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Reform der Sicherungsverwahrung

Heute, am 1. Juni 2013 tritt die Reform der Sicherungsverwahrung in Kraft, die der Politik vor gut zwei Jahren durch das Bundesverfassungsgericht in die Agenda diktiert wurde:

Die Sicherungsverwahrung ist nur zu rechtfertigen, wenn der Gesetzgeber bei ihrer Konzeption dem besonderen Charakter des in ihr liegenden Eingriffs hinreichend Rechnung und dafür Sorge trägt, dass über den unabdingbaren Entzug der „äußeren“ Freiheit hinaus weitere Belastungen vermieden werden. Dem muss durch einen freiheitsorientierten und therapiegerichteten Vollzug Rechnung getragen werden, der den allein präventiven Charakter der Maßregel sowohl gegenüber dem Untergebrachten als auch gegenüber der Allgemeinheit deutlich macht. Die Freiheitsentziehung ist – in deutlichem Abstand zum Strafvollzug („Abstandsgebot“, vgl. BVerfGE 109, 133) – so auszugestalten, dass die Perspektive der Wiedererlangung der Freiheit sichtbar die Praxis der Unterbringung bestimmt.

Mit dem Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebots muss sich die Sicherungsverwahrung fortan sehr deutlich vom normalen Strafvollzug unterscheiden. Insbesondere durch verbindliche Leitlinien soll sichergestellt werden, dass der Vollzug der Sicherungsverwahrung den Anforderungen der Europäischen Menschenrechtskonvention und des Grundgesetzes entspricht. Kern der gemeinsamen Anstrengungen von Bund und Ländern ist eine Therapie der Untergebrachten mit dem Ziel, ihre Gefährlichkeit für die Allgemeinheit so weit wie möglich zu mindern.

Foto: Rainer Sturm / pixelio.de

Die Gerichte werden künftig im Einzelnen überprüfen, ob die therapeutische Betreuung auch in dem Maß angeboten wird, wie das Verfassungsgericht es fordert. Niemand soll freigelassen werden müssen, nur weil er nicht therapiert werden will oder therapiert werden kann.

Dennoch regt sich bereits erneut heftiger Widerstand: Dieses Gesetz, welches eigentlich die umfassende Abkehr von der -verfassungs- und menschenrechtlich gebotenen- nachträglichen Sicherungsverwahrung bedeuten sollte, gilt für sog. „Altfälle“ gem. Art. 316e EGStGB fort, also für Taten, die vor dem 1. Januar 2011 begangen wurden: „Rechtlich schizophren“ sei dies und die neuen Regelungen geradezu eine „Mogelpackung“, sagt Adam Ahmed, der die Änderung der bestehenden Regelungen vor dem Bundesverfassungsgericht erzwungen hatte. Und auch der Tübinger Strafrechtsprofessor Jörg Kinzig hält diese Ausnahme für „sehr fragwürdig“.

Nachtrag (04.06.2013): Auch Generalbundesanwalt a.D. Kay Nehm äußert sich in der LTO äußerst kritisch zu den Neuregelungen:

Deshalb hätte es nach den Grundsätzen der Bestimmtheit freiheitsentziehender Maßnahmen und des Gesetzesvorbehalts auch hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit und der Qualität der zugrunde liegenden Entscheidungen eindeutiger gesetzlicher Regelungen bedurft. (…) Kommentatoren und Richter bis hinauf zum BVerfG werden erneut kreativ werden müssen, wenn verhindert werden soll, dass zwar die Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung bis ins Einzelne geregelt ist, ihrer Anordnung jedoch die Rechtsgrundlage abhanden gekommen ist.

Ich denke, dass hier das letzte Wort der Verfassungsrichter noch nicht gesprochen ist.

Lesenswert zu diesem Thema: Das ZEIT-Dossier „In der Lebensversickerungsanstalt“