Ermittlungen durchführt.

    Durch die Anordnung der Durchführung von Ermittlungen erwachsen der Antragstellerin auch keine Nachteile, da sie erneut das Klageerzwingungsverfahren betreiben kann, wenn die Staatsanwaltschaft nach Durchführung der erforderlichen Ermittlungen wiederum die Erhebung der Anklage ablehnt.“

    III. Fehlende Verkündung und fehlende Zustellung der angeblichen staatsanwaltschaftlichen Verfügung vom 14.6.2017

    Ich habe zwischen Anfang Mai und Ende Juli 2017 alle paar Tage folgendes Schreiben an die Staatsanwaltschaft gerichtet:

    „Ich habe bekanntlich nach der Rechtsprechung des BVerfG einen Rechtsanspruch auf Strafverfolgung: Erst vier gleichlautende Entscheidungen des BVerfG normierten einen echten Rechtsanspruch des Verletzten gegen die Staatsanwaltschaft auf effektive Strafverfolgung und damit auf ernsthafte Ermittlungstätigkeit. Diese vier gleichlautenden Entscheidungen des BVerfG sind die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts

    vom 26. Juni 2014, 2 BvR 2699/10 im Fall Tennessee Eisenberg;
    vom 6. Oktober 2014, 2 BvR 1568/12 im Fall Gorch Fock;
    vom 23. März 2015, 2 BvR 1304/12 im Fall Münchner Lokalderby und
    vom 19. Mai 2015, 2 BvR 987/11 im Fall Luftangriff bei Kundus.

    Der Verletzte hat insbesondere einen echten Rechtsanspruch auf ernsthafte Ermittlungstätigkeit gegen die Staatsanwaltschaft in folgender Fallgruppe: Steht ein Amtsträger im Verdacht, im Rahmen der Ausübung der ihm anvertrauten Amtstätigkeit eine Straftat begangen zu haben, hat der Verletzte einen echten Rechtsanspruch gegen die Staatsanwaltschaft auf die förmliche Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen den Amtsträger und auf sorgfältige Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen, sofern ein Anfangsverdacht i.S.d. § 152 StPO gegen den Amtsträger besteht. Mit diesen vier gleichlautenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts wurde die „seit Menschengedenken“ bestehende einhellige Rechtsprechung über den Haufen geworfen, wonach dem Verletzten hinsichtlich der Strafverfolgung lediglich ein sog. Reflexrecht zur Seite steht. Es kann gar nicht genug herausgestellt werden, dass durch diese vier gleichlautenden Entscheidungen des BVerfG – beginnend mit dem Beschluss vom 26. Juni 2014 im Fall Tennessee Eisenberg – eine richtiggehende „Zeitenwende“ eingetreten ist: Erst seit diesen Beschlüssen des BVerfG kann der Verletzte einen echten Rechtsanspruch auf Strafverfolgung gegen Dritte – gegenständlich beschränkt auf die dort normierten Fallgruppen – für sich geltend machen. Erst beginnend mit dem Beschluss vom 26. Juni 2014 im Fall Tennessee Eisenberg wird also dem Verletzten ein subjektiv-öffentlich-rechtlicher Rechtsanspruch zugebilligt.

    In den vier Beschlüssen des BVerfG vom 26. Juni 2014 (Tennessee Eisenberg), vom 6. Oktober 2014 (Gorch Fock), vom 23. März 2015 (Münchner Lokalderby) und vom 19. Mai 2015 (Kundus) wird postuliert, dass der Verletzte dann einen echten Rechtsanspruch auf Strafverfolgung gegen Dritte, d.h. auf ernsthafte Ermittlungsbemühungen der Strafverfolgungsbehörden hat, wenn es um Straftaten von Amtsträgern bei der Ausübung des ihnen anvertrauten öffentlichen Amtes geht. Das ist eben z.B. auch in der vorliegenden Sachverhaltsgestaltung, also bei richterlicher Spruchtätigkeit, der Fall. In Absatz 11 der grundlegenden Tennessee-Eisenberg-Entscheidung stellt das Bundesverfassungsgericht folgendes Postulat auf:

    „Ein Anspruch auf eine effektive Strafverfolgung kann auch dort in Betracht kommen, wo der Vorwurf im Raum steht, dass Amtsträger bei Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben Straftaten begangen haben, weil ein Verzicht auf eine effektive Verfolgung solcher Taten zu einer Erschütterung des Vertrauens in die Integrität staatlichen Handelns führen kann. In diesen Fällen muss bereits der Anschein vermieden werden, dass gegen Amtswalter des Staates weniger effektiv ermittelt wird oder dass insoweit erhöhte Anforderungen an eine Anklageerhebung gestellt werden.“

    Denselben Absatz – weitestgehend wortgleich! – enthalten auch die nachfolgenden drei Entscheidungen des BVerfG. Es handelt sich also um eine durchgängige Rechtsprechung, nicht nur um die Entscheidung eines Einzelfalls. Aus alldem ergibt sich: Ich habe einen Anspruch darauf, dass ein Ermittlungsverfahren wegen Rechtsbeugung förmlich eingeleitet und ernsthafte Ermittlungen angestellt werden.

    Bestätigen Sie mir also bitte unverzüglich die förmliche Einleitung des Ermittlungsverfahrens.“

    Dieses Schreiben ergäbe keinen Sinn, wenn ich von der Staatsanwaltschaft eine „Verfügung vom 14.6.2017“ erhalten hätte. Habe ich aber nicht.

    Bei der angeblichen „Verfügung vom 14.6.2017“ scheint es sich um ein bloßes Internum der StA gehandelt zu haben, das nie das Licht der Öffentlichkeit erblickte. Die StA scheint dann ihr Internum ohne weitere Erläuterungen dem Senat vorgelegt zu haben. Über die Absichten der Staatsanwaltschaft hierbei lässt sich nur spekulieren. Ich selbst kann allerdings zu der angeblichen „Verfügung vom 14.6.2017“ keinerlei Angaben machen, weil mir eine solche Verfügung der StA schlicht unbekannt ist. Es lässt sich deshalb zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur so viel sagen, dass die „Verfügung vom 14.6.2017“ offenbar weder verkündet noch zugestellt wurde. Die „Verfügung vom 14.6.2017“ hat deshalb – mangels Verkündung und Zustellung – keinerlei Rechtswirkung entfaltet. Die „Verfügung vom 14.6.2017“ stellt somit ein juristisches Nullum dar.

    Die Qualifizierung der „Verfügung vom 14.6.2017“ als juristisches Nullum hat folgende weitere juristische Konsequenzen:

    Das Verhalten der StA stellt sich objektiv als Untätigkeit dar. Der unmittelbare Gang zu Gericht war deshalb – nach Ablauf der Drei-Monats-Frist – gem. §§ 75 VwGO, 27 EGGVG zulässig und geboten. Das Rechtsschutzbedürfnis ist ganz offensichtlich gegeben. Es ist unter dem Gesichtspunkt der Garantie effektiven Rechtsschutzes, Art. 19 IV GG, überhaupt kein krasserer Fall denkbar, in dem der Grundgedanke des Art. 19 IV GG Anwendung finden könnte.

    Die Zurückweisung des Antrags als unzulässig wird deshalb – wegen Fehlens einer „Verfügung vom 14.6.2017“ im Rechtssinne – schlicht hinfällig.

    Die Kausalität zwischen der Gehörsverletzung i.S.d. Art. 103 I GG und dem Inhalt, dem Ergebnis der gerichtlichen Entscheidung ist deshalb ganz offensichtlich gegeben. Die gerichtliche Entscheidung ist ganz offensichtlich kausal auf die Gehörsverletzung zurückzuführen.

    Das Verfahren ist deshalb fortzuführen. Die nächsten Verfahrensschritte werden deshalb die Beiladung der Beschuldigten gem. §§ 65, 66 VwGO und die Ansetzung eines Termins für die mündliche Verhandlung gem. Art. 6 I EMRK i.V.m. § 101 I VwGO sein.

    IV. Fehlende richterliche Hinweise gem. § 86 III VwGO

    Der klägerische Vortrag hat – wie auch der Senat weiß – keinerlei Lücken. Sollte der klägerische Vortrag aber Lücken aufweisen, wäre es die Verpflichtung des Senats, diese Lücken konkret zu benennen. Diese richterlichen Hinweise gem. § 86 III VwGO sind hierbei so konkret zu fassen, dass der klägerische Vortrag ggf. ergänzt werden kann. Allgemein gehaltene Leerfloskeln – so wie es der Senat praktiziert hat – sind jedenfalls keine richterlichen Hinweise i.S.d. § 86 III VwGO. Es ist also zunächst festzustellen, dass richterliche Hinweise i.S.d. § 86 III VwGO fehlen.

    Der Senat stellt die wahrheitswidrige Behauptung auf, der Klagevortrag habe den Anfangsverdacht einer gemeinschaftlichen Rechtsbeugung i.S.d. §§ 339, 25 II StGB nicht hinreichend dargetan. Wie auch der Senat weiß, ist das exakte Gegenteil in Wahrheit der Fall. Der Klagevortrag legt in Wahrheit selbstverständlich den Anfangsverdacht einer gemeinschaftlichen Rechtsbeugung i.S.d. §§ 339, 25 II StGB in aller Ausführlichkeit dar.

    Die Kausalität zwischen richterlichen Hinweisen und Urteilsinhalt liegt auf der Hand: Unterlässt der Senat die nach § 86 III VwGO erforderlichen Hinweise, hindert dies den Antragsteller daran, etwaige Lücken des Klagevortrags zu schließen und dadurch auf ein stattgebendes Urteil hinzuwirken. Das pflichtwidrige Unterlassen der nach § 86 III VwGO erforderlichen Hinweise hindert also den Antragsteller daran, eine ihm günstige Entscheidung herbeizuführen.

    V. Fehlende mündliche Verhandlung gem. Art. 6 I EMRK i.V.m. § 101 I VwGO

    Art. 6 I EMRK ordnet sinngemäß an, dass jede Prozesspartei irgendwann einmal im Laufe eines Gerichtsverfahrens einen Anspruch auf eine öffentliche Verhandlung hat. Besteht das gesamte Gerichtsverfahren – wie hier – nur aus einer einzigen Instanz, liegt es auf der Hand, dass die öffentliche Verhandlung in dieser einen und einzigen Instanz durchgeführt werden muss. Diesen konventionsrechtlich verbürgten Anspruch setzt § 101 I VwGO in einfaches Prozessrecht um.

    Auch hier liegt die Kausalität zwischen dem Unterlassen der mündlichen Verhandlung und dem Urteilsinhalt auf der Hand: Die öffentliche Verhandlung verschafft dem Antragsteller die Möglichkeit, den Senat im mündlichen Vortrag von der Richtigkeit seines Vorbringens zu überzeugen und so zu seinen Gunsten auf eine stattgebende Entscheidung hinzuwirken. Wird also dem Antragsteller die erforderliche mündliche Verhandlung genommen, wird der Antragsteller damit um seine prozessuale Möglichkeit gebracht, den Inhalt der Entscheidung zu seinen Gunsten zu beeinflussen.

    VI. Schlusssatz

    Der Anhörungsrüge gem. § 152a VwGO ist deshalb abzuhelfen und das Verfahren fortzuführen.“

  4. Gegen den Beschluss des OLG München vom 5.10.2017, Az. 2 Ws 1235/17 KL habe ich am 2.11 2017 Verfassungsbeschwerde zum BVerfG (58 Seiten) und zum BayVerfGH (66 Seiten) erhoben.

  5. Ich habe in einem weiteren Fall ein Ermittlungserzwingungsverfahren beim OLG München begonnen. Nachdem die StA München I auf meine Strafanzeige hin drei Monate lang untätig geblieben war, habe ich mit Schriftsatz vom 2.11.2017 beim OLG München folgenden Antrag gestellt:

    „Die Staatsanwaltschaft München I wird verpflichtet, das Ermittlungsverfahren gegen die beschuldigten Richter des Oberlandesgerichts München in Hinblick auf ihre Beschlüsse vom 7.6.2013, vom 18.11.2014 und vom 5.1.2015, Az. 1 U 161/13 und 1 U 2482/14 [das sind die Berufungsentscheidungen in meinem Amtshaftungsprozess gegen den beklagten Freistaat Bayern] wegen gemeinschaftlicher Rechtsbeugung (§§ 339, 25 II StGB) förmlich einzuleiten.“

  6. Zum Ermittlungserzwingungsverfahren kann man natürlich auch „§ 41 Das Klageerzwingungsverfahren“ nachlesen in

    Roxin / Schünemann, Strafverfahrensrecht, Lehrbuch/Studienliteratur,
    29., neu bearbeitete Auflage 2017, XXV, 576 Seiten, Softcover, Verlag C.H.BECK, ISBN 978-3-406-70680-6

    Dort hat man als Leser allerdings nur das klitzekleine Problemchen, dass dieser Abschnitt zuletzt etwa 2010 bearbeitet wurde, seither nicht mehr. Ich hatte mir damals als junger Anwalt die 23. Auflage von 1993 besorgt. In der 23. Auflage von 1993 war „Das Klageerzwingungsverfahren“ noch in § 39 abgehandelt. Nunmehr, in der 29. Auflage von 2017 ist „Das Klageerzwingungsverfahren“ in § 41 abgehandelt. Der Inhalt des § 39 bzw. des § 41 ist allerdings über all die Jahrzehnte derselbe geblieben. Nichts Neues unter der Sonne.

    • @Rechtsanwalt Alexander Würdinger, München:

      Statt dessen ein Lesetipp: Mehmet Daimagüler: Der Verletzte im Strafverfahren, Beck, München 2016, ISBN 978-3-406-70220-4.

      Zum Ermittlungserzwingungsverfahren und zum Klageerzwingungsverfahren Rnrn. 589 ff, zu den Auswirkungen der Tennessee Eisenberg-Entscheidung Rn. 639. Dieses Buch hat u.a. folgende Vorzüge zu bieten (Reihenfolge nach Gewichtigkeit):

      1) Es ist im Beck-Verlag erschienen.
      2) Es zitiert meinen Aufsatz.
      3) Es führt den Begriff Ermittlungserzwingungsverfahren im Stichwortverzeichnis explizit auf.

  7. Auf beck-blog entwickelte sich folgender Dialog:

    „Lesetipp: Aufsatz zum Klageerzwingungsverfahren
    von Carsten Krumm, veröffentlicht am 18.12.2017:

    Gerade habe ich entdeckt, dass Nomos einen schon etwas zurückliegenden Beitrag von mir frei zugänglich online gestellt hat. Es handelt sich um einen Beitrag zum Klageerzwingungsverfahren in der NJ aus 2016. Den Beitrag finden Sie H I E R.

    Alexander Würdinger kommentiert am Di, 2017-12-19:

    Bekanntlich vertrete ich die Rechtsmeinung, dass auf das Verfahren nach den §§ 172 ff StPO ergänzend Verwaltungsprozessrecht angewendet werden muss. Die Anwendung der VwGO hätte prozessual vor allem zur Folge, dass
    eine Untätigkeitsklage zulässig wäre, § 75 VwGO
    die Beschuldigten beizuladen wären, § 65 VwGO
    eine mündliche Verhandlung stattzufinden hätte, § 101 VwGO i.V.m. Art. 6 I EMRK und
    das Gericht dem Verletzten vor Erlass einer Entscheidung ggf. richterliche Hinweise gemäß § 86 Abs. 3 VwGO analog erteilen müsste und anderenfalls das Grundrecht auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzte.

    Interessant ist auch die Möglichkeit des Ermittlungserzwingungsverfahrens:
    Der Bürger darf auch einen eingeschränkten Antrag zum OLG stellen.[22] Der Antrag richtet sich nur auf die förmliche Einleitung des Ermittlungsverfahrens, nicht auf eine Anklageerhebung.[23] Dies ist der sog. Ermittlungserzwingungsantrag. Der Antragsteller verfolgt mit dem Ermittlungserzwingungsantrag gerade nicht die Erhebung der öffentliche Klage nach der Durchführung eines vollständigen Ermittlungsverfahrens, sondern der Antragsteller verfolgt mit dem Ermittlungserzwingungsantrag ein anderes Ziel: Der Antragsteller will mit dem Ermittlungserzwingungsantrag erreichen, dass der Strafsenat des OLG die Staatsanwaltschaft dazu verpflichtet, sich überhaupt erst ernsthaft mit der von dem Antragsteller erstatteten Strafanzeige zu befassen und den vom Antragsteller unterbreiteten Sachverhalt einer ernsthaften strafrechtlichen Überprüfung zu unterziehen.

    Besondere Beachtung verdient die aktuelle Entscheidung des OLG Bremen, Beschluss vom 21. September 2017, Az. 1 Ws 55/17 mit umfangreichen Zitaten der Rechtsprechung seit 1980 zum Ermittlungserzwingungsverfahren http://www.burhoff.de/asp_weitere_beschluesse/inhalte/4240.htm

    Was es im übrigen über das Ermittlungserzwingungsverfahren zu wissen gilt, lesen Sie bitte in dem vorzüglichen Aufsatz meines Hamburger Kollegen Mirko Laudon nach

    Carsten Krumm kommentiert am Mi, 2017-12-20:

    Tatsächlich ist die VwGO-Anwendung eine interessante Idee! Danke für den Hinweis!
    Hier geht es übrigens zu einem Aufsatz von Herrn Rechtsanwalt Würdinger zu dem Thema in HRRS: Die Zeitenwende im Klageerzwingungsverfahren

    Alexander Würdinger kommentiert am Mi, 2017-12-20:

    Der Kerngedanke ist eigentlich dieser Abschnitt:
    „XVII. Kurzer Ausflug ins Gesellschaftsrecht
    Wir haben jetzt also beim Klageerzwingungsverfahren im Ergebnis die Normen der VwGO, also eines völlig anderen Gesetzes, herangezogen, weil die Normen der StPO so überhaupt nicht „gepasst“ haben. Gibt es ein solches methodisches Vorgehen überhaupt in der Rechtsordnung, dass man ein „anderes“ Gesetz anwendet auf eine Fallgestaltung, die eigentlich in einem bestimmten Gesetz bereits geregelt ist? Ja, das gibt es durchaus, nämlich bei der Publikums-KG. Die Publikums-KG ist, ebenso wie jede andere KG, im HGB geregelt. Also müssten auf die Publikums-KG die Vorschriften des HGB Anwendung finden, die Vorschriften des „Heimat“-Gesetzes. Aber die Publikums-KG ist keine „normale“ KG. Für eine „normale“ KG sind einige, wenige Gesellschafter charakteristisch, die ggf. auch dazu bereit sind, unternehmerische Verantwortung zu übernehmen, darauf sind die Vorschriften des HGB zugeschnitten. Bei der Publikums-KG liegt aber eine völlig andere Situation vor, als es dem Regelfall einer „normalen“ KG entspricht: Bei der Publikums-KG gibt es eine Vielzahl von „Gesellschaftern“, die gar nicht daran denken, in irgendeiner Weise so etwas wie unternehmerische Verantwortung zu übernehmen, sondern die sich typischerweise wie ganz normale Kapitalanleger verhalten. Also passen die Vorschriften des HGB nicht auf die Publikums-KG. Auf die Publikums-KG passen aber die Vorschriften des AktG ganz vorzüglich. Denn das AktG regelt genau den Fall der Publikums-KG, dass es erstens eine unüberschaubare Vielzahl von Gesellschaftern gibt und zweitens die Gesellschafter lediglich das wirtschaftliche Interesse eines typischen, mehr oder minder anonymen, Kapitalanlegers verfolgen. Kurzum: Der Gesellschafter einer Publikums-KG ist dem Aktionär in einer Aktiengesellschaft (wirtschaftlich) sehr ähnlich. Auch die Struktur einer Publikums-KG als Körperschaft ist der Struktur einer Aktiengesellschaft (wirtschaftlich) sehr ähnlich. Es besteht deswegen, soweit ersichtlich, unter Gesellschaftsrechtlern allgemein Einigkeit, dass auf die Publikums-KG nicht das HGB (das „Heimat“-Gesetz), sondern das AktG angewendet werden muss. Bei der juristischen Behandlung der Publikums-KG tritt also dasselbe „Phänomen“ wie hier auf: Da das „Heimat“-Gesetz partout nicht passt, wird eben dasjenige „fremde“ Gesetz angewendet, das der Funktion und der Struktur des Sachverhalts am besten angemessen ist.[65]“

  8. Ich habe auf beck-blog angebaut wie folgt:

    Alexander Würdinger kommentiert am Di, 2018-01-02:

    Und der weitere Kerngedanke ist folgendes, mit dem Wort „Zeitenwende“ im Aufsatztitel meinte ich nämlich zweierlei:

    1) Damit meinte ich vor allem die praktischen Auswirkungen: Die verschiedenen Vefahrensarten nach den §§ 172 ff StPO sind jetzt nämlich – nachdem die Verfahren nach den §§ 172 ff StPO jetzt nämlich mit den rechtsstaatlichen Mindestanforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren ausgestattet sind – eine echte prozessuale Waffe!

    2) Damit meinte ich aber auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, beginnend mit der Tennessee Eisenberg-Entscheidung des Bundesverfasssungsgerichts vom 26. Juni 2014: Jetzt gibt es auch ein subjektiv-öffentliches Recht des Verletzten auf effektive Strafverfolgung Dritter, das es vorher nicht gab!

    Zuletzt argumentierte das OLG München in Rn. 8 seines Beschlusses v. 05.10.2017 – 2 Ws 1235/17 KL, 2 Ws 1238/17 KL juristisch fundiert:
    „Die VwGO ist nicht anwendbar.“
    Der Link:
    http://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/Y-300-Z-BECKRS-B-2017-N-12

  9. Mein Aufsatz war seinerzeit exakt am 1. Februar 2016 ins Netz gestellt worden. Der Meyer-Goßner/Schmitt erscheint jedes Jahr zuverlässig im März oder April. Mein Aufsatz hat es seinerzeit „auf den letzten Drücker“ in die 59. Auflage 2016 geschafft. Seitdem findet sich am Ende der Rn. 1 zu § 173 StPO der Satz:

    „Für eine entspr Anwendung der Vorschriften des Verwaltungsprozessrechts Würdinger HRRS 16, 29.“

    Mal sehen, was im März/April die 61. Auflage 2018 bringt …

  10. Iura novit curia: Das Gericht wendet das Recht an. „Recht“ ist auch das Prozessrecht. Das gilt unabhängig davon, ob dazu schon ein wissenschaftlicher Aufsatz vorliegt, ob ein anderes Gericht schon einmal genauso entschieden hat oder ob der Autor des Aufsatzes bekannt oder unbekannt ist. Denn Recht ist Recht: Das Gericht muss dasjenige Prozessrecht anwenden, das richtig ist.

    • @Rechtsanwalt Alexander Würdinger, München:

      Das (vorläufige) Schlusswort lautet: „Es gibt also nach wie vor nur die von Art. 19 IV GG vorgeschriebene eine Mindest-Instanz. Umso mehr ist es erforderlich, dass in dieser einen, einzigen Instanz ein faires Verfahren garantiert wird. Ein faires Verfahren wird garantiert durch die Anwendung der VwGO. Dies hat vor allem zur Folge, dass

      – eine Untätigkeitsklage zulässig ist, § 75 VwGO
      – die Beschuldigten beizuladen sind, § 65 VwGO
      – eine mündliche Verhandlung stattzufinden hat, § 101 VwGO i.V.m. Art. 6 I EMRK und
      – das Gericht dem Verletzten vor Erlass einer Entscheidung ggf. richterliche Hinweise gemäß § 86 Abs. 3 VwGO analog erteilen muss und anderenfalls das Grundrecht auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.“

  11. Nicht ganz uninteressant für unsere Diskussion ist die ständige Praxis des Klageerzwingungsverfahrens: Am einfachsten und deswegen am beliebtesten ist der pauschale Vorwurf, die Antragsschrift sei nicht hinreichend substantiiert. Das führt – nach der ständigen Praxis – zur Unzulässigkeit des Antrags im Verfahren nach den §§ 172 ff StPO. Es sind aber auch im übrigen – nach der ständigen Praxis – der Phantasie keine Grenzen gesetzt, wenn es darum geht, einen Vorwand für die Unzulässigkeit der Antragsschrift zu suchen und zu finden: Sämtliche Vornamen des Beschuldigten sowie sein Geburtstag und sein Geburtsort seien nicht angegeben, deswegen sei es nicht möglich, den Beschuldigten zweifelsfrei zu identifizieren. Oder: In dem sich seit Jahren hinziehenden Verfahren seien nicht sämtliche Schriftsätze mit sämtlichen Daten sowie sämtlichen Fristläufen unter Darlegung der jeweiligen Fristeinhaltung im Antragsschriftsatz in einzelnen aufgelistet.

    Nach der ständigen Praxis spielt man als Anwalt in den Verfahren nach den §§ 172 ff StPO ein Spiel, das man schlechterdings nicht gewinnen kann: Hat man zwanzig mehr oder weniger sinnentleerte Formalismen erfüllt, scheitert man eben an dem einundzwanzigsten, frisch gekürten, Formalismus. Das ist die ständige Praxis des Klageerzwingungsverfahrens.

      • @Strafakte.de:

        Grüß Gott Herr Kollege,

        es bleibt eben im Endeffekt der Willkür des angegangenen Strafsenats überlassen, ob der Senat darüber entscheiden will oder nicht. In den zwei Fällen, von denen Sie sprechen, hatten Sie eben das „Glück“, dass der Senat geruhte, sich mit der Sache beschäftigen zu wollen.

        Viele kollegiale Grüße aus München

  12. Der Beschluss des OLG München vom 5. Oktober 2017, Az. 2 Ws 1235/17 KL

    http://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/Y-300-Z-BECKRS-B-2017-N-128401?hl=true

    schreibt in den Rnrn. 6 und 7 zum Inhalt meiner Strafanzeige lediglich folgendes:

    „Der Antragsteller ergeht sich nur in allgemeinen Ausführungen darüber, was die angezeigten Richter hätten tun sollen. Der Sachverhalt, über den sie zu entscheiden hatten, wird nicht dargestellt, ebenso wenig der Inhalt der vom Antragsteller beanstandeten Urteile. Eine Überprüfung, ob die Richter sich bewusst und in schwerwiegender Weise von Recht und Gesetz entfernt, also einen Rechtsbruch durch einen elementaren Verstoß gegen die Rechtspflege begangen haben (vgl. Fischer, StGB, 64. Auflage 2017, § 339 StGB Rdnr. 28), ist allein aufgrund des Antragsvorbringens nicht möglich.“

    Es handelt sich hierbei schlicht um vorsätzlich unwahre Tatsachenbehauptungen. In Wahrheit habe ich sowohl meine Strafanzeige zur Staatsanwaltschaft München I als auch meinen verfahrenseinleitenden Schriftsatz zum OLG München sehr präzise, sehr detailliert und sehr eingehend unter Vorlage zahlreicher Beweismittel begründet. An dem Anfangsverdacht einer gemeinschaftlichen Rechtsbeugung bestand und besteht deshalb nicht der leiseste Zweifel. Es war und ist deshalb unabweisbar, ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren förmlich einzuleiten.

    Dieser Beschluss ist deshalb geradezu ein „Musterbeispiel“ für den Missbrauch der Verfahren nach den §§ 172 ff StPO durch die Justiz.

    • @Rechtsanwalt Alexander Würdinger, München:

      Zu diesem Beschluss des OLG München noch einige weitere Worte:

      Ich hatte mit Schriftsatz vom 29.4.2017 gegen die Richter der Münchner Amtshaftungskammer Strafanzeige erstattet wegen gemeinschaftlicher Rechtsbeugung (§§ 339, 25 II StGB). Drei Monate lang reagierte die Staatsanwaltschaft München I in keiner Weise: Keine Mitteilung des Aktenzeichens, unter dem die Strafanzeige bearbeitet wird, geschweige denn die nach Recht und Gesetz unabweisbare förmliche Einleitung des Ermittlungsverfahrens. Was also soll man als Staatsbürger tun, wenn eine Behörde drei Monate lang die Erfüllung eines Rechtsanspruchs missachtet? Ganz einfach: Man strengt ein Ermittlungserzwingungsverfahren an. Ich rüge in diesem Verfahren folgende drei Verletzungen des Grundrechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs gem. Art. 103 I GG:

      1) Fehlende Verkündung und fehlende Zustellung der angeblichen staatsanwaltschaftlichen Verfügung vom 14.6.2017
      2) Fehlende richterliche Hinweise gem. § 86 III VwGO und
      3) Fehlende mündliche Verhandlung gem. Art. 6 I EMRK i.V.m. § 101 I VwGO.

      Dieses Verfahren nahm bis heute folgenden Verlauf:

      1) Mit Schriftsätzen vom 16. Oktober 2017 und vom 19. Oktober 2017 erhob ich Anhörungsrüge gem. § 152a VwGO.
      2) Sodann erhob ich mit Schriftsätzen vom 2. November 2017 parallel beim BVerfG und beim BayVerfGH Verfassungsbeschwerde, ergänzt mit Schriftsätzen vom 13. November 2017.
      3) Mit Schriftsatz vom 9. Dezember 2017 forderte ich das OLG München – unter Fristsetzung bis zum 15. Dezember 2017 – zur Fortsetzung des Verfahrens auf.
      4) Nach fruchtlosem Fristablauf stellte ich mit Schriftsatz vom 16. Dezember 2017 parallel beim BVerfG und beim BayVerfGH Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gem. § 32 BVerfGG bzw. gem. Art. 26 BayVerfGHG. Diesen Antrag habe ich vor allem darauf gestützt, dass zum 9. Januar 2018 bzgl. einer der beiden angezeigten Straftaten unwiderruflich Strafverfolgungsverjährung eintritt, sofern die Verjährung nicht vorher rechtzeitig wirksam unterbrochen wird. Das Verfahren der einstweiligen Anordnung hat nämlich eigentlich den Sinn, dem Verfassungsgericht die Möglichkeit offenzuhalten, überhaupt noch über irgendwas entscheiden zu können. Tritt aber – in meinem Fall zum 9. Januar 2018 – die Verjährung ein, gibt es für das Verfassungsgericht nichts mehr zu entscheiden.
      5) Der BayVerfGH hat mit Beschluss vom 8. Januar 2018, Vf. 74-VI-17, den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit Hinweis auf die „offensichtliche Unbegründetheit“ der Verfassungsbeschwerde abgelehnt. Meine Verfassungsbeschwerde wurde dem Bayerischen Justizministerium zur Stellungnahme bis zum 1. März 2018 zugeleitet.
      6) Vom BVerfG das übliche Blatt, Beschluss vom 12. Januar 2018, Az. 2 BvR 2793/17.
      7) Mit Schriftsätzen vom 7. Februar 2018, vom 9. Februar 2018, vom 14. Februar 2018, vom 16. Februar 2018 und vom 19. Februar 2018 ersuchte ich das OLG München erneut um Fortsetzung des Verfahrens.

  13. Es sind derzeit insgesamt sieben Strafanzeigen gegen Münchner Richter und Staatsanwälte als Verfahren auf Erzwingung der Ermittlungen beim Oberlandesgericht München anhängig. Ich habe den Präsidenten des OLG um Mitteilung der Aktenzeichen und der Verfahrensstände in diesen sieben beim OLG anhängigen Verfahren gebeten. Die Strafanzeigen wurden sämtlich von der Münchner Staatsanwaltschaft mit der – nicht weiter begründeten – Behauptung verbeschieden, es läge kein Anfangsverdacht vor. Noch recht viel offensichtlicher kann man das Krähenprinzip nicht veranschaulichen. Ich bin auch, ehrlich gesagt, nach wie vor verblüfft darüber, mit welcher Unverblümtheit die Münchner Justiz so offen und so direkt unter aller Augen Unrecht begeht.

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